W&F 2012/3

Südsudan und Sudan – Frieden auf Abwegen?

von Peter Schumann

Mit der Zwei-Staaten-Lösung sollte Frieden geschaffen werden zwischen Nord- und Südsudan, zum Vorteil für beide Nationen. Im Süden sollte ein neuer Staat entstehen, mit einer durch Öleinnahmen abgesicherten Wirtschaft, ein Rechtsstaat, der seine Bevölkerung verantwortungsvoll schützt. Der Staatsaufbau sollte durch eine UN-Mission begleitet werden. Im Norden sollten Reformen zu mehr Rechtsstaatlichkeit, Schutz der Menschenrechte und Anerkennung von kultureller und religiöser Vielfalt führen. Sudans Präsident Omar al Bashir war trotz Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofes zu den Gründungsfeierlichkeiten am 9. Juli 2011in die neue Hauptstadt des Südens, nach Juba, gereist.

Doch das international gelobte Friedensabkommen, gültig für den gesamten Sudan, ließ viele Fragen offen, z.B. bezüglich der Grenzziehung zwischen beiden Staaten, des Status von Grenzregionen wie Abyei, der Staatsbürgerschaft von im Norden lebenden Südsudanesen oder der Nutzung sudanesischer Pipelines zum Transports von Rohöl ans Rote Meer. Diese Punkte sollten durch Verhandlungen nachträglich geregelt werden.

Ein Jahr später ist die Realität gekennzeichnet durch eine Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen den politischen Führungen in den Hauptstädten Khartum (Sudan) und Juba (Südsudan) sowie der Anwendung von militärischer Gewalt. Diese Eskalation und das Fehlschlagen der Mediation durch das African Union High-Level Implementation Panel on Sudan (AU-HIP) unter Führung von Thabo Mbekei führte im März 2012 zum Abbruch aller Verhandlungen. Es folgte im April die Bombardierung ziviler Ziele im Süden durch den Norden und im Mai die militärische Besetzung der Ölfelder in Higlig durch die Armee des Südens. Der UN-Sicherheitsrat musste einschreiten, um die Eskalation in einen zwischenstaatlichen Krieg zu unterbinden.

Wesentliche Streitpunkte betreffen die vom Süden zu entrichtenden Gebühren für die Nutzung der Pipeline zum Ölhafen in Port Sudan sowie die Kompensationszahlungen an den Norden für den Verlust der Ölfelder im Südsudan. Der durchschnittliche Preis für sudanesisches Öl beträgt etwa 70-75 US$ pro Barrel. Khartum fordert für die Nutzung der Ölinfrastruktur etwa 35 US$ pro Barrel sowie als einmalige Kompensation sieben Mrd. US$. Juba will aber für die Nutzung der Infrastruktur nur die international übliche Rate von bis zu einem US$ bezahlen, und als einmalige Zahlung drei Mrd. US$. Zu einer Einigung kam es nicht, und im Januar 2012 stellte die Republik Südsudan die Erdölförderung ein. Begründet wurde dies damit, dass der Norden irregulär Öl aus der Pipeline entnimmt, sowie mit der militärischen Bedrohung, vor allem in Abyei, das die sudanesische Armee im May 2011 okkupierte. Die Öleinnahmen brachen damit für beide Staaten weg, den Norden wie den Süden.

Inzwischen befindet sich der Sudan im Ausnahmezustand. Zusätzlich zu den anhaltenden Kämpfen in der Region Darfur ist ein neuer Bürgerkrieg in Kordofan/Nuba-Berge in vollem Gange, Tausende von Zivilisten sind auf der Flucht nach Äthiopien und Südsudan. Steigende Rüstungsausgaben und der Wegfall der Öleinnahmen haben zu einem Haushaltsdefizit von über 50% geführt, die Implementierung des Friedensvertrages in Darfur kann nicht mehr bezahlt werden, Steuern und Abgaben wurden drastisch erhöht und Subventionen gestrichen, was in der Bevölkerung zu anhaltenden Protesten geführt hat.

