Paramilitärische Bestrafung in Nordirland
Eine situationsbezogene Methodologie zu ihrer Erforschung
von Dermot Feenan
Dieser Beitrag befasst sich mit einer Reihe von methodologischen Fragen, die bei der Erforschung von paramilitärischem Bestrafungshandeln in Nordirland auftreten. Diese Fragen betreffen – allgemein formuliert – den Zugang, die Sicherheit und rechtliche Dimensionen. Da diese Aspekte im weiteren Sinne im Feld der sogenannten »gefährlichen« oder »heiklen« Forschung verortet sind (Lee 1993, 1995), erfordert die Umsetzung methodologische Sensitivität hinsichtlich des zeitlichen, örtlichen und kulturellen Kontextes.1
Ziel des Forschungsprojekts war es, zum Verstehen paramilitärischen »Polizeiverhaltens« beizutragen, indem Art und Umfang von »bestrafenden« Angriffen und Einschüchterungen dokumentiert und Gründe für die allgemeine Ausbreitung dieser Aktivität identifiziert werden. Darüber hinaus ging es um die Erfassung der Sichtweisen der Mitglieder der Gemeinden, die Bewertung möglicher Strategien zur Prävention und Reduzierung dieses Verhaltens sowie um die Auswertung der Reaktionen von ehrenamtlichen und auf gesetzlicher Grundlage handelnden Akteuren gegenüber diesem Phänomen (Feenan 2002a). Die Forschung fand in einer Konstellation eines hoch aufgeladenen politischen, häufig auch gewaltförmig ausgetragenen Konflikts zwischen dem britischen Staat und – meist republikanischen – paramilitärischen Organisationen sowie zwischen republikanischen und loyalistischen Paramilitärs statt.
Paramilitärische Bestrafung
Paramilitärische Bestrafung hat die charakteristischen Besonderheiten rudimentärer Rechtssysteme, darunter: eine organisierte Struktur und Mitarbeiter, eindeutig definierte »Verbrechen«, Verbrechensprävention, Verfahrensregeln (incl. Ermittlung, Beschluss über Schuld oder Unschuld, Gerichtsurteil und Bestrafung), Strafrahmen sowie strafmildernde Umstände.
Trotz einiger Unterschiede hinsichtlich Ideologie, Motivationen und Praktiken haben die loyalistischen und die republikanischen Bestrafungen bemerkenswerte Ähnlichkeiten hervorgebracht. Die Bestrafungen reichen von Warnungen bis hin zu gewaltsamen physischen Angriffen oder Schießereien. Zu ihnen gehören aber auch: Ausgrenzungen, Hinrichtungen, die Beschädigung von Eigentum und Einschüchterung.
Problemfelder
Die Forschung hat zwischen Juli 1998 und dem Jahr 2000 in einer Zeit nachhaltigen politischen Übergangs stattgefunden. Das Belfast-Abkommen vom Frühjahr 1998 hat Republikaner und Loyalisten, jedoch insbesondere die Republikaner, unter erheblichen Druck seitens der britischen und der irischen Regierungen sowie der innerstaatlichen politischen Mitbewerber gesetzt, die paramilitärischen Bestrafungen einzustellen. Mit dem Versuch, Zugang zu denjenigen zu finden, die Bestrafung ausgesetzt waren, und denen, die eng genug mit den Paramilitärs verbunden waren, um mit einer gewissen Autorität über die Praktiken der Bestrafung Auskunft zu geben, waren verschiedene Problemfelder verbunden.
Persönliche Sicherheit
Es gibt eine Vielzahl von Gefahren bei der Erforschung paramilitärischer Gewalt. Diejenigen, die verdächtigt werden, Informationen an die »andere« Seite auf dem Schauplatz des gewaltsamen politischen Konflikts weiter zu geben, können Risiken ausgesetzt sein. Die Ermordung von »Tippgebern« bzw. »Informanten« ist ein bekanntes Phänomen in Nordirland. Dieses Risiko trifft auch Forscher (Guelke 1998).
