W&F 1996/4

Teststoppvertrag abschließen

Verhandlungen zur Abschaffung der Atomwaffen beginnen – Stellungnahme des INESAP Coordinating Committee

von INESAP Coordinating Committee

Mehrere Ereignisse der letzten Monate haben die politische Unterstützung und die Legitimität der Atomwaffen in einem Maße untergraben, das für das Atomzeitalter einmalig ist. Zahlreiche Stellungnahmen, sowohl von Regierungen als auch regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs), haben deutlich gemacht, daß eine Welt ohne Atomwaffen ein weitverbreites Anliegen der Menschheit ist. Das gegenwärtige Fenster der Gelegenheit für die nukleare Abrüstung muß genutzt werden, um substantielle Fortschritte in Richtung auf eine Nuklearwaffenkonvention (NWK) zu erreichen, die in Ergänzung zur Biowaffenkonvention und zur Chemiewaffenkonvention mit den Atomwaffen nun auch die letzte Kategorie von Massenvernichtungswaffen verbietet und beseitigt.

Die folgenden positiven Ereignisse verdienen besonders hervorgehoben zu werden:

  • Alle 170 Staaten bei der Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz zum nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) haben im Mai 1995 der unbegrenzten Vertragsverlängerung zusammen mit einer Erklärung zugestimmt, in der sich die Staaten verpflichten zu „systematischen und progressiven Anstrengungen zur globalen Reduzierung der Atomwaffen, mit dem letzlichen Ziel diese Waffen abzuschaffen.“ Diese Verpflichtung wurde verstärkt durch eine Mehrheitsresolution in der UNO-Generalversammlung im selben Jahr, in der die Genfer Abrüstungskonferenz aufgefordert wird, „mit hoher Priorität ein Ad-hoc-Komitee einzurichten, um Anfang 1996 Verhandlungen über ein Phasenprogramm zur nuklearen Abrüstung und schließlich zur Eliminierung der Atomwaffen innerhalb eines zeitlich begrenzten Rahmens aufzunehmen.
  • Wie eine atomwaffenfreie Welt im Rahmen einer Nuklearwaffenkonvention erreicht werden könnte, haben mehr als 50 Experten aus 20 Ländern in einem Report der INESAP Studiengruppe »Beyond the NPT« dargelegt, der im April 1995 in New York veröffentlicht wurde. Schritte zu diesem Ziel könnten demnach folgende Maßnahmen umfassen: tiefe Einschnitte in die Atomwaffenarsenale, einen umfassenden Teststopp-Vertrag, Abkommen zum Stopp der Produktion und (Wieder-)Verwendung nuklearer Materialien (Cut-Off), Maßnahmen zur Verhinderung der horizontalen und vertikalen Verbreitung von Trägersystemen für Atomwaffen sowie regionale Ansätze zur nuklearen Abrüstung.
  • Mehr als 200 NGOs fordern im April 1995 in einem Aufruf sofortige „Verhandlungen über eine Konvention zur Abschaffung aller Atomwaffen, die die stufenweise Beseitigung aller Atomwaffen innerhalb eines Zeitrahmens erforderlich macht, mit Bestimmungen zur effektiven Verifikation und Durchsetzung“. Diese gemeinsame Stellungnahme war die Grundlage für die Gründung des globalen Netzwerks Abolition 2000 im November 1995, in dem mehrere hundert Organisationen aus allen Teilen der Erde zusammenarbeiten, um sich für ein Abkommen zur Abschaffung der Atomwaffen bis zum Jahr 2000 einzusetzen.
  • Die 50. Jahrestage der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki haben die Welt an die verheerende Wirkung von Atomwaffeneinsätzen erinnert und deren moralische Verurteilung verstärkt.
