W&F 2016/1

Netzwerke organisierter Gewalt

BICC-Jahrestagung 2015, 28. Oktober 2015, Bonn

von Susanne Heinke und Elvan Isikozlu

Nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 sprach Mark Duffield vom Beginn eines »Krieges der Netzwerke«. Er stellte die These auf, dass Staaten und ihre Sicherheitsapparate zwar nach wie vor von wesentlicher Bedeutung seien, zunehmend aber auch Netzwerke existierten, die nicht territorial verortet sind. Solche Netzwerke stellen die Friedens- und Konfliktforschung vor die grundsätzliche Herausforderung zu verstehen, mit welcher (neuen) Art von Akteuren sie es zu tun hat und wie auf diese reagiert werden kann, um organisierte Gewalt einzudämmen.

Diesem Thema widmete sich die internationale Konferenz »Netzwerke organisierter Gewalt«, die das BICC (Internationales Konversionszentrum Bonn) am 28. Oktober 2015 im Bonner Universitätsclub veranstaltete. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutierten sowohl die Rolle, die Netzwerke für die Mobilisierung von Kombattanten haben, als auch die Frage, welche finanziellen, technologischen oder sozialen Ressourcen sie bereitstellen.

Die verschiedenen Podien der Konferenz brachten dabei durchaus widersprüchlich erscheinende Erkenntnisse zu Tage. So beleuchtete das erste Panel »Neue Formen der multidimensionalen Kriegsführung« und ging vor allem auf die Gewaltakteure und ihre unterschiedlichen Strategien im jeweiligen Kampfgebiet ein. Andreas Heinemann-Grüder verglich die Rekrutierungsmethoden der ukrainischen und der pro-russischen nicht-staatlichen Kombattanten im Ukrainekonflikt, wo 2014 binnen vier bis fünf Monaten bis zu 80 paramilitärische Gruppen entstanden, und analysierte ihre Gewaltdynamiken. Margit Bussmann untersuchte die Logik zielgerichteter einseitiger Gewaltanwendung seitens staatlicher und nicht-staatlicher Gruppen gegen die Zivilbevölkerung in Bürgerkriegen, die einerseits mit den Kräfteverhältnissen zwischen Konfliktparteien, andererseits aber auch mit fehlender internationaler Kontrolle bzw. mangelnden Sanktionsmechanismen zusammenhinge. Teresa Kolomba Beck stellte basierend auf einer Feldforschung in Kabul 2015 dar, wie sich ein internationalisierter Konflikt auf das Alltagsleben auswirkt und in manchmal paradoxer Weise starke Erfahrungen von Globalität produziert. Ausgehend davon stellte sie die Frage, welche Auswirkungen dies auf Konfliktmanagement und Peacebuilding haben könne.

Das Panel »Netzwerke der Militärtechnologie« setzte einen entgegengesetzten Schwerpunkt, indem es darstellte, wie es der technische Fortschritt zunehmend erlaubt, den Krieg zu entterritorialisieren. So argumentierte Niklas Schörnig, dass unbemannte Kampfsysteme Staaten neue Möglichkeiten bieten, sich relativ verlustarm und aus der Ferne in militärischen Operationen zur Unterstützung lokaler »Partner« zu engagieren und damit potenziell die Schwelle militärischen Eingreifens zu senken. Ein solcher neuer »Western way of war« sei, so Max Mutschler in seinem Vortrag »On the Road to Liquid Warfare?«, nicht das Resultat demokratischer Institutionen und Werte, sondern der Exterritorialisierung der Macht und der Tatsache geschuldet, dass westliche Staaten über entsprechende militärische Technologien verfügen und sie nutzen. Dies führe zu der Frage, ob es sich in erster Linie um ein speziell westliches Phänomen handele. Peter Wezemann stellte zum einen dar, wie die Kombination von Netzwerken und militärischen Technologien militärische Kapazitäten schaffe, die zur Veränderung des regionalen – konventionellen oder atomaren – strategischen Gleichgewichts führen könnten. Zum anderen hob er den Beitrag hervor, den internationale politische und ökonomische Netzwerke bei der Verbreitung solcher Militärtechnologien leisten.