Aus diesem Grund wurde bei der Feldforschung einem umsichtigen Sicherheitsprotokoll gefolgt. Die Einstellung der Militäroperationen der Provisorischen IRA und des Vereinigten Loyalistischen Militärkommandos im Jahr 1994 und der Rückgang konfessionsgebundener Morde bis und während der Forschungsperiode bedeutete, dass es wenig Risiko gab, in chaotische Unruhen verwickelt zu werden. Es bestanden aber weiterhin kleinere Risiken in einem Sinne, den Yancey und Rainwater (1970) als Risiken der »Präsentation« im Zuge der Befragung bezeichnen, und im gelegentlichen Auftreten von Aufruhr. Dies bedeutete, sich der Umgebung bewusst zu sein, in der die Interviews geführt wurden, und – zumindest anfänglich – die Durchführung eines Teils der Feldforschung als Paar bis Vertrautheit mit den Schauplätzen hergestellt war. Ebenso waren die Planung sicherer Zutritts- und Ausgangsrouten durch paramilitärische Enklaven und – wo möglich – die Auswahl sicherer Orte zur Durchführung der Befragungen, z.B. in den Büros der Bewährungshilfe, von Bedeutung. Besondere Vorsicht war in den Wochen vor und nach dem 12. Juli geboten – dem Tag, an dem in vielen Teilen Nordirlands die Aufmärsche des Oranje-Ordens stattfanden, der verbreitet von Gewalt begleitet war. Solche Vorsichtsmaßnahmen bestanden häufig darin, vor der Fahrt zur Arbeit und vor der Rückkehr die Verkehrsnachrichten im Radio zu verfolgen, um sichere Fahrtrouten jenseits bereits blockierter oder potenziell gesperrter Strecken einzuplanen. Gleichwohl erlebten wir bei der Rückkehr von einem Interview in einer republikanischen Hochburg typische Straßengewalt. Als wir mit dem Wagen die Stätte des Interviews verließen, hielt ein Polizeifahrzeug vor uns. Sofort und scheinbar aus dem Nichts begannen mehrere Jugendliche damit, Steine auf den Polizeiwagen zu werfen. Die Trümmer prallten vom Fahrzeug ab und zerstoben vor uns. Während Gefährdungen der physischen Sicherheit in Nordirland handhabbar sind, erwies sich der Zugang zu wichtigen Informanten im Kontext lang anhaltender politischer Gewalt als echte Herausforderung.
Herstellen der Vertrauensbasis
Sozialwissenschaftliche Forschung in den städtischen Arbeitervierteln Nordirlands betont die Notwendigkeit der Herstellung eines Vertrauensverhältnisses. Dies ist besonders wichtig bei der Frage der paramilitärischen Bestrafung, da die jeweiligen Gemeinschaften die sozialen Milieus sind, aus denen die Paramilitärs hervorgehen und durch die sie ihre Unterstützung erhalten. Paramilitärische »Bestrafung« häuft sich in städtischen Arbeitervierteln loyalistischer oder republikanischer Orientierung, den traditionellen Zentren der Paramilitärs. Es wäre sinnlos gewesen, den Versuch zu unternehmen, diese Praktiken zu verstehen, indem man jene Gemeinden betritt, die aufrichtige Abscheu gegenüber dieser Praxis geäußert haben. Zudem sind viele dieser Gemeinden eng verbunden und in Frontstellung gegenüber externen konfessionellen oder militärischen Bedrohungen. Einige der städtischen Viertel der Arbeiterklasse der Hauptstadt Belfast sind noch immer durch sogenannte »Friedensmauern« voneinander getrennt. Sie sind territoriale Räume, die durch visuelle und andere Zeichen ethno-nationalistischer Identität markiert sind. Dies bedeutet, dass Fremde auffällig sind und ihnen mit Argwohn begegnet wird. Der Fremde könnte aufgefordert werden, seine/ihre Anwesenheit zu begründen und den guten Willen unter Beweis zu stellen. Im Rahmen unserer Forschung war es notwendig, in den untersuchten Gemeinden eine Vertrauensbasis und Neutralität zu schaffen.
