Navigationssatelliten und Atomkriegsstrategien
von Kai Lorenzen
Seit zwanzig Jahren werden militärische Satelliten zur Positionsbestimmung und Navigation genutzt. Die technische Entwicklung auf diesem Sektor wird in den nächsten Jahren erheblich dazu beitragen, einen Atomkrieg führbar und gewinnbar erscheinen zu lassen.
Um die Bahn des ersten künstlichen Satelliten Sputnik 1 zu bestimmen, bedienten sich amerikanische Wissenschaftler des Doppler-Effekts: Die Senderfrequenz des Satelliten wird - abhängig von seiner Geschwindigkeit zur Bodenstation verschoben empfangen. Messungen dieser Frequenzverschiebung durch mehrere Stationen erlauben die Bahnbestimmung des Satelliten. Bald entstand die Idee, das Verfahren umzukehren und bei bekannter Satellitenbahn die Empfängerposition durch Dopplermessungen zu ermitteln. Aus geometrischen Gründen können so allerdings nur zwei Koordinaten des Empfängers bestimmt werden, die dritte Koordinate (in der Regel die Höhe) muß dazu bekannt sein.
Die amerikanische Furcht vor der Raketenlücke, eine politische Folge des Sputnik, resultierte unter anderem in der Entwicklung U-Boot-gestützter Nuklearraketen (POLARIS). Bedingung für deren Einsatzbereitschaft ist ein globales Navigationssystem, das mit ausreichender Genauigkeit nur durch Satelliten realisiert werden kann. Ein entsprechendes Konzept war bereits vorhanden, und so begann die Navy 1958 mit der Entwicklung des TRANSIT Satellitennavigationssystems 1, das 1964 der POLARIS-Flotte zur Verfügung stand. TRANSIT besteht aus fünf Satelliten in polaren Bahnen, die während ihrer 105-minütigen Umläufe etwa 18 Minuten lang von einem Standort aus beobachtet werden können. Während eines solchen „Durchgangs“ wird die Frequenzverschiebung gemessen und unter Verwendung vom Satelliten gesendeter Bahndaten die Position des Empfängers bestimmt. Da die Höhe auf See bekannt ist, stellt die Beschränkung des Verfahrens auf zwei Koordinaten kein Problem dar.
Die Satellitenbahnen werden aus Messungen von vier festen Bodenstationen bestimmt. Dabei entsteht gewissermaßen als Abfallprodukt ein Modell des Erdschwerefeldes, das militärisch außerordentlich wichtig ist. Nur wenn alle Unregelmäßigkeiten des Schwerefeldes bekannt sind, kann die Flugbahn ballistischer Raketen genau vorausberechnet werden. Somit ist TRANSIT in doppelter Hinsicht von großer militärischer Bedeutung.
Ein Nachteil des Systems ist, daß zwischen zwei Durchgängen Zeiträume bis zu mehreren Stunden liegen können. Trotz hochentwickelter Trägheitsnavigationsverfahren nimmt die Genauigkeit der Schiffsposition dann von etwa 50 m auf einige 100 m ab. Angriffe auf Punktziele sind so nicht möglich. Daher konnte Abschreckung in den sechziger Jahren nur auf Basis der mutual assured destruction glaubwürdig sein, McNamaras Konzept der Zerstörung militärischer Kommandozentralen und Raketenbasen (Counterforce-Doktrin) mußte als unrealistisch verworfen werden.
Die Sowjetunion hat wahrscheinlich 1968, gleichzeitig mit ihren ersten seegestützten Nuklearraketen, eigene Navigationssatelliten eingeführt. Sichere Hinweise auf dieses System, das sich nur unwesentlich von TRANSIT unterscheidet, sind seit 1972 veröffentlicht 2. Die UdSSR selbst hat jedoch erst 1978 den Start eines Navigationssatelliten bekanntgegeben. Deutlich wird daraus einerseits, wie die sowjetische Nachrichtenpolitik eine realistische Information der Öffentlichkeit über ihren Rüstungsstand erschwert. Andererseits ist aber sicher, daß die UdSSR wesentlich später als die USA mit der Entwicklung ihres Systems begonnen und das amerikanische Konzept weitgehend übernommen hat.
