Rio +/- 20
von Jürgen Nieth
„Ambitionierte Umweltziele“, so die EU-Verhandlungsführerin, Ida Auken, sollten in Rio vorgestellt, beraten und beschlossen werden. Vertreter aus über 190 Staaten waren deshalb zum »Nachhaltigkeitsgipfel« der Vereinten Nationen angereist, darunter über 100 Staats- und Regierungschefs. Dazu kamen tausende Journalisten und abertausende Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten, Insgesamt hatten sich fast fünfzigtausend Menschen versammelt, dreimal so viele wie zum »Erdgipfel von Rio« 1992. Sie alle wurden brüskiert.
Mitsprache nicht erwünscht
Noch vor Beginn des eigentlichen Gipfels trat der brasilianische Außenminister im Plenum vor die Delegierten und erklärte, „der von seiner Regierung vorgelegte Kompromisstext für die Abschlusserklärung sei hiermit verabschiedet“. Auf die Einwände eines Vertreters der Entwicklungsländer, „dass die geplante Aufwertung des UN-Umweltprogramms in Nairobi arg schwach ausfalle“, antwortete US-Chefdiplomat Todd Stern, „wenn das geändert würde, werde Washington alles platzen lassen“ (Berliner Zeitung, 21.06.12, S.7). Das Ergebnis stand damit fest, bevor die Beratungen begonnen hatten. Ein Ergebnis, mit dem nicht nur die Nichtregierungsorganisationen, sondern auch fast alle deutschsprachigen Medien scharf ins Gericht gehen.
Blutleer und visionslos
So schreibt die FAZ (25.06.12, S.29): „Brasiliens Regierung hatte vor dem dreitägigen Ministersegment des UN-Gipfels einen umweltpolitischen Kahlschlag veranstaltet. Jede konkrete und deshalb auch politisch brisante Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit, Frauenrechten, Natur- und Klimaschutz, auf 160 Seiten notiert, wurde eliminiert. Worthülsen blieben.“ Die »tageszeitung« (23.06.12, S.3) titelt: „Der Gipfel der Unverbindlichkeit“ und hält fest: „Wenn überhaupt, wird frühestens 2014 ein Nachhaltigkeitsfonds für die Länder des Südens eingerichtet. Bis zu einem Schutz der Meere außerhalb der Hoheitsgewässer wird es noch länger dauern. Auch ein Entwaldungsstopp für Tropenwälder bis 2020 wurde gestrichen. Was »nachhaltige Landwirtschaft« sein soll bleibt diffus, dem Siegeszug der Gentechnik im globalen Süden wird nichts entgegengesetzt.“ Ähnlich die Berliner Zeitung (21.06.12, S.7): „Alles, was Kontroversen hätte auslösen können, flog raus. 30 Milliarden Dollar jährlich für nachhaltige Entwicklung in den armen Ländern? Raus. Klare Ziele für die Kappung der gigantischen, weltweit pro Jahr 600 Milliarden schweren Subventionen für Kohle, Öl und Gas? Raus. Die Unep als mächtige, gut finanzierte UN-Organisation? Raus. Strikte Schutzpläne für die überfischten Weltmeere? Raus.“ Die Zeitung geht auf die Reaktion der NGOs ein und schreibt, die „Umweltschützer waren […] geschockt. Der Chef von Greenpeace international, der Südafrikaner Kumi Naidoo, kommentierte: »Das ist nicht Rio plus 20, sondern Rio minus 20«. BUND-Chef Hubert Weiger sagte: »Ein schlechteres Ergebnis wäre gar nicht möglich gewesen.«“ Auch die Neue Zürcher Zeitung (23.06.12, S.3) hält fest: „Die meisten Nichtregierungsorganisationen bezeichnen das Dokument als blutleer, visionslos oder gar desaströs.“
Kampf um Deutungshoheit
Andreas Mihm schreibt in der FAZ (22.06.12., S.1): „Der Preis für den Verzicht auf einen vielleicht produktiven Streit in den UN ist hoch: Die Abschlusserklärung ist eine […] Ansammlung von Leerformeln, Floskeln, bestenfalls vagen Absichtserklärungen und Bekräftigungen längst beschlossener Vorhaben […] Darauf lässt sich kaum »die Zukunft, die wir wollen« aufbauen, wie dieses Dokument des Versagens überschrieben ist.“
Ganz anders sahen das einige Regierungsvertreter und Funktionäre. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, der das Abschlussdokument bei Vorlage noch als „wenig ambitioniert“ bezeichnet hatte, sah in ihm einen Tag später eine „»solide Basis« – ohne dass sich irgendetwas am Text verändert hatte […] Das Abschlussdokument sei »alles andere als armselig«, sagte Bundesumweltminister Peter Altmeier (CDU), der deutsche Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) wollte gar »wichtige Wegmarken« erkannt haben. Holger Lösch vom Bundesverband der deutschen Industrie sah »gute Ansätze« zum verstärkten »Greening« der Welt.“ (taz, 23.06.12, S.3)
Die Folgen des Klimawandels stellte keiner in Frage. Das blieb Dirk Maxeiner und Michael Hirsch in Springers »Die Welt« (25.05.12) vorbehalten. „Untergangspropheten ziehen durch die Lande. Der Club of Rome warnt vor Dürren, Überschwemmungen und Bürgerkriegen als Folge globaler Erwärmungen. WWF und das Worldwatch Institute sehen dramatische Auswirkungen des Klimawandels voraus. Mit neuen Erkenntnissen aus der Klimaforschung können alle drei Berichte nicht aufwarten […] Es geht wohl eher darum, vor dem großen Erdgipfel in Rio ein bisschen Stimmung zu verbreiten.“
Öffentlicher Druck – Voraussetzung für Veränderung
„Die Zivilgesellschaft, auf dem Erdgipfel vor 20 Jahren von den Vereinten Nationen erstmals als Teil ihrer Staatenkonferenz akzeptiert, wurde brüskiert und hielt still“, schreibt die FAZ (25.06.12., S.29). Doch es gab sie, die Aktionen der NGOs, die in Rio nicht still hielten, sie fanden allerdings in den deutschen Medien kaum ein Echo. Eine der Ausnahmen ist das »Neue Deutschland« (23.06.12, S.8), das ausführlich über einen Appell von über 50 Nobelpreisträgern berichtet, der „Abrüstung für eine nachhaltige Entwicklung“ fordert, und festhält, dass „trotz eines medienwirksamen Panzers aus Brot vor dem Kongresszentrum »Riocentro« […] der Appell […] bei den UN-Delegierten ungehört“ blieb (siehe Bericht und Appell auf S.56/57 in dieser Ausgabe von W&F).
„Der UN-Umwelt-Prozess wird weiterlaufen. Es gibt keine Alternative […]“ schreibt die Frankfurter Rundschau (22.06.12., S.11). Doch dafür hält sie drei Punkte für unerlässlich: „Erstens muss der Druck auf die Politiker […] deutlich erhöht werden. Die Zivilgesellschaft wird dieses Anliegen zu ihrer zentralen Aufgabe machen müssen. Die Entscheidung zum Atomausstieg in Deutschland hat gezeigt, dass man damit durchaus erfolgreich sein kann. Zweitens müssen Vorreiterländer im Norden modellhaft zeigen, dass die Energiewende funktioniert […] Und drittens müssen diese Vorreiterländer bilaterale Allianzen mit Entwicklungsländern eingehen, um die grüne Wirtschaft in gemeinsamen Projekten voranzubringen.“
Jürgen Nieth