Rüstungsbranche im Umbruch
von Jürgen Wagner
Glaubt man den Kassandra-Rufen aus Politik, Rüstungsindustrie und Militär, so stehen die Waffenkonzerne kurz vor der Pleite. Drastische Kürzungen der Militärhaushalte und eine damit einhergehende rückläufige Inlandsnachfrage würden eine existenzielle Bedrohung der Branche darstellen. Nur wenn hier entschieden gegengesteuert werde, könne der Sektor vor dem Untergang bewahrt werden, so die allgegenwärtige Argumentationsfigur. Und tatsächlich tut sich etwas in der Rüstungsindustrie – aber nicht in einer Weise, die aus friedenspolitischer Sicht zu begrüßen wäre.
Dabei gilt es zunächst einmal festzuhalten, dass die Behauptung, die Rüstungsetats befänden sich im freien Fall, jeglicher Grundlage entbehrt. So sind die Rüstungsausgaben der EU-Staaten 2011 mit 281 Mrd. US$ zwar gegenüber dem Vorjahr gesunken, allerdings nur minimal (2010: 288 Mrd. US$). In Deutschland steigen die Militärausgaben sogar an und dies, obwohl der Haushalt ursprünglichen Planungen zufolge bis 2014 auf 27,6 Mrd. Euro hätte sinken sollen. Laut aktuellem Finanzplan wird der Militäretat 2013 nochmals auf 33,3 Mrd. Euro erhöht und erst danach sukzessive bis zum Jahr 2016 auf 32,5 Mrd. Euro »abgesenkt«. Hinzu kommt, dass zusätzlich 1-1,5 Mrd. Euro in den allgemeinen Haushalt verschoben wurden.
Vor diesem Hintergrund – und angesichts radikaler Kürzungen in den Sozialhaushalten – ist schon eine gehörige Portion Dreistigkeit vonnöten, eine existenzielle Bedrohung der Rüstungsbranche herbeizufabulieren. Trotzdem ist die Politik gewillt, der Rüstungsindustrie großzügig unter die Arme zu greifen. Denn eine starke und unabhängige rüstungsindustrielle Basis gilt als wesentlicher Baustein staatlicher Machtpolitik, wie etwa Verteidigungsminister Thomas de Maizière verdeutlicht: „Nur Nationen mit einer leistungsfähigen wehrtechnischen Industrie haben ein entsprechendes Gewicht bei Bündnisentscheidungen.“
Auf dieser Grundlage hat sich eine mächtige Allianz für Krieg und Profit herausgebildet, ein dichtmaschiges Lobbynetzwerk, das zunehmend in der Lage ist, den Forderungen nach Unterstützungsmaßnahmen für die Waffenkonzerne Geltung zu verschaffen. Hierzu wurden verschiedene Wege eingeschlagen. Einer davon zielt darauf ab, sich neue Töpfe zu sichern: Von der Entwicklungshilfe bis zur so genannten Sicherheitsforschung werden mehr und mehr militärrelevante Ausgaben aus formal rein zivilen Haushalten bestritten. Ein anderer Weg besteht in der massiven Förderung von Rüstungsexporten. Mit der »Merkel-Doktrin« sollen künftig an »strategische Partner« auch dann Waffen geliefert werden können, wenn sich diese in Krisenregionen befinden und/oder in schwere Menschenrechtsverletzungen verstrickt sind. Die Panzerdeals mit Saudi-Arabien und Katar sind ein bitterer Vorgeschmack auf das, was noch kommen soll: Sie erhöhen die Profite der Rüstungsindustrie und stärken gleichzeitig den deutschen Einfluss in der Region.
Allerdings sind diese Exportmärkte hart umkämpft, besonders die US-Konkurrenz macht den europäischen Firmen schwer zu schaffen. Um hier wettbewerbsfähig zu bleiben, sind riesige Konzerne erforderlich, die aufgrund eines umfangreichen heimischen Marktes über eine hinreichend große Masse verfügen. Auf Basis dieser Überlegung entstanden Initiativen wie das Verteidigungspaket (Defence Package) und die Bündelung und gemeinsame Nutzung von Militärgütern (Pooling und Sharing). Sie zielen auf eine Europäisierung der Rüstungspolitik mittels der Schaffung eines einheitlichen EU-Rüstungsmarktes und der Förderung von Unternehmenszusammenschlüssen ab. Als Vorbild dienen dabei die USA, wie Stefan Zoller, bis vor Kurzem Chef der EADS-Rüstungstochter Cassidian, verdeutlicht: „Das Ziel einer wie auch immer konstruierten Konsolidierung der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsindustrie muss eine Dimensionierung im Blick haben, die zumindest tendenziell der des US-amerikanischen Marktes entspricht.“
Die (vorläufig geplatzten) Fusionspläne zwischen den Rüstungsgiganten EADS und BAE Systems sind hierbei nur die Spitze des Eisberges. Europaweit bahnen sich massive Unternehmenszusammenschlüsse an, wodurch der militärisch-industrielle Komplex zunehmend wirkmächtiger werden wird. Angesichts der Tatsache, dass Rüstungsausgaben die unproduktivste Möglichkeit sind, Gelder zum Fenster hinauszuwerfen, ist die »Chance for Peace«-Rede des damaligen US-Präsidenten US-Präsident Dwight D. Eisenhower aus dem Jahr 1953 aktueller denn je: „Jede Kanone, die gebaut wird, jedes Kriegsschiff, das vom Stapel gelassen wird, jede abgefeuerte Rakete bedeutet letztlich einen Diebstahl an denen, die hungern und nichts zu essen bekommen, an denen, die frieren und keine Kleidung haben. Eine Welt unter Waffen verpulvert nicht nur Geld allein. Sie verpulvert auch den Schweiß ihrer Arbeiter, den Geist ihrer Wissenschaftler und die Hoffnung ihrer Kinder.“
Ihr Jürgen Wagner