Der Argwohn, den die Gemeinden – einschließlich der Paramilitärs – gegenüber Außenstehenden haben, wirkt sich auch auf die staatlichen Sicherheitskräfte als Wachsamkeit gegenüber paramilitärischen Forschern aus, d.h. Spione mit keiner sichtbaren Verbindung zu paramilitärischen Organisationen.
Zudem achteten die Forscher darauf, angesichts der tief sitzenden Feindschaft zwischen republikanischen und loyalistischen Paramilitärs nicht einer Seite zugeneigter zu erscheinen. Einige der Befragten hatten sofort den Verdacht, dass es anderweitige Motive für die Forschung gebe. Dieser Verdacht führte im schlechtesten Fall dazu, den Zugang unmöglich zu machen oder wenigstens die Datensammlung erheblich einzuschränken. Zwei Taktiken erwiesen sich als wirkungsvoll im Umgang mit diesem Problem.
Erstens war es zentral, sich die »Anerkennung« von wichtigen Interessengruppen zu sichern. Die Durchführung der Befragung erforderte die stillschweigende Zustimmung seitens der Paramilitärs oder zumindest eine Information darüber, dass Feldforschung dieser Art durchgeführt wurde und welchem Zweck diese diente. Da es in Nordirland weithin akzeptiert ist, dass bestimme politische Parteien eine enge Verbindung zu den Paramilitärs haben (trotz offizieller Dementis oder der Verschleierung des Wesens der Beziehung), informierten wir die relevanten politischen Parteien über unser Interesse und den Bedarf an Kooperation. Es war nicht zu erwarten, dass sie unsere Forschung offiziell ablehnen würden, da sie offiziell die »Bestrafungs« aktionen ablehnten und ihre Reputation im Friedensprozess aufs Spiel gesetzt hätten, wenn der Vorwurf der Nichtzusammenarbeit mit Forschern im Feld erhoben worden wäre. Dennoch war es sicher der Entscheidung der politischen Parteien und ihren zahlreichen Basisaktivisten überlassen, ob sie die Feldforschung durch fehlende Bereitschaft sich zu treffen oder die Beeinflussung des Fortgangs des Forschungsvorhabens konterkarierten. Die Einbeziehung von Vertretern dieser Parteien bei einigen unserer Treffen unterstrich, dass guter Glauben und Vertrauen etabliert werden konnten. Ein Teil unserer Vertrauenswürdigkeit entstand durch die Anerkennung seitens wichtiger ehrenamtlicher Gemeindegruppen und einer Körperschaft (des Büros für Bewährungshilfe), die über Anerkennung in den Gemeinden verfügt.
Die zweite Taktik zur Herstellung einer Vertrauensbasis war die Betonung der Unabhängigkeit der Forschenden. Ein wichtiger Aspekt dabei war die Art der Finanzierung des Projektes. Da die Regierung von einigen der Interviewten als ein zentraler Akteur des Konflikts angesehen wird, wäre jede Finanzierung aus dieser Quelle als Parteinahme für den Feind gewertet und die Motive für das Projekt in Frage gestellt worden. Die Tatsache, dass das Projekt vom Economic and Social Research Council finanziert wurde und an einer Universität angesiedelt war, wies auf eine Unabhängigkeit hin, die anders schwer zu sichern gewesen wäre. Als ich von der RUC zur Teilnahme an informellen Mittagessen eingeladen wurde, lehnte ich deshalb auch ab, weil dies von den Informanten als eine zu enge Beziehung zur Polizei hätte angesehen werden können. Dies hätte zu einer Befangenheit geführt – oder noch schlimmer – zum Risiko, dass man unterstellt hätte, wir würden Geheimdienstinformationen über Paramilitärs beschaffen.
