W&F 2018/3

Sexualisierte Gewalt als »Kriegsstrategie«?

Zur Problematik dieser Rahmung

von Ruth Seifert

In einer Reihe von Resolutionen des UN-Sicherheitsrates wurden in den vergangenen 20 Jahren die Position von Frauen in bewaffneten Konflikten und das Problem sexueller bzw. sexualisierter Gewalt behandelt. In diesen Resolutionen wird sexualisierte Gewalt – gemeint ist sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen- als »Kriegswaffe« oder »Kriegsstrategie« gerahmt. Die Autorin hinterfragt diese Rahmung, begründet, warum sie sogar kontraproduktiv sein kann, und weist darauf hin, dass sexualisierte Gewalt gegen Männer in diesem Kontext fast aus dem Blick gerät. Deshalb fordert sie eine neue theoretische und politische Auseinandersetzung mit der Thematik.

Nach einer Hochkonjunktur des Themas »sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten« im politischen und akademischen Diskurs in den 1990er Jahren verlagerte sich das Interesse nach der Jahrhundertwende schwerpunktmäßig auf empirische Erhebungen und politisch-rechtliche Interventionen. Wegweisend war dabei die Resolution 1325, »Frauen, Frieden und Sicherheit«, des UN-Sicherheitsrats im Jahr 2000, in der – auf eine kurze Formel gebracht – die Mitgliedsstaaten aufgerufen wurden, Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten vor geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zu schützen und ihre Teilnahme am Friedensprozess zu sichern.

Die Nachfolge-Resolutionen 1820 (2008), 1888 (2009) sowie 1960 (2010) bekräftigen jeweils die Forderungen der Resolution 1325 und fordern darüber hinaus Maßnahmen zur effektiven Verfolgung der Täter, die Einsetzung eines*einer Sonderbeauftragten für sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten und von Expertenteams zur Untersuchung von sexualisierter Gewalt sowie ein Mandat für Peacekeeper-Truppen zum Schutz von Frauen und Kindern. Resolution 2272 (2016) thematisiert schließlich sexuelle Übergriffe von Seiten des Peacekeeping-Personals. All diese Resolutionen verfolgen das Ziel, die Position von Frauen in bewaffneten Konflikten und das Problem sexueller bzw. sexualisierter Gewalt zu einem Thema der Sicherheitspolitik und der internationalen Beziehungen zu machen. Insbesondere argumentieren sie, dass sexualisierte Gewalt zum Aufgabenbereich des UN-Sicherheitsrats gehört.

Das Interesse verlagerte sich im Zuge dieser Initiativen zunehmend von der Analyse der Hintergründe und verursachenden Mechanismen sexualisierter Gewalt auf die »Lösung des Problems«, die in politischen und rechtlichen Initiativen gesehen wurde. Wesentlich dafür war die Rahmung sexualisierter Gewalt als »Kriegswaffe« oder »Kriegsstrategie«, wie sie in den oben genannten UN-Resolutionen vorgenommen wurde.

Die Verlagerung der Debatte auf die politisch-rechtliche Ebene ging einher mit einem Wechsel der Akteur*innen, die die Resolutionen anschoben. Ging Resolution 1325 noch überwiegend auf Bottom-up-Initiativen von transnationalen Nichtregierungsorganisationen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zurück, waren die folgende Resolutionen Top-down-Initiativen von Akteur*innen, die von Crawford (Crawford 2017) als »systemimmanente Expert*innen« (embedded experts) bezeichnet werden, unter ihnen Spitzenpolitikerinnen, wie Hilary Clinton und Condoleezza Rice.

In den ersten Interventionen, die in den 1990er Jahren erfolgten, wurde der Terminus »Kriegswaffe« oder »Kriegsstrategie« zur Charakterisierung sexualisierter Gewalt eher in skandalisierender und weniger in analytischer Absicht eingeführt: In den 1990er Jahren waren die (geschlechter-) politischen Verhältnissen dergestalt, dass es möglich geworden war, sexualisierte Gräueltaten aus einer kulturellen Grauzone des Verdrängens und (aktiven) transnationalen Verschweigens zu holen. Es gelang zu verdeutlichen, dass sie offenbar integrale Bestandteile gewaltsamer Konflikte vieler (wenn auch nicht aller) Konflikte waren und der Politisierung, der wissenschaftlichen Untersuchung und der menschenrechtlichen Thematisierung bedurften.

