W&F 2007/2

»Reconciliation in Aceh«

Symposium des Zentrums für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg

von Ulrich Wagner, Johannes M. Becker und Johannes Herrmann

Nach Jahrzehnten von Bürgerkrieg in der indonesischen Provinz Aceh zwischen der lokalen Freiheitsbewegung und der indonesischen Zentralregierung kam es 2005 in Helsinki durch internationale Vermittlung zu einem Waffenstillstands- und Friedensabkommen. Ein wesentlicher Grund für die Kompromissbereitschaft der Bürgerkriegsparteien waren auch die Auswirkungen des Tsunami im Dezember 2004, der in Aceh besonders viele Todesopfer forderte.

Auf Einladung des Zentrums für Konfliktforschung der Universität Marburg und finanziert mit Mitteln der Volkswagen-Stiftung kamen vom 13.-17. März knapp 100 internationale FriedensforscherInnen und Mitglieder staatlicher und nicht-staatlicher Friedensinstitute zusammen, um am Beispiel Aceh die notwendigen Schritte von einem Waffenstillstand zu einer wirklichen Befriedung und Aussöhnung zu diskutieren. Das Anliegen der Konferenz war, wie der geschäftsführende Direktor des ZfK, Prof. Dr. Ulrich Wagner betonte, dem interkulturellen, interdisziplinären Austausch zwischen Wissenschaftlern und Praktikern zu dienen mit dem Ziel, für die Friedensforschung im Allgemeinen und für die Region Aceh im Besonderen zu Erkenntnissen zu kommen, die aus der Sicht einzelner Disziplinen, einzelner Länder oder aus der Sicht allein von Praktikern oder Theoretikern nicht erreicht werden könnten.

Zu Beginn der Tagung verlas Mr. William Ozkaptan, UN Beauftragter für Aceh, eine Grußbotschaft des neugewählten Gouverneurs der Provinz, der trotz Ankündigung seiner Anwesenheit wegen anderweitiger Verpflichtungen nicht an der Konferenz teilnehmen konnte.

Die inhaltliche Arbeit begann mit der Aufarbeitung der historischen Hintergründe des Konfliktes. Dazu gab es Einführungsreferate von Dr. Johannes Herrmann und Anne Kathrin Schäfer. Im folgenden Block wurden die ökonomischen Hintergründe des Konfliktes analysiert. Grundlage dazu waren Beiträge von Professor Dr. Jochen Röpke und Dr. Abdul Rachman Islahuddin (Aceh). Im Zuge dieses Blockes wurde sehr klar, dass der Konflikt zwischen der Provinz Aceh und der Zentralregierung wesentlich auf die Auseinandersetzung um Bodenschätze in der Provinz Aceh zurückgeht. Der letzte Block im Rahmen der Aufarbeitung der Konfliktursachen hatte religiöse Hintergründe zum Thema. Die Beiträge von Professor Dr. Edith Franke und Dr. Alef Teriah Wasim (Aceh) machten deutlich, wie die lange islamische Geschichte in Aceh und in Indonesien mit ihren unterschiedlichen Facetten den Konflikt sowohl verstärkt haben, aber zukünftig auch zu einer Beilegung des Konfliktes wichtig sein könnten.

Im zweiten Block des Symposiums wurden die Schritte zur Einstellung der bewaffneten Auseinandersetzungen dokumentiert. Leider war der eingeplante Bericht des Gouverneurs von Aceh über die Friedensverhandlungen aus oben genannten Gründen nicht realisierbar. Joost Butenop als Vertreter von »Ärzte ohne Grenzen« machte die Bedeutung unmittelbarer medizinischer Versorgung deutlich. Jörg Meyer, langjähriger Vertreter von NGOs in Aceh und in Indonesien, schilderte die Situation der Hilfeleistung nach dem Tsunami. In diesem Zusammenhang wurde auch klar, wie die Rechtfertigung von NGOs ihren Spendern gegenüber zu zuweilen unsinniger Massierung von Hilfeleistungen führt. Dies kann bei den Empfängern Erwartungen wecken, die auf Dauer nicht eingehalten werden können, was erneute Konflikte nach sich ziehen kann. Augustin Nicolescou schließlich schilderte die Möglichkeiten des Einsatzes von Dialogverfahren zur Aussöhnung von vorher verfeindeten Bevölkerungsteilen.