Offenheit und Transparenz
Angesichts des Argwohns und der möglichen Gefahr bedarf es besonderer Sorgfalt bei der Forschung in solchen Gemeinschaften. Um paramilitärisches »Polizeiverhalten« in Nordirland zu verstehen, bedarf es Fragen nach den Motiven, den Methoden, der Unterstützung für die Aktionen der Paramilitärs in den Gemeinden sowie der Erkundung alternativer Wege des Umgangs mit anti-sozialem Verhalten, welchem ebenfalls mit gewissem Argwohn begegnet wird. Burton (1978) berichtet, dass junge Leute, die ihn in der Frühphase seiner ethnographischen Forschung in Belfast besuchten und ihm einfach neugierig auf den englischen »Studenten« zu sein schienen, seine Aktivitäten und Ansichten an die IRA meldeten. Solche Ausforschung ist gerade dann wahrscheinlich, wenn der Forscher der »anderen« Gemeinschaft zugerechnet wird. Befragte Personen können sich an dem Prozess des »Erzählens« über die Identität eines Fremden beteiligen, indem sie dem Äußeren und dem Auftreten, dem Namen, dem Wohngebiet, der besuchten Schule und dem Akzent bzw. der Sprache soziale Bedeutung zuweisen (Burton 1978). Forscher sollten sich dem stellen, indem sie offen sind und ihre Identität und ihre Ziele transparent machen. Außerdem sollten sie die Unparteilichkeit des Projekts gegenüber den jeweils dominanten politischen Erwartungen verdeutlichen. Besondere Fürsorge wurde ergriffen, wenn der Argwohn zugespitzt war, etwa bei Anfragen zur Bandaufzeichnung eines Gesprächs zum Zwecke der Datenanalyse.
Es war ebenfalls unentbehrlich, dass wir die Namen von Informanten nicht mitteilten, besonders in Befragungssituationen – egal wie harmlos ihre Identität zu sein schien. Verschiedene erfahrene Feldforscher wiesen mich darauf hin, dass eine solche Bekanntgabe in manchen Vierteln sofort als Unfähigkeit betrachtet würde, Identitäten (und möglicherweise andere sensible Informationen) für sich zu behalten.
Ein Ansatz, der sich als nützlich für die Herstellung von Transparenz erwies, war ein Faltblatt mit Informationen über Projektdetails (Zielsetzung, Zweck, Methodologie, usw.), welches Teilnehmern an Interviews im Vorwege zugesandt wurde und deutlich machte, dass uns daran gelegen war, paramilitärische Gewalt zu verstehen, wir selbst aber Gewalt ablehnend gegenüberstanden.
Politisch sensitive Sprache
Ein wichtiger Aspekt bei der Forschung war die politische Sensitivität der Sprache durch die Forscher. Sprache in Nordirland wird dazu benutzt, kollektive Solidarität auszudrücken oder vorzuenthalten in einer Weise, die Außenstehenden undurchsichtig sein kann. Die Verwendung von politisch unsensitiver Sprache kann zu einem eingeschränkten Feldzugang führen oder den Eindruck der Voreingenommenheit hervorrufen. Am ehesten treten Probleme bei der Verwendung des Begriffs »Nordirland« auf. Nordirland ist die Bezeichnung für die förmliche politische Einheit, wie sie durch den Government of Ireland Act 1920 geschaffen wurde. Nationalisten verwenden den Begriff »Sechs Grafschaften« oder »der Norden Irlands«, während Unionisten die Bezeichnung »Ulster« oder »Nordirland« bevorzugen.
Der Anwendungsbereich politisch sensitiven Sprachgebrauchs erstreckt sich auch auf die Namen von Orten. Beispielsweise nennen Nationalisten die zweitgrößte Stadt in Nordirland Derry. Unionisten erwähnen es als Londonderry. In Interviews mit Nationalisten und besonders mit Republikanern haben wir darauf geachtet, vom »Norden« statt von »Nordirland« und von »Derry« statt von »Londonderry« zu sprechen.
