W&F 2019/4

Schreckensbilder für den Frieden?

Zur Rolle gewaltvoller Bilder in Geschichte und Gegenwart

von Michaela Zöhrer

Rechtfertigt die Realität von Gräuel und Leid das Zeigen und Betrachten gewaltvoller Bilder? Die Zurschaustellung von Schreckens- und Elendsbildern gewinnt ihre Legitimität, wenn überhaupt, oft erst daraus, dass sie im Namen des Friedens, der Gerechtigkeit oder Menschlichkeit erfolgt. Denn es gibt Vorbehalte, dass insbesondere drastische, grausame Bilder von den Betrachtenden als unzumutbar erlebt und den dargestellten Menschen mit ihren jeweiligen Erfahrungen nicht gerecht werden, sie vielmehr zu Objekten degradieren. Was also spricht für, was gegen ein Zeigen gewaltvoller Bilder? Und wie verhält es sich mit Bildern, die vermeintlich Harmloses ausstellen und doch Gewalt antun und bezeugen? Anhand konkreter Beispiele setzt sich der Beitrag mit hoffnungsfrohen bis kritischen Wirkmächtigkeitszuschreibungen an Bilder auseinander, welche die Praxis der Zurschaustellung in Geschichte und Gegenwart begleiten.

Friedensbilder, verstanden als Bilder für den Frieden, sind oftmals Bilder von Leiden und Gräuel, die auf bestehende Missstände aufmerksam machen, die anklagen, um Veränderungen anzumahnen. So ist es bereits seit mehreren Jahrhunderten üblich, Bilder des Krieges ebenso wie des Hungers, der Verstümmelung und Vernichtung sowie der Verelendung anzufertigen und zu verbreiten – und das eben nicht ausschließlich zu Propagandazwecken im Kontext andauernder Konflikte und Herrschaftsbeziehungen. Verfolgt wird über das Zeigen von Schreckens- und Elendsbildern oftmals das Ziel, Mitglieder entscheidungsbefugter Gruppen sowie die Öffentlichkeit zu informieren und zu bewegen – sowohl »innerlich« als auch zum Handeln. Begegnet werden soll so aktuellen Missständen, und/oder es geht um die Schaffung einer friedfertigen (Erinnerungs-) Kultur.

Es ist kein Zufall, dass nach Möglichkeit Bilder gezeigt werden, wenn es darum geht, Menschen zu bewegen. Zu beobachten ist ein bis heute beinahe ungebrochener Glaube an die Macht der Bilder, nicht zuletzt von Fotografien, ganz nach dem Motto »Ein Bild sagt mehr als tausend Worte«.

Bilder als Gegenwaffe

Im Jahr 1926 vermerkte Kurt Tucholsky in »Die Weltbühne«: „Es gibt kein kriminalistisches Werk, keine Publikation, die etwas Ähnliches an Grausamkeit, an letzter Wahrhaftigkeit, an Belehrung böte. […] Geschriebene Bücher schaffen es nicht. Kein Wortkünstler, und sei er der größte, kann der Waffe des Bildes gleichkommen.“ (Friedrich 2015, S. LXXIV) Tucholsky schrieb dies mit Blick auf das bis heute populäre Fotobuch »Krieg dem Kriege« (Erstausgabe 1924) von Ernst Friedrich. Friedrich, der pazifistische, anti-nationalistische, anarchistische und kapitalismuskritische Ideen verfolgte, bemühte sich um die Verbreitung des Pazifismus, mindestens aber der Kriegsdienstverweigerung. Seine Kritik an einem zu Unrecht glorifizierten Militarismus suchte er über die visuelle Konfrontation des Publikums mit den Schrecken und Opfern des Krieges zu erreichen. Es war ihm ein Anliegen, Männer (und ihre Ehefrauen) darauf zu stoßen, dass sie Bauernopfer und Spielfiguren mächtiger Instanzen sind, die sich selbst die Finger nicht dreckig machen.

