W&F 2004/1

Old Europe nach dem Irakkrieg

von Jochen Hippler

Der Krieg sollte, so Präsident Bush, seit Anfang Mai im Wesentlichen vorüber sein, die größeren Kampfhandlungen galten seitdem als abgeschlossen. Das war reichlich voreilig, in gewissem Sinne hat mit der Eroberung des Irak durch die US-Truppen der eigentliche Kampf erst begonnen: der um die tatsächliche Kontrolle und Gestaltung dieses Landes. Und diese Auseinandersetzung, dieser »Nach-Krieg« ist in den letzten Monaten eskaliert. Er wird mit wirtschaftlichen, politischen, aber auch militärischen Mitteln geführt und erfolgt zunehmend blutig: der November war der bisher verlustreichste Monat der Besatzungstruppen. Zunehmend geraten nun auch Kräfte der US-Verbündeten ins Visier des Widerstandes. Eine Stabilisierung zeichnet sich noch immer nicht ab, und ein glaubwürdiges und Erfolg versprechendes Konzept Washingtons für eine stabile Nachkriegsordnung, die zugleich die eigenen Interessen sichert, ist weiterhin nicht erkennbar.

Angesichts dieser im Irak weiter unklaren Situation drängt sich die Frage auf, wie sich die damalige »Anti-Kriegs-Koalition« um Frankreich, Deutschland, Russland und China heute auf den weiterschwelenden Konflikt bezieht. Diese Koalition war ja ohnehin sehr heterogen, sie verfügte über keine positive, gestaltende Strategie, sondern war sich nur in der Ablehnung einer rücksichtslosen, unilateral und militaristisch angelegten Politik der Bush-Administration einig. Der Streit ging nur nebenbei um den Irak, vor allem um die Zurückweisung einer als hemdsärmelig empfundenen Art der US-Führungsrolle – nicht um die Bestreitung der US-Führungsrolle an sich. Frankreich hatte sich noch bis Mitte Januar auf eine Beteiligung am Krieg eingestellt und war erst umgeschwenkt, als die Bush-Administration nicht nur auf dem Krieg bestand, sondern Freund und Feind, UNO und Völkerrecht, vor allem aber seinen Verbündeten deutlich seine Geringschätzung zu verstehen gab. Ebenso wenig war die Ablehnung der anderen Akteure prinzipiell begründet, sondern oft gegen den Stil – nicht die Substanz – Bush’scher Politik gerichtet, z.T. opportunistisch oder innenpolitisch verursacht. Viele so nahe liegenden wie berechtigte Einwände waren ja nicht öffentlich erhoben worden: schließlich waren ja die völkerrechtlichen Grundlagen der Kriege gegen Serbien und Afghanistan nicht substantieller als beim Irak-Krieg, und zumindest beim Kosovo-Krieg hatte man die UNO ebenfalls umgangen – was die späteren Kriegsverweigerer nicht weiter gestört hatte. Washington hatte sich bei der Durchsetzung des Irak-Krieges eben nicht als kooperativer Hegemon, sondern als imperialer Rabauke aufgeführt – das hatte die Kriegsgegner verärgert, nicht der Krieg an sich.

Zugleich aber war von vornherein klar, dass die Anti-Kriegs-Koalition die USA weiterhin als zentralen Partner betrachtete und betrachten musste. Washington war, blieb und ist der für Paris, Berlin, Moskau und Peking zentrale internationale Partner in der Sicherheits- Außen- und Außenwirtschaftspolitik. Das Gewicht der USA als einzige Supermacht ist so beträchtlich, dass keines dieser Länder mittelfristig einen ernsthaften Bruch mit Washington riskieren würde. Deshalb begannen sofort nach dem Streit Anstrengungen zur Überwindung der Auseinandersetzungen. Dabei entstanden bald ernste Risse in der Anti-Kriegs-Koalition: Moskau bemühte sich besonders schnell und deutlich um eine Wiederannäherung an die USA und setzte damit Frankreich und Deutschland unter Druck. Die neue Sichtweise war bereits schnell in der UNO zu erkennen:

Im Mai 2003 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat dann die Resolution 1483, in der nach dem Irakkrieg die Rolle der UNO und der Besatzungsmächte im Irak geregelt wird. In dieser Resolution wurde der Irak-Krieg zwar nicht explizit nachträglich legitimiert, aber in den entscheidenden Punkten kam der Sicherheitsrat den USA weit entgegen. Zwar betonte die Resolution stärker als die zuvor bekannt gewordenen US-Entwürfe eine Rolle der UNO im Irak. Aber zugleich erklärte sie die Besatzungsbehörden nicht nur zum Schlüsselpartner bei der Zusammenarbeit, sondern übertrug ihnen praktisch die Regierungsmacht und die Verfügungsgewalt über die irakischen Ressourcen (Artikel 13, 16, 17 und 20). Alle Mitglieder des Sicherheitsrates, auch Frankreich und Deutschland, stimmten diesem Beschluss zu. Im Oktober 2003 folgte eine ebenfalls einstimmig verabschiedete Resolution 1511, in der der Sicherheitsrat noch einige Schritte weiter ging und die UNO-Mitglieder aufforderte, Truppen und finanzielle Mittel für den Irak bereitzustellen, obwohl etwa Berlin, Paris und Moskau das für sich selbst weiter ablehnten.

Das Problem der Ablehnungsfront lag aber nicht allein beim gestörten Verhältnis zu Washington, sondern auch darin, kein eigenes Konzept für einen Nachkriegsirak zu haben. Sie kann kein Interesse daran haben, dass der Irak nach dem Krieg zu einem regionalen oder gar globalen Herd der Instabilität und Gewalt wird, will aber mit gutem Grund die US-Politik dem Land gegenüber nicht unterstützen, um den Krieg nicht nachträglich zu legitimieren. Die Kriegsverweigerer verfügen im Irak selbst über keinen Einfluss und kaum Präsenz, also über keine Möglichkeit, an den US-Besatzern vorbei Politik zu betreiben. Dieser Widerspruch zwischen strategischem Stabilisierungsinteresse und einer Politik der Verweigerung gegenüber Bush ist nicht auflösbar – auf Dauer werden sich die Skeptiker deshalb schrittweise weiter auf Washington zu bewegen. Dies dürfte mittelfristig leichter werden, weil die US-Regierung durch ihre zunehmenden Schwierigkeiten im Irak ebenfalls gezwungen ist, stärker auf die internationale Gemeinschaft zuzugehen und um Personal und Geld zu bitten.

Prof. Dr. Jochen Hippler lehrt am Institut Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2004/1 Kriegsbilanzen, Seite