Aufgrund zunehmenden Drucks von industrieller Seite wurde TRANSIT 1968 für die zivile Nutzung freigegeben. Die Navy betrieb unterdessen ein Programm zur TRANSIT-Weiterentwicklung unter der Bezeichnung TIMATION. Gleichzeitig plante die Air Force ihr SYSTEM 6218 für kontinuierlich dreidimensionale Positionsbestimmung.
Beide Projekte wurden 1973 durch ein Memorandum des DoD vereinigt, das sowohl Folge eingetretener technischer Entwicklungen als auch ein direkter Schritt zur Schaffung der militärischen Grundlagen der Counterforce-Doktrin war. So entstand das Konzept des „Global Positioning System“ NAVSTAR 3. Ein gemeinsames Programmbüro wurde gegründet, in dem neben den Teilstreitkräften und der Defense Mapping Agency auch die NASA, die US-Luftfahrtbehörde und das US-Verkehrsministerium vertreten sind. Diese Behörden vertreten die zivilen Nutzer von NAVSTAR, haben aber kaum Einfluß auf die Systemplanung. Dafür spielen sie eine umso größere Rolle, wenn es um die Durchsetzung des 8-Mrd-Dollar-Projekts im Kongreß geht. Seit 1978 ist auch die Bundesrepublik zusammen mit acht weiteren NATO-Staaten durch einen gemeinsamen Vertreter im Programmbüro präsent 4. Nach derzeitigem Stand 5 soll NAVSTAR aus 18 Satelliten (Raumsegment) und neun Bodenstationen (Kontrollsegment) bestehen. Die Satelliten werden in sechs 12-Stunden-Bahnen so angeordnet, daß jederzeit und an jedem Ort mindestens vier von ihnen beobachtbar sind. Alle Satelliten sind mit synchronisierten Atomuhren ausgerüstet und senden ihre Bahndaten in zwei verschiedenen, zeitlich extrem genau definierten Codes. Die Empfängerposition wird aus den Laufzeitdifferenzen der zeitlich zusammengehörigen Codesegmente aller vier Satelliten bestimmt. Je höher die zeitliche Auflösung des Codes, desto genauer ist die Position, umso schwieriger ist aber auch die Identifikation der zusammengehörigen Codesegmente. Daher senden die NAVSTAR-Satelliten zwei verschiedene Codes, einen mit vergleichsweise geringer zeitlicher Auflösung (C/A Code) und einen mit zehnfach höherer Auflösung (P-Code). Nachdem der Nutzer seinen Standort näherungsweise mit dem C/A Code ermittelt hat, kann er die P-Code Segmente zuordnen und seine Positionsgenauigkeit um eine Größenordnung verbessern.
Das Kontrollsegment besteht aus 5 Tracking-, 3 Upload- und einer Masterstation, die im atomsicheren militärischen Weltraumzentrum bei Colorado Springs untergebracht werden soll. Ferner wird ein vollständiges mobiles Kontrollsegment entwickelt. Sollte auch dies in einem Nuklearkrieg zerstört werden, so können die Satelliten aufgrund ihrer Bahnkonfiguration immer noch etwa eine Woche lang ohne Genauigkeitseinbuße genutzt werden. Empfänger läßt das DoD für Luft-, Land- und Seefahrzeuge aller Art entwickeln und testen. Mobile Empfangsseinheiten soll es außerdem für das „Integrated Operational Nuclear Detection System“ eine Zusatzeinrichtung von NAVSTAR, geben. Alle Satelliten sind mit einem Detektor ausgerüstet, der elektromagnetische Pulse von Kernwaffenexplosionen registriert. Aus diesen Informationen lassen sich Ort und Zeitpunkt der Explosionen sehr genau ermitteln.