Die dritte Panelrunde ging u.a. anhand der Beispiele Kurdistan und Afghanistan auf »Wechselnde Allianzen und Akteure« ein. Carina Schlüsing präsentierte eine Fallstudie zu kurdischen Gruppierungen im Mittleren Osten. Zum besseren Verständnis der Konflikte sei es notwendig, die Fragmentierung der Akteure genau zu untersuchen, zum Beispiel in Bezug auf ihre ideologischen Positionen, politischen Ziele und Kooperationsmechanismen. Max Gallop trug seine Ergebnisse zur quantitativen Netzwerkanalyse im Rahmen eines Strukturmodells zur Prognostizierung ziviler Krisen anhand des Beispiels Thailand vor. In seinem Beitrag erläuterte Conrad Schetter seine auf der »Social Network Analysis«-Methode basierende Forschung zu Stammesnetzwerken in Ostafghanistan. Sie stellt die Entstehung von Allianzen und Konflikten unter Bezug auf die dortige Stammespolitik während der US-Militärintervention dar und kommt zu dem Schluss, dass diese auch deshalb zum Scheitern verurteilt gewesen sei, weil sie die Schlüsselcodes und Interaktionen innerhalb der Stammesgesellschaft ignorierte.

Als schwierig erwies sich die abschließende Fragestellung, wie vor dem Hintergrund verschiedener Netzwerke organisierter Gewalt ein »nachhaltiger Frieden« zu schaffen sei. Jocelyn Mawdsley verwies darauf, dass der Westen bestimmte Strukturen zur Regulierung organisierter Gewalt selbst unterminiert habe. So hätten Staaten zum Beispiel Sicherheitsfunktionen an Netzwerke übertragen, die keinerlei demokratischer Rechenschaftspflicht unterworfen sind. Diese Sicherheitsnetzwerke gilt es kritisch zu analysieren, um zu erkennen, ob und wie sie mit Netzwerken organisierter Gewalt zusammenhängen.

Conrad Schetter unterstrich, dass die BICC-Konferenz zum Thema »Netzwerke organisierter Gewalt« einen Beitrag dazu leisten sollte, den bisher dominierenden Fokus auf Institutionen, Strukturen und Staaten zu verändern. Gleichzeitig stelle sich die Frage, welche neuen Erkenntnisse und Einsichten in Bezug auf organisierte Gewalt das Netzwerkkonzept oder andere Methoden zur Erforschung von Netzwerken bringen und wie diese angewandt werden können.

So wandten Diskussionsteilnehmer ein, dass zum Beispiel die Erhebung von Daten immer auch an gewisse Grenzen stieße und von keiner Methode erwartet werden könne, alle relevanten Daten zu sammeln. Ziel müsse es vielmehr sein, verschiedene Mittel und Methoden zur Erforschung organisierter Gewalt zu kombinieren. Dabei kann die Netzwerkanalyse nur eine Momentaufnahme anbieten, da Netzwerke immanent fluid und dynamisch sind. Die Stärke dieser Methode sei eher die Detailaufnahme als das große Ganze. Gleichwohl habe sie sich als sehr nützlich erwiesen, wenn es darum ging, Netzwerke zu verstehen, die helfen, Gewalt zu überleben und zu überwinden.

Netzwerke gehören möglicherweise mehr denn je zum gegenwärtigen Bild von Frieden und Sicherheit. Sie sollten, statt sie vor allem als Herausforderung zu betrachten, auch auf ihr Potenzial untersucht werden, Frieden zu schaffen und organisierte Gewalt zu reduzieren.

Susanne Heinke und Elvan Isikozlu

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/1 Forschen für den Frieden, Seite 59–60