Jenseits der Verwendung von allgemeinen politischen Labeln hat diese spezielle Forschung ihre eigenen Schwierigkeiten in der Forschungssprache hervorgebracht. Der Begriff »Bestrafung« wurde von einigen Kontaktpersonen als unzulänglich zur Beschreibung des Phänomens eingestuft. Andere waren überzeugt, dass er solche Gewalt als verdiente Aktivität legitimiert. Eine Organisation, die als gatekeeper agierte, aber in manchen republikanischen Gegenden auch geschmäht wurde, verwandte die Bezeichnung »Verstümmelungsangriff«. Die Forscher versuchten Begriffe zu vermeiden, die wertend erschienen (und damit die Arbeit im Feld nachteilig beeinflussen), indem sie von »sogenannter Bestrafung« sprachen.
Ich habe auch vermieden, in Verbindung mit Paramilitärs die Begriffe Terrorismus/Terroristen zu verwenden – im Bewusstsein, dass politische Gewalt in den republikanischen und loyalistischen Gemeinden, in denen ich Interviews durchführte, von den wichtigen Informanten als legitim betrachtet wird. Stattdessen habe ich neutrale Formulierungen wie »politische Gewalt/paramilitärische Aktivität« beziehungsweise »Kämpfer/Paramilitärs« verwendet – Begriffe, die in jener Zeit zunehmend von den Paramilitärs, ihren politischen Gefährten und von jenen benutzt wurden, die an einer vorurteilsfreien Analyse des politischen Konflikts interessiert waren. Zudem versuchte die Forschung zu vermeiden, sich auf die Zielgruppe als »Opfer« zu beziehen. Der Begriff war hochpolitisiert worden, insbesondere seit das Belfast Abkommen 1998 das Bedürfnis anerkannt hatte, die »Opfer« der Unruhen zu ehren.
Zugang zu den Bestraften
Angesichts des politischen Hintergrundes und der begleitenden Risiken, wenn man in Nordirland offen über politische Gewalt spricht, und trotz unserer strategischen Sensitivität war es in der Anfangsphase unserer Forschung aufgrund der Angst weiterer Angriffe, von Scham und zerstörten Lebensmustern extrem schwer, Zugang zu jenen zu bekommen, die von paramilitärischen »Bestrafungen« betroffen waren.
Diese Herausforderung des Interviewens derjenigen, die der »Bestrafung« ausgesetzt waren, ist mit einer Vielzahl weiterer psychologischer Faktoren verbunden. Ein von uns interviewter Berater machte deutlich, dass manche »Bestrafung« an Erfahrungen sexueller Misshandlung im Kindesalter erinnern könne. Die Wiederkehr eines solchen Ereignisses könne extrem belastend sein. Außerdem existiert ein Stigma im Zusammenhang mit der »Bestrafung«, das gegen eine Bekanntmachung spricht. Einer weit verbreiteten Ansicht zufolge hat die bestrafte Person die »Bestrafung« schon irgendwie verdient – auch wenn der Angriff brutal war.
Gesetzliche Probleme
Angesichts der Wahrscheinlichkeit, dass während der Erforschung paramilitärischer Gewalt Straftaten aufgedeckt werden, bestand ein Aspekt bei der Vorbereitung des Interviewgeschehens darin, wie mit dem Bekanntwerden von kriminellen Handlungen oder mit der Absicht solche auszuführen umzugehen sei (Feenan 2002b). Routinemäßige Befragungen von Verdächtigen durch die Polizei kann ergeben, dass die Interviewer Kenntnis von einem Delikt erhalten haben, das hätte mitgeteilt werden müssen. Die Gefahr der Festnahme und einer möglichen Beschlagnahme von Material hätte substanziell abträgliche Auswirkungen auf die Forscher, die gastgebende Institution, die Finanziers des Projekts und die Möglichkeit eines Zugangs zu weiteren Kontakten. Auf der anderen Seite kann die Nichtmitteilung von Informationen über ein aufhaltbares Vergehen zu schweren Delikten führen, die nicht ermittelt werden. So bestand bei der Durchführung der Interviews ein Spannungsverhältnis zwischen der Deklaration, dass ein Interesse an spezifischen Informationen über Delikte aus Respekt gegenüber dem Interviewten und um die eigene juristische Situation abzusichern nicht bestehe einerseits und der Hemmung bzw. Einschüchterung der Interviewten durch ein Verhalten, das als Vorlesen des Aussageverweigerungsrechtes hätte erscheinen können, andererseits.
