W&F 2012/3

Toxische Kriegsrückstände

Workshop »Exploring a Legal Framework for Toxic Remnants of War«, 22. Juni 2012, Berlin

von Manfred Mohr und Alexander Stöcker

Mit der Entwicklung des Humanitären Völkerrechts hat sich der Schutz von Menschen während Kriegen und internationalen Konflikten verbessert. Doch besonders zum Ende des 20. Jahrhunderts wurde deutlich, dass der Schutz der Umwelt bisher nur unzureichend gewährleistet wird. Der Einsatz von Agent Orange während des Vietnamkriegs und die brennenden Ölfelder im Irakkrieg sind nur zwei Beispiele für die enormen Belastungen der Umwelt während kriegerischer Auseinandersetzungen. Infolgedessen drängt dieses Thema auch immer mehr in den Fokus der Diskussion der internationalen Gemeinschaft. UN-Organisationen wie die Umweltorganisation UNEP, Nichtregierungsorganisationen und das Internationale Komitee des Roten Kreuzes befassen sich mit der Thematik, doch bis heute fehlt es an einer klaren Einordnung und speziellen Regeln, die den Schutz der Umwelt während eines Konflikts gewährleisten.1

Die Erkenntnis, dass spezielle militärische Materialien und Praktiken zu großen Umweltschäden führen können, die auch das Potential haben, die Gesundheit der Zivilbevölkerung zu beinträchtigen, wächst jedoch. Explosive Kriegsrückstände werden bereits umfassend dokumentiert und zunehmend besser gehandhabt (siehe Verträge zu Landminen und Streumunition), toxische Kriegsrückstände, die bei militärischen Aktivitäten entstehen, hingegen werden als solche bisher kaum erfasst.

Mit dieser Thematik beschäftigt sich nun das Toxic Remnants of War (TRW) Project.2 Am 22 Juni 2012 während eines Workshops an der Freien Universität Berlin stand die juristische Einordnung dieser Thematik im Vordergrund. Dort kamen Völkerrechtler, Umweltrechtler und Militärvertreter zusammen, um den aktuellen Stand zu diskutieren und einzuschätzen, inwieweit toxische Kriegsrückstände in bestehenden Regeln bereits berücksichtigt werden und wie eine künftige Regulierung aussehen könnte.

Der politisch- rechtliche Rahmen

Grundsätzlich gilt, dass auf das Problem der toxischen Kriegsrückstände wie auf den Umweltschutz in Verbindung mit bewaffneten Konflikten mehrere Rechtsgebiete parallel Anwendung finden. Dazu gehören das Humanitäre Völkerrecht, das Umweltrecht und die Menschenrechte (etwa in Gestalt des in Art. 12 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte verbürgten Rechts auf eine gesunde Umwelt).

Von großer Bedeutung ist dabei auch das Gewohnheitsrecht. So wird (u.a. vom Roten Kreuz) aus Schutzvorschriften des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen abgeleitet, dass von Konfliktparteien Umweltschutzbelange angemessen berücksichtigt werden müssen (sog. »due regard«-Regel). Dies geschieht im Zusammenhang mit einem Grundsatz, der für die Be- und Verurteilung von Umweltzerstörung durch Krieg besonders relevant ist: dem Vorsorgeprinzip (precautionary principle), das sich sowohl im Humanitären als auch im Umweltrecht findet.

Wie auf dem Berliner Workshop vorgestellt, geht das TRW-Projekt von einer breiten Arbeitsdefinition aus. Danach sind TRW toxische Substanzen, die während militärischer Aktivitäten verwandt werden oder daraus resultieren und die eine Gefährdung (hazard) für die Umwelt darstellen. Es geht um Schädigungshandlungen bzw. Auswirkungen vor, während oder nach einem Konflikt, egal ob absichtlicher oder unabsichtlicher Art. Das Schwergewicht liegt auf Post-Konflikt-Situationen (denen man bereits ein eigenes Recht – das »jus post bellum« – zuordnet), aber in Anbetracht der häufig enormen »Aufräumkosten« auch auf Prävention. Wir bewegen uns weniger im Bereich der Waffenverbote als dem der (Verpflichtung zur) Folgenbeseitigung.

Was sind toxische Kriegsrückstände?

Zu den toxischen Kriegsrückständen gehört fraglos das genotoxisch wirkende abgereicherte Uran (depleted uranium – DU), das beim Einsatz von Uranmunition Mensch und Umwelt gefährdet. Als Beispiel für weitere Substanzen mit potenzieller TRW-Qualität könnte man beispielsweise Thorium, weißen Phosphor und Dioxine nennen. Damit eine solche Substanz tatsächlich unter den TRW-Ansatz fällt, muss eine bestimmte Dosis gekoppelt mit Ausgesetztheit (exposure) vorliegen.