Tucholsky preist nicht nur die große Macht der Bilder, die er als „Gegenwaffe“ begreift (Friedrich 2015, S. LXXV). Zugleich deutet er Friedrichs Vorstoß als eine propagandistische Gegenwehr gegen die Zensur machthabender Eliten, denen er ein Interesse bescheinigt, die Gräuel des Krieges zu verbergen: „Das böse Gewissen, mit dem die Offiziere und Nationalisten aller Art verhindern und natürlich verhindern müssen, daß das wahre Gesicht des Krieges bekannt werde, zeigt, was sie von solchen Veröffentlichungen zu befürchten haben. (Tucholsky in Friedrich 2015, S. LXXIV)

Tatsächlich hebt sich »Krieg dem Kriege« gegenüber zeitgenössischen Publikationen, welche ihrerseits die Schrecken des Krieges zu Aufklärungszwecken vorführten, aufgrund der abgedruckten Fotos entstellter Gesichter ab, der so genannten »gueules cassées« (zerschlagenen Fressen). Gezeigt werden zwei Dutzend Porträts von Soldaten, deren Gesichter an der Front zerfetzt wurden, von jenen „Menschen ohne Gesicht“, die zur gleichen Zeit von der restlichen Zivilbevölkerung abgeschnitten in Spezialkliniken einquartiert waren, „weil ihr Anblick nicht aushaltbar war und ist“ (Krumeich in Friedrich 2015, S. XXX).

Auch heute kann es im Interesse machthabender Instanzen liegen, dass keine Bilder gewaltvoller Realitäten existieren, vorliegende Bilder gar nicht erst den Weg in die Öffentlichkeit finden, Gezeigtes als Fälschung und/oder Zeigende als Lügner*innen diskreditiert werden.

»War Porn«!?

Bilder, vor allem Fotografien, sind in der Lage, ein breites Spektrum an positiven wie negativen Gefühlen hervorzurufen. Das Auslösen von Gefühlen, wie Mitleid oder Empörung, gilt gemeinhin als erster Schritt, um ein Umdenken und Handeln einzuläuten. Zugleich wird aber auch angenommen, dass wir mit der Zeit und über eine andauernde Konfrontation mit den immer gleichen Schreckens- und Elendsbildern abstumpfen (Mitgefühlsmüdigkeit) – als medienkonsumierende Individuen wie auch als Gesellschaft. Kritisch hinterfragt wird zudem, ob bestimmte, grausame Bilder nicht sogar vorrangig unsere Sensations- und Schaulust befriedigen (Voyeurismus).

Entsprechende Vorbehalte werden heute zur Rechtfertigung des eigenen Nichthandelns herangezogen (Cohen 2001). Ferner stärken sie Positionen, die sich gegen das Zeigen von Schreckens- und Elendsbildern aussprechen.

Kritik an der Zurschaustellung von Gräuel und Leid wird immer häufiger unter Rückgriff auf den provokanten, reißerischen Anglizismus »Porn« formuliert. Christoph Bangert problematisiert entsprechende Sicht- und Zugangsweisen mit seinem Fotobuch »War Porn«, in dem Kriegsfotografien abgedruckt sind, deren Veröffentlichung renommierte Zeitungen mitunter aufgrund ethischer Bedenken abgelehnt hatten. Es sind ähnlich drastische, verstörende Bilder dabei wie in »Krieg dem Kriege«. Dennoch ist die angepeilte Provokation in diesem Fall eine andere: Bangert stellt weniger die wirkmächtigen, habitualisierten Vorstellungen und Einstellungen von Menschen gegenüber dem Krieg infrage, als jene gegenüber Kriegsbildern. Dem Fotojournalisten geht es um eine Problematisierung dessen, was hier und jetzt als zeigbar gilt. Wie viele andere vor ihm, die sich für das Zeigen auch grausamer Bilder ausgesprochen haben, hinterfragt Bangert Entscheidungen, Bilder nicht zu zeigen (etwa weil diese vorgeblich »War Porn« seien), letztlich mit Verweis auf die grausamen Realitäten jenseits der Bilder: Wie können wir es ablehnen eine schiere Repräsentation – ein Bild – eines entsetzlichen Ereignisses zur Kenntnis zu nehmen, während andere Personen gezwungen sind, dieses schreckliche Ereignis zu durchleben?“ (Bangert 2014, S. 5) (Zu »War Porn« von Bangert siehe auch Koltermann 2014.)

Und doch steht die Frage im Raum, inwieweit Bilder den dargestellten Menschen und ihren Erfahrungen gerecht werden können. Neben möglichen (befürchteten) Betrachtenden-Reaktionen werden insbesondere Gefahren einer Dehumanisierung, Objektivierung und Ausbeutung der gezeigten Personen aufgeführt, um das Nicht-Zeigen bestimmter Bilder zu begründen oder deren Zurschaustellung zu verurteilen.

