Think Tanks für Abrüstung und Frieden?
von Andrew Lichterman
Als Think Tank – Denkfabrik – werden in den USA alle Organisationen bezeichnet, die sich schwerpunktmäßig mit der Erforschung und Analyse von Politik befassen. Die meisten Think Tanks sind angetreten um mit ihrer Arbeit vor allem die Regierung zu informieren und – entweder direkt oder indirekt – zu beeinflussen. Versorgt ein Think Tank auch eine breitere Öffentlichkeit mit Informationen, so beliefert er diese entweder mit abgespeckten Versionen der Materialien, die er zur Beeinflussung von Regierungen erstellt hat, oder er nutzt moderne Techniken der »Public Relations« – ein höflicher Begriff für Propaganda –, um die »öffentliche Meinung« für sich zu gewinnen. Nur wenige sind angetreten, um als Experten sozialen Bewegungen zur Seite zu stehen. Andrew Lichterman über den Einfluss US-amerikanischer Think Tanks auf Rüstung / Rüstungskontrolle und die Friedensbewegung.
Die großen Think-Tanks in den USA konzentrieren sich auf die Lieferung von Informationen mit hohem Gebrauchswert für Regierungsforen, in denen Entscheidungen fallen, und auf Analyseformen, die dort besonders gut ankommen. Nur wenige Think Tanks kümmern sich um Informationen und Unterstützung für soziale Bewegungen.
Dieses Grundmuster ist bei den Themen Rüstungskontrolle und Abrüstung und nationale Sicherheit besonders ausgeprägt. Unter diesen Schlagworten wird in den Vereinigten Staaten der professionelle Diskurs der politischen Mitte über Krieg und Frieden geführt. Allerdings ist hier inzwischen von Abrüstung und Rüstungskontrolle nicht viel übrig geblieben. Bei dem Thema Abrüstung geht es fast nur noch um die Abrüstung des einen oder anderen potentiellen Gegners und unter Rüstungskontrolle wird vor allem die Sicherung des militärischen Vorteils mit anderen Mitteln verstanden; es geht um die Nutzung von Verträgen und Diplomatie zur Beibehaltung möglichst vieler eigener militärischer Fähigkeiten bei gleichzeitiger Begrenzung derer anderer Länder. Die meisten Rüstungskontrollexperten der USA arbeiten im Inland, aber auch im Ausland, direkt für die Regierung oder für Organisationen, die sich explizit oder implizit als Berater der Regierung verstehen. Abrüstung und Frieden brauchen aber Menschen auf der ganzen Welt, die die zur Gewaltanwendung neigenden Eliten und bewaffneten Bürokratien in ihren jeweiligen Ländern unter Kontrolle bringen.
In den Vereinigten Staaten ist aber der Abstand größer geworden zwischen denjenigen, die in sozialen Bewegungen aktiv sind, und denen, die behaupten, sie in den Machtzentren bei Themen wir Krieg und Frieden, Rüstungskontrolle und Abrüstung zu vertreten. Teilweise ist das auf die immer geringere politische Mobilisierung in den Vereinigten Staaten zurückzuführen. Sichtbar wird das auf jeder Ebene, vom lokalen Engagement der ehrenamtlich Aktiven bis hin zur Wahlbeteiligung. Die neuen sozialen Bewegungen, die sich in den 1960ern herausbildeten, bewirkten in den Vereinigten Staaten erhebliche soziale Reformen, die Ausweitung von Bürgerrechten, zahlreiche Umweltschutzmaßnahmen und eine gewisse Begrenzung der militärischen US-Interventionen rund um den Globus. Im Rückblick muss man wohl sagen, dass diese Bewegungen etwa Mitte der 1980er ihren Höhepunkt überschritten haben.
Zu ihrem Niedergang trugen viele Faktoren bei, nicht zuletzt eine starke und selbstbewusste Gegenbewegung der Rechten. Außerdem wurden in den letzten zwei Jahrzehnten nur wenig Geld und fast keine systematischen Überlegungen in die lokale Organisation und den Aufbau von Institutionen investiert, die Voraussetzung für sozialen Wandel sind. Am progressiven Ende des politischen Spektrums wurden, insbesondere im Zusammenhang mit Frieden und Abrüstung, die Mittel überwiegend in solche Initiativen gelenkt, die kurzfristig die Gesetzgebung und Wahlpolitik beeinflussen sollten. In den späten 1980ern und frühen 1990ern zogen sich etliche große amerikanische Friedensorganisationen von lokalen und regionalen Aktivitäten zurück und schlossen ihre lokalen Büros, setzten aber gleichzeitig die Arbeit in Washington fort und »professionalisierten« sie zunehmend. Einen deutlichen Umbruch erzwang auf jeden Fall das Ende des Kalten Krieges, mit dem auch die Angst verschwand, die für viele Amerikaner die Triebfeder zur Unterstützung von Friedens- und Abrüstungsinitiativen gewesen war.
