Soziale und politische Bewegungen im Austausch
21. Internationale Münchner Friedenskonferenz, 17.-19. Februar 2023
Die Internationale Münchner Friedenskonferenz findet seit 2003 alljährlich im Februar parallel zur Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) statt. Sie ist die inhaltlich qualifizierte Alternativveranstaltung zur MSC. Die Friedenskonferenz zeichnet sich dadurch aus, dass Sicherheit nicht militärisch, sondern humanitär und umfassend gedacht wird. Dabei priorisiert die Friedenskonferenz die Sicherheitsbedürfnisse der Zivilgesellschaft gegenüber den Interessen wirtschaftlicher und politischer Entscheidungsträger:innen.
Die Friedenskonferenz 2023 erhielt einerseits ein vermehrtes Medieninteresse aufgrund des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges der russischen Armee auf die Ukraine, andererseits war sie pauschalen Anfeindungen aus Politik und Gesellschaft ausgesetzt und rang um Abgrenzung gegenüber rechtspopulistischen Bewegungen wie der aus den Corona-Spaziergängen entstandenen Demonstrationsbewegung »München-steht-auf«.
In Zeiten verstärkter Militarisierung der Gesellschaft und eines 100 Mrd. Euro schweren Aufrüstungsprogramms nahm die Friedenskonferenz den Impuls aus der Friedensbewegung auf, sich im Sinne eines umfassenderen Sicherheitsbegriffs mit der Klima- und anderen sozialen Bewegungen zu verbünden, gemeinsame Ziele auszuloten wie auch die Differenzen klar zu benennen, um so zu einer stärkeren Stimme zivilgesellschaftlicher Akteure zu gelangen.
Die Auftaktveranstaltung »Die Zivilgesellschaft und die vermeintliche ‘Zeitenwende’« wagte sogleich das Experiment, soziale und gewerkschaftliche, Umwelt- und Friedensbewegungen auf dem Podium miteinander ins Gespräch zu bringen.
Vertreter:innen von ver.di (Sabine Gruber), der Letzten Generation (Ernst Hörmann), dem Münchner Migrationsbeirat (Mustafa Erciyas), IPPNW (Dr. Lars Pohlmeier) und dem deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes (Clemens Ronnefeldt) diskutierten auf dem Podium über den Ukraine-Krieg und seine Auswirkungen auf Politik und Zivilgesellschaft in Deutschland. In der Perspektivenvielfalt wurde sichtbar, dass die Auswirkungen sehr viel umfassender sind, als dies von einer einzigen Bewegung ausgedrückt werden könnte. So berichteten die Diskutant*innen von den Auswirkungen internationaler Krisen auf Migrant:innen in München, vom Potential des Atomwaffenverbotsvertrags für zukünftige Friedenssicherung und von der Bedeutung gestärkter Diskussionskultur in der Gesellschaft und den Betrieben.
Die Podiumsdiskussion war ein erster Schritt, um die politischen Vertreter*innen der verschiedenen politischen und sozialen Bewegungen in Begegnung miteinander zu bringen. Manche Rahmenbedingungen erschwerten den Dialog und teilweise schien es, als fehlte den Teilnehmenden eine gemeinsame Sprache für die Probleme, die sie thematisierten. Dennoch wurde am Ende gemeinsam der Appell »Müncher:innen für den Frieden«1 – ein Kompromiss der Forderungen der verschiedenen Organisationen – an die Stadt- und Landespolitik, sowie an die Bundesregierung verabschiedet.
Im Prozess der Annäherung der diversen sozialen und politischen Bewegungen waren im Wesentlichen zwei Motive zu erkennen. Zum einen der Wunsch nach einem »Schulterschluss« der Zivilgesellschaft angesichts der Verschiebung gewaltiger finanzieller Mittel und Arbeitskraft in den Bereich Bundeswehr und Militarisierung durch den neuen Bundeshaushalt, dem eine umso gewaltigere Lücke in der Finanzierung der Bereiche Soziales und Integration, Klimaschutz und Artenvielfalt, Gesundheit und Pflege gegenübersteht.
Ein zweites Motiv könnte als die Transformation (der Friedenskonferenz) durch Vernetzung bezeichnet werden. Die Ziele der Friedensbewegung können nur durch Menschenfreundlichkeit, Inklusion, Intersektionalität, Internationalität und Intergenerationalität erreicht werden. Ein Ziel der Friedenskonferenz lautete folgerichtig: „Mit unserem Handeln und der »Internationalen Münchner Friedenskonferenz« setzen wir uns dafür ein, dass Menschen in Frieden und sozialer Gerechtigkeit miteinander leben und verantwortungsvoll mit der Natur umgehen.“2 Ausgehend von diesem Anspruch sind beinahe selbstverständlich soziale und politische Bewegungen in den Bereichen Sorgearbeit, Ökologie, Antikapitalismus, Migration, Rassismus, Feminismus und Queerness natürliche Partnerinnen der Friedensbewegung. Dies sind Bewegungen wie zum Beispiel Fridays for Future, Letzte Generation, die Migrationsbeiräte und Flüchtlingsräte, Black Lives Matter oder Omas gegen Rechts. Eine solche Verbindung wird dann auch immer wieder eine Aktualisierung der Aktions- und Protestformen mit sich bringen.