Der dritte Block des Symposiums hatte zum Ziel, am Beispiel unterschiedlicher Konfliktregionen der Welt Möglichkeiten zur Befriedigung nach gewalttätigen Auseinandersetzungen und insbesondere zur Befriedigung von Aceh zu arbeiten. Am Beispiel der Entwicklung seines Heimatlandes machte der nordirische Sozialpsychologe Prof. Dr. Ed Cairns deutlich, dass Postkonflikt-Gesellschaften oft gar nicht so sehr darauf fixiert sind, Rache und Vergeltung am ehemaligen Gegner zu üben. Vielmehr kommt es zur ausschließlichen Fixierung auf die eigene Partei und die völlige Ignoranz und Vermeidung der anderen, mit jedoch auch fatalen Konsequenzen: Es kommt zu gegenseitiger Benachteiligung und Diskriminierung, etwa bei der Verteilung von Wiederaufbaumitteln, und damit zu einer erneuten Aufheizung der immer noch sehr gespannten Beziehungen.

Die Konferenz folgte in ihrem Aufbau den Schritten, die in Nachkriegs- oder Nach-Bürgerkriegsgesellschaften zur Aussöhnung sinnvollerweise durchlaufen werden sollten. Ein wesentlicher und oft erster Schritt ist die juristische Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Nürnberger Prozesse nach Ende des Zweiten Weltkriegs, die Prozesse vor dem internationalen Gerichtshofs in Den Haag und die Installierung von War Crime Tribunals in Kambodscha sind Beispiele für solche Tribunale. Wie der Marburger Jurist und Experte für internationales Recht, Privatdozent Dr. Christoph Safferling, deutlich machte, haben solche Prozesse eine doppelte Funktion: Sie führen zur Aburteilung von Kriegsverbrechern, aber auch zu Aufklärung und Aufarbeitung der Vergangenheit jenseits juristischer Fragen nach Schuld und Verurteilung. Der lokalen und internationalen medialen Begleitung solcher Prozesse kommt deshalb eine große Bedeutung zu.

Wahrheitskommissionen sind nach Schilderung des südafrikanischen Politikwissenschaftlers Prof. Dr. Pierre du Toit ein weiterer Schritt. Ihr Ziel ist nicht die juristische Bearbeitung konkreter Verbrechen, sonder die öffentliche Aufarbeitung der kriegerischen Vergangenheit. Dies ist ebenfalls nur möglich, wenn die Kommissionen ein hohes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit sicherstellen können. Ziel der Wahrheitskommissionen ist die Rekonstruktion der Geschehnisse aus den unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten und vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Motive. In Südafrika arbeiten Wahrheitskommissionen und Gerichte oft Hand in Hand: Schwere Verbrechen und Verfahren, in denen die Beteiligten keine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Kommissionen zeigen, werden an die Gerichte weiter verwiesen.

Der israelische Sozialpsychologe und Pädagoge Prof. Dr. Gavriel Salomon konnte an zahlreichen Beispielen verdeutlichen, dass pädagogische Maßnahmen zum Abbau von Feindbildern gut geeignet sind und damit einen weiteren wichtigen Schritt der Aussöhnung darstellen. Solche Maßnahmen können etwa in den schulischen Unterricht eingebaut werden. Viele dieser Maßnahmen beruhen auf der konflikt-reduzierenden Wirkung von Kontakten zwischen Mitgliedern der Konfliktparteien. Diesen Aspekt betonte auch Privatdozent Dr. Johannes M. Becker in seiner Analyse des französisch-deutschen Verhältnisses nach 1945: Das breit angelegte Kontaktstiften insbesondere des Deutsch-Französischen Jugendwerkes (DFJW/OFAJ) wie auch der systematische Aufbau gemeinsamer supranationaler Institutionen im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses wurden als konflikt-reduzierende Faktoren aufgeführt.

