W&F 2016/2

Städte als Friedensbotschafter

Die International Association of Peace Messenger Cities

von Alfred Marder

In der Regel wird die Kompetenz und Zuständigkeit für das Thema Krieg und Frieden auf der Ebene der Staaten bzw. Regierungen verortet. Das Leben der Menschen spielt sich aber vor Ort ab, in Dörfern und Städten. Dort erleben sie Gewalt, Krieg und Zerstörung oder aber Sicherheit und Frieden. Außerdem sind die Kommunen für den praktischen Schutz ihrer Bürgerschaft zuständig, haben also ein eigenes Interesse an friedlichen Zuständen, denn schützen können sie die Menschen kaum, wenn die Städte zu Zielen werden. Der Autor berichtet von einem Zusammenschluss von Städten, die sich gemeinsam die Förderung des Friedens und der Vereinten Nationen zum Ziel gesetzt haben.

Im Vorfeld des Internationalen Jahres des Friedens ernannte 1985 die Generalversammlung der Vereinten Nationen 62 Städte aus der ganzen Welt zu »Peace Messenger Cities«, zu Friedensbotschaftern. Die Auswahl erfolgte anhand von Aktivitäten, mit denen die jeweilige Stadtverwaltung ihre Bürgerschaft für den Weltfrieden und die Unterstützung der Vereinten Nationen mobilisierte. Beispielsweise die Stadt in der ich lebe, New Haven im US-Bundesstaat Connecticut. New Haven beging schon damals jedes Jahr am 24. Oktober den Tag der Vereinten Nationen und organisierte an den Schulen Veranstaltungen zur Förderung des Friedens und der Vereinten Nationen. An diesem Tag gestalteten die Kinder Transparente und Plakate mit ihren eigenen Ideen und marschierten damit um das Stadtzentrum zum Stadtpark. Dort gab es Rede- und Musikbeiträge, und immer war ein Vertreter der Vereinten Nationen dabei.

Der damalige Bürgermeister der französischen Stadt Verdun lud 1988 zusammen mit dem damaligen UN-Generalsekretär Perez de Cuellar alle Friedensbotschafterstädte nach Verdun ein, wo ihnen der Generalsekretär Urkunden und Medaillen überreichte. Außerdem schlug er den Städten vor, sich in einer Organisation zusammenzuschließen, die den speziellen Bedürfnissen von Städten eine Stimme verleihen und Advokatin für den Frieden sein könnte. De Cuellar betonte, dass die Vereinten Nationen nicht nur von den nationalen Regierungen, sondern auch von den Stadtspitzen hören müssten, da diese den Menschen am nächsten seien, ihre Bedürfnisse besser kennen würden und somit ihre Anforderungen und Anliegen am besten transportieren könnten.

Atomwaffen, moderne Kriegsführung und die Städte

Im folgenden Jahr wurden die Städte nach Warschau eingeladen, um in Polen den 45. Jahrestag des Sieges über den Faschismus zu begehen. 1990 richtete dann New Haven eine Generalversammlung der Friedensbotschafterstädte aus, und dabei kamen die Vorbereitungen zur Gründung der International Association of Peace Messenger Cities (IAPMC, Internationale Vereinigung der Friedensbotschafterstädte) zum Abschluss. Die Diskussion kreiste vor allem um die Ziele der neuen Organisation. Ohne große Debatte wurde die vollständige Abschaffung von Atomwaffen als Schlüsselthema festgelegt, das alle Städte verbindet. Die Erfahrungen der Städte Hiroshima und Nagasaki unterstrichen die Relevanz dieser Entscheidung. Die Bedrohung der Städte durch die moderne Kriegsführung landete auf der Agenda ebenfalls ganz oben.

Zu dieser Zeit dominierte das allmähliche Abflauen des Kalten Krieges die globale Politik. Vorher waren die Militärausgaben in die Höhe geschnellt, die Finanzmittel zur Deckung der Grundbedürfnisse der städtischen Bevölkerung hingegen ständig gesunken. Jetzt war die »Friedensdividende« in aller Munde. Bei der Generalversammlung der IAPMC waren sich alle einig, dass die städtischen Spitzen darauf drängen sollten, einen Teil dieser Dividende in die Städte zu lenken. Ein wichtiger Punkt für die Mitgliedstädte war natürlich auch die Unterstützung für die UN-Charta.

Daraus ergaben sich weitere Fragen, die in der IAPMC seither immer wieder neu diskutiert werden: Wie kann man die Ziele der Organisation den Menschen in den Städten näher bringen? Wie macht man den BürgerInnen bewusst, dass die Städte keine Inseln sind, sondern dass sich Krieg und Frieden dort unmittelbar auswirken?

Bei der Generalversammlung 1992 in Genf trat das Internationale Komitee des Roten Kreuzes an die IAPMC heran und bat um Beteiligung an der weltweiten Landminenkampagne. Das stieß sofort auf Zustimmung, und die IAPMC beteiligte sich am Organisationskomitee der Kampagne, entsandte eine Delegation nach Kambodscha und ermutigte die Mitgliederstädte, ihre Bürgerschaft über diese Aktivitäten zu informieren. Der so genannte Ottawa-Prozess mündete Ende der 1990er Jahre im Vertrag zum Verbot von Antipersonenminen. Auch wenn dem Vertrag noch nicht alle Staaten beigetreten sind, markiert dieses völkerrechtliche Verbot der Herstellung und des Einsatzes von Landminen eine wichtige Etappe mit hoher moralischer Relevanz.

