Ökologie »von unten«. Die lokale Agenda 21
von Ulrike Kronfeld-Goharani
„Frieden, Entwicklung und Umweltschutz sind voneinander abhängig und untrennbar“ heißt es im Grundsatz der Rio-Deklaration. Aber vier Jahre nach dem Erdgipfel ist es den Regierungen bisher nicht gelungen, die Konferenzbeschlüsse und die Agenda 21, das Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert umzusetzen. Doch während der »top-down« Ansatz noch im Problemstau festsitzt, haben sich auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene eine Reihe von Initiativen gebildet, die sich in dem Bewußtsein, daß es vorteilhafter ist, an konkreten und überschaubaren Problemen anzusetzen, um die Umsetzung der Agenda 21 bemühen.
Nicht erst seit der 1992 in Rio de Janeiro stattgefundenen UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) ist bekannt, daß die weltweite Umweltverschmutzung und die ungleich verteilte Nutzung der »common goods« eine Gefahr für den Weltfrieden bedeutet. Bereits Anfang der siebziger Jahre hatte der Club of Rome in seinem Bericht »Die Grenzen des Wachstums« auf die neue Form von nicht-militärischer Bedrohung hingewiesen, die von der fortschreitenden Umweltverschmutzung und der Übernutzung der Ressourcen ausgeht und unüberschaubare politische und soziale Folgen für die Menschheit hat. In den achtziger Jahren wurde die Thematik in einer Reihe von Arbeiten1 aufgegriffen, die die theoretische Grundlage für die Rio-Konferenz bildeten. Nach dem Erdgipfel erlangten zwei Begriffe nahezu dogmatische Bedeutung und setzten auch in der Friedens- und Ökologiediskussion neue Maßstäbe: der Begriff des »Sustainable Development« in der Ökologie- und der der »Environmental Security« in der Friedensforschung.2
Spätestens seitdem hat sich die Untersuchung ökologischer Probleme und Krisen und ihrer sozioökonomischen Auswirkungen, die immer auch Konflikte initiieren, bereits bestehende verschärfen und im Extremfall zur Anwendung von militärischer Gewalt führen können, zu einem wichtigen und wachsenden Arbeitsfeld in der Friedens- und Konfliktforschung entwickelt. Ging es in der Vergangenheit noch vornehmlich um Untersuchungen von Aspekten der Kriegsführung durch Manipulation von Natur und Umwelt, der der Umweltzerstörung in Zeiten des Nichtkrieges oder von Kriegsführungsoptionen in strukturell kriegsführungsunfähigen hochindustrialisierten Gesellschaften, so werden in Zukunft vor allem Konzepte entwickelt werden müssen, um die ungleichen Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten der Menschen in der Welt abzubauen. Sustainable Development – hier als zukunftsfähige oder nachhaltige Entwicklung übersetzt – steht dafür als Schlüsselbegriff.
Die Situation nach der UNCED
Von den internationalen Vereinbarungen3, die 179 Staaten auf der Rio-Konferenz unterzeichneten, war die Verabschiedung der sogenannten »Agenda 21« die wichtigste. Mit diesem Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert soll den weltweiten öko-sozialen und politischen Herausforderungen begegnet werden, die durch die wachsende Internationalisierung der Wirtschafts- und Finanzmärkte und damit verknüpft auch der kulturellen Leitbilder entstehen und sich auf nationalstaatlicher Ebene allein nicht mehr bewältigen lassen. Der Erdgipfel von Rio bildete den Auftakt einer Serie weiterer UN-Konferenzen. Die UNCED blieb jedoch, was konkrete Ergebnisse anbelangt, die erfolgreichste davon. Sie berief die Commission on Sustainable Development (CSD) zur Überprüfung der Umsetzung der Agenda 21 ein und gründete die Global Environment Facility zur Finanzierung von Umweltaktivitäten in den Ländern der Dritten Welt.
Doch vier Jahre nach der UNCED wachsen weltweit Wut und Enttäuschung darüber, daß
- die Konferenzbeschlüsse aufgrund zahlloser Interessenkonflikte nicht schnell genug umgesetzt werden,
- neue Organisationen wie die CSD ohne Kompetenzen und Durchsetzungskraft bleiben,
- die Finanzmittel, die der »reiche Norden« für den Umweltschutz in Ländern des »armen Süden« zur Verfügung stellt, lächerlich gering sind,
- seit der Rio-Konferenz in fast allen Ländern des Nordens die Entwicklungshilfeetats für den globalen Umweltschutz des »Südens« geschrumpft sind.
