W&F 1991/4

Rüstungsproduktion in den fünf neuen Ländern?

von Petra Opitz

Mit dem Zusammenbruch der DDR war auch ihre Rüstungsproduktion überflüssig geworden. Deren Auftraggeber NVA und andere paramilitärische Organisationen wurden aufgelöst, Aufträge im Rahmen der logistischen Betreuung für in den Dienst der Bundeswehr übernommenes NVA-Militärgerät sind von ihrem Umfang her für das wirtschaftliche Überleben der Betriebe unbedeutend. Bisherigen Abnehmern in Osteuropa mangelt es sowohl an Geld als auch an Bedarf für Militärtechnik und Instandsetzungsleistungen aus den neuen Bundesländern. Jeglicher Rüstungsexport unterliegt zudem nunmehr den bundesdeutschen Rüstungsexportbestimmungen.

Das Ende der DDR-Rüstungsindustrie schien besiegelt, Rüstungskonversion die einzige Alternative.

Die Bedingungen für Konversion haben sich jedoch in vielerlei Hinsicht verändert.

Ökonomisch hätten die Startbedingungen dafür schwieriger kaum sein können. Alle bisherige Konversionsdiskussion hatte die Problematik der Umstellungsprozesse unter Bedingungen relativ stabilen wirtschaftlichen Wachstums und einer im Prinzip funktionierenden Gesamtwirtschaft untersucht. Hier in den neuen Bundesländern ist die Konversion der Rüstungsindustrie nur ein Teilbereich der Konversion der Wirtschaft insgesamt.

Fast kaum ein Unternehmen kann mit seinem bisherigen Produktionsprofil fortbestehen. Auch für die zivilen Betriebe ist die Nachfrage radikal gesunken – auf dem Binnenmarkt infolge der Verdrängung durch produktivere Konkurrenten vor allem aus den Altbundesländern, auf dem Außenmarkt durch die Zahlungsunfähigkeit der ehemaligen RGW-Länder und den Wegfall der Exportsubventionierung im Handel mit westlichen Staaten.

Für die Konversion typische Charakteristika wie: Entwicklung und Fertigung neuer Produkte, Abnabelung vom staatlichen Subventionstropf und Entmonopolisierung, das heißt, marktgerechtes Produzieren unter Konkurrenzbedingungen, Aufbau eines entsprechenden Managements und Marketings, Umschulung, Entwertung von Teilen des Kapitalstocks, treffen für alle Unternehmen zu, gleich ob zivile oder militärische. Zusätzlich erschwert werden die Bedingungen durch spezifische Probleme aus der Transformation einer zentralistischen Verteilungswirtschaft in eine Marktwirtschaft.

Das ausschließliche Ziel der Treuhand: Privatisierung

Die Unternehmen verfügen nicht über Rücklagen, sind im Gegenteil aufgrund von Zwangskreditierungen hochverschuldet. Von der Treuhand verwaltet und unter Privatisierungsdruck, geht ihr Bewegungsspielraum gegen Null. Für die Ziele und Kriterien der Privatisierungsstrategie der Treuhand haben Ziele und Kriterien der Konversion, wie gezielte Bestimmung des Produktionsprofils unter der Maßgabe bewußter Abkehr von Erzeugnissen und Technologien mit Destruktivkraftcharakter, keine Relevanz bzw. stehen sogar im Widerspruch zu ihnen.

Politisch wird die Konversion auf dem Territorium der neuen Bundesländer nicht nur nicht gefördert, sondern im Gegenteil Wert darauf gelegt, auch die militärtechnische Versorgung der hier stationierten Bundeswehreinheiten aus ostdeutschen Potentialen abzusichern. »Marktgerechte« Verwertung ehemaliger NVA-Technik sowie angearbeiteter Rüstungsaufträge noch aus WVO-Staaten, auch über den Export in Drittländer, hat den Vorrang vor Recycling.

Wenn Rüstungskonversion in den neuen Bundesländern dennoch stattfindet, so nicht mehr mit dem Anspruch bewußter friedensorientierter Produktionsumstellung, sondern lediglich dem Zwang zur Existenzerhaltung folgend.

