W&F 1997/4

Präsident Clinton und die Abrüstung

Verspielt er gerade eine historische Gelegenheit?

von David Krieger

Clinton begann seine erste Amtszeit mit dem Versprechen, sich für die Homosexuellen im Militär einzusetzen. Das brachte ihm einen derart massiven Widerstand aus Militärkreisen ein, daß Clinton seitdem jegliche Kraftprobe mit den Militärs vermieden hat. Selbst jetzt in seiner zweiten Präsidentschaft ohne den Druck zur Wiederwahl scheint Clinton nicht in der Lage, den Militärs nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen, ganz gleich wie unerhört deren Appetit nach Rüstung und anderen Ressourcen auch ist.

Als jüngstes Beispiel hat Clinton unter dem Druck der Militärs seine Unterstützung für das Verbot von Landminen verweigert, eine Vereinbarung, die bisher von über 100 Ländern unterzeichnet worden ist. Als Grund wurde angegeben, daß die USA Minen zum Schutz ihrer Truppen in Korea brauchten. Mit seiner Gewichtung der Bedrohung amerikanischer Truppen durch einen äußerst unwahrscheinlichen nordkoreanischen Angriff gegen das reale Gemetzel durch Landminen an jährlich 26.000 Zivilisten hat Clinton eine kurzsichtige Entscheidung getroffen. Diese Entscheidung fügt sich in sein Handlungsschema, vermeintliche militärische Interessen zu unterstützen, egal ob dabei die Werte menschlichen Anstands mit Füßen getreten werden oder die Chancen auf eine friedlichere Welt.

Der Kongreßabgeordnete Walter Capps gab zur Weigerung des Präsidenten, das Verbot von Landminen zu unterstützen, folgende Erklärung ab: „Ich erhebe mich mit großer Bestürzung über die Entscheidung des Präsidenten, den Vertrag von Ottawa zum Verbot von Landminen nicht zu unterzeichnen. Die Position der Regierung ist nicht nachvollziehbar. Der einzige Weg für die Vereinigten Staaten, in dieser Angelegenheit Führungsqualität zu zeigen, ist , den umfassenden Sperrvertrag zu diesen tödlichen Apparaten zu unterzeichnen. Einhundert Nationen haben couragiert ihre Politik geändert, aber US-Anwälte haben einfach die Definition von Landmine geändert. Aber eine Landmine bleibt auch mit jedem anderen Etikett immer noch eine Landmine, und Landminen sind unmoralisch. Menschen aus allen Teilen der Welt haben sich zusammengeschlossen um laut zu fordern, damit Schluß zu machen. Kein Töten mehr, kein Verstümmeln von Unschuldigen mehr. Keine Angst mehr beim Verlassen des Hauses, um Nahrung zu beschaffen. Keine soziale und ökonomische Aushebelung mehr der ärmsten Länder dieser Welt. Ich fordere den Präsidenten auf, das Verbot der Anti-Personenminen zu unterzeichnen.“

Präsident Clinton hat einen nach Beendigung des kalten Krieges unnötig hohen Militärhaushalt unterstützt. Mit ca. 265 Mrd. Dollar pro Jahr übersteigt das US-Verteidigungsbudget die addierten Militäraufwendungen der neun nächsten ausgabenstärksten Nationen. Es ist um mehr als das fünfundzwanzigfache größer als die addierten Militärausgaben von Ländern, die als potentielle Gegner der Vereinigten Staaten angesehen werden könnten, wie Iran, Irak, Libyen, Syrien und Nordkorea. Diese gewaltigen Rüstungsausgaben werden aller Voraussicht nach auch während Clintons zweiter Amtszeit fortgesetzt werden zu Lasten innenpolitischer Gesundheits- und Bildungsprogramme und zu Lasten der Armutsbekämpfung in den Vereinigten Staaten und in Übersee.

Unter Clintons Präsidentschaft bleiben die USA der Welt größter Waffenexporteur. 1996 haben die USA Waffen und militärische Ausrüstung im Wert von 13,8 Mrd. Dollar an den Rest der Welt verkauft, darunter für 7,3 Mrd. Dollar an Entwicklungsländer. Die Clinton-Regierung hat sich tatkräftig um neue Absatzmärkte für US- Waffen bemüht. 1997 hat Präsident Clinton ein zwanzigjähriges Verbot gegen den Verkauf moderner Waffensysteme an Lateinamerika aufgehoben. Er scheint durchaus bereit, hochentwickelte Militärausrüstung, wie Jagdflugzeuge, nach Lateinamerika zu verkaufen, was noch nicht einmal Reagan oder Bush in Betracht gezogen haben.

Als der Kongreß als Zusatz zum State Department Authorization Act Richtlinien für den Waffenexport verabschiedete, um den Waffenverkauf an Diktatoren einzuschränken, widersetzte sich die Clinton-Regierung. Sie argumentierte, daß der Präsident den Handlungsspielraum brauche, Waffen an Länder seiner Wahl zu verkaufen, ungeachtet von Menschenrechtsbilanzen oder Demokratiekriterien.