Es war bereits damals klar, dass die Begrifflichkeiten »Kriegswaffe« und »Kriegsstrategie« in analytischer Hinsicht problematisch waren (vgl. dazu Seifert 1995). Mit Blick auf neuere Arbeiten ist zwar festzuhalten, dass der Begriff der »Strategie« Wechselfällen unterliegt und von gesellschaftlichen Institutionen, Normen und kulturellen Besonderheiten abhängig ist (vgl. Heuser 2010). Insbesondere in so genannten »neuen Kriegen« findet, wie Gause feststellt, eine Vermischung von taktischer, operativer und strategischer Ebene statt, die amorphe Zustände höchster sozialer Spannung auslöst, in denen das Verhalten der Akteure „Mustern und Strukturen der Vergangenheit […] sowie den Umweltbedingungen des Systems (Gause 2011, S. 189) folgt. Entsprechend darf man folgern, dass die Konfliktdynamik damit nicht völlig militärisch planvoll ist. Dennoch: Soll der Begriff der »Strategie« oder des »Einsatzes als Kriegswaffe« Sinn ergeben, so beinhaltet er ein Minimum an planvollem und mit Bewusstsein vorgenommenem Einsatz militärischer Mittel zu bestimmten, insbesondere politischen, Zielsetzungen mit dem Zweck der Durchsetzung eigener Ziele gegen den Willen des Gegners (vgl. Heuser 2010; Liddell Hart 1967, S. 351).

Eben hier lag von Anfang an die Problematik, sexualisierte Gewalt als »Kriegswaffe« oder »Kriegsstrategie« zu bezeichnen. Zwar gibt es in einigen Fällen Hinweise darauf, dass sexualisierte Gewalt vonseiten der militärischen Führung eingeplant und/oder zielvoll eingesetzt wurde. So stellte Bassiouni1 fest, dass die sexualisierten Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien an ganz verschiedenen Orten stattfanden, aber dennoch systematische und konsistente Muster aufwiesen und über lange Zeiträume hinweg anhielten, was ohne die Billigung der politischen und militärischen Führung auf allen Ebenen nicht möglich gewesen wäre. In der Folge drängte sich die Schlussfolgerung einer systematischen Planung und Durchführung auf. Darüberhinaus gab es Aussagen von Soldaten, die über Vergewaltigungsbefehle berichteten (Bassiouni 1994, S. 22 ff.; Mazowiecki Report 1995). Für die Demokratische Republik Kongo wurde berichtet, dass sexualisierte Gräueltaten bewusst zur Provokation der kongolesischen Regierung eingesetzt und von lokalen Milizen und Rebellen dazu benutzt wurden, die Regierung an den Verhandlungstisch zu zwingen (Autessere 2012). Aus einer empirisch gesättigten Untersuchung verschiedener Konfliktszenarien geht hervor, dass sexualisierte Gewaltakte in Sierre Leone ebenfalls bestimmten Mustern folgten und die Funktion hatten, die Gruppenkohäsion in wenig kohäsiven militärischen Gruppen zu erhöhen (Cohen 2013). Allerdings ist zumeist nicht nachweisbar, dass es sich um Befehle handelte oder Soldaten zu sexualisierten Gewalttaten aufgefordert wurden (Mühlhäuser 2010, S. 73 ff.).