Rüstungsunternehmen um Umstellung bemüht

Die Mehrzahl der ehemaligen Rüstungsunternehmen bemüht sich um Umstellung auf zivile Produktion. In der Regel in Kooperation mit westlichen Unternehmen und unter Nutzung deren Vertriebssysteme versuchen sie, durch Spezialisierung in Marktlücken Fuß zu fassen. Andere finden teilweise in öffentlich finanzierten Bereichen (Umwelt, Instandsetzungsleistungen für den öffentlichen Verkehr, Infrastruktur) neue Auftragsfelder. Doch selbst in solchen sich umstellenden Betrieben finden gegenwärtig kaum mehr als 40% der vormals Beschäftigten eine Anstellung.

Desweiteren gibt es zur Zeit fünf Betriebe, die gänzlich oder zum Teil in der Verwertung von Militärtechnik und Munition tätig sind. Oft solcher Produkte, die vorher von ihnen selbst gefertigt wurde. Eine Reversibilität der Entwicklung ist hier potentiell jederzeit möglich. Für das ehemalige Panzerreparaturwerk Neubrandenburg ist es in der bereits arrangierten Zusammenarbeit mit der Firma Diehl, Nürnberg, kein Problem, anstelle T55 oder T72 zu zerlegen, auch Leoparden instand zu setzen. Gegenwärtig läuft die Umrüstung der ehemaligen Schützenpanzer BMP-1 der NVA auf Bundeswehrstandard.1

Angesichts drohender Arbeitslosigkeit und keinerlei Aussicht auf Alternativen (Rüstungsbetriebe waren meist die größten Arbeitgeber in strukturell unter- oder einseitig entwickelten Regionen, ringsherum herrscht Arbeitslosigkeit) wird es als Luxus betrachtet, nach dem Sinn und Inhalt der Arbeit zu fragen. Nahezu keine Offerte wird abzulehnen gewagt.

Remilitarisierung nicht auszuschließen

Die Wiederaufnahme von militärischer Produktion oder, schärfer formuliert, Remilitarisierung, ist daher nicht auszuschließen, in einigen Fällen bereits Realität.

Rüstungsunternehmen der alten Bundesländer nutzen das Ost-West-Lohngefälle und die billigen, aber guten Ausrüstungen in den ehemaligen DDR-Rüstungsbetrieben. Mit »widerspenstiger« Belegschaft oder vehementen ökologischen Auflagen der Kommunen müssen sie nicht rechnen. Das Bild vom schwerreichen Zuhälter, der das barfüßige Bettelkind vorschickt,2 scheint nicht aus der Luft gegriffen.

Der Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, dessen Partei als ehemalige Blockpartei noch am Runden Tisch und in der Volkskammer für Konversion und Konversionsgesetz votierte, fordert angesichts 15 000 um ihre Arbeit bangenden Werftarbeiter, den deutschen Export von U-Booten und Korvetten nach Taiwan zu genehmigen, weil ostdeutsche Werften Teilaufträge erhalten könnten.

Die Tochter der Deutschen Aerospace, MTU, hat inzwischen den im Land Brandenburg ansässigen ehemaligen DDR-Rüstungsbetrieb Luftfahrttechnik Ludwigsfelde übernommen. Dieser auf Triebwerksinstandsetzung von MIGs und sowjetischen Kampfhubschraubern spezialisierte Betrieb hat sich auf die Instandsetzung von Antrieben für Phantom und Hubschrauber T64 „umgestellt“.3 An eine Kooperation mit sowjetischen Herstellern zur Instandsetzung der etlichen Tausend sowjetischen Hubschrauber in aller Welt wird ebenfalls gedacht.4

Nicht alle rüstungsrelevante Produktion wurde bei Carl Zeiss in Jena eingestellt. Ein Bereich Wehrtechnik existiert auch im neuen Unternehmen Jenoptik fort.