Aus diesem Grunde verständigte man sich zu Beginn des Interviews darauf, dass ein Interesse an tatsächlichen Namen oder identifizierbaren Details nicht bestünde. Dennoch war es in zwei Fällen notwendig, die Interviewten daran zu erinnern, das solche Informationen nicht erforderlich waren.
Schlussfolgerung
Meine Forschungen zum paramilitärischen »Bestrafen« in Nordirland betonen eine Reihe von methodologischen Problemen, die Implikationen für ähnlich gelagerte Forschung andernorts haben können (vgl. Nordstrom & Robben 1996). Sicherlich haben sich Beschaffenheit und Ausmaß der politischen Gewalt – einschließlich der paramilitärischen Bestrafungen – im Rahmen der jüngsten politischen Entwicklung verändert bzw. vermindert. Dennoch erforderte die Forschung eine methodologische Sensitivität gegenüber den zeitlichen, örtlichen und kulturellen Besonderheiten einer spezifischen Situation, d.h. Nordirland in einer Zeit der unsteten Abkehr von der politischen Gewalt. Eine solche Sensitivität erfordert Aufmerksamkeit gegenüber vorhersagbaren Gefahren und Flexibilität bei der Annäherung an Probleme, die sich im Feld ergeben. Fortschritte in der Forschung hingen von der erfolgreichen Bearbeitung der Aspekte Enthüllung, sprachliche Sensitivität und perzipierte Identifikation mit allen Parteien ab. Die Herstellung eines Vertrauensverhältnisses mit den gatekeepern war Voraussetzung für den Zugang. Die Befragung der von paramilitärischem »Bestrafen« Betroffenen war schwierig, da diese Gruppe unsichtbar ist und verschiedene Befürchtungen hat.
Während das Risiko der physischen Verletzung gering war, konnte eine erfolgreiche Gesprächsführung im politischen Minenfeld durch Transparenz bezüglich der Unparteilichkeit, die finanzielle Unabhängigkeit der Forscher und eine strategische Sensitivität gegenüber den Gemeinschaften und politischen Hintergründen erreicht werden. Die allgemeinen Fragen dieser Forschung mögen nicht einzigartig sein. Sollte diese Forschung wiederholt werden, z.B. in 20 Jahren, würden die veränderten politischen Umstände auch eine veränderte Methode erfordern. Ich hoffe, dass ich zeigen konnte, dass die jeweiligen Methoden unter genauer Berücksichtigung von Zeit, Ort und Kultur des Forschungsfeldes gewählt werden müssen.
Literatur
Burton, F. (1978): The Politics of Legitimacy: Struggles in a Belfast Community. London: Routledge & Kegan Paul.
Feenan, D. (2002a): Researching Paramilitary Violence in Northern Ireland, in: International Journal of Social Research Methodology, 5(2): 147-163.
Feenan, D. (2002b): Legal Issues in Acquiring Information about Illegal Behaviour through Criminological Research, in: British Journal of Criminology, 42(4): 762-81.
Guelke, A. (1998): The Age of Terrorism and the International Political System. London: I.B. Tauris.
Lee, R. (1995): Dangerous Fieldwork. Thousand Oaks, CA: Sage.
Lee, R. (1993): Doing Research on Sensitive Topics. London: Sage.
Nordstrom, C. & Robben, A. C. G. M. (eds) (1996): Fieldwork Under Fire. Berkeley: University of California Press.
Yancey, W. & Rainwater, L. (1970): Problems in the ethnography of urban underclasses, in R. W. Habenstein (ed): Pathways to Data. Chicago: Aldine.
Anmerkungen
1) Dieser Beitrag fasst die Überlegungen des Autors zusammen, die er bei der Konferenz »Methoden der Friedensforschung« an der Universität von Tromsø (21.-23. März 2007) unter dem Titel »Situational Methods: Researching Paramilitary Punishment in Northern Ireland« vorgestellt hat.
Dermot Feenan lehrt an der School of Law der University of Ulster. Übersetzung: Fabian Virchow