Bei Resolution 1820 (2008) hingegen handelte es sich bei der Wahl des Begriffs »Kriegsstrategie« nicht um den Versuch der Skandalisierung, sondern um eine »strategische Rahmung«, verstanden als eine spezifische diskursive Konstruktion einer Problematik, die bestimmte Bedeutungsaspekte einer Situation hervorhebt und zu einer kohärenten Interpretation einer Situation führen soll (Cohen 2014, S. 55). Diese spezifische Rahmung beinhaltete zum einen eine tendenziell genderspezifische Verengung sexualisierter Gewalt. Zwar taucht in Resolution 1820 erstmals der Hinweis auf, dass auch Männer von sexualisierter Gewalt betroffen sein können, was in Resolution 1888 etwas weiter ausgeführt und spezifiziert wurde; allerdings wurden daraus keine praktisch-politischen Folgerungen abgeleitet. Die Rahmung als »Kriegswaffe« oder »Kriegsstrategie« hatte zum anderen die Zielsetzung, den Sicherheitsrat, als „global höchste politische und normative Instanz“ (Crawford 2017, S. 4) davon zu überzeugen, dass sexualisierte Gewalt in seinen Zuständigkeitsbereich fällt und nicht ausschließlich ein menschenrechtliches, sondern auch ein sicherheitspolitisch relevantes Problem darstellt, das staatliche Sicherheitsinteressen tangiert. Ohne die Rahmung wäre, so Crawford (ibid., S. 14), Resolution 1820 aller Wahrscheinlichkeit nach nicht durch den Sicherheitsrat gegangen.

Kosten der »strategischen Rahmung«

Für diese »strategische Rahmung« hatte es also gute politische Gründe gegeben; sie hatte allerdings Kosten, die sowohl auf politischer wie auch auf analytisch-theoretischer Ebene zu verorten sind. In praktisch-politischer Hinsicht muss, sofern eine Aktivierung des Sicherheitsrats angestrebt wird, nachgewiesen werden, dass sexualisierte Gewalt strategisch eingesetzt wird. Das schränkt die politischen, rechtlichen und humanitären Handlungsmöglichkeiten ein, da die systematische und taktische Natur der Gewalttaten bzw. ihr absichtsvoller, auf die Bekämpfung des Feindes ausgerichteter Einsatz nachgewiesen werden muss (Crawford 2017) – ein Nachweis der naturgemäß in vielen Szenarien schwer zu führen ist.

Desweiteren wird sexualisierte Gewalt gegen Männer politisch bzw. menschenrechtlich, aber ganz wesentlich auch theoretisch zu einem zunehmend dringenden Problem. Die Erhebung empirischer Daten ist notorisch schwierig, was auch daran liegt, dass, wie eine Abfrage in 189 Ländern ergab, in ihrem Strafrecht 62 nur Frauen als Opfer und 28 nur Männer als Täter sexualisierter Gewalt kennen (Solangon/Patel 2012). Dennoch häufen sich die Hinweise, dass sexualisierte Gewalt gegen Männer ein dramatisch unterschätztes und, wie eingeräumt wird, ein aktiv aus historischen und empirischen Quellen getilgtes Phänomen ist (O’Móchain 2015; Cohen 2014, S. 127 ff.).

Sexualisierte Gewalt gegen männliche politische Gegner ist, um einige Beispiele zu nennen, dokumentiert in Chile, im ehemaligen Jugoslawien, im Iran, in Kuwait, in der ehemaligen Sowjetunion, in der Demokratischen Republik Kongo. Von 6.000 befragten Gefangenen eines KZ nahe Sarajevo im Jugoslawien-Konflikt berichteten 80 %, sie seien vergewaltigt worden. Sexualisierte Gewalt gegen Männer war, um ein weiteres Beispiel zu nennen, Bestandteil der von Angehörigen der US-Armee ausgeübten Folter in Abu Ghraib (Stemple 2009, S. 612 f.; Sivakumaran 2009). Allerdings können in 90 % der Krisengebiete dieser Welt Männer, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren, weder Hilfe noch Schutz erhalten (Solangon/Patel 2012; Dolan 2014). Zeichneten sich die Menschenrechtsdiskurse lange Zeit durch eine fast völlig Vernachlässigung der Menschenrechtsverletzungen an Frauen aus, so ist aktuell sexualisierte Gewalt gegen Männer als blinder Fleck anzusehen.