Mehr Lobbyarbeit aber weniger vor Ort
Die meisten Organisationen setzten jetzt zwar ihre professionalisierte Forschungs- und Lobbyarbeit in den Machtzentren fort, das hatte aber zur Folge, dass sie weniger zur Organisation von Aktivitäten in der breiten und vielfältigen politischen Landschaft der USA beitragen konnten.
Bis zu einem bestimmten Grad war diese Entwicklung seit Anfang der 1980er Jahre unausweichlich. Die Freeze-Kampagne war der gezielte Versuch, dem Kongress und der Öffentlichkeit nukleare Abrüstung »zu verkaufen«, ohne in die Diskussion Fragen wie Militarismus und Empire einzubeziehen. Gemeinnützige amerikanische Stiftungen drängten die Friedens- und Abrüstungsgruppen noch weiter in diese Richtung, indem sie erhebliche Mittel an solche Gruppen vergaben, die ihre Arbeit auf den zunehmend professionalisierten Diskurs über Rüstungskontrolle und Abrüstung beschränkten. Die Gruppen wurden an den Rand gedrängt, die eine Verbindung herstellten zwischen den astronomischen Militärausgaben der USA und der wirtschaftlichen und sozialen Ungerechtigkeit innerhalb und außerhalb der USA. Das nukleare und konventionelle Wettrüsten wurde von der politischen Mitte größtenteils so dargestellt, als ginge es vor allem darum, die »sowjetische Bedrohung« mit Abschreckung zu kontern. Folglich verschwand für die Allgemeinheit mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch die »Bedrohung« – obwohl weiterhin Tausende Atomwaffen stationiert waren und die gigantische Militärmaschinerie der USA weiterrollte. So war es nicht verwunderlich, dass die »Graswurzel«-Unterstützung für die großen Friedens- und Abrüstungsorganisationen schwand. Experten, die jahrelang Rüstungskontrolle nur zur Eindämmung des gefährlichen Wettrüstens mit der Sowjetunion gefordert hatten, blieb jetzt höchstens noch die Kritik an unnötig hohen Rüstungskosten.
Alternative Think-Tanks reduzierten ihre Ziele
Während die Aktivitäten auf lokaler und regionaler Ebene verkümmerten, stellten sich die professionalisierten Rüstungskontroll- und Abrüstungsgruppen auf das sinkende Interesse an Abrüstungsthemen ein und bewegten sich immer mehr im engen Rahmen der politischen Alternativen und Methoden, die in Washington als »glaubwürdig« gelten. Sie beschränken sich inzwischen weitgehend auf die äußerst begrenzten Versuche, die eine oder andere extreme Erscheinungsform eines außer Kontrolle geratenen militärisch-industriellen Komplexes zu verhindern. Selten nur hinterfragen sie die vorherrschende Mär von der »nationalen Sicherheit« und die Definition »nationaler Interessen« der USA. Statt dessen konzentrieren sie sich auf technische Bedenken und die Kostenfrage.
Damit nicht genug: Die allermeisten Think Tanks, Lobbyorganisationen und PR-Agenturen, die sich in den Metropolen des Empire tummeln, repräsentieren konzentrierten Reichtum und Macht. Das American Enterprise Institute, die Heritage Foundation, das National Institute for Public Policy und Dutzende andere üppigst finanzierte rechte Think Tanks und Institute bieten amerikanischen Militärideologen auch dann ein exponiertes Podium und eine institutionelle Heimat, wenn diese gerade keine Machtposition halten. Sind diese wieder in Amt und Würden, verfügen sie mittels der Think-Tanks über einen fast unbegrenzten Nachschub von »Experten« zur Untermauerung ihrer Politik. In der Kapitale des mächtigsten Empires, das die Welt je gesehen hat, sind heute alle diejenigen, die auch nur für einen moderateren Einsatz der Waffen plädieren, in der entschiedenen Minderheit. Kaum jemand spricht sich noch öffentlich gegen das Projekt der globalen militärischen Dominanz im Dienste des Empires aus.