Humanitäre Bilderwelten

Bilder können uns für ferne Wirklichkeiten interessieren, die sich jenseits unserer sinnlichen Reichweite, unserer sozialen Nahkreise und Lebenswelten und letztlich jenseits unserer wahrgenommenen Einflusssphären abspielen. Bilder, vor allem Fotografien, dienen einerseits als Beweise: »etwas ist passiert«; andererseits wird ihnen zugetraut, nicht nur geographische, sondern soziale Distanzen zu überbrücken. So wird mitunter davon ausgegangen, dass Bilder uns eine Identifikation mit uns unbekannten Anderen ermöglichen, auch mit jenen, mit denen wir keine partikularen sozialen Bindungen, jedoch unsere universale Menschlichkeit und Verletzlichkeit teilen. So bedienten sich bereits humanitäre Reformprojekte und soziale Bewegungen des späten 18. und 19. Jahrhunderts schriftlicher und visueller Zeugnisse von Gräuel, Leiden und Verwundbarkeit (Laqueur 2009).

Betrachtet man das historische Beispiel des Abolitionismus, zeigt sich, dass zuerst der verbreiteten rassistischen Vorstellung entgegengewirkt werden musste, Afrikaner*innen würden Schmerzen – gemäß der behaupteten Hierarchie der »Rassen« – nicht wie andere Menschen fühlen: „Die Schilderung der Schmerzen eines Sklaven war ein Beleg für die Ähnlichkeit des menschlichen Körpers über rassische Grenzen hinweg. (Clark 2007, S. 71) Wichtiges Beispiel für Bilder, die den Kampf gegen die Sklaverei maßgeblich stützten, sind die in den 1860er Jahren verbreiteten Darstellungen jenes Mannes, der als »Gordon aus Mississippi« bekannt wurde, eigentlich aber wohl Peter hieß und von einer Baumwollplantage aus Louisiana geflohen war (Abruzzo 2011, S. 201). Im Rahmen der Anti-Sklaverei-Bewegung wurden Bilder des von Narben gezeichneten Rückens des vormals versklavten Peter verbreitet, mit deren Hilfe die Grausamkeit der Sklavenhalter*innen nach Jahrzehnten des Berichtens endlich gezeigt und dergestalt belegt werden konnte: Die Fotografie »The Scourged Back« (Der gepeitschte Rücken) wurde als »Carte de Visite« verteilt und diente zudem als Vorlage für einen im Juli 1863 in der Zeitung »Harper’s Weekly« abgedruckten Stich.

Die große Ausstrahlungskraft der Bilder, die den Blick auf körperliche Versehrtheit richten, lenkte trotz aller unter Abolitionist*innen geäußerten Vorbehalte die Aufmerksamkeit auf die grausame Behandlung versklavter Menschen. Argumente, die auf Menschenrechte, Gleichheit sowie das Unrecht zielten, Menschen als Eigentum zu betrachten und zu behandeln, rückten in der Folge in den Hintergrund (Abruzzo 2011, S. 205). Entsprechend waren Peter als Person und seine Erfahrungen kaum von Belang, sondern lediglich sein von Narben gezeichneter Rücken als Verkörperung eines übergreifenden Leidens. Er wurde ähnlich wie viele heutzutage von Not und Gewalt betroffene Menschen im Zuge visueller Repräsentationspraxis zu einem objektivierten Beweis von Grausamkeit, zum vorgeführten Prototyp des hilfsbedürftigen Opfers, zu einem generischen, letztlich auf seine Körperlichkeit reduzierten Emblem.

Zur Gewaltsamkeit vermeintlich harmloser Bilder

Doch Bilder müssen keine Gräueltaten oder Elendsszenarien zeigen, um gewaltsam zu sein bzw. zu wirken. Oftmals sind es die Entstehungs- und Zurschaustellungskontexte der Bilder, die von Gewalt durchzogen sind. Beispiele hierfür finden sich unter anderem in visuellen Repräsentationen, die im Kontext »Kolonialismus« standen und stehen. Bilder stehen stets in sozialen Rahmen, die sie selbst mit aufzuspannen helfen. Es sind sprachliche, materielle, institutionelle, historische und/oder diskursive Rahmungen, welche die uns möglichen Lesarten maßgeblich informieren, wenn auch nicht festlegen.

Bilder werden nicht zuletzt von denjenigen, die sie zeigen, in spezifische Kontexte gestellt. Auf der Homepage des Projekts »Kolonialismus im Kasten« ist ein wenige Jahre altes Foto zu sehen, das die Vitrine zur Kolonialgeschichte des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin zeigt (Abb. 1). »Kolonialismus im Kasten« stellt einen alternativen, von postkolonialen Ansätzen informierten Audio-Guide zur Dauerausstellung des DHM zur Verfügung und ist damit ein Beispiel jener vielfältigen Initiativen, die die koloniale Vergangenheit und Verantwortung Deutschlands aufs Tapet bringen.