Erneute Theoretisierung und Politisierung des Themas sind nötig

Was eine weitergehende Theoretisierung sexualisierter Gewalt anbetrifft, die auch das Problem der Betroffenheit von Männern zu berücksichtigen hat, so ist sie für die Rahmung als »Kriegswaffe« marginal, wenn nicht störend. Sie ignoriert darüber hinaus bereits vorhandene Ansätze, die über einen engen »Kriegsstrategie«-Ansatz hinausgingen und die kriegsstrategische Wirkung sexualisierter Gewalt in komplexeren, kulturtheoretisch zu erklärenden Kontexten verorteten. Beispielhaft dafür sind Ansätze, die auf die Verquickung von Konstruktionen von Gender, Nation und kollektiven Konflikten verweisen (z.B. Hayden 2000; Seifert 2003) und zumindest teilweise Antworten auf Fragen wie diese geben: Warum ist sexualisierte Gewalt alles andere als eine stets auftretende Begleiterscheinung aller bewaffneter Konflikte, sondern sind vielmehr bestimmte Erscheinungsformen an spezifische Kriegsszenarien gebunden? Warum gibt es unterschiedliche Häufigkeiten und Erscheinungsformen, je nachdem, ob es sich um Staatenkriege, Bürgerkriege, ethnonationale Kriege oder sezessionistische Kriege handelt? Warum wird sie von verschiedenen Akteuren in bewaffneten Konflikten in unterschiedlicher Weise gehandhabt? (Vgl. im Detail Wood 2006; Cohen 2013)

Illustriert werden kann dies mit der wegweisenden Arbeit von Hayden aus dem Jahr 2000, der sexualisierte Gewalt in der indischen Punjab-Region 1947, in Delhi 1985, in Hyderabad 1990 und im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahre untersuchte. Er stellte fest, dass in allen untersuchten Beispielen sexualisierte Gewalt dann verstärkt ausgeübt wurde, wenn neue geographische und soziale Grenzen gezogen werden sollten und sich eine Region in einem undefinierten Übergangszustand befand, in dem die Machtverhältnisse unklar waren. In diesen Situationen macht nicht ausschließlich »Weiblichkeit« Frauen zu Zielscheiben sexualisierter Gewalt, sondern die Intersektionalität von Gender mit anderen Identitätsmarkern, wie Nationalität, Ethnizität oder Religion (z.B. Hayden 2000; Seifert 2002 und 2003; Koo 2002).

Der hinter diese – hier nur kurz angedeuteten – Ansätze zurückfallende Topos von sexualisierter Gewalt als Kriegswaffe gibt eine Darstellung als in besonderer Weise verabscheuungswürdige Gräueltat, die jenseits der in kriegerischen Konflikten legitimen Gewaltausübung zu verorten sei. Diese Rahmung bezeichnet Meger (2016, S. 149 ff.) als „Fetischisierung“, da sie a) sexualisierte Gewalt dekontextualisiert und als »unakzeptable Kriegsgewalt« absondert von »akzeptabler« Gewalt, b) sie auch im internationalen Recht als sozusagen abweichenden Sonderfall von »normaler« Gewalt darstellt und c) sie in den Medien und in einer Helferindustrie, die nicht mehr unbedingt am Nutzen für die Betroffenen ausgerichtet ist, kommodifiziert (vgl. im Detail ibid.). Darüberhinaus, so könnte man hinzufügen, impliziert dies eine Hierarchisierung von Opfern und suggeriert, dass sexualisierte Gewalt aus dem Kriegsgeschehen zu tilgen sei, während andere Kriegsgräuel als »normal« und »akzeptiert« praktisch wie theoretisch unproblematischer seien und nicht in Bezug zu sexualisierter Gewalt gesetzt werden müssten.

Schließlich ist zu konstatieren, dass die weitgehend ignorierte sexualisierte Gewalt gegen Männer wesentlich ein feministisches Thema ist: Die Unsichtbarmachung des männlichen Opfers ist ein massiver Beitrag zu einer Geschlechterkonstruktion, in der Frauen als verletzungsoffen und Männer als verletzungsmächtig konstruiert werden. Angesichts der Realitätswirksamkeit kultureller Konstruktionen kann davon ausgegangen werden, dass die Ausblendung männlicher Opfer sexualisierter Gewalt keineswegs weiblichen Betroffenen zugute kommt (wie in einigen feministischen Zirkeln gelegentlich behauptet), sondern vielmehr die weibliche Opferrolle verstärkt und auf diese Weise die Positionierung von Frauen in gewaltsamen Konflikten eher noch prekärer macht.

