W&F 2012/2

Schleichende Militarisierung

von Jürgen Nieth

„Verteidigungsminister de Maizière hatte beim Libyen-Konflikt nicht ausgeschlossen, dass man sich hier schone, um später Israel beistehen zu können – das ist mal so am Rande durchgegangen“, schreibt Friedrich Küppersbusch am 12.03.12 in der taz.

Die leisen Töne des »Neuen« gegenüber den großspurigen (auf die Medien orientierten) Auftritten seines Vorgängers zu Guttenberg scheinen tatsächlich dazu angetan, dass manches fast unbeachtet durchgeht. Zum Beispiel während seiner ersten großen Dienstreise nach Nordamerika im Februar. Veröffentlicht wurde nur seine Abschlussrede an der Harvard-Universität in Massachusetts. Das hat Gründe, denn was aus den Notizen der ihn begleitenden Journalisten in die deutschen Medien gelangte, zeigt zusammengesetzt ein Bild von einer geplanten Militarisierung der deutschen Politik, die erschreckt.

Militärdrehkreuz Köln-Bonn

Von einer gemeinsamen Pressekonferenz de Maizières mit dem kanadischen Verteidigungsminister, Peter MacKay, zum Auftakt der Reise berichtet die Süddeutsche Zeitung (15.02.12, S.6): Die beiden Minister haben vereinbart, dass der Flughafen Köln-Bonn zum „europäische[n] Stützpunkt eines weltweiten Netzes von Drehkreuzen der Kanadier werden [soll]. Mit Blick auf die Fluglärm-Debatten in Deutschland hob de Maizière hervor, dass die Entscheidung für Köln auch wegen der Möglichkeit von Nachtflügen gefallen sei. »Dies ist ein strategischer Vorteil, den muss man bewahren«, sagte der Minister.“ Eine vorherige Vorort-Absprache hielt der Minister offensichtlich nicht für notwendig. Der Kölner Flughafenchef, Michael Carvens, lehnte jedenfalls umgehend „kanadische Militärflüge ab, »vor allem zur Nachtzeit«“. (taz, 18.02.12, S.6)

Afghanistan-Einsatz nach 2014

Mit dem kanadischen Verteidigungsminister kam es auch zu einem Gedankenaustausch über den kanadischen Abzug aus Afghanistan. Ein Großteil der kanadischen Truppen wurde über den Flugplatz Spangdahlem nach Kanada zurück gebracht. Dazu die Financial Times Deutschland (15.02.12, S.12): „Allerdings hat sich Kanada nicht vollständig zurückgezogen, sondern unterstützt die NATO weiter mit einer [950 Soldaten umfassenden] Ausbildungsmission.“ Auch die Deutschen wollen nach de Maizière gehen, um zu bleiben. Weiter die FTD: „De Maizière sagte, man müsse vor und nach dem Abzug stets dafür sorgen, »dass unsere Soldaten geschützt sind«. Auch eine reine Ausbildungsmission, wie sie für die Zeit nach 2014 geplant ist, brauche ein sicheres Umfeld, das man gerade erst schaffe.“

Verdienstkreuz für Petraeus

Der Krieg in Afghanistan ist zwar verloren, aber er liegt dem Verteidigungsminister am Herzen. So überreichte er am 14. Februar in der deutschen Botschaft in Washington dem Chef des amerikanischen Geheimdienstes CIA, David Petraeus, das »Große Verdienstkreuz mit Stern« für seinen Einsatz als Kommandeur des Isaf-Einsatzes. Dazu die FAZ (16.02.12, S.5): „Petraeus kommandierte 2007 und 2008 die amerikanischen Truppen im Irak, von Juli 2010 bis Juli 2011 war er Isaf-Befehlshaber am Hindukusch. In diesem Zeitraum erreichte die Isaf mit rund 140.000 Soldaten ihre größte Mannschaftstärke.“ Sie zitiert aus der Begründung von de Maizière: „Ihr Name ist verbunden mit der Wende in Afghanistan nach zehn Jahren Kampfeinsatz.“ Der Verteidigungsminister erwähnte nicht, woran er diese Wende festmacht.