Die Kongreßabgeordnete Cynthia McKinney, die den Richtlinienantrag eingebracht hatte, erklärte: „In den vergangenen vier Jahren sind 85 Prozent der amerikanischen Waffenverkäufe in die Dritte Welt an nichtdemokratische Regierungen gegangen. Die Vereinigten Staaten sind verantwortlich für 44 Prozent aller Waffenexporte in der Welt. Die Vereinigten Staaten sind ohne Qualifikation der Waffenhändler der Welt und die Adresse für die Diktatoren der Welt, um den Tod einzukaufen.“ Während Clintons erster Amtszeit hat seine Regierung die Armeen nichtdemokratischer Staatsführungen mit Waffen und Training im Wert von 35,9 Mrd. Dollar unterstützt, oder durchschnittlich 9 Mrd. Dollar pro Jahr. Diese Summe machte 82 Prozent der 44 Mrd. Dollar umfassenden US-Militärhilfe für Entwicklungsländer aus.

Auch auf dem Gebiet der nuklearen Abrüstung hat Präsident Clinton enttäuscht. Er hat faktisch nichts unternommen, um den Prozeß zu einer atomwaffenfreien Welt voranzubringen. Im Gegenteil, er ging Schritte, die uns in die entgegengesetzte Richtung drängen. Seine starke Befürwortung einer NATO-Osterweiterung wird von den Russen als Bedrohung aufgefaßt und ist für die russische Duma ein Hindernis bei der Ratifizierung von START II gewesen. Für George Kennan ist die NATO-Osterweiterung „der verhängnisvollste Fehler amerikanischer Politik seit dem Ende des kalten Krieges.“

Präsident Clinton führte mit dem russischen Präsidenten Jelzin vorläufige Gespräche über einen START III-Vertrag, um die einsatzfähigen strategischen atomaren Arsenale bis zum Jahr 2007 auf 2.000 bis 2.500 zu reduzieren. Dies wäre ein weiterer Abbau von ca. 1.000 Atomsprengköpfen über die START II-Obergrenzen hinaus, innerhalb von vier Jahren nach der Erfüllung der START II-Vereinbarungen und im Jahr 2003 beginnend. Wenn dies auch ein willkommener Schritt wäre, so ist er doch von minimaler Bedeutung und bleibt weit hinter der einzigartigen Gelegenheit zurück, die sich jetzt zu größeren Abrüstungsschritten bietet.

Während Präsident Clinton federführend war beim Abschluß des Umfassenden Testsperrvertrags (Comprehensive Test Ban Treaty, CTBT), haben die USA im ersten Jahr seiner neuen Amtsperiode bereits damit begonnen, sub-kritische Atomwaffentests durchzuführen. Diese Testserien, die zur Verbesserung der Zuverlässigkeit und Wirksamkeit atomarer Waffen benutzt werden können und sogar zur Erprobung neuer Waffenentwicklungen, werden auf breiter Front von nicht-nuklearen Staaten als ein Zeichen mangelnden Vertrauens und als Schwächung des Vertrags gesehen. Amerikanische subkritische Tests könnten andere Atommächte veranlassen, ähnliche Tests durchzuführen und sie könnten dazu führen, daß der Vertrag zur Nichtverbreitung atomarer Waffen ausgehebelt wird.

Unter Clintons Führung steigen die USA in ein 45 Mrd. Dollar teures Vorratsverwaltungsprogramm (Stockpile Stewardship) über den Zeitraum der nächsten zehn Jahre ein. Ein Hauptmerkmal ist das labormäßige Testen von Atomwaffen. Das Programm umfaßt die Entwicklung der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore Labor zur Durchführung thermonuklearer Tests mit Hochenergielasern.

Präsident Clintons positivster Beitrag in Bezug auf Abrüstungsthemen war sein Einsatz für die Ratifizierung der Chemiewaffenkonvention durch den US-Senat. Er hat angedeutet, sich in gleicher Weise für die Ratifizierung des Comprehensive Test Ban Treaty im Senat einzubringen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß dieser Vertrag je in Kraft tritt, da hierzu die Ratifizierung durch Indien nötig ist. Indien hat erklärt, den Vertrag erst dann zu unterzeichnen, wenn die bekannten Atommächte sich verbindlich verpflichten, ihre atomaren Arsenale zu vernichten, so wie es Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrages vorschreibt.

Die Clinton-Regierung hat einige konstruktive Schritte unternommen, um die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu kontrollieren. Im großen und ganzen läßt sich aber an der Abrüstungsbilanz der Regierung noch viel verbessern. Die Clinton-Regierung hat nicht aufgehört, den ungeheuren Appetit des Militärs nach Ressourcen zu füttern, ist der Welt größter Waffenexporteur gewesen, hat scheinheilig bei Rüstungskontrolle und Abrüstung taktiert, hat es versäumt, die außergewöhnliche Gunst des Augenblicks zur atomaren Abrüstung zu nutzen, und sie hat sich vernünftigen und notwendigen Maßnahmen wie dem Verbot von Landminen widersetzt.

Wenn Mister Clinton positive Erinnerungen an seine zweite Amtszeit hinterlassen möchte auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle und Abrüstung, so wird er nicht umhin können, die meisten seiner jetzigen politischen Grundsätze zu überdenken und zu einem weitsichtigeren und couragierteren Führungsstil zu greifen, wenn es um Abrüstung und die Beschneidung von Waffentransfers geht. Schafft er es nicht, derartige Führungsqualität zu entwickeln, wird er nicht als einer der großen Präsidenten in die Geschichte eingehen.

David Krieger ist Präsident der Nuclear Age Peace Foundation

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1997/4 USA, Seite