Die internationale Umwelt- und Entwicklungspolitik hat sich im Problemstau festgefahren und ist alles andere als von Aufbruchstimmung gekennzeichnet, wie es angesichts der Dringlichkeit der Probleme zu erwarten wäre. Der »top-down« Ansatz hat es bisher nicht vermocht, innerhalb der verabredeten Zeitskalen verbesserte nationale und internationale wirtschaftliche und ordnungspolitische Rahmenbedingungen zu schaffen. Es fehlt der »Druck von unten«. Es fehlen viele kleine Schritte auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, die zeigen und vormachen, wie mit dem Umbau hin zu einem zukunftsfähigeren Wirtschafts- und Entwicklungsmodell begonnen werden kann.4
Dabei kommt den Städten und Gemeinden auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft weltweit eine besondere Bedeutung zu. Wenn es zutrifft, daß im Jahr 2000 infolge der zunehmenden Verstädterung der Weltbevölkerung über 70 % aller Menschen in Städten wohnen, so werden es auch die Städte sein, in denen die Probleme ressourcenverzehrender und umweltbelastender Lebensstile und Wirtschaftsformen und ihrer Gefährdung von natürlichen Ressourcen und Ökosystemen am deutlichsten und drängensten auftreten werden. Die Chancen einer globalen Politik für eine nachhaltige Entwicklung hängt daher wesentlich von der zukünftigen Politik in den Städten ab, für die das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung Grundlage sein muß.5
Die „Lokale Agenda 21“
Auch auf der UNCED-Konferenz wurde die Bedeutung der Kommunen erkannt. Um der Tatsache, daß eine große Anzahl der in der Agenda angesprochenen Probleme und Lösungsvorschläge ihren Ursprung in Maßnahmen und Aktivitäten auf lokaler Ebene haben, Rechnung zu tragen, befaßt sich ein ganzes Kapitel (Kapitel 28: »Kommunale Initiativen zur Unterstützung der Agenda 21«, siehe Kasten) mit dieser Thematik: Da Kommunen die wirtschaftliche, soziale und ökologische Infrastruktur errichten, ver- und unterhalten, den Planungsablauf überwachen, über die kommunale Umweltpolitik entscheiden und an der Umsetzung der regionalen und nationalen Umweltpolitik mitwirken, komme „als Politik- und Verwaltungsebene, die den Bürgern am nächsten ist, ihnen eine entscheidende Rolle bei der Informierung und Mobilisierung der Öffentlichkeit und ihrer Sensibilisierung für eine nachhaltige umweltverträgliche Entwicklung zu“. Aus diesem Grunde soll bis 1996 sich „die Mehrzahl der Kommunalverwaltungen der einzelnen Länder gemeinsam mit ihren Bürgern einem Konsultationsprozeß unterzogen haben und einen Konsens hinsichtlich einer 'kommunalen Agenda 21' für die Gemeinschaft erzielt haben“.
Das auch als »Lokale Agenda 21« bezeichnete Regelwerk der UNCED hat zwar keine völkerrechtsverbindliche Wirkung, bietet aber mit seinem umfangreichen Maßnahmenkatalog einen hervorragenden Referenzrahmen für politische Initiativen. Gingen diese bislang vor allem von den Umweltämtern der Kommunalverwaltungen aus, wächst die Zahl derjenigen der lokalen Akteure, die ihrerseits beginnen, Ziele, Maßnahmen und Instrumente zur Umsetzung einer lokalen Agenda zu definieren und entsprechende Ratsbeschlüsse von den Kommunalverwaltungen einzufordern. Dabei hat sich gezeigt, daß es kein allgemeingültiges Rezept gibt, wie eine Stadt oder eine Gemeinde ihren Weg zur Zukunftsfähigkeit beschreiten kann, da alle zu ergreifenden Maßnahmen und Aktivitäten von den spezifischen Strukturen und Problemen vor Ort abhängen und sich danach ausrichten müssen. Auch steht oder fällt der Erfolg der Agenda oftmals mit dem Engagement einiger weniger Personen vor Ort, wie sich in den vieldiskutierten Beispielen der »lokalen Agenda 21 von Köpenick« und dem »Münchner Modell« gezeigt hat (Siehe Schaubilder).6