Eriksson Baaz and Stern (2012 und 2018) stellen fest, theoretische Ansätze zum Thema sexualisierte Gewalt in kriegerischen Konflikten seien schwer fassbar und entzögen sich einer klaren Logik. Sie entziehen sich einer klaren Logik, weil das Phänomen selbst diese Logik nicht aufweist: Bei der Analyse der Problematik befinden wir uns in einem Minenfeld diverser politischer und sozialer Hintergründe, kultureller Muster und Mechanismen und nicht zuletzt strategischer Effekte. Was eine Fassung so schwierig macht, ist die Tatsache, dass Gewalttaten im Allgemeinen und sexualisierte Gewalt im Besonderen tief eingebettet sind in variierende kulturelle Kontexte: Was wesentlich in einem Kontext ist, mag es im anderen nicht sein. Angesichts der kulturell hochgradig aufgeladenen Bedeutung von Gewalt und der vielen Bedeutungen und Funktionen, die sexualisierte Gewalt in kollektiven Konflikten haben kann, kann man einen symbolischen Overkill oder mit Foucault eine Hypersaturierung mit Bedeutungen konstatieren. Ansätze, die das ignorieren und sich auf die Rahmung als »Kriegswaffe« oder »Kriegsstrategie« kaprizieren, konnten bisher wenig zu einer effektiven Bekämpfung des Phänomens beitragen. Im Gegenteil, es gibt Hinweise darauf, dass sie eher Anreize zur Ausübung sexualisierter Gewalt geben, da einige bewaffnete Gruppen sie neuerdings als politische Verhandlungsmasse einsetzen (vgl. Autessere 2012). Die weitergehende theoretische Analyse mag weniger leicht zugänglich sein als ein policy-orientierter Diskurs über sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe, für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Problem scheint eine Re-Theoretisierung und in der Folge Re-Politisierung allerdings unverzichtbar.

Ansätze für eine weitergehende Analyse finden sich in Soziologien und Anthropologien der Gewalt, die davon ausgehen, dass Gewalthandlungen nicht nur Funktionen, sondern auch kulturelle Bedeutungen haben, die den Handelnden nicht bewusst zugänglich sind, sich aber gleichwohl in Gewalthandeln übersetzen, da die Handelnden auf „Archive unbewusster Erinnerungen“ (Hayden 2000, S. 30) zurückgreifen, die im kulturellen Bestand vorhanden sind und das kollektive Handeln beeinflussen. Im Gewaltakt werden somit die kulturell geformten Erfahrungen der Täter mit denen der Opfer in einem spezifischen sozialen Zusammenhang verknüpft (von Trotha 1997, S. 31). In der Folge kann eine Analyse des Gewaltaktes auf die „kulturellen, geschlechtsspezifischen, religiösen, politischen und sonstigen Vorstellungen, Deutungen und symbolischen Interpretationen des Leibes nicht verzichten“ (Nedelmann 1997, S. 76). Die Analyse muss also notwendigerweise kontextuell sein und kann sich nicht in der Feststellung einer strategischen Funktion erschöpfen, sondern muss die Aufmerksamkeit richten auf den kulturellen, organisatorischen, institutionellen und situativen Kontext, in dem Gewalthandeln stattfindet und in den die Leiblichkeit von Opfern und Tätern jeweils eingebettet ist.

Anmerkung

1) Sonderberichterstatter der Sachverständigenkommission des Sicherheitsrats zu Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht im ehemaligen Jugoslawien 1992-1994.

Literatur

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Ruth Seifert ist Professorin für Soziologie an der Hochschule Regensburg (OTH). Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Gender und kriegerische Konflikte, Gender und Militär, Theorien von Inklusion /Exklusion.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2018/3 Gender im Visier, Seite 28–31