W&F 2016/2

Transforming Worldviews

Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll,
12.-13. Februar 2016

von Mauricio Salazar

Die Tagung »Transforming Worldviews – Gesellschaftliche und soziokulturelle Friedensansätze in Afrika« in der Evangelischen Akademie Bad Boll sollte zu einem Perspektivenwechsel bei der Betrachtung von Konflikten in der Region Horn von Afrika und Burundi anregen.

Weltweit nimmt die Intensität von Konflikten zu, die auf internationaler Ebene oft nur dann wahrgenommen werden, wenn sich zivile Betroffen auf den Weg machen, um anderswo Zuflucht zu finden. In der Berichterstattung der Medien werden die Konfliktursachen in der Regel stark vereinfacht und die systemische, durch unterschiedliche Interessen gekennzeichnete Komplexität der Konflikte vernachlässigt.

Die Antworten der internationalen Gemeinschaft auf diese Konflikte sind von den strategischen Interessen in der jeweiligen Region abgeleitet, und oft werden zur Befriedung militärische Einsätze auf den Weg gebracht. Werden gewisse Konflikte aber nicht gezielt geschürt, um Interessenspolitik zu bedienen, und werden dann als religiöse oder ethnische Konflikte etikettiert, obwohl sie damit gar nichts zu tun haben?

Strategische Interessen

Die Region, die bei der Tagung im Fokus stand, war schon immer kriegsträchtig, nicht zuletzt aufgrund ihrer geostrategischen Lage: gegenüber der Arabischen Halbinsel gelegen, an der Schnittstelle zwischen Rotem Meer, Arabischem Meer und Indischem Ozean. Diese Region ist für mächtige internationale Akteure seit der Eröffnung des Suezkanals im Jahre 1869 von großem Interesse; die oberste Prämisse war und ist die Sicherung der Schifffahrtsrouten und die Ölversorgung der reichen Länder. Während des Kalten Krieges war das Horn von Afrika neben dem Südlichen Afrika der zweite große Brennpunkt des Ost-West-Konfliktes in Afrika. Und heute kommt der Region im Kontext der so genannten Terrorismusbekämpfung große Bedeutung zu.

Die Einbeziehung des Horns von Afrika in globale Interessenszusammenhänge führt also zu einer häufig destruktiven Verknüpfung lokaler und regionaler Konfliktformationen mit den Interessen- und Machtpolitiken fremder Mächte. Und obwohl es sich in der Regel um einen lokalen, regionalen und internationalen Wettbewerb um die in vielen Fällen immer knapper werdenden Ressourcen handelt, werden die Konflikte nur allzu oft mit dem Etikett »ethnischer« oder »religiöser Krieg« versehen, und es werden katastrophale Interventionsmaßnahmen ergriffen.

Die Rolle der traditionellen Gesellschaften

Ein wichtiger Aspekt in der Region ist die Rolle der traditionellen Gesellschaften, die aus vielschichtigen, oft sehr kleinen Gemeinschaften, Ethnien, Clans, Sippen, Religionsgemeinschaften und anderen Zusammenschlüssen bestehen und für die Menschen in der Region die alltägliche Organisationsstruktur darstellen. Es gibt zwar auch staatliche Strukturen, die spielen im täglichen Überlebenskampf aber eine untergeordnete Rolle.

Vor allem wenn Konflikten auftreten, sorgen die örtlichen sozialen Strukturen, z.B. in Form von Ältestenräten, für eine gewisse Stabilität. Lokale Gegebenheiten werden so lange besprochen, bis gemeinsam eine annehmbare Lösung gefunden ist. Mit solchen Mechanismen regeln traditionell sowohl nomadische als auch sesshafte Völker die Verteilung und den Zugang zu Ressourcen bzw. Wirtschaftsgütern, wie Land und Wasser. Im Idealfall bleiben die Dorfgesellschaften dann selbst bei häufig extremer Armut und trotz des Einflusses unterschiedlicher Armeen in sich stabil – und gewaltfrei. Damit sind sie möglicherweise Modelle für Friedenserhaltung und Friedensbildung, für »Friedensräume«.