Um mit der Arbeit voranzukommen, kann das TRW-Projekt einen Abgleich mit vorhanden Listen von Substanzen vornehmen, die als gefährlich und risikoreich eingestuft (vereinbart) wurden. Solche finden sich sowohl im Bereich der Rüstungskontrolle (Beispiel Chemiewaffenkonvention) als auch dem des Internationalen Umweltrechts. Letzteres hat ein instruktives, expandierendes Recht zum gefährlichen Abfall entwickelt. Beispielhaft ist hier die 1989er »Baseler Konvention zur Verbringung gefährlicher Abfälle« – auch deshalb, weil eine Liste von Abfallkategorien (Stoffen) mit einer Liste von gefährlichen Eigenschaften verbunden wird.

Überhaupt ist das Internationale Umweltrecht, einschließlich vorhanden »soft laws«, von großer Relevanz für das TRW-Problem. Hierzu zählen etwa die in der Stockholmer UN-Deklaration von 1972 enthaltenen Prinzipien: Nummer 6 untersagt die Verbreitung toxischer Substanzen, die Ökosysteme ernsthaft oder irreversible schädigen; Nummer 21 und 22 sprechen die Verantwortung der Staaten an, dafür zu sorgen, dass durch Aktivitäten unter ihrer „Jurisdiktion und Kontrolle“ keine Umweltschädigungen außerhalb des Bereichs nationaler Jurisdiktion stattfinden.

Nationale Entwicklungen

Wird nationales Umweltrecht auf toxische Kriegsrückstände angewandt, können zum einen die Gesetze des Landes angewandt werden, in dem TRW anfallen. In Post-Konflikt Ländern ist die Umsetzung der eigenen Gesetze jedoch mangelhaft, da sowohl finanzielle Mittel fehlen als auch Umweltschutz meist nur eine untergeordnete Rolle spielt. Dies trifft beispielsweise auf Afghanistan, Irak und Kosovo zu. Des weiteren sind ausländische Militärangehörige häufig von diesen Gesetzen ausgenommen, da hier bilateral ausgehandelte Verträge zur Anwendung kommen.

Umweltverschmutzungen durch militärische Aktivitäten, die nicht während eines unmittelbaren Kampfeinsatzes entstehen, lassen sich grundsätzlich besser erfassen und juristisch verfolgen. Hierzu gibt es aktuell den Fall des NATO-Schießübungsplatzes Salto di Quirra auf Sardinien. Dort wurden über Jahrzehnte alle Arten von Waffen getestet und entsorgt, wodurch es zu verheerenden Umweltschäden kam, die auch die umliegende Bevölkerung betreffen. Unter anderem fanden Tests mit deutscher Beteiligung statt, wie im Fall der Erprobung des Lenkflugkörpers KORMORAN.3

Vor diesem Hintergrund wurde von dem zuständigen Staatsanwalt Domenico Fiordalisi ein Verfahren eingeleitet, um diese Geschehnisse aufzuklären. Derzeit sind 20 Personen angeklagt, darunter Personal des italienischen Militärs und Verteidigungsministeriums sowie Universitätsmitarbeiter. Die Anklagepunkte beinhalten unter anderem die vorsätzliche schwere Missachtung der Vorsichtsmaßnahmen zur Verhinderung von Unfällen und Naturkatastrophen sowie Falschaussage und Beihilfe zu einer Straftat. Herangezogen wird u.a. das italienische Gesetz Nummer 152, welches Umweltnormen vorgibt. Nach Staatsanwalt Fiordalisis Aussagen wurden an den Orten militärischer Aktivität viele der Grenzwerte für Schwermetalle überschritten. Das Ergebnis des Verfahrens bleibt abzuwarten, ebenso, wie mit den Militäranlagen auf Sardinien weiter verfahren wird.

Eine grundlegend andere Herangehensweise ist die Anwendung von nationalen Umweltnormen des Landes, das für die Freisetzung von TRW verantwortlich ist. Dabei bleibt zu klären, ob solche Normen extraterritoriale Geltung beanspruchen können. Besonders interessant ist hier die Politik des US-Militärs angesichts seiner globalen Präsenz, die durch eine Weltpolizisten-Rolle oder eines Agierens zum (reinen) Machterhalt bedingt ist.

