W&F 2021/4

Rot, gelb oder grün für Frieden?

von Ginger Schmitz

Als Mitte Oktober die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP begannen, waren die Erwartungen hoch. Nach Jahren gefühlter friedenspolitischer Stagnation erhofften sich viele, dass Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung nun endlich wieder aus ihrem Nischendasein herausgeholt werden würden. Besonders die am Aufbau der heutigen friedenspolitischen Infrastruktur beteiligten Parteien der rot-grünen Bundesregierung von 1998 standen dabei unter Beobachtung, bezeichnen sie sich doch selbst, im Fall der SPD, als Friedenspartei oder haben, im Fall der Grünen, das friedenspolitisch weitreichendste Programm vorgelegt. In beiden Wahlkampfprogrammen finden sich mit der Entwicklung Ziviler Planziele für die Leitlinien »Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern« und mit der Einführung einer »Friedensverträglichkeitsprüfung« Vorschläge, die grundlegendere friedenspolitische Veränderungen ermöglichen könnten.

Gleichzeitig konnte man nach Veröffentlichung des Sondierungspapiers eine gewisse Ernüchterung feststellen. Zivile Konfliktbearbeitung, Krisenprävention, Frieden, werden allesamt kaum berücksichtigt. Es bestätigte sich wieder einmal der Eindruck, dass friedenspolitische Themen im öffentlichen Diskurs wie auch in den Sondierungen keine Rolle spielten. Das verwundert zwar nicht, ernüchtert aber nichtsdestotrotz.

Wir sind nicht alleine auf der Welt. Der Klimawandel, Fragen der globalen Gesundheit und Digitalisierung betreffen uns alle. Das hat sich in diesem Wahlkampf wieder mit voller, disruptiver Wucht gezeigt. Die zukünftige Bundesregierung muss Antworten darauf finden, wie sich dadurch ausgelöste Transformationsprozesse konstruktiv, ausgleichend und im Sinne eines friedlichen Miteinanders gestalten lassen können. Und das nicht aus ministerialer Zuständigkeitslogik heraus, sondern kohärent. Das vorhandene Instrumentarium der Zivilen Konfliktbearbeitung und Friedensförderung muss zu diesem Zweck zukunfts­orientiert ausgebaut und gefördert, aber auch die Rahmenbedingungen verbessert und Grundlagen geschaffen werden.

Deutsche Außenpolitik im Verständnis von nach außen gerichteter und nach außen wirksamer Politik wird sich unter einer rot-grün-gelben Regierung verändern. Die Frage ist nur, wie sie dann aussehen wird. An welchen Werten richtet sich Außenpolitik zukünftig aus? Welchen Stellenwert werden zivile Konfliktbearbeitung und Frieden einnehmen? Frieden muss in dieser bestenfalls zukunftsorientierten und lernenden Außenpolitik ein Fixpunkt sein.

Die 2017 verabschiedeten Leitlinien bilden hierfür eigentlich die strategische Grundlage. In den Wahlprogrammen der Koalitionär*innen werden sie aber nur partiell erwähnt. In der letzten Legislaturperiode des Bundestages haben sie über den engagierten, aber kleinen Unterausschuss Zivile Krisenprävention hinaus keine wahrnehmbare Rolle gespielt. Der im Frühjahr 2021 veröffentlichte Umsetzungsbericht zu den Leitlinien wurde im Parlament noch nicht einmal debattiert. Das muss sich ändern! Friedenspolitik muss von der künftigen Bundesregierung aber auch vom Parlament breit getragen werden. Das Parlament muss seiner Verantwortung gerecht werden.

Diese Verantwortung kann sich nicht darauf beschränken, lediglich über Mandatsverlängerungen zu debattieren. Wir brauchen vielmehr jährliche frie­dens­politi­sche Grundsatzdebatten über die Gestaltung der »Verantwortung Deutschlands« in der Welt.

Im Sondierungspapier wurde ein neues Grundlagendokument angekündigt: eine »Nationale Sicherheitsstrategie«. Bevor neue Strukturen und neue Strategien geschaffen werden, sollten aber zunächst die Leitlinien konsequent umgesetzt werden. Ein Umsetzungsplan mit konkreten Planzielen sowie die Einführung einer Friedensverträglichkeitsprüfung könnte die Leitlinien aus ihrer Wahrnehmungs­lücke herausführen. Statt mehr Papier und mehr Strategiedokumenten braucht es eine neue Form außenpolitischer Zusammenarbeit, die Etablierung einer konstruktiven Fehlerkultur, offenen Dialog und gemeinsames Lernen.

Zu Beginn der Sondierungen war viel die Rede davon, dass die beteiligten Parteien nicht das Trennende sondern das Verbindende in den Mittelpunkt der Gespräche stellen und in den Sondierungen eine gemeinsame Erzählung entwickeln wollten.

Diese Erzählung, dieses gemeinsame Narrativ sollte Frieden sein. Und eine friedenspolitisch kohärent gestaltete Zukunftspolitik könnte letztlich das verbindende Element sein. Für Wirtschaft, Klima, soziale Gerechtigkeit. Für alle Farben der Ampel – und für grünes Licht für Frieden.

Ginger Schmitz ist Geschäftsführerin der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und Mitglied des Beirats Zivile Krisenprävention und Friedensförderung.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2021/4 Chinas Welt? – Zwischen Konflikt und Kooperation, Seite 5