Spectres of Justice
Konferenz von Re-Konfigurationen, Turning Points und ZfK, 28.-30. Mai 2015, Marburg
von Felix Wiedemann
Die Forschungsnetzwerke »Re-Konfigurationen« und »Turning Points« sowie das Zentrum für Konfliktforschung (ZfK) der Philipps-Universität Marburg organisierten die internationale Konferenz »Spectres of Justice. The Aesthetics of Dealing with Violent Pasts«, welche sich mit der künstlerischen Verarbeitung des Themenfelds »transitional justice« beschäftigte. Ungefähr 80 Teilnehmer_innen setzten sich im Verlauf der Konferenz unter anderem mit Fotografie, Film, Literatur, Architektur, sozialen Medien und Musik sowie mit deren jeweiligen Aufarbeitung einer von Gewalt geprägten Vergangenheit auseinander.
Das Leitthema der Konferenz, »transitional justice«, wird schon seit Längerem von den Organisationspartnern bearbeitet: Im Netzwerk »Re-Konfigurationen. Geschichte, Erinnerung und Transformationsprozesse im Mittleren Osten und Nordafrika« werden aktuelle gesellschaftliche Veränderungsprozesse in der MENA-Region durch eine Verknüpfung der Regionalwissenschaften und der systematischen Disziplinen erforscht. Eines der vier Forschungsfelder des Netzwerks sind »Politische Transformationsprozesse und Transitional Justice«. Auch das ZfK bearbeitet mit »Friedenskonsolidierung und Transitional Justice« ein verwandtes Forschungsfeld. Das Forschungsnetzwerk »Figures of Thought Turning Points« beschäftigt sich hingegen mit kulturellen Praktiken und sozialem Wandel in der Arabischen Welt. Es stellt somit den Verbindungspunkt her zwischen gesellschaftspolitischen Veränderungsprozessen und ihrer künstlerischen Verarbeitung.
Die Konferenz wurde durch eine Führung von Timothy Williams durch seine Fotoausstellung »Entering the Tiger Zone« über ehemalige Mitglieder der Khmer Rouge in Kambodscha eröffnet. Williams’ Ausstellung beschäftigte sich unter anderem mit den unterschiedlichen Motiven, die Menschen dazu brachten, sich den Khmer Rouge anzuschließen.
Nach dieser Führung folgte das erste Panel, das sich mit der landschaftsarchitektonischen Verarbeitung einer durch Gewalt geprägten Vergangenheit befasste. Naama Meishar ging in ihrem Vortrag auf die Gestaltung des Jaffa Slope Park ein, während Stéphanie Benzaquen das Thema der Ausstellung von Timothy Williams aufgriff und sich mit dem Denkmal »To Those Who Are No Longer Here« in Phnom Penh beschäftigte.
Mit dem Thema »Visual Culture« setzten sich Mick Broderick (ruandischer Film), Catriona MacLeod (Graphic Novels) und Ivo Ritzer (länderübergreifendes Fernsehen in Bezug auf die südafrikanische Vergangenheit) auseinander.
Während des nachfolgenden Hauptvortrags der Konferenz, »The Staging of Testimony in Contemporary Documentary Film«, vertrat Michael Renov unter anderem die These, der Dokumentarfilm eigne sich besser als andere Medien, Empathie beim Publikum hervorzurufen und es so zur aktiven Genozidprävention zu bewegen. Exemplarisch analysierte Renov den Dokumentarfilm »Der letzte der Ungerechten« von Claude Lanzmann, in welchem die ethische Grauzone dargestellt wird, in der sich Benjamin Murmelstein als »Judenältester« im Ghetto Theresienstadt befand.
Nach diesem anregenden ersten Tag der Konferenz begann der zweite Tag mit einem Panel zu »Victims and Perpetrators« und deren Darstellung in Film und Fotografie. Jesko Jockenhövel und Reinhold Görling beschäftigten sich mit Joshua Oppenheimers «The Act of Killing« und Thomas Harlans »Gun Wound«. Olivera Simic ergänzte diese Filmanalysen um eine Auseinandersetzung mit Fotoausstellungen in Bosnien und Ruanda.