In diesem Klima haben nicht nur die Intellektuellen der Think Tanks sondern auch die Experten der meisten in Washington angesiedelten Friedens- und Abrüstungsorganisationen zunehmend weniger gefordert, weil dies angeblich die einzige »praktische« Strategie zu sein schien. Absichtlich oder unabsichtlich entsteht durch das Ausbleiben einer breiteren, fundamentaleren Politikkritik der Eindruck, die globale militärische Vorherrschaft der USA sei akzeptabel, könnte aber billiger, effektiver und vielleicht mit weniger Risiko erreicht werden. Unfähig oder unwillig, einer alternativen Vision von menschlicher Sicherheit in den USA – und auf der Welt – eine Stimme zu verleihen, bieten die »professionalisierten« Gruppen im Bereich Rüstungskontrolle und Abrüstung wenig, dass zur Inspiration und Mobilisierung der potentiellen Unterstützer von Abrüstungsbemühungen eingesetzt werden könnte. Und schon gar nicht ist dies der Fall, wenn es um Fragen der sozialen, ökonomischen und ökologischen Wurzeln globaler Konflikte geht.
Kompromissstrategien ohne Erfolg …
Daraus resultierten seit dem Ende des Kalten Krieges etliche Kompromiss-Strategien, von denen keine viel mit Abrüstung oder Frieden zu tun hatte. Für vorgeblich »gewinnträchtige« Positionen, beispielsweise zum Umfassenden Teststoppvertrag für Kernwaffen (CTBT) oder zur Raketenabwehr, wurden von Anfang an große Konzessionen gemacht, aber auch sie konnten sich letztlich nicht durchsetzen. Der CTBT und Raketenabwehr gehörten zu den wichtigsten Abrüstungsthemen, um die sich die Rüstungskontroll- und Abrüstungsgruppen in Washington in den 1990ern kümmerten, und dennoch hinterfragte kaum eine der Gruppen die grundsätzliche Legitimation oder den wirklichen Zweck dieser Waffen.
… beim Teststoppvertrag
In der Diskussion über den CTBT und die Zukunft der Kernwaffen stellten sich die meisten Organisationen dem »Stockpile Stewardship-Programm« der Regierung nicht entgegen. Dieses wurde dem Kongress und der Öffentlichkeit als Voraussetzung dafür verkauft, dass die »Sicherheit und Zuverlässigkeit« der Kernwaffenarsenale der USA auch ohne unterirdische Atomwaffentests garantiert werden könnte. In Wirklichkeit entpuppte sich das Programm als Antriebsmotor für die technische, ökonomische und ideologische Neukonsolidierung des Kernwaffen-Establishment, und ermöglicht somit die Neubestückung des Kernwaffenarsenals für die neuen Militärmissionen der Ära nach dem Kalten Krieg. Die Abrüstungsgruppen hielten still, weil sie daran glaubten, dass »Stockpile Stewardship« der politische Preis für die Ratifizierung des CTBT durch die USA sei. Folglich wurden weder die massive Modernisierung des Kernwaffenkomplexes noch die Legitimität von Kernwaffen in Frage gestellt. Und das schon direkt nach dem Ende des Kalten Krieges, als die Zeit für entsprechende Kritik so günstig war wie nie zuvor. Wer eine umfassende Diskussion einforderte, wurde in der Community kritisiert und marginalisiert. Und heute gibt es keinen CTBT, das Kernwaffen-Establishment hat an wirtschaftlicher und politischer Macht gewonnen, die Budgets wurden um Milliarden Dollar erhöht, und wir steuern unaufhaltsam auf die Produktion neuer Kernwaffen mit neuen Fähigkeiten zu.
… bei der Raketenabwehr
Zur Raketenabwehr gibt es zwei Argumentationslinien. Die erste und am häufigsten vertretene kritisiert die Pläne aus technischen Grünen: Die Abwehr strategischer ballistischer Raketen in der Flugphase funktioniert nicht, kostet zu viel und kann von einem einigermaßen ernstzunehmenden Gegner mit einfachen Mitteln getäuscht oder überwältigt werden. Die zweite betont, dass Raketenabwehrsysteme die Stabilität der »nuklearen Abschreckung« bedrohen – ein Argument, das implizit die Legitimität von Abschreckung billigt. Die Behauptung, dass Raketenabwehr lediglich zum Schutz von US-Territorium und –Bevölkerung vor einem überraschenden Angriff mit Kernwaffen dient, wurde kaum jemals angezweifelt. Nur wenige Kritiker wiesen bisher darauf hin, dass die USA mit der Raketenabwehr dem eigentlichen Ziel näher kommen wollen, nämlich auf jeder Ebene in jedem Krieg über »Eskalationsdominanz« zu verfügen, auch in den Kriegen, die von den Vereinigten Staaten selbst ausgehen. Raketenabwehrsysteme mit kürzerer Reichweite zum Schutz von Militärkräften und –basen der USA im Ausland fanden kaum Beachtung. Zusätzlich ermöglichte die Zuspitzung auf die Frage, ob Raketenabwehr überhaupt funktionieren wird, im Parlament den Kompromiss, auf den sich die Demokraten und die damalige Regierung festlegten: Keine Stationierung von Raketenabwehr, aber Milliarden Dollar für die weitere Forschung. Dieser »pragmatische« Ansatz schlug komplett fehl, und heute haben wir zwar keinen Raketenabwehrvertrag mehr aber Forschungsprojekte für zahlreiche Technologien einer mehrschichtigen globalen Raketenabwehr sowie ein rasant wachsendes neues Geschäftsfeld des militärisch-industriellen Komplexes, das wiederum die technologische und politische Basis für die weitere Militarisierung und höchstwahrscheinlich sogar Bewaffnung des Weltraums ist.