Besondere Bedeutung kommt der Vernetzung lokaler Initiativen aus Verwaltung, Wirtschaft, Kirchen oder anderen umwelt- oder entwicklungspolitisch ausgerichteten Gruppen und Organisationen zu, auch um zu klären, welche Akteure im Einzelfall zusammen wirken sollen und an wen man sich wenden kann.7
Städtebünde: Regionale und internationale Initiativen
Geeignete Foren zum Austausch von Ideen, Erfahrungen, Wissen und mitunter auch gegenseitige finanzielle Unterstützung bieten Städtebünde. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich nicht nur in Europa, sondern weltweit ein dichtes und variantenreiches Geflecht bi- und multilateraler Beziehungen von Städten, Gemeinden und Landkreisen gebildet. Partnerschaften und Bündnisse unterschiedlichster Form und Ausprägung sind entstanden, um Abkommen über die Zusammenarbeit und den Erfahrungsaustausch auf Gebieten gemeinsamen Interesses zu vereinbaren. Neben wirtschaftlichen Fragen gewinnen auch solche des Umweltschutzes zunehmend an Bedeutung. Die Kommunen engagieren sich dabei in vielfältiger Weise. Die Arbeit umfaßt regelmäßige persönliche Kontakte, Bildungsarbeit und auch materielle Hilfe. Ziel der Initiativen ist es, durch das gegenseitige »Sich Kennenlernen« die Angst vor dem Fremden zu nehmen, zum Abbau von Vorurteilen beizutragen und die Kontaktaufnahme auf niedriger politischer Ebene zu fördern. Dabei hat sich erwiesen, daß die Partnerschaften und Bünde nur dann erfolgreich und überlebensfähig sind, wenn ein gemeinsamer Rahmen mit Aufgaben, Zielen und Intentionen gefunden wird. Diesen gemeinsamen Rahmen bietet die lokale Agenda 21.
Ein erfolgreiches Netzwerk von Städten und Gemeinden in Europa ist die Europäische Kampagne zukunftsbeständiger Städte und Gemeinden, das auf der Europäischen Konferenz über zukunftsbeständige Städte und Gemeinden, die im Mai 1994 im dänischen Aalborg stattfand, durch Unterzeichnung der »Charta von Aalborg« gegründet wurde. Damit verpflichteten sich 80 europäische Kommunen und mehr als 250 Vertreter von internationalen Organisationen, nationalen Regierungen, wissenschaftlichen Instituten und anderen Einrichtungen unter Beteiligung von Bürgern, Vertretern aus Industrie und Handel und allen weiteren kommunalen Akteuren langfristige Aktionspläne zur Umsetzung der Agenda 21 einzuleiten und zukunftsfähige Programme zu entwickeln. So wurden als gemeinsame Ziele in der Aalborg-Charta festgehalten:
- das Ergreifen von Maßnahmen zur Umsetzung umweltgerechter Ziele,
- den Austausch von Erfahrungen aus der kommunalen Praxis,
- die Unterstützung beim Entwurf der lokalen Aktionsprogramme,
- eine interkommunale Zusammenarbeit und
- die Verbindung dieses Prozesses mit den Aktivitäten der EU im Bereich der städtischen Umwelt.
Die Europäische Kampagne zukunftsbeständiger Städte und Gemeinden wird unterstützt von der EU und von der Stadt Aalborg. Koordiniert wird die Initiative von den wichtigsten europäischen Netzwerken lokaler Verwaltung wie
- dem Council of European Municipalities and Regions (CEMR);
- den Eurocities;
- dem Europäischen Sekretariat des International Council for Local Environmental Initiatives (ICLEI);
- der United Towns Organization (UTO) sowie
- dem WHO-Healthy Cities Network der Weltgesundheitsbehörde.
An der Kampagne teilnehmen kann jede europäische Kommune (Stadt, Gemeinde, Kreis oder Kommunalverband), indem sie die Aalborg-Charta unterzeichnet. Die Teilnahme ist kostenlos, aber alle Kampagnenbeteiligten sind aufgefordert, sich aktiv durch Veranstaltung von Konferenzen und Workshops, Publikation von Berichten oder einfach nur Erfahrungsaustausch in der Kampagne zu engagieren.