  • Die Verleihung des Friedensnobelpreises 1995 an die internationale Pugwash-Konferenz und ihren Präsidenten Joseph Rotblat war zugleich eine Anerkennung für die Wissenschaftler und Ingenieure, die es abgelehnt haben, an Atomwaffen zu arbeiten.
  • Die Fortführung der chinesischen und französischen Atomwaffentests nach der Verlängerung des NVV löste weltweite Proteste gegen die Versuche aus und stärkte die Unterstützung für einen umfassenden Teststopp-Vertrag. Inzwischen wurden alle Atomexplosionen eingestellt.
  • Mit der Unterzeichnung des Vertrags von Pelindaba im April 1996 haben 43 afrikanische Staaten einen ganzen Kontinent zur atomwaffenfreien Zone erklärt. Südafrika war das erste Land, das seine Atomwaffen vollständig aufgegeben hat. Zusammen mit ähnlichen Verträgen für Südostasien (1995), für den Südpazifik (Rarotonga 1985), der im März 1996 auch von den Atomwaffenstaaten unterzeichnet wurde, für Lateinamerika und die Karibik (Tlatelolco 1967) sowie die Antarktis (1959) ist nunmehr fast die gesamte südliche Hemisphäre frei von Atomwaffen.
  • <>Der Internationale Gerichtshof hat in seinem historischen Urteil im Juli 1996 in Den Haag erklärt, daß „die Drohung und der Einsatz von Atomwaffen generell in Widerspruch steht zu den Regeln des Kriegsvölkerrechts und insbesondere zu den Prinzipien und Regeln der Menschenrechte .“<>
  • Im November 1995 hat die Regierung Australiens die Canberra Kommission zur Abschaffung von Atomwaffen ins Leben gerufen, die am 14. August 1996 ihren Bericht vorgelegt hat. Die Kommission hat eine Reihe von Schritten zur atomwaffenfreien Welt identifiziert. Hierzu gehören weitere amerikanisch-russische Abrüstungsabkommen, ein Teststopp-Vertrag, eine Konvention zum Produktionsstopp für spaltbare Materialien, ein Vertrag zum Nicht-Ersteinsatz von Atomwaffen und weitere atomwaffenfreie Zonen, mit spezifischen Mechanismen zur Berücksichtigung der Sicherheitsbedürfnisse jeder Region.
  • Die Genfer Abrüstungskonferenz hat einen umfassenden Teststoppvertrag ausgearbeitet, der alle Atomexplosionen wirksam verbietet, wenn auch nicht jede Forschung und Entwicklung an Atomwaffen. Während die anderen Staaten mit der Unterzeichnung des Vertrages begonnen haben, besteht Indien weiter darauf, den Teststopp-Vertrag mit einem Abrüstungsplan zu verbinden.
  • Die große Mehrheit der blockfreien Staaten (Gruppe der 21) in der Abrüstungskonferenz, einschließlich Indien, aber ohne Südafrika und Chile, hat am 8. August 1996 ein Dreiphasen-Aktionsprogramm für die Abschaffung der Atomwaffen vorgeschlagen. Der Teststopp-Vertrag und weitere Schritte zur nuklearen Abrüstung sind Gegenstand der UNO-Generalversammlung im Herbst 1996; in einem Resolutionsentwurf Malaysias werden Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention ab 1997 gefordert.
  • Innerhalb des Netzwerks Abolition 2000 gibt es einen andauernden Prozeß zur Ausarbeitung eines Modellentwurfs für eine Nuklearwaffenkonvention, mit dem die zukünftige Abrüstungsagenda beeinflußt werden soll. Zugleich wird für die Unterstützung einer Resolution in den Vereinten Nationen geworben, die die Aufnahme von Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention fordert.