Beteiligung an der US-Raketenabwehr

Die US-Regierung muss sparen. „Mit Fort Bliss, dem Ausbildungszentrum in der texanischen Grenzstadt El Paso, schließt ein Traditionsstandort in den USA. Dort kümmern sich derzeit 170 Soldaten um die Schulung von Spezialisten an den Luftabwehrraketen vom Typ Patriot.“ (Lübecker Nachrichten, 17.02.12, S.6) Die bisher hier stationierten deutschen Soldaten sollen jetzt nach Husum (Schleswig-Holstein) verlegt werden.

Wegen Sparvorgaben droht auch dem „einzigen transantlantischen Rüstungsprojekt […] das vorzeitige Aus.“ Die US-Regierung erwägt, „noch vor dem Ende der Entwicklungsphase aus dem milliardenschweren Raketenabwehrsystem Meads auszusteigen“, schreibt die Financial Times Deutschland (17.02.12, S.10) Und weiter. „Sollten die USA ausscheren, wäre der Abschluss der Entwicklung inklusive zweitem Testschuss kaum möglich. Die Bundesregierung hat jedoch ein großes Interesse an belastbaren Ergebnissen, die sie für die Aufrüstung des Patriotsystems oder ein neues Abwehrsystem nutzen könnte.“

Da wird verständlich, warum de Maizière in Texas anbietet, „dass das »bewährte Patriot-System auch dazu geeignet ist, einen deutschen Beitrag beim Aufbau einer europäischen Raketenabwehr zu leisten«.“ (Stuttgarter Nachrichten, 17.02.12, S.3)

Veteranengedenktag

„Es war am Mittwoch im Regierungsflieger auf dem Weg von Washington zur amerikanischen Luftwaffenbasis Holloman in New Mexiko. Da kündigte der Minister an, er wolle noch in diesem Jahr ein »Veteranenkonzept« vorlegen […] Die Zeit sei reif, eine neue Tradition zu stiften“, schreibt die SZ (18.02.12, S.6). Und »Die Welt« meint: „Sein Besuch in Amerika scheint ihm nun der richtige Anlass, um das weite Thema »gesellschaftliche Anerkennung für die Streitkräfte« etwas voranzutreiben. »Wir brauchen eine neue Veteranenpolitik«, sagt de Maizière: »Das ist überfällig, wir haben uns viel zu lange davor gedrückt.« Noch in diesem Jahr werde er dazu ein Konzept vorlegen.“

Der »Veteranengedenktag« bleibt der einzige Punkt, der eine etwas größere Debatte auslöste. „In Berlin kritisieren Politiker von der Linken und von der SPD die »Militarisierung« der deutschen Politik. De Maizières Veteranentag wäre eine Fortsetzung der Grenzverschiebungen, zu denen schon jetzt öffentliche Gelöbnisse, Tapferkeitsmedaillen und Besuche von Bundeswehroffizieren in Schulen gehören. Dass der Minister angeregt hat, das Gedenken auf den Volkstrauertag zu legen – den Tag, den die Nazis zum »Heldengedenktag« machten –, sorgt für zusätzliche Empörung.“ (taz, 18.02.12, S.6)

Neue deutsche Stärke

An der Harvard-Universität zog de Maizière zum Abschluss Parallelen zwischen der gegenwärtigen Situation und den Anfängen des Deutschen Reiches 1871. „Er erklärte, die »Angst vor der eigenen Stärke« sei vorbei. Und versicherte, dass Deutschland sein Licht nicht unter den Scheffel stellen brauche. »Die Bundeswehr kann kämpfen und führen.«“ (taz, 18.02.12, S.6)

Nach Landes- oder auch Bündnisverteidigung hört sich das nicht an, eher nach weiteren Interventionskriegen.

Jürgen Nieth

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2012/2 Hohe See, Seite 4