W&F 2011/2

Stoppt den Krieg in Afghanistan

Konferenz über »Perspektiven für Frieden und Entwicklung«, 19.-20. Februar 2011, Hannover

von Ute Finckh-Krämer

Anderthalb Jahre lang hatten sich Aktive aus den drei friedenspolitischen Fachverbänden Bundesausschuss Friedensratschlag, Kooperation für den Frieden und Plattform Zivile Konfliktbearbeitung regelmäßig mit VertreterInnen des Verbands Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO) zusammen gesetzt, um die jeweiligen Standpunkte und Einschätzungen zu Afghanistan auszutauschen bzw. zu verstehen und auszuloten, welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede es dabei gibt. Dieser Diskussionsprozess, von dem ein Zwischenstand im März 2010 zu Papier gebracht worden war, wurde im Februar 2011 durch die Konferenz »Stoppt den Krieg in Afghanistan – Perspektiven für Frieden und Entwicklung« für die Mitglieder der beteiligten Dachverbände geöffnet. Dabei wurden zunächst mit Unterstützung externer ExpertInnen die Situation in Afghanistan und die Politik der Bundesregierung bzw. der externen Akteure analysiert. Anschließend wurden in Arbeitsgruppen gemeinsame Positionen bzw. Empfehlungen erarbeitet und überlegt, welche Themen weiterer Analyse und Diskussion bedürfen und welche Ansatzpunkte es für eine weitere Zusammenarbeit gibt.

Gut 160 Personen waren zur Konferenz gekommen – mehr, als die Vorbereitungsgruppe erwartet hatte. Dabei war die Friedensbewegung wesentlich stärker vertreten als die entwicklungspolitische Seite. Es wurde konzentriert zugehört und konstruktiv diskutiert, auch dort, wo die unterschiedlichen Perspektiven von Friedensbewegung und Entwicklungszusammenarbeit deutlich wurden: Während für die Friedensbewegung der Grundsatz »Von deutschem Boden darf kein Krieg ausgehen!« und die grundsätzliche Ablehnung alles Militärischen die entscheidenden Ansatzpunkte für die Diskussion und die politische Aktion sind, steht für die in Afghanistan tätigen Organisationen die Frage im Mittelpunkt, wie die afghanische Gesellschaft konstruktiv unterstützt und die Arbeit mit afghanischen Partner weiterhin ermöglicht und qualifiziert werden kann.

Schwerpunkt der Konferenz sollte der Austausch zwischen den beiden deutschen Bewegungen sein, daher waren keine afghanischen ReferentInnen eingeladen worden. Es waren aber eine ganze Reihe von in Deutschland lebenden Afghaninnen und Afghanen als TeilnehmerInnen gekommen. Sie brachten aus dem Publikum bzw. in den Arbeitsgruppen ihre Perspektive ein und erinnerten z.B. daran, dass in Afghanistan nicht erst seit 2001, sondern seit 33 Jahren Krieg herrscht. Sie wiesen überdies darauf hin, wie sehr dieser Krieg durch Einmischung von außen verursacht und verschärft wurde, und halfen, ein differenziertes Bild dieses multiethnischen Landes zu zeichnen.

Durch die konstruktive Diskussions- und Arbeitsatmosphäre konnten eine Menge Standpunkte dargestellt und vermittelt werden. Jede Auswahl und jeder Bericht ist – wie uns die ZEIT-Redakteurin Andrea Böhm und der Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Stephan Hebel, an konkreten Beispielen veranschaulichten – subjektiv. Hier also eine subjektive Auswahl:

Für die Arbeit in Konflikt- und Krisengebieten ist die Berufung auf Menschenrechte sowohl als grundsätzliche Legitimation als auch als Maßstab des eigenen Handelns unverzichtbar. Dass Menschenrechtsargumente zum Teil missbraucht werden (bis hin zur Rechtfertigung militärischer Interventionen), spricht nicht gegen die Menschenrechte, sondern nur gegen die, die sie missbrauchen. Das gilt auch und gerade für Frauenrechte.

Das Völkerrecht hat zwei zentrale Säulen: die staatliche Souveränität nach Artikel 2 (7) der UN-Charta und die Menschenrechtskonvention. Beide stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander, es muss – auch dort, wo zivile staatliche Stellen, Hilfsorganisationen oder Friedensgruppen sich in anderen Ländern engagieren – immer wieder geklärt werden, was zulässige Unterstützung im weitesten Sinne und was unzulässige Einmischung ist.

Wir müssen immer wieder von unserer eigenen Regierung bzw. von der vom Westen unterstützten afghanischen Regierung die Achtung der Menschenrechte einfordern. Menschenrechtsverletzungen durch ausländische Truppen bleiben in Afghanistan weitgehend straflos, was die Menschen dort zu Recht empört.

Wenn wir den Abzug der ausländischen Truppen fordern, müssen wir die Einwände der Hilfsorganisationen und vieler VertreterInnen der afghanischen Zivilgesellschaft (auch und gerade der Frauenorganisationen) ernst nehmen, die bei einem unkontrollierten Abzug eine weitere Gewalteskalation befürchten, die diejenige am meisten gefährdet, die uns am nächsten stehen: die Menschen in Afghanistan, die sich aktiv für Frieden, Demokratie und Menschenrechte einsetzen.

Wichtige Erkenntnisse, Vorschläge, Forderungen

Wer – wie die Internationale Gemeinschaft auf den verschiedenen Afghanistankonferenzen – mehr als 20 verschiedene Ziele nebeneinander stellt, kann keines dieser Ziele verwirklichen. Welches ist unser Hauptziel für Afghanistan, welche Mittel müssten zu seiner Erreichung eingesetzt werden?