Die Kontaktforschung kann die Bedingungen sehr genau spezifizieren, unter denen Kontakte zwischen Gruppen zur Verminderung von Spannungen und gegenseitiger Zurückweisung führen, wie die US-amerikanische Sozialpsychologin Linda Tropp in einer Zusammenfassung der mittlerweile fünfzigjährigen Forschung auf diesem Gebiet zeigen konnte. Allerdings sind die erzielten Effekte oft nur kurzzeitig, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an solchen Vermittlungs- und Aussöhnungsprogrammen wieder in ihre Bezugsgruppen zurückkehren, in denen oft massive Feindbilder gepflegt und tradiert werden.

Der Präsident der Philipps-Universität, Volker Nienhaus, und Jochen Röpke, Wirtschaftswissenschaftler an der Philipps-Universität, verwiesen auf die Notwendigkeit auch der ökonomischen Umgestaltung des Landes. Aceh verfügt über reiche Bodenschätze und Agrarprodukte, die in der Regel als Rohstoffe und damit ohne große Gewinne ausgeführt werden. Zur Anhebung der Einkünfte muss zumindest ein Teil der Weiterverarbeitung im Lande verbleiben. Dazu bietet gerade der islamische Hintergrund des Landes eine gute Basis, weil er ein Banken- und Kreditwesen begünstigt, das insbesondere auf die Förderung von Kleinunternehmen baut.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der betroffenen Regionen Aceh und Indonesien sahen gute Möglichkeiten, viele der diskutierten Aussöhnungsmaßnahmen auf Aceh zu übertragen. Darüber hinaus seien aber noch weitere Initiativen zu ergreifen. Beispielsweise ist die zukünftige Rolle der indonesischen Armee zu klären, die an dem Konflikt massiv beteiligt war. Und die religiösen Hintergründe des Konflikts sind weiter aufzuklären. Indonesien und Aceh sind gleichermaßen islamisch geprägt. Dieser gleiche religiöse Hintergrund sollte den Aussöhnungsprozess eigentlich begünstigen, gleichzeitig dienen feine religiöse Unterschiede aber immer wieder als Differenzierungskriterium, um zwischen Aceh und anderen Teilen Indonesiens unterscheiden zu können.

Die Marburger Konferenz konnte viele Fragen aufgreifen und Wege zur Aussöhnung aufzeigen. Gerade aus dem Konzert der Vielzahl von Empfehlungen, die sonst gewöhnlich nur jeweils einzeln in den Blick genommen werden, ergeben sich neue und umfassende Perspektiven der Koordination der unterschiedlichen Schritte. Manche Fragen sind aber auch noch offen und z. T. von der Forschung noch gar nicht hinreichend intensiv in Angriff genommen wurden. Dazu gehört beispielsweise die Frage, wann nach Einstellung von Kampfhandlungen Maßnahmen zur Aussöhnung sinnvoll eingeleitet werden sollen. Möglichst unmittelbar, um eine breite gesellschaftliche Diskussion auszulösen, oder mit Verzögerung, um gerade oberflächlich verheilte psychische Schäden nicht gleich wieder aufzureißen?

Der Sozialpsychologe Prof. Dr. Ulrich Wagner ist Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Konfliktforschung (ZfK) an der Philipps-Universität Marburg.
Der Politologe PD Dr. Johannes M. Becker ist Geschäftsführer des ZfK.
Dr. Johannes Herrmann ist Politikwissenschaftler an der Justus Liebig-Universität Giessen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2007/2 Menschenrechte kontra Völkerrecht?, Seite