Professionalisierter Rüstungs- kontrolldiskurs wenig hilfreich
Diese trostlosen Aussichten verweisen auf eine weitere Konsequenz dessen, dass der professionalisierte Rüstungskontroll-Diskurs die Überlegungen und Aktionen stark einengt. So wie diese Sicht der Welt keinen Platz hat für das transformative Potential sozialer Bewegungen, hat sie auch keinen Platz für systematische Überlegungen über die Folgen die es hat, wenn ein erheblicher Teil der Gelder einer Gesellschaft in Institutionen gepumpt wird, die Waffen entwickeln, herstellen und stationieren. Es ist kein Zufall, dass sich einerseits die Abrüstungsexperten in den Vereinigten Staaten professionalisiert haben und andererseits keine Forschung und Analyse mehr stattfindet zu den Folgen des wissenschaftlich-technisch-militärisch-industriellen Komplexes, einem gängigen Thema der Friedensbewegung von den 1960ern bis zu den 1980ern. Heute gibt es nur wenig Daten zu den strukturellen Auswirkungen eines halben Jahrhunderts High-Tech-Militarismus auf die Wirtschaft und Gesellschaft des mächtigsten Staats der Erde.
Eine Haltung, die klar die Legitimität von Kernwaffen angefochten, das Verhältnis zwischen nuklearer Angriffsfähigkeit, Raketenabwehr und der Rolle von Raketenabwehr und Kernwaffen zur Unterstützung der konventionellen Streitmacht deutlich angesprochen, und sich vernehmbar gegen das Streben nach globaler militärischer Dominanz der USA nach dem Kalten Krieg gestellt hätte, wäre vielleicht auch nicht erfolgreich gewesen. Aber zumindest hätte sie einen erheblichen Beitrag geleistet zur Aufklärung der amerikanischen Bevölkerung über die wirkliche Rolle des US-Militärs und seiner verheerendsten Waffen. So hätte es eine viel bessere Möglichkeit gegeben, Menschen, die an eine gerechtere und friedlichere Welt glauben, zur Arbeit an diesen Themen zu inspirieren, sie in die Bewegung einzubinden, die entsprechenden Organisationen zu stärken und eine große, aktive Gemeinschaft für den Frieden aufzubauen. Wir hätten nebenbei etwas Neues geschaffen. Statt dessen haben wir praktisch alles verloren und stehen mit nichts da. Wir sind konfrontiert mit einem wiederauflebenden nuklear gerüsteten nationalen Sicherheitsstaat und kaum noch unabhängigen lokalen oder regionalen Institutionen oder Organisationspotentialen, um die Friedensbewegung neu zu beleben.
Geld für alternative Think-Tanks oder für Aktionen
Dennoch plädieren immer mehr einflussreiche Organisationen vom links-liberalen Ende des politischen Spektrums in den USA dafür, Methoden nachzuahmen, mit denen die Rechte bei den meisten Wahlen den Kurs bestimmt. Es wird vorgeschlagen, noch mehr Geld in den Ausbau schlagkräftiger »progressiver« Think Tanks und in gezieltere und effektivere Werbe- und Öffentlichkeitskampagnen zu stecken. Solche Aktivitäten dürfen aber nicht mit Organisation verwechselt werden, und wer glaubt, dass auf diese Art wirklich progressive und demokratische Programme vorangetrieben würden, ignoriert die grundlegenden Unterschiede zwischen progressiven Zielen und den Zielen der Geldgeber und Institutionen der Rechten. Eine soziale Bewegung lässt sich nicht mit einer Anzeigenkampagne aufbauen. Sie erfordert vielmehr echtes Engagement – von jedem. Sie kann nur mit der Qualifikation und dem Einsatz Millionen normaler Bürger getragen werden. Grundsätzlich geht es bei einer sozialen Bewegung nicht darum, eine bestimmte Botschaft zu »verkaufen«, sondern Menschen anzuleiten, dass sie selbst denken lernen, effektiv miteinander arbeiten, ihre eigenen Institutionen aufbauen und so nach und nach politische Macht gewinnen und behalten. Beim Organisieren geht es darum, Wissen zu teilen und Koalitionen zu formen, zunächst auf lokaler und regionaler Ebene. Es geht eben nicht um Manipulation und Indoktrination oder, wie manche Befürworter des neuen verwässerten Top-Down-Progressivismus uns glauben machen wollen, darum, ein attraktives liberales Markenzeichen zu entwickeln.