Auch der Südsudan ist zunehmend von internen bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen, in internationalen Medien vereinfacht als »ethnische Konflikte« dargestellt. Die Lebensgrundlage weiter Teile der Bevölkerung in Jonglei, aber auch in anderen Bundesstaaten, ist unmittelbar bedroht. Die Regierung unternimmt großflächige Entwaffnungskampagnen, um die Gewalt zu kontrollieren. Das ist sicher wichtig, löst aber nicht das Problem zunehmender Armut und Marginalisierung.

Ein Jahr nach der »Zwei-Staaten-Lösung« zur Beendigung des Bürgerkrieges im Süden stellen sich viele Fragen. Z.B. welche Rolle spielen externe Akteure bei der Beendigung des Befreiungskampfes? Kann ein Bürgerkrieg durch Verhandlungen erfolgreich beendet werden? Wurde die Durchführung des Friedensabkommens von der »UN Peacekeeping Operation« ausreichend abgesichert?

Die Grenzen externer Intervention

Trotz der Präsens von 31.000 UN-Blauhelmen, 7.450 Polizisten und etwa 6.600 zivilen Bediensteten mit einem Jahresetat von 2,6 Mrd. US$ – das entspricht etwa 30% der globalen UN-Aktivitäten für Friedenssicherung, sowohl personell als auch finanziell – ist es nicht gelungen, bewaffnete Konflikte einzudämmen oder die Entstehung neuer Konflikte zu verhindern. Eine Ausnahme war die »Frühwarnung« durch die United Nations Mission in the Republic of South Sudan (UNMISS) im Dezember 2011 in Jonglei, als die Zivilbevölkerung vor Angriffen bewaffneter Milizen gewarnt wurde und rechtzeitig flüchten konnte.

Die politische Führung in Khartum entzieht sich weiterhin internationalem politischen Druck, Maßnahmen des UN-Sicherheitsrates werden als Einmischung in die inneren Angelegenheiten betrachtet und erfolgreich blockiert.

Die internationale Gemeinschaft akzeptierte im Gegenzug für die Anerkennung der Unabhängigkeit des Südens die Aussetzung des »Umfassenden Friedensvertrages« durch die Machthaber in Khartum. Damit waren Vereinbarungen zur Reform für die Menschen im Norden hinfällig geworden. Die vereinbarte Beteiligung der Bevölkerung an der Regierungsführung in den Bundesstaaten Süd-Kordofan und Blauer Nil wurde durch militärische Gewalt außer Kraft gesetzt. Das Verbot der politischen Partei SPLM-Nord, zweitstärkste Partei bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2010, und die Absetzung der gewählten Landesregierung Blauer Nil führten zum Bürgerkrieg zwischen Khartum und seinen Staatsbürgern im Süden der Republik Sudan.

Trotz Friedensrhetorik und internationaler Zusicherungen anlässlich der Unabhängigkeit nimmt die politische Führung in Juba den Nachbarn im Norden als Bedrohung wahr. Die bereits 2010 erhobene Forderung der SPLM-Führung, eine robuste UN-Friedenstruppe im Grenzgebiet zum Sudan zu stationieren, wurde von der Abteilung »Peacekeeping Operations« in New York abgelehnt. Bei der Planung einer neuen Operation gingen die UN von einer Sicherheitsgefährdung durch bewaffnete Milizen und SPLA-Verbände innerhalb des Staatsgebietes aus, damit wurde der Schutz von Zivilisten zur zentralen Aufgabenstellung von UNMISS. Die Bedrohung aus dem Norden fiel wider besseres Wissen unter den Tisch – Khartum hatte eine Stationierung von UN-Blauhelmen im Grenzgebiet bereits kategorisch abgelehnt.

Der neue Staat – zentrale politische Prinzipien

Mit Verwunderung hat die internationale Gemeinschaft auf die zunehmende Eigenständigkeit des Südsudan reagiert. Eine veritable Republik meldete sich im Mai 2012 mit der Besetzung der Ölfelder in Higlig zu Wort, und der UN-Generalsekretär musste zur Kenntnis nehmen, dass er ein neues Mitgliedsland mit Sitz und Stimme hat, dem er nicht einfach befehlen kann, seine nationale Armee abzuziehen und das vom beiden Seiten beanspruchte Gebiet Khartum zu überlassen.