Herausforderungen und Hindernisse

Niemals waren die Bedingungen so günstig, einen Prozeß einzuleiten, der zur Abschaffung der Atomwaffen führt. Auf der anderen Seite, dürfen die potentiellen Gefahren für diesen Prozeß nicht übersehen werden.

  • Um den Prozeß in Richtung auf null Atomwaffen einzuleiten, ist von größter Bedeutung die Verpflichtung der Atomwaffenstaaten, ihre nuklearen Arsenale innerhalb eines absehbaren Zeitrahmens vollständig zu beseitigen. Doch die offiziellen fünf Atomwaffenstaaten zeigen derzeit keine Bereitschaft, ihre Atomwaffen aufzugeben. Stattdessen führen sie die Modernisierung ihrer Arsenale fort, verwenden Computersimulationen und Laborexperimente zur Atomwaffenentwicklung. Während China und Rußland immerhin prinzipiell erklärt haben, daß sie ihre Atomwaffen dann beseitigen werden, wenn alle dies tun, lehnen die westlichen Atomwaffenstaaten es ab, dieses Thema überhaupt zu diskutieren.
  • Die Verbündeten der Atomwaffenstaaten hoffen, von deren »Atomschirmen« profitieren zu können, im Widerspruch zu den Verpflichtungen, die sie mit dem NVV als Nicht-Atomwaffenstaaten unterzeichnet haben und im Gegensatz auch zum Urteil des Internationalen Gerichtshofs. Die NATO-Expansion nach Osteuropa könnte dazu führen, daß Atomwaffen auf dem Territorium weiterer Staaten stationiert werden.
  • <>Solange Atomwaffenstaaten mit der Erhaltung und Modernisierung ihrer Atomwaffen ein negatives Beispiel abgeben, ist die Verbreitung von Atomwaffen und damit verbundener Kapazitäten schwierig zu stoppen. Während nur wenige Staaten die nukleare Schwelle bereits überschritten haben, hat eine Reihe von Ländern die technischen Fähigkeiten, um den Sprung über die Schwelle zu schaffen, falls dies aufgrund des nationalen Interesses für erforderlich gehalten wird. Die Fortexistenz der Atomwaffenarsenale und Produktionsanlagen erleichtert Atomschmuggel und Atomterrorismus.<>
  • Die Wahrnehmung, daß »Verbrecherstaaten« und Terroristen nach Atomwaffen streben, ist ein treibendes Motiv für militärische Counterproliferation und Raketenabwehrprogramme in westlichen Staaten. Solche Entwicklungen können den ABM-Vertrag zur Kontrolle von Raketenabwehrsystemen untergraben, ein Nord-Süd-Wettrüsten anheizen und die politischen Bedingungen für Abrüstung ernsthaft schwächen.
  • Die Furcht vor westlicher Dominanz, verstärkt durch NATO-Expansion und Revision des ABM-Vertrages zur Kontrolle der Raketenabwehr, fördert den Widerstand gegen die Ratifizierung des START-II-Vertrages und der Chemiewaffenkonvention im russischen Parlament.

Eine Agenda für eine atomwaffenfreie Welt

Diese negativen Entwicklungen könnten die genannten positiven Entwicklungen untergraben, wenn nicht bald weitere ernsthafte Abrüstungsschritte von der internationalen Gemeinschaft unternommen werden. Die folgenden Maßnahmen sind besonders dringlich, um den Prozeß in eine atomwaffenfreie Welt einzuleiten:

  • Rasches Inkrafttreten des umfassenden Teststopp-Vertrages.
  • Gemeinsame Erklärung der Atomwaffenstaaten zum Nicht-Ersteinsatz und Garantien zum Nicht-Einsatz von Atomwaffen.
  • Erklärungen der Atomwaffenstaaten zur raschen und vollständigen nuklearen Abrüstung, zum Verzicht auf neue Atomwaffen sowie zur Schließung, zum Abbau und zur Konversion damit verbundener Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen.
  • Bekräftigung der Einhaltung des ABM-Vertrages, Ratifizierung von START-II und Beginn von START-III-Verhandlungen.
  • Sofortige Schritte zur Reduzierung der atomaren Gefahr: Beendigung der Alarmbereitschaft für die Atomstreitkräfte, Trennung der Gefechtsköpfe von den Trägersystemen, Abzug nichtstrategischer Atomwaffen, Flugtestverbot für ballistische Raketen.
  • Beginn der Verhandlungen in der Genfer Abrüstungskonferenz über eine umfassende Cut-off-Konvention für atomwaffenfähige Materialien.
  • Ratifizierung und volle Implementierung der Chemiewaffenkonvention, verbesserte Überprüfung der Biologiewaffenkonvention.
  • Die südliche Hemisphäre sowie weitere Regionen (koreanische Halbinsel, Südasien, Naher Osten, Mittel- und Osteuropa) werden zu atomwaffenfreien Zonen erklärt.
  • Weitere Verhandlungen zwischen allen Atomwaffenmächten über die Abschaffung ihrer Atomwaffen.
  • Verhandlung, Abschluß und Implementierung einer Nuklearwaffenkonvention, die alle nuklearen Rüstungskontroll- Nichtverbreitungs- und Abrüstungsmaßnahmen umfaßt.

Um die verschiedenen Schritte zur atomwaffenfreien Welt zu koordinieren und um Defizite der einzelnen Schritte zu vermeiden, ist es von großer Bedeutung, Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention als Rahmen für die Abschaffung der Atomwaffen so bald wie möglich aufzunehmen.

Daher rufen wir die Generalversammlung der Vereinten Nationen und die Regierungen aller Staaten dazu auf, den umfassenden Teststopp-Vertrag unverzüglich in Kraft treten zu lassen und, in Erfüllung des Urteils des Internationalen Gerichtshofs, so bald wie möglich Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention einzuleiten, die als Rahmen für die atomare Abrüstung in all ihren Aspekten dienen.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1996/4 Weltweit im Kommen: Die neue Bundeswehr, Seite