Werden Ressourcen der lokalen und regionalen Organisationen umgelenkt in immer noch professionelle Propagandaaktivitäten, führt dies zudem nur noch schneller zu fundamentalen Strukturverschiebungen, die sowohl die sozialen Bewegungen als auch die Demokratie untergraben. Zu den Verschiebungen gehört der Niedergang autonomer Institutionen mit menschlichen Dimensionen, in denen auch Durchschnittsmenschen eine Stimme haben und gegenseitige Unterstützung finden können, sowie der Ersatz echter Diskussionen durch immer noch ausgefeiltere Techniken zur Manipulation des menschlichen Bewusstseins.
Und zu guter Letzt ignoriert der Anspruch, dass mit Hilfe solcher Methoden die Chancen auch nur moderater Reformen in Bereichen mit Relevanz für progressive Menschen steigen, einen weiteren Unterschied zwischen dem progressiven und dem rechten Projekt. Die modernen Techniken zur Massenbeeinflussung sind extrem kostspielig. Mit wenigen Ausnahmen lehnen aber die reichsten Organisationen und Menschen in dieser Gesellschaft jegliche Initiativen ab, die wegführen würden von einer militarisierten Ökonomie und Gesellschaft hin zur einer faireren Verteilung von Reichtum im Inland oder auf globaler Ebene, hin zu ökologisch rationaleren Technologien und Formen der sozialen Organisation und zu einer demokratischen Kontrolle des Arbeitsplatzes. Sie geben für solche Ziele auch nicht ansatzweise das Geld aus, das sie bereitwillig in Kampagnen für weniger Gewerkschaften, weniger Vorschriften, »freie Märkte« (allerdings mit angemessenen staatlichen Hilfen für die Unternehmen), mehr Waffen und mehr »innere Sicherheit« zur Verfügung stellen. Sie wollen nicht Demokratie fördern, im Gegenteil, sie fürchten Demokratie. Sie sind mit einer reinen Propagandapolitik zufrieden, weil die am ehesten der Herrschaft weniger über viele gerecht wird.
Eine neue Vision
Diejenigen, die wirklich in den Machtzentren für Frieden arbeiten, und diejenigen, die breitere soziale Bewegungen mobilisieren wollen, brauchen einander. Angesichts des konzentrierten Reichtums der Verteidigungsindustrie und der Profiteure einer aggressiven, militarisierten Außenpolitik kann es im US-Kongress oder anderen Regierungsforen keinen Fortschritt geben, solange nicht große und stabile soziale Bewegungen etwas vollständig anderes einfordern. Diese Bewegungen brauchen zuverlässige Informationen darüber, was die Regierung und das Militär vorhaben, sowie fähige und aufgeschlossene Repräsentanten, die ihre Anliegen in Regierungsforen vertreten. Neues Denken und neue Visionen werden aber nicht von denen entwickelt, die auf die enge Welt in Washington fokussiert sind und sich selbst beschränken auf Optionen und Argumente, die heutzutage bei Kongressabgeordneten ankommen. Dieses ganze Gefüge schlittert schließlich seit Jahrzehnten nach rechts.
Eine neue Vision braucht eine ganz andere Art von Beziehung zwischen den entstehenden Bewegungen, die Frieden und Abrüstung mit globaler wirtschaftlicher Gleichberechtigung und ökologischer Nachhaltigkeit verknüpfen, und den Mainstream-Think Tanks und konventionell organisierten Lobbygruppen, die in diesem Land nach wie vor die »progressive« Debatte bestimmen. Dass sich trotz der unerbittlichsten Propagandaschlacht in der US-Geschichte ein überraschend breiter Graswurzel-Widerstand gegen den Irakkrieg formierte, macht Hoffnung, dass dies möglich ist.
Andrew Lichterman ist seit langem in der Friedens- und Umweltbewegung der USA aktiv. Er lebt und arbeitet in der Nähe von San Francisco in Kalifornien. Kontakt: http://www.marginalnotes.org Übersetzt von Regina Hagen