Seitens der Bundesregierung wird, anstelle durch Entschuldung von Altlasten und Umstellungshilfen die Konversion dieser Betriebe zu fördern, offenbar lieber die Werbetrommel für den Absatz ostdeutscher Rüstungsgüter gerührt. In gemeinsamer Arbeit von der Außenstelle Berlin des Bundesbeschaffungsamtes, dem Wehrkommando Ost und dem Bundeswirtschaftsministerium werden bis in die USA die Potenzen dieser Unternehmen auch und insbesondere auf militärischem Gebiet offeriert.5 Sorgfältig kaschiert durch Angebote von auch zivil nutzbaren Erzeugnissen und Leistungen, wie beispielsweise mobile Labortechnik, Kofferaufbauten, Leucht- und Signalraketen, Fallschirme oder »weicher« militärischer Güter, wie Tarnnetze nach NATO-Standard, bietet unter anderem die Peenewerft Raketenschnellboote. Landungsschiffe, Minensuch- und Räumschiffe werden unter Angebot der Kampfwertsteigerung durch die Peenewerft zum Verkauf angeboten. Sieben noch nach alten Aufträgen angearbeitete Raketenschnellboote können kurzfristig, nach Kundenwünschen modifiziert, ausgeliefert werden.6

Diese Fakten belegen die sichtbaren Spitzen des Eisberges und auch davon sicherlich nur einen Teil. Was in der neuen deutsch-deutschen Wirtschaftskooperation und -fusion sich noch in Richtung rüstungsrelevanter Produktion bewegen wird, ist gegenwärtig schwierig genau nachzuweisen, gerade auch in Bereichen, deren Erzeugnisse sowohl militärisch als auch zivil einsetzbar sind.

Spekuliert man vielleicht auch auf Aufträge aus den neuen selbständigen ehemaligen Sowjetrepubliken?

Fortsetzung der Rüstungsproduktion keine Lösung

Wie dem auch sei, auf lange Sicht bietet der Rüstungsbereich keine Alternative für die Zukunft ostdeutscher Betriebe und ihrer Beschäftigten. Die ehemaligen WVO-Staaten rüsten eher ab als auf. Daß sie ihre kostbaren Devisen für Aufträge an ostdeutsche Rüstungsaufträge ausgeben ist nicht prinzipiell ausgeschlossen, jedoch wenig wahrscheinlich. Zugleich lassen sich gerade im Angesicht der gegenwärtigen sicherheitspolitischen Veränderungen verstärkte Umstrukturierungsbestrebungen in der Rüstungsindustrie, unter anderem auch mittels Ausgliederung »abrüstungsreifer« und damit auftragsgefährdeter militärischer Produktion, beobachten. MTU verschiebt mit der Verlagerung der erwähnten militärischen Instandsetzungsleistungen von München nach Ludwigsfelde, lediglich das Risiko in den Osten. Im Münchener Werk wird Platz für die zivile Fertigung.7

Die Fortsetzung von Rüstungsproduktion auf dem Gebiet der neuen Bundesländer vertagt die Lösung der tatsächlichen Strukturprobleme. Möglichkeiten, heute die entscheidenden Weichen für eine längerfristig stabile Entwicklung in Richtung wissenschaftsintensiver und zukunftsträchtiger Sektoren zu stellen, um aus der Bettelkindrolle herauszuwachsen, werden verspielt.

Konversionshilfen für die ehemaligen Rüstungsbetriebe der DDR gibt es nicht. Die Erkenntnis, das vorhandenes Konversionspotential Entwicklungschancen für die Region birgt, wenn es in regionale Strukturentwicklungsprogramme eingebunden wird, setzt sich, ähnlich wie die von der Notwendigkeit einer aktiven Strukturpolitik des Bundes, nur sehr zögerlich in den Köpfen durch.

Der Verzicht auf eine stärkere innergesellschaftliche Politisierung der Konversion, auf die Thematisierung eines Reformansatzes zeitigt seine negativen Auswirkungen.

Anmerkungen

1) Vgl. Soldat und Technik, 8/1991, S.564. Zurück

2) Vgl. Berliner Zeitung vom 4.9.1991, S.2. Zurück

3) Vgl. Neues Deutschland vom 18.6.1991, S.6 Zurück

4) Vgl. Soldat und Technik, 8/1991, S. 569. Zurück

5) Vgl. Wehrtechnik, 5/1991, S. 9-47 und Military Technology, 7/1991, p.65-82. Zurück

6) Vgl. Wehrtechnik, 5/1991, S.38. Zurück

7) Vgl. Soldat und Technik, 8/1991,569 Zurück

Dr. Petra Opitz ist Ökonomin und u.a. für das Institut für regionale Konversion in Berlin tätig.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1991/4 Testfall Rüstungsexport, Seite