Russland setzt aufs Militär
von Jürgen Nieth
Vor einem Jahr, am 24. März 1999 startete die NATO ihren Luftkrieg gegen Jugoslawien. Sie startete, ohne vorher die zivilen internationalen Institutionen ausreichend in eine Lösungssuche für den existierenden Konflikt einzubeziehen, sie bombardierte ohne internationales Mandat. Über die wahren Gründe für diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gibt es bis heute viele Diskussionen und Spekulationen. Dass die vorgegebenen »humanitären Aspekte« für den Krieg nicht die ausschlaggebenden – auf gar keinem Fall aber die einzigen – waren, wurde bereits nach wenigen Tagen sichtbar, als in Folge des Krieges das Elend unter der zu schützen vorgegebenen Zivilbevölkerung wuchs und die Flüchtlingszahlen explodierten.
Nein, die Gründe für das amerikanische Drängen auf schnellen Kriegsbeginn unter Umgehung der UNO – und die damit verbundene Brüskierung Russlands und Chinas – lagen nicht im Kosovo, sie waren globaler. In jeder Phase dieses Konfliktes demonstrierten die USA – nicht nur gegenüber Jugoslawien sondern auch gegenüber den Verbündeten und dem Rest der Welt, wer das sagen hat und dass sich die letzte Supermacht nicht mehr reinreden läßt. Unfreiwillig (?) bestätigt vom deutschen Außenminister Fischer in der »Zeit«: „Wir hatten nur 15 Minuten Zeit“ um zu entscheiden ob wir mitmachen oder nicht.
Die verbliebene Supermacht USA demonstrierte Macht und die einstige Supermacht Russland wurde vorgeführt, zeigte sich ohnmächtig. Wäre der Krieg nach wenigen Tagen wie geplant zu Ende gewesen, die Welt wäre heute eine andere.
Doch es kam anders: Die UNO und die Russen mussten nach über 2 Monaten Krieg ins Boot zurückgeholt werden. Und die Russen zeigten militärisch neues Selbstbewusstsein, als sie in einer Blitzaktion den Flugplatz von Pristina besetzten und damit die Aufteilung des Protektorats Kosovo unter die 4 mächtigsten NATO-Mächte kurzfristig in Frage stellten.
Ein viertel Jahr nach dem Ende des Kososvo-Krieges führt Russland dann selbst Krieg im eigenen Land. Und – im Vergleich zum ersten Tschetschenienkrieg muss man bitter feststellen – sie haben vom NATO-Krieg gegen Jugoslawien gelernt. Diesmal ist ihr Krieg propagandistisch gut vorbereitet. Ein paar Hundert Tote in Folge von Anschlägen in russischen Städten, für die Tschetschenische Rebellen verantwortlich gemacht werden, haben in der Bevölkerung die Stimmung für ein hartes durchgreifen geschürt. Die Berichterstattung über den Krieg im Kaukasus wird – wie auf dem Balkan – sorgsam gefiltert. Russische Politiker zeigen sich selbstsicher, auch was die Reaktionen der westlichen Welt betrifft, die dann tatsächlich trotz Flüchtlingstrecks, dem Erdboden gleichgemachter Dörfer und ungezählter Toter unter der Zivilbevölkerung auffallend zurückhaltend sind. Der selbst gerechtfertigte Krieg (Kosovo) gegen ein anderes Land macht es eben schwer, den selbst gerechtfertigten Krieg eines anderen Landes gegen sogenannte Terroristen zu verurteilen. Wer selbst den Krieg als »Fortführung der Politik mit anderen Mitteln« betrachtet, muss das zwangsläufig auch bei anderen akzeptieren. Insoweit hat das Wort vom Kosovo als der »Mutter des zweiten Tschetschenienkrieges« seine Berechtigung.
Doch die Ex-Supermacht greift nicht nur in Tschetschenien auf das Militärische zurück. Auch in der internationalen Politik Russlands wird dem militärischen Faktor eine offensichtlich größere Bedeutung beigemessen: In Japan drohte Jelzin Ende des letzten Jahres allen potenziellen Feinden unverblümt mit der A-Bombe und in der neuen Militärdoktrin wird auch der Ersteinsatz der A-Waffen einkalkuliert.
Ein Schritt zurück zur bipolaren Welt ist die Betonung des militärischen Faktors sicher nicht, dafür ist der Abstand zwischen Russland und den USA ökonomisch und militärisch viel zu groß; ob dieser Schritt die Chancen für eine neue russische Weltmachtrolle in einem multipolaren System verbessert oder ob es Schritt ist, der den ökonomischen Niedergang noch beschleunigt, das wird die Zeit zeigen, denn da spielen noch viele andere Faktoren eine Rolle.
Doch soviel steht fest: Ein Blick auf den Kosovo zeigt, der militärische Sieg der NATO hat die Probleme nicht gelöst, der Hass ist eskaliert und an ein ziviles Zusammenleben der unterschiedlichen Ethnien ist für eine überschaubare Zukunft nicht zu denken.
Ein Blick auf Tschetschenien zeigt, der militärische Sieg Russlands wird die Probleme nicht lösen, unter Umständen wird selbst der Kampf gegen die »Rebellen« noch Jahre dauern.
International stagniert seit längerem die Politik der Rüstungsbegrenzungs- und Abrüstungsvereinbarungen. Mit der »Neuauflage von SDI« drohen die USA auch bestehende Verträge wie den ABM-Vertrag auszuhebeln. Die stärkere Betonung des militärischen Faktors wird auch hier nicht zur Lösung von Problemen beitragen, im Gegenteil, sie wird bestehende Probleme verschärfen. Was wir brauchen ist eine zivile Politik und in die muss Russland als weltpolitisch wichtiger Faktor einbezogen werden, noch ist die Tür dafür offen.
Ihr Jürgen Nieth