Es hat sich als grundsätzlicher Irrtum erwiesen, dass „State-Building ein Ersatz sein könne für Peace-Building“ (Andreas Ernst in der NZZ vom 18.2.2011 in einem ausführlichen Artikel zur Situation im Kosovo).

Armut und Arbeitslosigkeit sind die größten Sorgen der afghanischen Bevölkerung. Die Reste der afghanischen Wirtschaft, die 2001 noch existierten, wurden nicht zuletzt durch die neoliberale Marktöffnung zerstört. Es ist ein geschützter Wirtschaftsraum nötig, der z.B. Garantiepreise für Landwirtschaftsprodukte ermöglicht – wie in der EU.

Der Teufelskreis von Kriegsökonomie und Drogenwirtschaft könnte durch eine Legalisierung der Drogen in den Haupt-Konsumentenländern durchbrochen werden. Dieser Diskussion, so schwierig sie ist, sollten wir uns stellen.

Der Einsatz von Gewalt muss gerechtfertigt werden, nicht der Verzicht darauf – das müssen wir einfordern!

In den Medien ist in den letzten Jahren das Thema »Krieg« entpolitisiert worden. Mit der Emotionalisierung und Personalisierung des Soldaten soll seine Glaubwürdigkeit auf den Krieg übertragen werden. Dieses Kriegsbild müssen wir dekonstruieren.

Die Welt hat sich seit 1989 dramatisch verändert, die damaligen Erklärungsmodelle taugen oft nicht mehr.

Wir müssen die Stärkung von Basisinitiativen/Reformkräften in den Mittelpunkt der eigenen Arbeit stellen und politisch als Ziel für die Aktivitäten der Bundesregierung bzw. der internationalen Gemeinschaft einfordern – auch wenn für die konkrete Arbeit vor Ort eine begrenzte Zusammenarbeit mit dem formalen Staat unumgänglich ist.

Derzeit wird ein Teil der externen Hilfe dazu missbraucht, das korrupte Regime von Präsident Karsai zu stabilisieren. Daher sollten wir mit undifferenzierten Forderungen nach »mehr ziviler Aufbauhilfe« vorsichtig sein – auch damit können Gewaltstrukturen gestützt werden. Von den Mitteln, die derzeit in den Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte fließen, ganz zu schweigen. Wir müssen also genauer hinschauen, welche Partner zu welchem Zweck welche Mittel erhalten, und darauf bestehen, dass die Verwendung der Mittel kontrolliert wird – sowohl bei den Empfängern als auch bei den zwischengeschalteten Trägerorganisationen.

Frauenrechte können nur als Teil der Menschenrechte insgesamt verwirklicht werden. Die Aufklärung der gesamten Bevölkerung in Afghanistan, welche Rechte ihnen nach der afghanischen Verfassung und den derzeit existierenden Gesetzen zustehen, ist dafür essentiell. Das setzt wiederum voraus, dass Alphabetisierungs- und Bildungsprojekte eine größere Priorität erhalten. Dieser Punkt wurde – wie der folgende – von afghanischen Teilnehmerinnen eingebracht.

Die gesamte afghanische Bevölkerung ist durch 33 Jahre Krieg und Bürgerkrieg traumatisiert. Gewalt gegen Frauen ist teilweise eine Folge der Traumata der Männer. Daher ist Traumaarbeit nicht nur mit Frauen, sondern auch mit Männern sinnvoll und notwendig.

Verhandlungen über lokale Waffenstillstände sind der erste Schritt zum Frieden, müssen aber die lokale Bevölkerung als Akteure mit einbeziehen (Männer und Frauen) und die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen.

Die NATO ist Kriegspartei, kann daher nicht die Verantwortung für einen Friedensprozess übernehmen. Wer könnte die Federführung für einen Mediationsprozess im Sinne von Kapitel VI der UN-Charta übernehmen – vielleicht Norwegen?

Eine Gruppe unter Federführung von Roland Vogt (ehemaliger BSV-Vorsitzender) möchte an einem konkreten Friedensplan für Afghanistan arbeiten (Fokus: Welcher Beitrag kann von unserer Seite respektive von der deutschen Regierung zum Frieden in Afghanistan geleistet werden?).

Für die voraussichtlich Ende November in Bonn stattfindende internationale Afghanistankonferenz (Petersberg II) ist anscheinend geplant, sowohl VertreterInnen der afghanischen Zivilgesellschaft als auch von internationalen Hilfsorganisationen/NGOs zuzulassen. Wir sollten gemeinsam fordern, dass diese VertreterInnen nicht als Alibipersonen missbraucht werden und gleichzeitig (ähnlich wie die Münchner Friedenskonferenz als Gegenveranstaltung zur Münchner Sicherheitskonferenz) mit geeigneten eigenen Veranstaltungen unsere Analyse und unsere Vorschläge zu Gehör bringen. Eine ganze Reihe der Anwesenden möchte sich hier konkret beteiligen.

Es bestand Einigkeit darüber, dass der Diskussionsprozess zwischen den beteiligten Dachverbänden weitergeführt werden sollte. Die Vorbereitungsgruppe ist entschlossen, diese Erwartung zu erfüllen.

Es soll eine Tagungsdokumentation erstellt werden, die von den Webseiten der beteiligten Dachverbände geladen werden kann.

Ute Finckh-Krämer

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2011/2 Kriegsgeschäfte, Seite 65–66