Salamitaktiken der Militarisierung
Es ist nicht weniger als ein Paukenschlag: Nicht einmal 15 Jahre nach ihrer Aussetzung kehrt die Wehrpflicht zurück. Oder zumindest möchte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius das so. Beobachter*innen hatten lange davor gewarnt, dass es am Ende nur einen motivierten Minister brauche, um die Wehrpflicht zurückzubringen. Dass die Annäherung daran nun durch einen sozialdemokratischen Minister stattfindet, schmerzt manche umso mehr.
Was Boris Pistorius nun einführen möchte, lehnt sich an das »schwedische Modell« an – den Bundesgeschäftsführer der DFG-VK erinnerte das im Interview mit der taz eher an „Salamitaktik“: Es handelt sich zwar nicht um eine direkte Reaktivierung der Einberufung, wohl aber um einen verpflichtenden Fragebogen, den alle Schüler*innen erhalten, den aber nur die männlichen Schüler an das Rekrutierungsbüro zurückschicken müssen. Aus denen, die ihn ausgefüllt haben, wird eine gewisse Anzahl an Menschen zu einer ebenfalls verpflichtenden Musterung aufgefordert werden. Diese sollen „nach Eignung und Motivation“ für einen sechsmonatigen Grundwehrdienst gewonnen werden, der um 17 Monate verlängert werden kann. Dies soll am Ende die »Bedarfslücken« von knapp 15.000 Rekrut*innen verkleinern – Lücken, die durch den Umbau von Führungsstruktur und verändertem Einsatzziel der Bundeswehr »zurück zur Landesverteidigung« entstehen. Aus militärischer Logik wird schon seit Jahren eine »zu kleine« Truppe beklagt und spätestens seit der Ausrufung der »Kriegstüchtigkeit« ist die Aufstockung auf knapp über 200.000 Soldat*innen zur Chefsache erklärt.
Es sollte auch nicht vergessen werden, in welchem Klima der Diskussion über Zwangsdienste dieser Vorstoß nun kommt: So lobte die Wehrbeauftragte des Bundestages ausdrücklich den inhaltlichen Vorschlag von Bundespräsident Steinmeier, der schon 2022 ein verpflichtendes Dienstjahr als »Gesellschaftsjahr« oder »soziale Pflichtzeit« gefordert gebracht hatte. Weitere Sozial- und Wehrpolitiker*innen erheben ähnliche Forderungen. Das Gesellschaftsjahr des Bundespräsidenten gibt sich scheinbar egalitär: Wer hier lebt sollte auch seinen Dienst für die Gesellschaft erbringen. Dies dann zur Verbesserung der Generationengerechtigkeit und auch noch geschlechtergerecht gestaltet für alle – wer könnte etwas dagegen haben?
Dies muss auf zweierlei Weisen problematisiert werden: Einmal ist es eine hilflose Antwort auf sich vertiefende Krisen in Sozial- und Pflegeberufen, zum anderen bedeutet ein Eingriff in das grundgesetzlich verankerte Zwangsdienstverbot einen tiefgreifenden Wandel in den Grundfesten unseres Miteinanders.
Dass Artikel 12 des Grundgesetzes zur Berufsfreiheit und gegen Zwangsdienste formuliert wurde, ist kein historischer Zufall, sondern zentraler Baustein einer freiheitlichen Grundordnung. Dass nun diejenigen, die die Sicherung dieser Grundordnung stets beschwören, einen ihrer Pfeiler einreißen wollen, sollte sorgenvoll stimmen. Es beruhigt nur halb, dass Jurist*innen betonen, dass ein solches Pflichtjahr nicht machbar ist – denn dies gilt nur solange, bis eine Mehrheit für die Grundgesetzänderung zusammen ist.
Eine solche allgemeine Dienstpflicht würde zum Zweiten die Fortsetzung einer Dauerprekarisierung der Sozialberufe mit sich bringen, da viele ungelernte Kräfte zu untragbaren Bedingungen »freiwillig« und »sozial« in ihrem Gesellschaftsjahr Leistungen von Fachkräften erbringen würden. Dies war schon zu Zeiten des Zivildienstes ein großes Problem. Beinahe ironisch klingen die immer lauter werdenden Rufe aus der Politik nach »Fachkräften«, wird doch so die hemmungslose Ausbeutung vor wachsenden Profitmargen bei den großen privaten Sozial- bzw. Pflegeorganisationen und Krankenhausträgergesellschaften quasi vorprogrammiert.
Diese Trends kritisch zu betrachten und zu begleiten ist dringend vonnöten, auch und gerade aus den Wissenschaften heraus. Wir meinen, dass das interdisziplinäre Forschungsfeld der Friedens- und Konfliktforschung dazu aufgerufen ist, der Zielrichtung eines gesellschaftlich tief verankerten Militarismus aktiv entgegenzutreten. Dies ist nicht weniger wichtig, nur weil dies im Vergleich zur zwischenzeitlich verkündeten Stationierung von Langstreckenwaffen in Deutschland beinahe schon wieder zur Marginalie zu werden droht (mehr dazu S. 4).
Die empirischen Beispiele für die negativen und gewaltvollen Folgen solcher Unternehmungen liegen auf der Hand. Ihnen ist eine Kritik und Alternative entgegenzustellen. Die vorgebliche »Notwendigkeit« eines Gesamtstrukturumbaus der Bundeswehr mit höherem Personalbedarf ist zu hinterfragen. Die praktischen und diskursiven Folgen (volkswirtschaftliche Kosten, Rüstungsspiralen, gesellschaftliche Militarisierung u.a.) einer Wiedereinführung der Wehrpflicht sind deutlich herauszustellen. Die Gefahr der Vernachlässigung oder der Vereinnahmung ziviler Handlungsoptionen unter militärische Zielsetzungen ist – erst recht unter dem bis zur Unkenntlichkeit ausgedehnten Begriff der »integrierten Sicherheit« der Nationalen Sicherheitsstrategie – herauszustellen und für ihre Umkehr ist zu werben.
David Scheuing und Astrid Juckenack