W&F 1987/4

Nuklearkriegsfolgen MIT-Studie

Friedens- und KonfliktforscherInnen

M. A. Sastry, J. J. Romm, K. Tsipis, Nuclear Crash – The US-economy after small nuclear attacks, MIT-report Nr. 171, Cambridge (USA), Juni 1987, 136 Seiten

Im folgenden gekürzt eine Übersetzung der Zusammenfassung der Studie, in der sich die Autoren mit einem Modell der US-Notstandsbehörde zu begrenzten Nuklearschlägen auseinandersetzen.

Diese Analyse des Modells der Bundesnotstandsbebörde FEMA erweist, daß die amerikanische Wirtschaft bereits durch kleine, gezielte Angriffe schwerstens geschädigt werden kann, wobei hierzu etwa ein Prozent des vorhandenen sowjetischen strategischen Nuklearpotentials zur Verwendung käme. Da wir innerhalb unserer Untersuchung häufig optimistische Schätzungen zugrunde gelegt haben, sind wir überzeugt, daß der wirtschaftliche Zusammenbruch wahrscheinlich bereits auf einem noch geringeren Niveau der Attacke auftreten würde. Wir haben eine Anzahl von Schlußfolgerungen anzubieten:

  1. In kleinsten, äußerst optimistischen Fällen, die hier berücksichtigt wurden, würde die Wirtschaft auf einem Niveau von etwa einem Drittel des vorherigen Zustands überleben. (…) Es ist sehr unwahrscheinlich, daß sich die Wirtschaft auf das vorherige Niveau wieder entwickeln kann, bevor Jahrzehnte vergangen sind.
  2. Die Sowjetunion ist in keiner besseren Lage als die Vereinigten Staaten. Auch wenn wir nicht über das FEMA-Modell, mit welchem die zentralisierte sowjetische Wirtschaft simuliert werden kann, verfügen, so ist doch zu erwarten, daß in jeder wichtigen Kategorie die UdSSR verwundbarer ist als die Vereinigten Staaten: die städtische Bevölkerung ist dort doppelt so hoch wie bei uns; ihre Fähigkeit zur Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Friedenszeiten bereits weit unter unserer, die sowjetische Industrie ist stärker konzentriert und enger verbunden mit den urbanen Agglomerationen. (Anhäufung, Zusammenballung) (…).
  3. Seit dem Gipfel von Reykjavik erscheinen drastische Reduzierungen der Anzahl von Waffen auf beiden Seiten möglich. Wenn sich beide Seiten darüber verständigen würden, lediglich eine Streitkraft, die die Fähigkeit, der Gegenseite „unakzeptable Schäden“ zuzufügen, behalten würden, so unsere Schlußfolgerung, dann könnten beide Seiten ihre Arsenale um mehr als 95 Prozent reduzieren.
  4. Schließlich schlußfolgern wir, daß die strategische Verteidigungsinitiative (SDI) eine wertlose Geldausgabe darstellt, wenn sie als Schatzschild intendiert sein sollte, um das Land davor zu schützen, unter einer sowjetischen Attacke zusammenzubrechen. Dazu ist die Anzahl von Sprengköpfen, die diese Zerstörung des Landes bewirken würden, einfach zu klein. Eine neunundneunzigprozentige SDI-Verteidigung würde diese Aufgabe nicht erfüllen. Selbst wenn das vorgeschlagene Raketenabwehrsystem in der Lage sein sollte, hundert Prozent effektiv zu sein, was unmöglich ist, so könnte die Sowjetunion immer noch die amerikanische Wirtschaft zerstören durch die Einsatzfähigkeit von Cruise Missiles und strategischen Bombern etwa. (…).

Diese Studie ist in der Gefahr, durch ihre Betonung der Analyse zahlenmäßiger ökonomischer Effekte die menschliche Seite einer Welt nach der Nuklearattacke zu verschleiern. Und doch gilt, was das OTA (office of technology assessmeny festgehalten hat: „Die Auswirkungen eines Atomkrieges, die nicht kalkuliert und durchgerechnet werden können, sind mindestens so wichtig wie diejenigen, für die wir Berechnungen versucht haben.“ Dies gilt auch für unsere Simulationen. Es existiert einfach kein objektiver Ansatz, durch den wir zuverlässig in das FEMA-Modell die Auswirkungen des ersten psychologischen Schocks angesichts von Tod und Zerstörung auf die Menschen einbeziehen könnten, die anhaltende Furcht vor weiteren Atomangriffen; die Erkenntnis, daß eine Lebensform ihr Ende erreicht hat; die ständige Angst, daß jegliche Nahrung, jegliches Wasser tödlich verseucht sein könnten, entweder durch Verstrahlung, durch bodennahe Explosionen oder durch chemische Katastrophen, die durch die nukleare Attacke verursacht wurden. Ebensowenig können wir die nachteiligen Effekte auf Kinder und künftige Generationen bewerten, die durch Verstrahlung, Nahrungsmangel, den Verlust von Erziehungsmöglichkeiten und die psychologischen Narben der Heimsuchung ausgelöst würden. (…)

Da die Folgen von Angriffen, die mehr als 10 Prozent des sowjetischen strategischen Arsenals umfassen, evident erscheinen, und sei es durch einfache Extrapolation, haben wir unsere Analyse auf kleinere Attacken begrenzt, für die bislang keine zuverlässigen Schätzungen der Folgewirkungen vorhanden waren. Wir möchten nochmals betonen, daß wir nicht der Meinung sind, daß die Sowjetunion real derartige „winzige“ Attacken auf die Vereinigten Staaten plant, wir möchten auf diese Weise lediglich zeigen, wie verwundbar die US-Wirtschaft angesichts von Nuklearangriffen generell ist.

Einer der ursprünglichen Zwecke des FEMA-Modells war es, die Nützlichkeit von Zivilschutz zu untersuchen. Unsere Analyse kommt zu dem Schluß, daß hier zahlreiche schwerwiegende Probleme existieren, unabhängig von den logistischen Problemen, die sich ergeben würden. (…). Gegenwärtige Untersuchungen haben gezeigt, daß es eine weitgehend unterschätzte Auswirkung von nuklearen Explosionen auf Gebäude und Menschen gegeben hat. Diese Studie versucht, die Neubewertung der Auswirkungen von Atomwaffen zu ergänzen, indem sie die gleichfalls vorhandenen Unterschätzungen der Auswirkungen von zehn bis einigen hundert Sprengköpfen auf die nationale Wirtschaft aufzeigt. An der Wurzel so mancher der miserabelsten Vorstellungen und falsch verstandenen Nuklearstrategien findet sich die Vorstellung, daß die Effekte einiger Dutzend Sprengköpfe „tolerierbar“ seien könnten – eine Vorstellung, die auf einer Unterschätzung des Ausmaßes und der Fortdauer der zerstörerischen Effekte dieser Waffen auf eine integrierte Wirtschaft basieren würde. Wir hoffen, daß unsere Darstellung der realistischeren Voraussagen hinsichtlich dessen, was bereits einige wenige Nuklearwaffen einer Nation antun können, die Basis für politische Entscheidungen bilden wird, wenn es um die künftige Zusammensetzung der nuklearen Arsenale der USA und der UdSSR geht.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1987/4 1987-4, Seite