Auch auf internationaler Ebene werden in Kapitel 28.3 der Agenda 21 relevante Organe und Organisationen wie das United Nations Development Programme (UNDP), das United Nations Centre for Human Settlement (HABITAT), das United Nations Environment Programme (UNEP), die Weltbank, die International Union of Local Authorities (IULA), der Weltverband der Metropolen (World Association of Major Metropolises) sowie der Gipfel der Großstädte der Welt (Summit of Great Cities of the World) ausdrücklich dazu aufgerufen, Partnerschaften – nicht nur zwischen Städten und Gemeinden, sondern zugleich auch zwischen Fachverbänden, Vereinen, Kreishandwerkerschaften und anderen privaten Einrichtungen auf kommunaler Ebene – zu fördern, um dadurch eine stärkere internationale Unterstützung für Programme auf kommunaler Ebene ins Leben zu rufen.
Eine wichtige Rolle spielt der Internationale Rat für Kommunale Umweltinitiativen (ICLEI). Gegründet anläßlich des Weltkongresses der Gemeinden für eine bessere Zukunft auf Einladung der Vereinten Nationen in New York 1990, dient ICLEI als internationales Netzwerk von mehr als 150 Kommunen und Kommunalverbänden, deren Ideen, Wissen und wissenschaftliche Erkenntnisse es sammelt und weitervermittelt. ICLEI organisiert Fortbildung, veröffentlicht Leitfäden und Fallstudien und vertritt die Interessen der Städte und Gemeinden gegenüber nationalen Regierungen, Behörden und internationalen Organisationen. So war es auch dieses Netzwerk, das 1991 das »Städtische CO2-Minderungsprojekt« initiierte, woraus 1993 anläßlich des »Ersten Weltbürgermeistergipfels« in New York die weltweite Kampagne Städte für den Klimaschutz entstand. Mehr als 90 Städte, die inzwischen der Kampagne beigetreten sind, haben sich verpflichtet, lokale Aktionspläne zu entwickeln, die CO2-Minderungsziele vorgeben und Maßnahmen zu nennen, wie diese Ziele erreicht werden sollen. ICLEI war auch Veranstalter des »Zweiten Weltbürgermeistergipfels«, der im März vergangenen Jahres nur wenige Wochen vor der Ersten Vertragsstaatenkonferenz des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaveränderungen in Berlin stattfand. Bürgermeister und Städterepräsentanten, die eine Viertelmilliarde Menschen aus rund 150 Städten aus aller Welt vertraten, forderten in einem abschließenden Kommuniqué die UN Vertragsstaatenkonferenz zum Klimaschutz auf, die Kommunen als gleichberechtigte Partner neben den Nationalstaaten anzuerkennen und zu unterstützen.
Ein expandierendes und an Einfluß gewinnendes Netzwerk regionaler Bedeutung ist die 1991 in Gdansk, Polen, gegründete Union of the Baltic Cities (UBC), die die Kooperation und den Erfahrungsaustausch zwischen den Städten in der Ostseeregion fördern und zu einer demokratischen, sozialen, ökonomischen und umweltverträglichen Entwicklung und damit zum Wohlergehen der ca. 80 Millionen in der Ostseeregion lebenden Menschen beitragen soll. Über 60 Städte aus allen zehn Ostseeanrainerstaaten sind dem Bündnis beigetreten. Die Union unterhält eine eigene Commission on Environment, die die Umweltaktivitäten der Union koordiniert und das Baltic Sustainable Cities Programme (BSCP) mit den Schwerpunkten »Education and Training« durchführt.
Die Reduktion der Klima gefährdenden Emissionen und die Erhaltung des tropischen Regenwaldes hat sich die Climate Alliance of European Cities with Indigenous Rainforest Peoples, kurz als Klimabündnis bezeichnet, zum Ziel gesetzt. Bereits im August 1990, zwei Jahre vor der Rio-Konferenz, schlossen sich VertreterInnen europäischer Kommunen gemeinsam mit Delegierten indigener Völker zusammen, um unabhängig von regierungsabhängigen Vereinbarungen auf lokaler Ebene Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen. Dem Klimabündnis, das 1992 gegründet wurde, waren bis 1995 mehr als 370 europäische Städte und Gemeinden beigetreten.