Der neue Staat versteht nationale Souveränität vor allem als Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols. Mit der Unabhängigkeit sind die Befreiungskämpfer zur Schutzmacht des Nationalstaates geworden, die Politik ist von den Erfahrungen aus dem Befreiungskampf und dem Prozess der Friedensverhandlungen sowie der Implementierung des Friedensabkommens geprägt. Die Ziele der südsudanesischen Sicherheitspolitik sind vor allem die Wahrung der neu gewonnenen Souveränität und die Konsolidierung der Unabhängigkeit. Die Regelung der zwischenstaatlichen Beziehungen, vor allem die Nutzung der Ölvorkommen und die Anerkennung der Region Abyei als Bestandteil des Südens, sind Bestandteile dieser Sicherheitspolitik. Regelungen, die das Bedrohungspotential der sudanesischen Armee und Milizen stärken, werden kategorisch abgelehnt.

Anders als den internationalen Vermittlern geht es der politischen Führung in Juba nicht darum, zu welchem Preis Öl exportiert werden kann, ob durch eine neue Pipeline zum Indischen Ozean oder durch bestehende Pipelines zum Roten Meer. Ihr geht es vor allem darum, eine mögliche Bedrohung durch Khartum zu unterbinden. Öl ist damit zur Waffe, aber auch zum Mittel der Sicherung nationaler Unabhängigkeit und Souveränität geworden.

Ausblick

Mitte Juli trafen sich während des Gipfels der Afrikanischen Union in Addis Abeba die Präsidenten der beiden sudanesischen Republiken, Omar al Bashir und Salva Kiir. Die Zusicherung, noch ausstehende Probleme bis zu der vom UN-Sicherheitsrat gesetzten Frist, dem 2. August 2012, durch Verhandlungen zu lösen, sind als unrealistisch einzustufen, eine Verhandlungslösung ist mehr als fraglich. Drei Optionen sind denkbar:

Ein umfassender Wandel des politischen Systems in Khartum führt zur Beendigung der innerstaatlichen bewaffneten Konflikte und zu stabilen zwischenstaatlichen Beziehungen der zwei Republiken. Rohöl wird durch völkerrechtlich verbindliche Vereinbarungen zwischen zwei sich freundlich gesonnenen Regierungen unter Benutzung bestehender Pipelines exportiert. (Regime-Change-Option)

Vom UN-Sicherheitsrat autorisierte Maßnahmen garantieren mit allen notwendigen Mitteln, auch der externen Intervention, die Einhaltung von sicherheitspolitischen Abkommen zwischen Sudan und Südsudan, dazu gehört auch der extern kontrollierte Export von Rohöl durch bestehende Pipelines. Interne bewaffnete Konflikte sind von den Maßnahmen nicht betroffen, es gilt das Souveränitätsprinzip. (Externe Interventionsoption zur Regelung des zwischenstaatlichen Konfliktes)

Das politische System in Khartum bleibt bestehen, bekämpft von bewaffneter Opposition in marginalisierten Regionen. Der Südsudan fördert Rohöl zur Verarbeitung in eigenen Raffinerien, vorrangig für den nationalen Bedarf und im Rahmen einer eigenen Entwicklungsstrategie. Ölprodukte werden in die Region Ostafrika exportiert. Die Beziehung zwischen Sudan und Südsudan bleibt instabil. (Intendierte Instabilitätsoption)

Der Ausgang der gewaltsamen Auseinandersetzungen im Sudan wird die zukünftigen Beziehungen der zwei Sudanrepubliken bestimmen. Dies friedlich zu gestalten ist auf Grund der Entstehungsgeschichte der Republik Südsudan zu einer gewaltigen Herausforderung geworden, auch hinsichtlich der sehr begrenzten Möglichkeiten einer UN-Friedensoperation, einen Bürgerkrieg erfolgreich zu beenden.

Peter Schumann ist Soziologe und arbeitete fast dreißig Jahre für die Vereinten Nationen, zuletzt bei Friedenseinsätzen im Kosovo und Sudan. Sein jüngster Besuch im Sudan fand im März 2012 statt.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2012/3 Klimawandel und Sicherheit, Seite 5–6