Im Panel zu »Transitional Justice through the Ages« argumentierte Sanja Perovic mit Verweisen auf das Werk Sades, dass »Transition« ein neuerer Begriff sei und man früher eher von einem »Bruch mit der Vergangenheit« gesprochen habe. Anschließend bereicherte Eliza Garnsey das Panel um einen Vortrag über eine Ausstellung zur südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission. Im folgenden Referat zu »International Law as the Modern Oedipus: the Emergence of Right and Truth« verglich Leora Bilskey den Ödipus-Mythos mit der Postdiktatur-Zeit in Argentinien. Laut griechischer Mythologie hatte Ödipus unwissentlich seinen Vater getötet sowie seine Mutter geehelicht, bevor er die Wahrheit erfuhr und an dieser verzweifelte. Das Recht auf Wahrheit und die damit verbundenen Folgen wurden in Garnseys Vortrag durch das Prisma dieses Mythos betrachtet: Während der argentinischen Diktatur verschwundene und adoptierte Kinder konnten nach der Diktatur per DNA-Test ihren leiblichen Eltern zugeordnet werden.
Im Panel zu »Performance« bearbeitete Klaas Tindemans Theater in Bezug auf den ruandischen Genozid, Catherine M. Cole sah sich den südafrikanischen Rivonia-Prozess unter performativen Gesichtspunkten an und Kimberly Richards analysierte den Internationalen Gerichtshof als eine Bühne für die Selbstdarstellung internationaler Justiz.
Im zeitgleich stattfindenden sechsten Panel untersuchten Franziska Dübgen und Stefan Skupien unter dem Titel »Moving beyond post/colonial violence in Sub-Saharan contemporary cinema« die Rolle des Films bei der Verarbeitung (post-) kolonialer Gewalt, und Hanene Baroumi stellte in ihrem Referat verschiedene Widerstandsformen von Frauen während des »Arabischen Frühlings« dar.
Im Panel zu »Sites and Sights« referierten Hande Sarikuzu sowie Anika Oettler zur Rolle der Architektur bei der Vergangenheitsbewältigung und Magdalena Karolak zu sozialen Medien als Ort der Erinnerung. Das achte Panel zeigte unterschiedliche Arten von Narrativen: Ruti Teitel referierte zu »Transitional Justice on Film: Telling a story with a good ending?«, Angela Impey analysierte Dinka-Lieder im Transitionsprozess im Südsudan und Larbi Touaf betrachtete Gefängnisnarrative in Marokko.
Auch im Panel zu »Public and Private Screenings« wurde Marokko thematisiert: Jamal Bahmad sprach über kollektive Traumata und transnationale Ästhetik in der marokkanischen visuellen Kultur. Laliv Melamed hingegen bearbeitete israelische »Memorial Home Videos«, und Nadia Siddiqui hielt einen Vortrag mit dem Titel »Portrait of the Artists: An Examination of Creative Production and the Search for Justice and Positive Change in Transitioning Contexts«.
Das letzte Panel trug den Titel »Giving Voice to the Absent«. Stephan Milichs legt in seinem Vortrag den Fokus auf die Metapher des »Geists« in Werken der palästinensischen Dichter Mahmoud Darwish und Zakaria Mohammad. Diese Metapher repräsentiere das Zwischenstadium zwischen Leben und Tod im palästinensischen Kontext. Hier fanden sich thematische Parallelitäten zu Paula Blairs anschließend präsentiertem Paper über Werke Willie Dohertys. Das Gefangensein zwischen Leben und Tod spiegele sich wider in der filmischen Darstellung des Verschwindens vermeintlicher irischer Kollaborateure. Auch Ricardo Boccos Vortrag reihte sich nahtlos ein; hier wurden der libanesische Staat als zwischen Tod und Leben schwebend und die Verschwundenen des libanesischen Bürgerkriegs thematisiert.
Die abschließende Podiumsdiskussion mit Jamal Bahmad, Susanne Buckley-Zistel, Catherine Cole, Felix Lang und Ruti Teitel fasste die vorausgegangenen Tage nochmals zusammen. Unter anderem wurde der wissenschaftliche Austausch unterschiedlicher Disziplinen als sehr fruchtbar angesehen. Es ist zu hoffen, dass der Erfolg der Konferenz und die geknüpften Netzwerke als Anstoß für weitere gemeinsame Projekte genutzt werden können.
Felix Wiedemann