Umsetzung der lokalen Agenda 21: Hemmnisse und Chancen
Obwohl in Kapitel 28 der Agenda 21 der kommunalen Verwaltungsebene eine besondere Rolle bei der Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips sowie Information, Aufklärung und Mobilisierung der Öffentlichkeit zugesprochen wird, haben weder Bundes- noch Länderregierungen entsprechende Handlungsanweisungen zur Beteiligung der Kommunen entworfen. Damit die Selbstverpflichtung von Rio nicht nur eine Vision bleibt, müssen Bund und Länder verbesserte Rahmenbedingungen für entwicklungspolitische Arbeit auf kommunaler Ebene schaffen und auch die Kosten dafür tragen. Für die Kommunen sind mehr Kompetenzen, mehr Verantwortung und Ressourcen zu fordern, damit innovative und effektive Maßnahmen zur Umsetzung der Agenda 21 ergriffen werden können. KommunalpolitikerInnen müssen an der Entwicklung nationaler Aktionspläne beteiligt werden und die Möglichkeit haben, in den beratenden Gremien der Vertragsstaatenkonferenz vertreten zu sein. Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip muß Städten und Gemeinden das Recht auf kommunale Selbstverwaltung eingeräumt werden, damit es stärker als bisher möglich wird, die Probleme auf der untersten Ebene zu lösen, eben da, wo jeder Mensch für sein Tun verantwortlich ist.
Denn die Kommunen sind es, von denen eine neue nicht zu unterschätzende entwicklungspolitische Kraft ausgeht, nicht zuletzt initiiert durch die hohe Symbolkraft der Agenda 21, die ohne Zweifel wichtige Impulse geliefert hat, den Prozeß in Richtung einer zukunftsfähigen Gesellschaft einzuleiten. Viele Schwierigkeiten und Hemmnisse sind noch zu überwinden, denn ein allgemeingültiges Rezept für die Umsetzung des Nachhaltigkeitsprinzips kann und wird es auch in Zukunft nicht geben können. Zu unterschiedlich sind die jeweiligen Problemlagen vor Ort, so daß jede Kommune ihre eigenen Möglichkeiten prüfen muß, einen Weg zur Zukunftsfähigkeit zu finden und geeignete Strategien zu entwickeln. Dazu müssen alle gesellschaftlichen Kräfte in den Kommunen mobilisiert werden. Allen BürgerInnen und interessierten Gruppen ist Zugang zu Informationen und die Mitwirkung an lokalen Entscheidungsprozessen zu ermöglichen. Das erfordert nicht nur ein hohes Maß an Partizipationsmöglichkeiten, sondern auch die Bedingung einer »aktiven Demokratie«, wie Johann Galtung (1991) es im Zusammenhang mit der Frage formuliert, wie das Problem zu lösen sei, globales Denken im lokalen Handeln ansetzen und es zugleich darüber hinaus gehen zu lassen. Aktive Demokratie beruhe dabei „auf der Achtung des Individuums und seiner Fähigkeit, umsichtige Entscheidungen zu treffen“.8 Das setzt einen hohen Informationsstand des Einzelnen voraus, womit auch neue Kommunikations- und Kooperationsinstrumentarien gefragt sind. Denn die Agenda 21 ist auch eine bildungspolitische Aufgabe, die insbesondere in den hochindustrialisierten Staaten einer neuen kulturellen und psychosozialen Basis bedarf. Da der hierfür notwendige Bewußtseins- und Wertewandel im Kopf beginnt, kommt der Bildung als politischem Instrument ein neuer Stellenwert zu.9 Hier kann der Erfahrungsaustausch innerhalb der bestehenden Initiativen, Netzwerke und Nichtregierungsorganisationen den Kommunen Chancen eröffnen, neue Dialog- und Kooperationsformen zur Bürgerbeteiligung bzw. Vermittlungsverfahren zu erproben.
