W&F 2018/3

Responsible Research and Innovation

Interdisziplinärer Workshop von IANUS und Schader-Stiftung, 19. April 2018, Darmstadt

von Thea Riebe, Alfred Nordmann und Christian Reuter

Statt der Forschung ethische, rechtliche, gesellschaftliche Reflexion nur beizugesellen, verlangt Responsible Research and Innovation (RRI), dass sich Forschung an europäischen Werten – den Werten der Europäischen Union – orientiert. Um diese Öffnung zu gewährleisten, setzt RRI zunächst nicht auf spezifische Werte, sondern prozedural auf eine Forschung, die Folgen antizipiert, unterschiedliche Interessen und Wertvorstellungen inkludiert, sich selbst reflektiert und in die Verantwortung nehmen lässt. Doch was heißt das?

In Zusammenarbeit mit IANUS (Science, Technology, Peace) veranstaltete die Darmstädter Schader-Stiftung am 19. April 2018 einen interdisziplinären Workshop und ein Forum Offene Wissenschaft unter dem Titel »Science and Engineering for Global Peace – A Makerspace for Responsible Innovation« (Wissenschaft und Technik für Frieden und Sicherheit), um sich unter der Fragestellung »Ein europäisches In­stru­ment zur Förderung der naturwissenschaftlich-technischen Friedensforschung?« näher mit RRI zu beschäftigen. An dem eintägigen Workshop nahmen 32 Teilnehmer*innen aus zwölf Disziplinen (Arbeitswissenschaften, Architektur, Biologie, Gesellschaftswissenschaften, Informatik, Materialwissenschaften, Philosophie, Physik, Politikwissenschaft, Sportwissenschaften, Technikfolgenabschätzung, Techniksoziologie) teil.

René von Schomberg gilt als Architekt von RRI, da er das Konzept weitgehend entwickelt und ihm im Rahmen seiner Arbeit für die Europäische Kommission zur Durchsetzung verholfen hat. In seiner derzeitigen Rolle als Gastprofessor am In­stitut für Philosophie der TU Darmstadt leitete er die Diskussion mit der Feststellung ein, dass es der EU darum ginge, ihre Forschungsförderung an die Werte des Lissabon-Vertrages zu binden, um wissenschaftliche Innovation verantwortungsvoller zu gestalten. Die Geschichte der europäischen Union verdeutliche, dass die Formulierungen in Art. 2 des Vertrags („Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören […]“) nicht schon für die Realisierung dieser Werte stünden, aber eine Einladung darstellten, diese Werte einzufordern. So sei etwa das Vorsorgeprinzip zur rechtlich verbindlichen Norm geworden. Wer Art. 3(1) des Lissabon-Vertrages lese („Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.“), könne sich demnach eingeladen fühlen, eine friedens­politische Dimension als wesentlichen Bestandteil von RRI einzufordern.

Ein zweiter zentraler Gedanke von RRI bestehe darin, dass es sich eben nicht, wie im Falle der ethischen, juristischen und sozialen Begleitforschung (ELSA), um neben- oder nachgeordnete Forschung handeln solle. Vielmehr sei RRI selbst Teil des Innovationsprozesses und damit integraler Bestandteil der Forschung und Entwicklung. Das Beispiel der Technikgestaltung in der »precision agriculture« (Präzisionsackerbau) zeige, dass es Teil des gesamten Designprozesses sein könne, den Zugang zu den dafür erforderlichen Daten im Sinne der mittelständischen Agrarbetriebe zu gestalten.

Die zentrale Frage der ersten Diskussionsrunde war daher, wie ein zunächst abstrakt wirkender Friedensbegriff in ein solches Innovationssystem integriert werden kann und welche Möglichkeiten sich dabei für den Forschungs- und Entwicklungsalltag ergeben. Besonders bei anwendungsorientierter Forschung bestehen Gestaltungspielräume, um beispielsweise Missbrauchs­potentiale von Dual-use Technologien einzuschränken. Dies hat die Forschung zur Umrüstung von Atomreaktoren hin zu mehr Proliferationsresistenz gezeigt. In der IT-Sicherheit stellen sich hier allerdings noch viele Probleme, da alle IT-Technologien im Grunde Dual-use Technologien sind.

In der zweiten Sitzung wurde aus der Perspektive der Forschenden diskutiert, wie friedens- und konfliktrelevante Dimensionen eines Forschungsvorhabens explizit in eine Forschungsagenda aufgenommen werden können. Die zunehmende Ausdifferenzierung und Spezialisierung von Ingenieur*innen erzeugen für die Integration gesellschaftlicher Fragen in die anwendungsorientierte Forschung neue Herausforderungen. Im Rahmen von RRI geht es vor allem darum, bereits während der Forschung und Entwicklung eine positive Gestaltung der Technologie sicherzustellen. Eine potenziell produktive Forschungslücke der anwendungsorientierten Friedensforschung ergibt sich auch aus der breiten Verteilung von Verantwortlichkeiten ohne klare Abgrenzung von technischen, zivilgesellschaftlichen und nationalstaatlichen Problemdimensionen. Die derart ausgeweiteten Sicherheitskulturen stellen neue Herausforderungen für die naturwissenschaftliche-technische Friedenforschung dar. Erweiterte Sicherheitsdiskurse reflektieren eine gesamtgesellschaftliche Verunsicherung und verursachen einen Technologie-, Kompetenz- und Rüstungswettlauf in der Zivilgesellschaft. Darum müsse auch der Innovationsbegriff kritisch hinterfragt werden: Was unterscheidet den bloßen Zuwachs technischer und ökonomischer Kapazitäten als (immer auch sozialer) Innovation von der Stärkung eines kooperativen und friedlichen gesellschaftlichen Zusammenlebens? Dafür braucht der Innovationsprozess die systematische Einbeziehung der Zivilgesellschaft im Sinne einer «open science« (offene Wissenschaft).

Im anschließenden »Forum Offene Wissenschaft« schloss René von Schomberg die Diskussionen mit seinem Vortrag über RRI und der Weiterentwicklung dieses Konzeptes ab. Als Desiderat ergab sich dabei, aus der Darmstädter Forschungstradition abgeleitete Vorschläge und methodische Ansätze weiterzuentwickeln, die die angestrebte Integration einer friedenspolitischen Perspektive in RRI ermöglichen.

Freilich könnte RRI als Schönreden europäischer Innovationspolitik abgeschrieben werden. Die Diskussion hat allerdings gezeigt, dass es ein Werkzeug oder Instrument sein kann, mit dem sich womöglich eine Hebelwirkung zur breiteren Verankerung von friedens- und konfliktrelevanten Fragen nicht nur in europäisch geförderten Forschungsprojekten erzeugen lässt.

Thea Riebe, Alfred Nordmann, Christian Reuter

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2018/3 Gender im Visier, Seite 60–61