Seit 1977 werden Prototypen der Satelliten und Empfänger erprobt. Auch extrem schnell fliegende Kampfflugzeuge konnten dabei ihre Position kontinuierlich auf 30 m (C/A-Code) bzw. 3-5m (P-Code) genau bestimmen. Diese Ergebnisse waren selbst für das DoD überraschend und lösten wegen der möglichen Mitbenutzung von NAVSTAR durch die UdSSR Besorgnis aus. Der Nationale Sicherheitsrat beschloß kurz darauf, die Bahndaten des P-Codes aufwendig zu verschlüsseln und den C/A-Code absichtlich so zu degradieren, daß die Genauigkeit für nichtautorisierte Nutzer bestenfalls 100 m erreicht. Die betroffenen zivilen Anwender protestierten zwar leise, unterstützten aber weiterhin die politische Durchsetzung des Projekts. Hier ist anzumerken, daß ein ziviles Navigationssystem ähnlicher Genauigkeit nur einen Bruchteil der Kosten von NAVSTAR verursachen würde, da auf die teuren Maßnahmen zur Sicherstellung der Überlebensfähigkeit des Systems im Nuklearkrieg verzichtet werden könnte.
Es ist fast müßig, auf die Bedeutung von NAVSTAR in den neuen strategischen Konzepten der NATO hinzuweisen. Seit Carters Direktive 59 ist „counterforce“ auf dem Wege, ein realistisches Konzept zu werden. Dazu trägt NAVSTAR wie kaum ein anderes Rüstungsprojekt der letzten Jahre bei.
Die Sowjetunion beantragte 1982 bei der internationalen Fernmeldeunion Frequenzen für ein Navigationssystem unter der Bezeichnung GLONASS 6. Noch im gleichen Jahr brachte sie drei Satelliten in eine Umlaufbahn, die - soweit bisher bekannt den NAVSTAR-Satelliten weitgehend gleichen. Sechs Satelliten sind im letzten Jahr hinzugekommen, was die Vermutung nahelegt, daß es sich nicht um Prototypen, sondern bereits um einen Teil des Gesamtsystems handelt. Anscheinend hat die UdSSR auf eine ausgedehnte Testphase verzichtet und der baldigen vollen Verfügbarkeit des Systems höchste Priorität eingeräumt.
Offiziell wird GLONASS als zivil bezeichnet, was wohl bedeutet, daß auch der präzise Code frei verfügbar sein soll. Dessen Verschlüsselung wäre angesichts von NAVSTAR ohnehin überflüssig und kann als politische Geste gegenüber den zivilen Nutzern unterbleiben. Wenn die heutigen Informationen zutreffen, ist GLONASS jedoch für die UdSSR von ähnlicher militärischer Bedeutung wie NAVSTAR für die USA.
Beide Systeme sollen 1986 voll einsatzfähig sein. Damit wird der Atomkrieg für die Militärstrategen beider Großmächte mehr als je zuvor führbar und gewinnbar erscheinen. Ein nicht sehr beruhigendes Gleichgewicht.
Anmerkungen
1 Th. A. Stansell, The TRANSIT Navigation Satellite System Torrance 1978 (Magnavox) Zurück
2 ·C. D. Wood, G. E. Perry, The Russian Satellite Navigation System, in: Satellite Doppler Tracking, RS Discussion, London 1980 Zurück
3 R. E. Dew Review of the NAVSTAR GPS, in: Proc. 2nd int. Symposium on Satellite Doppler Positioning Austin 1979 Zurück
4 J. P. Tjardts NAVSTAR GPS, in: Ortung und Navigation 2/82 Zurück
5 ·B. W. Parkinson, S. W. Gilbert, NAVSTAR: GPS - Ten Years Later, Proc. of the IEEE Vol. 71 No. 10 1983 Zurück
6 Vortrag von Prof. Ya Kuschenkov und Poster der Kettering-Group, Symposium „Global Civil Satellite Navigation Systems“, London 1984 Zurück
Kai Lorenzen, Hamburg