Resümee
Die Agenda 21 hat weltweit eine unerwartet große Ausstrahlung entfaltet. Ihre Umsetzung erfordert einen globalen Ansatz, obgleich die ökologischen Probleme in ihrer komplexen Verknüpfung mit ökonomischen und politischen Interessenlagen sich national oder regional ereignen und häufig auch nur dort zu lösen sind. Die globale Verantwortung muß im Lokalen ansetzen. Trotz einer Vielzahl von Problemen und der Unmöglichkeit, ein allgemeingültiges Sustainability-Konzept zu entwerfen, gibt es zahlreiche ermutigende Ansätze auf lokaler und regionaler Ebene. Dabei handelt es sich sowohl um die expandierenden Städtenetzwerke, Bünde und Nichtregierungsorganisationen, als auch um positive Einzelbeispiele von Städten und Gemeinden, die mit dem Mut zum Handeln „die Politik der Erklärungen und Beschlüsse verlassen und in konkretes Handeln umgesetzt“ haben.10
Forum Umwelt & Entwicklung Köpenick:
Das 10-Punkte-Forderungsprogramm für eine nachhaltige Entwicklung im Bezirk Köpenick
- Umweltgerechte Stadt- und Raumentwicklung
- Verkehrsvermeidung – Förderung ressourcenschonender Verkehrsmittel
- Verzicht auf einen Großflughafen in der Region Berlin-Brandenburg
- Schrittweise Erneuerung der Energieversorgungsstruktur
- Beispielhaftes Energiesparen / Förderung des rationellen Energieeinsatzes
- Nachhaltige, naturverträgliche Wasserwirtschaft, Trinkwasserschutz, Naturschutz
- Konsequente Abfallvermeidungspolitik
- Arbeitsplätze durch Umweltschutz / Umweltvorsorge und Entwicklungszusammenarbeit
- Förderung regionaler Alternativen zu umweltverträglichen und entwicklungsfeindlichen Handelsstrukturen / Beratung der Konsumenten
- Vorbereitung einer kommunalen Nord-Süd-Partnerschaft
Quelle: Initiativen für eine nachhaltigere Entwicklung in Niedersachsen. Die Agenda 21 auf lokaler und regionaler Ebene, Jörg Mayer (Hrsg.), Ev. Akademie Loccum, 55/1995, S. 72-75.
Anmerkungen
1) Z.B. die vom International Union of the Conservation of Nature (IUCN) und Worldwatch Institute herausgegebenen »Six Steps to a Sustainable Society« (1980), der Olof Palme-Bericht (1980), Lester R. Brown, Building a Sustainable Society (1981), der Willi Brandt-Bericht (1981), Norman Myers, An Atlas of Planet Management (1984) und der Bericht der Brundtland-Kommision »Our Common Future« (1987). Zurück
2) In der Friedens- und Konfliktforschung ist der Terminus als solcher nicht nur äußerst umstritten, vielmehr besteht eine Grundsatzdebatte darüber, ob der Umweltaspekt in ein Konzept der umfassenden Sicherheit überhaupt einzubeziehen sei. Eine Zusammenfassung zur Thematik findet sich z.B. bei Græger, Nina, Environmental Security? in: Journal of Peace Research, vol. 33, Nr. 1, 1996, pp. 109-118. Zurück
3) Insbesondere waren das die Klimarahmenkonvention, die Konvention zum Schutz und Erhalt der biologischen Vielfalt und die Konvention gegen die Ausbreitung der Wüsten. Zurück
4) Vgl. dazu auch Unmüßig, Barbara, Mehr als TransFair. Die Rolle der Kommunen für ein zukunftsfähiges Deutschland, in: Alternative Kommunalpoliktik, 2/1996. Zurück
5) Siehe dazu z.B. das Kapitel über Stadtentwicklung in: Kreibich, Rolf, Nachhaltige Entwicklung. Leitbild für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft, ZukunftsStudien, Beltz Verlag, 1996, S. 135ff. Zurück
6) Siehe dazu z.B. Initiativen für eine nachhaltigere Entwicklung in Niedersachsen. Die Agenda 21 auf lokaler und regionaler Ebene, Jörg Mayer (Hrsg.), Ev. Akademie Loccum, 55/1995, S. 27ff. Zurück
8) In: Esser, Johannes; Kietzell, Dieter von; Ketelhut, Barbara und Joachim Romppel, Frieden vor Ort. Alltagsfriedensforschung – Subjektentwicklung – Partizipationspraxis, agenda-Verlag, Münster, 1996, S. 28. Zurück
9) Aus: Initiativen für eine nachhaltige Entwicklung in Niedersachsen, a.a.O., S. 47ff. Zurück
10) Aus Gerdes, Jochen, Kommunale Außenpolitik – nur Spielwiese oder Schlüssel zur Umgestaltung? Ein Beispiel aus der Praxis in: Kommunale Außenpolitik als Kritik staatlichen Handelns – Erfahrungen und politische Perspektiven, Arbeitspapier 026 des Instituts für Internationale Politik, Berlin, 1994. Zurück
Dr. Ulrike Kronfeld-Goharani ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Schleswig-Holsteinischen Institut für Friedenswissenschaften an der Universität Kiel.