In der Mitte der gezeigten Vitrine hängt ein Plakat aus dem Jahr 1913, das eine Völkerschau bewirbt. Das Plakat titelt »Passage Panoptikum. 50 wilde Kongoweiber. Männer und Kinder in ihrem aufgebauten Kongodorfe. Ohne extra Entrée«. Die Macher*innen von »Kolonialismus im Kasten« halten zum Zeigen des benannten Plakats im Rahmen der DHM-Ausstellung Folgendes fest: „Auch hier stellt sich die Frage, ob – und wenn ja, wie – ein Museum ein Objekt präsentieren sollte, das so offensiv rassistische und sexistische Botschaften vermittelt. Der Begleittext erwähnt zwar die Zurschaustellung von Menschen als ‚exotische Sehenswürdigkeiten‘ oder zu ‚propagandistischen Zwecken‘, doch über diese Menschen, ihren Alltag und ihre Geschichten erfahren wir nichts […]. Die Platzierung des Plakats als auffälliger Blickfang im Zentrum der Vitrine trägt nicht dazu bei, den kolonialen Blick zu brechen – im Gegenteil, es scheint, als sollte das Plakat abermals den Zweck erfüllen Publikum anzulocken, nur diesmal eben Museums- statt Panoptikumsbesucher*innen. (Kolonialismus im Kasten o.J.)

Das erneute, weitgehend unkritische Zeigen historischer Bilder, die ursprünglich im Kontext »Kolonialismus« standen, sowie allgemeiner die Reproduktion jener Weltenbilder, die einen kolonialen Blick formieren, stören jedenfalls den sozialen Frieden, insofern sie Eurozentrismus, Paternalismus und (Alltags-) Rassismus befördern. Vielerlei gegenwärtige Kritiken am Zeigen gewaltvoller Bilder sind nicht als Aufforderung zur Zensur zu begreifen. Ausgesprochen wird sich nicht pauschal gegen jedwede (Wieder-) Ausstellung entsprechender Bilder. Gefordert wird jedoch, deren Zurschaustellung vorrangig als problematisch und rechenschaftspflichtig anzusehen (und damit möglichst zu vermeiden). Wenn man sich dennoch für das Zeigen entscheidet, sollte das Gezeigte jedenfalls in einen Kontext gestellt werden, der nicht nur historisch rahmt, sondern auch unreflektierte Sehgewohnheiten irritiert und problematisiert. Damit einhergehen sollte nach Möglichkeit ein Angebot neuer Sicht- und Zugangsweisen.

Literatur

Abruzzo, M. (2011): Polemical Pain – Slavery, Cruelty, and the Rise of Humanitarianism. Baltimore: Johns Hopkins UP.

Bangert, Ch. (2014): War Porn. Heidelberg: Kehrer Verlag.

Clark, E.B. (2007): „Die heiligen Rechte der Schwachen“ – Schmerz, Mitgefühl und die Kultur individueller Rechte in Antebellum Amerika. In: van der Walt, S.; Menke, Ch. (Hrsg.): Die Unversehrtheit des Körpers. Frankfurt a. M.: Campus, S. 57-86.

Cohen, S. (2001): States of Denial – Knowing about Atrocities and Suffering. Cambridge: Wiley.

Friedrich, E. (2015, Erstausgabe 1924): Krieg dem Kriege. Neu herausgegeben vom Anti-Kriegs-Museum Berlin. Mit einer Einführung von Gerd Krumeich. Berlin: Ch. Links Verlag.

Kolonialismus im Kasten (o.J.): Kolonialismus im Kasten revisited. Online unter kolonialismusimkasten.de/kik-revisited/.

Koltermann, F. (2014): Bilderkrieger im »War Porn?«? W&F 4-2014, S. 44-45.

Laqueur, Th.W. (2009): Mourning, Pity, and the Work of Narrative in the Making of »Humanity«. In: Wilson, R.A.; Brown, R.D. (eds.): Humanitarianism and Suffering – The Mobilization of Empathy. Cambridge: Cambridge University Press, S. 31-57.

Michaela Zöhrer ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung der Universität Augsburg.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2019/4 Ästhetik im Konflikt, Seite 23–25