Die traditionellen Strukturen werden von den westlichen Medien und Forschern oft fehlinterpretiert. Ihnen gelten zuallererst die modernen staatlichen Institutionen europäischer Prägung, die von einem starken Gewaltmonopol ausgehen, als Garanten von Frieden. Für deren Förderung werden erhebliche Ressourcen bereitgestellt, die jedoch mehr destabilisieren als stabilisieren. Bedeutet die Förderung der Staatsinstitutionen doch oft die Bevorzugung der Interessen von Machteliten, so z.B. in Äthiopien und Somalia, wo mit ausländischen Finanzhilfen und mit Waffenkäufen die traditionellen lokalen Strukturen der Stabilität zerschlagen wurden.

Friedensräume

Manche Regionen bleiben hingegen trotz Konflikten und Ressourcenknappheit recht stabil. Ein Beispiel hierfür ist die Provinz Tigray im Norden Äthiopiens, wo sich lokale Strukturen mit eigenen politischen Handlungsspielräumen herausgebildet haben, die wirtschaftliche und politische Gerechtigkeit organisieren und damit einen hohen Grad an innerer Stabilität erreichen. Diese Friedensräume sind charakterisiert durch ein Netz der Solidarität und ein sehr hohes Verpflichtungsgefühl gegenüber der örtlichen Gemeinschaft. Die ausgeprägte Solidarstruktur sorgt in den einzelnen Dörfern dafür, dass sich niemand der Notwendigkeit entzieht, zur Versorgung des Gemeinwesens beizutragen.

Solche Friedensräume sind zwar lokal sehr effektiv, es mangelt aber an Kompetenzen für die Austragung darüber hinausgehender öffentlicher Konflikte. Mit Blick auf die staatlichen Institutionen würde dringend eine verbindende Komponente zwischen den lokalen Mechanismen der Konfliktbeilegung durch Dialog und der öffentlichen Konfliktbeilegung mit institutionellen Regulativen gebraucht.

»Erfolgreiches Scheitern« staatlicher Institutionen?

Aus entwicklungspolitischer Perspektive stellt das Horn von Afrika schon seit Langem ein »Armenhaus« dar, das immer wieder von katastrophalen Hungersnöten heimgesucht wird. Darüber hinaus machen etliche systemische Problemlagen, wie der Zugang zu Ressourcen in seiner lokalen und globalen Dimension, das Horn von Afrika zur chronischen Krisenregion. Und tatsächlich gehen immer wieder Menschen, die jahrhundertelang miteinander gelebt haben, plötzlich aufeinander los – zugunsten der strategischen Interessen fremder Mächte. Die mit diesem »erfolgreichen Scheitern« der staatlichen Institutionen verbundene Polarisierung wird dann dazu genutzt, Konflikte kurzerhand mit dem Etikett »ethnisch« oder »religiös« zu versehen.

Die derzeitige »Realpolitik« in der Region ist durch anhaltende Gewaltkonflikte, hochgradige Militarisierung, autoritär-repressive Herrschaftsformen, tiefsitzendes Misstrauen sowie gegenseitige und externe Einmischungspolitik gekennzeichnet. Aufgrund der demographischen Entwicklung und des Klimawandels mit der damit einhergehenden ökologischen Degradation, der strukturellen Ernährungsunsicherheit und einer wachsenden Konkurrenz um knappe natürliche Ressourcen werden sich die Konflikte am Horn von Afrika in Zukunft wohl eher noch verschärfen. Dem ist für diese Region die Forderung nach einer umfassenden Sicherheitsarchitektur auf der Basis des Konzepts »menschlicher Sicherheit« gegenüberzustellen. Eine Umsetzung dieser Vision ist momentan allerdings nicht in Sicht.

Mauricio Salazar

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/2 Stadt im Konflikt – Urbane Gewalträume, Seite 60–61