Die Zielfrage der Konferenz lässt sich in Kürze so zusammenfassen: Ist es möglich, gemeinsam für die Beendigung von Gewalt in all ihren Formen zu kämpfen?
Voraussetzung jeglicher Kooperation ist es, die gemeinsamen Ziele aber auch Unterschiede und Differenzen zu klären. Ein Fundament für eine Zusammenarbeit unter der Idee des Friedens ist daher die gemeinsame Klärung der Begriffe »Frieden« und »Sicherheit«. Der Workshop zur Sozialen Verteidigung, organisiert von Nele Anslinger (BSV) und Jochen Neumann (KURVE Wustrow), stieß mit 70 Teilnehmenden auf überraschend große Resonanz und ging den folgenden Fragen in einem interaktiven Format nach: Was wollen wir eigentlich verteidigen? Wovon fühlen wir uns bedroht? Was ist für uns Sicherheit?
In lebhafter Kleingruppenarbeit kristallisierten sich unter anderem Bildung, Freiheit, Selbstbestimmung, bezahlbarer Wohnraum, sozialer Ausgleich, Vielfalt, freie Meinungsäußerung heraus. Bedrohung gegen diese Werte kann von innen wie von außen kommen. Eine wehrhafte demokratische Gesellschaft bedarf einer wehrhaften Struktur, welche in Form von sozialer Kompetenz vermittelt und angeeignet werden muss. Die persönliche Haltung einer so verstandenen Zivilcourage spielt somit für gemeinsame Soziale Verteidigung eine tragende Rolle. Soziale Verteidigung in der Tradition und als Baustein der gewaltfreien Konflikttransformation soll auf zukünftigen Friedenskonferenzen verstetigt werden.
Demgegenüber standen Möglichkeiten und Auswirkungen der militärischen Verteidigung und Interventionen in den Beiträgen des Samstagabends im Zentrum. Eine Klammer des Abends bildete der Vortrag von Prof. Dr. Claudia Paganini, Professorin für Medienethik »Die Macht der Bilder. Kriegsberichterstattung aus der Perspektive der Medienethik«. Prof. Paganini stellte dar, dass Gewalt in Medien abgebildet, gedeutet, problematisiert oder aber befördert wird.
Dr. Fahim Amir kontextualisierte und historisierte in seinem Vortrag den 2021 beendeten Krieg in Afghanistan und reflektierte ihn mit Bezug auf den aktuellen Krieg in der Ukraine. Dr. Amir referierte über die Doppelmoral des Westens, die Drohnenpolitik und die radioaktive Verseuchung durch Uranmunition. Mit dem zerstörten Land und einer verlorenen Generation muss das afghanische Volk nun leben.
Bereits 2001 mit dem »War on Terror« hatte George W. Bush nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September eine Zeitenwende ausgerufen, so die Feststellung im folgenden Vortrag von Andreas Zumach. Den Begriff der »Zeitenwende« sieht Zumach als „ideologischen Kampfbegriff“. Das Ziel des Krieges in Afghanistan wurde nicht erreicht. Dies sollte uns eine Warnung sein, jetzt wieder eine Zeitenwende auszurufen und den Krieg als alternativlos darzustellen. Eine umfassende Evaluation des Krieges in Afghanistan und seiner Lehren bleibe Aufgabe der Friedensbewegung.
Das Podium der Zivilgesellschaft mit sozialen, gewerkschaftlichen und politischen Umwelt- und Friedensbewegungen hat auf eine gewisse Weise die Realität in der Gesellschaft gespiegelt: mit der Fokussierung auf die je eigenen Themen und ohne Blick für die gemeinsam geteilten Ziele, Gewalt in all ihren Formen – ob als Ausbeutung in der Arbeitswelt, Rassismus, Zerstörung der Umwelt oder im Krieg – zu bekämpfen und die menschlichen Beziehungen zu stärken. Dieses Experiment, der Prozess der Annäherung, bleibt weiterhin eine Herausforderung der Friedenskonferenz und der Friedensbewegung im Größeren.
Anmerkungen
1) Der Appell findet sich auf der Homepage der Friedenskonferenz: friedenskonferenz.info/appell-der-zivilgesellschaft-muenchnerinnen-fuer-den-frieden
2) Dieses Zitat ist dem Selbstverständnis der Münchner Friedenskonferenz entnommen. Siehe: friedenskonferenz.info/ueber-uns/#Menschenrechte
Maria R. Feckl