In Einklang mit dem Prinzip der »Jurisdiktion und Kontrolle« können Militärbasen in Übersee beispielsweise als »Quasi-Territorien« eines Landes angesehen werden, aufgrund der umfangreichen Kontrolle, die das Militär über diese Basen hat. Das US-Verteidigungsministerium verfolgt dabei den Grundsatz der Einhaltung von US- oder inländischem Umweltrecht, je nachdem, welches strikter ist. In der Realität mangelt es aber an der Umsetzung dieses Grundsatzes bzw. vorhandener Normen, besonders in weniger entwickelten, konfliktbelasteten Ländern. So werden vom US-Militär in Afghanistan und Irak mehrere hundert so genannte »burnpits« betrieben, auf denen ohne sichtbare Einhaltung von Umweltrichtlinien jegliche Arten von Müll verbrannt werden, was zu immensen Belastungen der Umwelt und der dort lebenden Bevölkerung führt.

Über mehrere Gesetzgebungen findet der »Resource Conservation and Recovery Act«, das US-Gesetz für die Handhabung von toxischem Abfall, für alle Anlagen des Verteidigungsministeriums Anwendung. Nichtsdestotrotz stellte das US General Accounting Office in mehreren Gutachten fest, dass das Verteidigungsministerium Schadstoffe auf seinen Anlagen weiterhin nur unzureichend verwaltet.

Einen Sonderfall bilden die Rüstungsaltlasten in der Bundesrepublik Deutschland. Im Rahmen einer (neuerlichen) Bundesratsinitiative für ein »Rüstungsaltlastenfinanzierungsgesetz« soll erreicht werden, dass der Bund die Kosten für diese Art der Kriegsfolgenbeseitigung ganz übernimmt4 (sie würden dann pro Jahr ca. 40 Mio. Euro betragen). Besonders interessant ist an diesem Vorschlag, dass nunmehr unter Rüstungsaltlasten auch Umweltschäden aus der Zeit der (deutschen) Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg fallen sollen.

Lösungsansätze

Die Frage nach Lösungsansätzen konnte auf dem Berliner Workshop nur gestreift werden. Im Übrigen war man sich jedoch einig, dass das Thema der toxischen Kriegsrückstände von größter Aktualität und Brisanz ist. Es bringt konkret auf den Punkt, was Umweltschutz in Verbindung mit militärischen Konflikten und Aktivitäten ausmacht, was Umweltzerstörung durch Krieg bedeutet und wie man dagegen vorgehen kann. Klar ist auch, dass es sich um ein Thema von hoher politischer Sensibilität und größter Tragweite handelt: Es reicht praktisch vom NATO-Schießplatz Salto di Quirra bis zu den Giftfässern in Nord- und Ostsee aus der Zeit der Weltkriege.

Beginnen könnte man vielleicht mit der Ausarbeitung einer Deklaration zu toxischen Kriegsrückständen. Sie würde ein politisches und konzeptionelles Zeichen setzen und könnte die Staaten und die Zivilgesellschaft auffordern, sich einer Lösung des Problems zuzuwenden. Dies könnte u. a. durch eine entsprechende nationale Gesetzgebung oder ein neues, spezielles internationales TRW-Instrument (nach dem Model von Protokoll V über explosive Kampfmittelrückstände unter dem UN-Waffenübereinkommen) geschehen. Angesichts der enormen wissenschaftlich-fachlichen und politisch-rechtlichen Herausforderung steht bislang nur so viel fest: Das Thema ist und bleibt spannend.5

Anmerkungen

1) Siehe beispielsweise die Übersicht des United Nationals Environment Programme (UNEP): Protecting the Environment During Armed Conflict. An Inventory and Analysis of International Law. November 2009.

2) toxicremnantsofwar.info. Das Projekt wird finanziell von der norwegischen Regierung gefördert.

3) Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium der Verteidigung, Christian Schmidt, vom 13.06.2012 auf schriftliche Fragen der Abgeordneten Agnieszka Brugger (Grüne).

4) Vgl. Bundestags-Drucksache 17/7968.

5) Wer Anregungen, Fragen oder gar den Wunsch zur Mitwirkung hat, kann sich gerne an einer der Autoren wenden: Prof. Dr. Manfred Mohr, Leiter des Legal Toxic Remnants of War Project, mohrm@gmx.net; Alexander Stocker, Mitarbeiter des Legal Toxic Renants of War Project, alexander.stoecker@live.com.

Manfred Mohr und Alexander Stöcker

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2012/3 Klimawandel und Sicherheit, Seite 60–61