Die Führung der IAPMC nahm außerdem Kontakt zu den Mayors for Peace, den Bürgermeistern für den Frieden, auf. Dieser Städtezusammenschluss, der in den frühen 1980er Jahren von den Bürgermeistern von Hiroshima und Nagasaki initiiert worden war, konzentriert sich thematisch ganz auf die Abschaffung von Atomwaffen. Die IAPMC wurde von den Mayors for Peace nicht nur zu ihren Generalversammlungen eingeladen, sondern auch zu den Vorstandsdiskussionen über ihre globale Kampagne. Auch zu Abolition 2000, einem globalen Netzwerk von zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Abschaffung von Atomwaffen, unterhält IAPMC Kontakte und beteiligt sich an Konferenzen und Demonstrationen am Rande von UN-Tagungen und -Sitzungsperioden.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der politischen Strukturen der sozialistischen Länder in Osteuropa in den frühen 1990er Jahren stürzte die IAPMC in eine Krise: Viele Friedensbotschafterstädte kamen aus dieser Region und bezogen sich bei ihren Aktivitäten auf den Zweiten Weltkrieg, auf den Kampf gegen den Faschismus und seine Folgen. Der radikale Umbruch in diesen Ländern wirkte sich direkt auf die Städte aus. Zusätzlich führten die Jugoslawienkriege innerhalb der IAPMC zu Zerwürfnissen. Dennoch gelang es der polnischen Delegation unter Beteiligung vieler IAPMC-Mitgliedstädte, etliche Kommunen in Jugoslawien mit humanitärer Hilfe zu beliefern. Direkt nach den Bombardements der NATO hielt der Vorstand der IAPMC ein Treffen in Kursevac ab, um den Menschen vor Ort seine Solidarität zu demonstrieren.

Bei der internationalen Friedenskonferenz in Den Haag 1999 organisierte die IAPMC einen Workshop, in dem sie andere internationale Städtevereinigungen zusammenbrachte, darunter zum ersten Mal auch »Local Authorities«, den größten globalen Städteverbund. Dabei einigten sich die anwesenden Vertreter darauf, gemeinsam die Kampagnen zur vollständigen Abschaffung von Atomwaffen sowie zur Senkung der nationalen Militärhaushalte bzw. zur Abschöpfung einer Friedensdividende zu intensivieren.

Innerhalb der Vereinten Nationen wirbt die IAPMC um die Schaffung einer eigenen Kategorie für Städte. Die Zivilgesellschaft ist bei den Vereinten Nationen in Form von Nichtregierungsorganisationen aktiv. Die Städte hingegen werden der Regierungsebene zugerechnet, dabei haben sie ganz andere Bedürfnisse als ihre Staatsführung. Sie sind nahe an den Menschen und können im Kampf für Frieden, nachhaltige Entwicklung, Weltgesundheit und bei den zahllosen weiteren in den Vereinten Nationen abgehandelten Themen eine wichtige organisatorische Rolle spielen. Bei den Vereinten Nationen stieß dieses Ansinnen zunächst auf Wohlwollen, das löste sich auf Betreiben der westlichen Staaten aber bald in Luft auf.

Die ursprünglichen 62 Friedensbotschafterstädte waren von der Generalversammlung der Vereinten Nationen ausgesucht und benannt worden. Um weitere Städte einbinden zu können, führte die IAPMC Verhandlungen mit den Vereinten Nationen, die einer Ausweitung der Mitgliedschaft zustimmte. Seither hat sich die Zahl der Mitgliedstädte etwa verdoppelt.

Die IAPMC ist auch Mitglied des UN-Komitees für den Internationalen Friedenstag, den 21. September. Die Friedensbotschafterstädte initiierten ein Programm, das per Livestream Schulkinder in Städten der ganzen Welt zusammenbringt. In ihren Aufführungen präsentieren die Kinder ihren Wunsch nach Frieden und tauschen in vielen Sprachen Grüße aus. Diese Art der Zusammenarbeit kostet die Schulen praktisch nichts, da sie ohnehin über die nötige Technik verfügen. Die IAPMC will das Programm ausweiten und lädt weitere Städte zur Teilnahme ein.

Allerdings ist die Organisation auch ständig mit strukturellen Problemen konfrontiert. In den meisten Städten wird die Führungsspitze regelmäßig in Wahlen bestimmt, die je nach Stadt alle zwei, drei oder vier Jahre stattfinden. Nach einem Wechsel der Führungsspitze ändert sich oft die Politik und damit auch die Beteiligung an der IAPMC. Auch ein Wechsel in der Staatsregierung wirkt sich häufig auf die lokale Ebene aus.

Krieg und Frieden ein Thema für Kommunen

Krieg und Frieden, der Militärhaushalt und damit zusammenhängende Fragen betreffen die Städte zwar direkt, das Mandat zur Bearbeitung dieser Themen wird ihnen aber nicht wirklich zugestanden. Dabei können die Stadtspitzen, also die Bürgermeister und Stadtparlamente, wesentlichen Einfluss auf Fragen von Krieg und Frieden nehmen. In manchen Ländern sind die Bürgermeister national einflussreiche Persönlichkeiten.

Es kann gar nicht oft genug wiederholt werden: Die Städte und die Menschen in den Städten sind die Ziele der modernen Kriegsführung mit all ihren Schrecken. Wenn Krieg herrscht, können Städte ihren Dienst an den Bürgern nicht mehr erbringen – und sie können ihre Bürger nicht schützen. Krieg und Frieden sind daher auch Themen für die Kommunen.

Alfred Marder ist Ehrenpräsident der International Association of Peace Messenger Cities und lebt in New Haven, Connecticut/USA. Mehr Informationen zur IAPMC gibt es unter iapmc.org.
Aus dem Englischen übersetzt von Regina Hagen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/2 Stadt im Konflikt – Urbane Gewalträume, Seite 32–33