W&F 2012/2

Streit ums Meer

von Regina Hagen

Das Meer ist für die Menschheit von höchster Relevanz: Es bietet Zugriff auf große Fisch- und andere Nahrungsvorkommen; es ermöglicht seit Jahrtausenden Migration und Handel über große Distanzen und zwischen Kontinenten; es ist wichtig für Tourismus und Sport; in jüngster Zeit lockt es in großer Tiefe mit neu entdeckten Spezies ebenso wie mit riesigen Rohstoffvorkommen; es erlaubt die Flucht vor Not, Krieg und Gewalt – und wird dabei für viele zum Grab. Kein Wunder also, dass das Meer auch Ort für zahlreiche Aktivitäten des Militärs ist.

Küsten und Häfen waren und sind Anlass für Kriege und als Kriegsbeute begehrt. Dass sie ein Schlüssel für Einflusssphären sind, konnten wir in den letzten Monaten am Beispiel Syrien sehen: Die russische Regierung stützt das Assad-Regime nicht nur als letzten Verbündeten im arabischen Raum, sondern zugleich als Garant für ihren einzigen Stützpunkt im Mittelmeer. Deshalb war im syrischen Tiefseehafen Tartus, der mit russischer Hilfe u.a. als Basis für nuklear getriebene Kriegsschiffe ausgebaut wird, der einzige russische Flugzeugträger »Admiral Kusnetzow« stationiert. Deshalb verlegt Russland aktuell weitere Marineeinheiten in diese Region.

Die Beiträge in dieser Ausgabe von W&F zeigen auf, genauso wie tägliche Nachrichtenmeldungen, dass das Meer in den militärischen Planungen weltweit ein zentraler Faktor ist und Auswirkungen auf viele andere Lebensbereiche hat. Denken wir nur an die Drohung Irans, im Falle eines israelischen Angriffs auf seine Nukleareinrichtungen die Straße von Hormus zu blockieren. Eine Schreckensvision für unsere Rohöl basierte Wirtschaftswelt, geht durch die Meerenge (gerade mal 50 km breit) doch ein beträchtlicher Teil des globalen Rohöltransports. Militärexperten sagen, Iran bräuchte dazu nicht einmal wirklich militärisch einzugreifen, schon die Drohung mit dem Einsatz würde Reedereien aus versicherungsrechtlichen Gründen davon abhalten, ihre Tanker dann noch auf diese Route zu schicken. So wird Abschreckung ganz ohne Atomwaffen buchstabiert.

Oder am anderen Ende der Welt, im Südchinesischen Meer, wo sich der globale Kampf um Ressourcen an den Spratly-Inseln festmacht (siehe dazu Beitrag von A. Seifert in diesem Heft): 7.000 philippinische und US-amerikanische Soldaten führten dort jüngst groß angelegte Manöver durch. „Kriegsspiele in rohstoffreicher See“ titelte »tagesschau.de«. US-Brigadegeneral Padilla erklärte dazu, das Manöver diene der Stärkung der bilateralen Beziehungen und sei eine gute Gelegenheit, sich auf Naturkatastrophen vorzubereiten. Sehr glaubwürdig ist das nicht, standen sich doch just dort wenige Tage zuvor die philippinische und die chinesische Marine im Streit um Fischereirechte gegenüber. Und damit nicht genug: Russland und China führten gleichzeitig Seemanöver durch. „Kalter Krieg zwischen Korallen“ fiel dem »Spiegel« dazu ein. Vier Kriegsschiffe, einen Raketenkreuzer und drei Schiffe zur U-Boot-Abwehr schickte Moskau von Wladiwostok auf den Weg ins Südchinesische Meer– nach Piratenabwehr klingt das nicht.

Zunehmende Bedeutung bekommt das Meer auch für die Raketenabwehr. Das Erfolg versprechendste System des Pentagon ist das schiffgestützte Aegis-System (siehe »Raketenabwehr in Europa« in W&F 1-2012). Die Stationierung auf dem Meer bietet unvergleichliche Flexibilität. Je nach Krisenbarometer können die Einheiten in Nordostasien, im Mittel- bzw. vorübergehend im Schwarzen Meer, im Nordmeer oder im Atlantischen Ozean stationiert werden. Über die europäische Komponente ist die NATO bei Aegis mit im Boot.

»Aegis« zeigt exemplarisch auf, wie eng die Sphären Land, Wasser, Luft und Weltraum in der Logik des Militärs miteinander verknüpft sind: Aegis ist schiffbasiert, zur notwendigen Infrastruktur gehören Einrichtungen auf dem Festland und Satelliten im All. Abschießen soll das System anfliegende Sprengköpfe auf ihrem Flug durch den Weltraum Dort fand auch der bislang einzige vollumfänglich realistische erfolgreiche »Test« des Systems statt – allerdings gegen einen außer Kontrolle geratenen Satelliten, nicht gegen einen Sprengkopf.

Die Teilstreitkräfte des Militärs streben in der Regel im militärischen Gefüge ihres jeweiligen Landes (und darüber hinaus) eine Vorrangstellung an. Da geht es um Prestige, um Ausstattung und um möglichst hohe Budgets. „Einsatzbereit – jederzeit – weltweit“ ist das Motto der Divison Spezielle Operationen der Bundeswehr. „Space – the ultimate high ground“ erklärte das US-Weltraumkommando schon vor 15 Jahren. Ein Blick auf die Teilgefüge wie in diesem Heft tut Not, der Gesamtblick darf dabei aber nicht verloren gehen. Dazu gehört auch, dass das Militär in der Regel die Vorgaben der Politik erfüllt. Dort liegt folglich auch der Ansatzpunkt für zivilgesellschaftliches Engagement für eine fairere, Ressourcen schonende und friedliche Welt.

Ihre Regina Hagen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2012/2 Hohe See, Seite 2