W&F 1991/4

Tritium

Ein Bombenstoff rückt ins Blickfeld von Nichtweiterverbreitung und nuklearer Abrüstung

von Lars Colschen • Martin Kalinowski

Bis vor wenigen Jahren wurde dem Tritium im sicherheitspolitischen Kontext in der Öffentlichkeit kaum Beachtung geschenkt. In der militärischen Sphäre der Kernwaffenstaaten ist Tritium dagegen seit Beginn der 60er Jahre immer eine ausreichend verfügbare Ingredienz für den Kernwaffenbau gewesen. Das änderte sich schlagartig, als 1988 in den USA die militärischen Produktionsreaktoren für Tritium und Plutonium wegen Sicherheitsmängeln stillgelegt werden mußten und als Folge die »Tritium Crisis« zu einer in Politik und Wissenschaft offen diskutierten Frage der nationalen Sicherheit hochstilisiert wurde. Politiker in Regierung und Kongreß, sowie Vertreter aus dem Pentagon fürchteten das Fehlen von Reserven, so daß die stillgelegte Produktion in Kombination mit dem radioaktiven Zerfall des Tritiums die Kernwaffen sukzessive untauglich machen würde, was in eine einseitigen quantitativen und qualitativen nuklearen Abrüstung gemündet wäre und Modernisierungsprogramme erheblich erschwert hätte. Abrüstungsexperten hingegen sahen in dem Tritiumzerfall die Chance, diesen für eine Dynamisierung des nuklearen Abrüstungsprozesses zu instrumentalisieren.

0 Bq*: Argentinien, Australien, Japan, Malaysien, Schweiz
0,0002000 GBq: Mexiko
0,0037000 GBq: Finnland
0,0050000 GBq: Indonesien
0,0370000 GBq: Philippinen
370,0000000 GBq: USA
3.700,0000000 GBq: Belgien, Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Norwegen, Süd Afrika, U.K.
37.000,0000000 GBq: Kanada
370.000,0000000 GBq: Schweden
Keine Lizenz erforderlich CSFR, Ungarn, Rumänien
* Bq ist das Maß für die Tritiumaktivität. 1 Bq=1 Zerfall pro Sekunde. 370.000 GBq Tritium sind etwa 1 Gramm.

Etwa gleichzeitig schlug in Kanada eine Diskussion hohe politische Wogen, in der es darum ging zu vermeiden, daß von den in großen Schwerwasserreaktoren produzierten, für die zivile Nutzung vorgesehenen Tritiummengen Anteile für Kernwaffen mißbraucht werden könnten.

In Europa geriet Tritium in die Schlagzeilen, als Anfang 1980 aufgedeckt wurde, daß das bundesdeutsche Unternehmen NTG illegal Tritium und Tritiumtechnologie für das pakistanische Kernwaffenprogramm geliefert hatte.

Physikalische Eigenschaften und Produktion

Tritium ist das schwerste der drei Wasserstoffisotope (sonst: Wasserstoff und Deuterium). Es hat ein Proton und zwei Neutronen im Kern. Tritium ist radioaktiv und zerfällt bei Aussendung eines Elektrons zum stabilen Helium-3. Die Halbwertszeit beträgt 12,3 Jahre. Tritium ist in der Natur, obschon in geringen Mengen vorhanden, nicht gewinnbar, sondern kann nur künstlich in Kernreaktoren erzeugt werden. Aus praktischen Gründen werden zur Gewinnung nennenswerter Tritiummengen besonders zwei Produktionswege genutzt:

  • Targets aus Lithium-6 werden in den Reaktor eingeführt und mit Neutronen beschossen. Bei einer Kernreaktion entsteht Tritium als Zerfallsprodukt. Auf diese Weise lassen sich die größten Tritiummengen herstellen, weshalb sie auch zur Versorgung der Kernwaffen verwendet wird.
  • Tritium entsteht in Schwerwasserreaktoren automatisch während des Reaktorbetriebes aus dem Deuterium des Kühlwassers. Dies ist zunächst einmal eine radioaktive Verunreinigung des Kühlwassers (Kontamination), welche durch Tritiumextraktionsanlagen behoben werden kann. Bei diesem Reinigungsvorgang wird Tritium quasi als »Abfallprodukt« gewonnen. Dieser Methode bedient sich der kanadische Tritiumproduzent, da er zahlreiche Reaktoren dieses Typs betreibt.

Die Ambivalenz der zivilen und militärischen Nutzbarkeit von Tritium

Tritium ist ein mehrseitig einsetzbares Material. Das Problem dabei ist, daß es militärische und zivile Anwendungsmöglichkeiten gibt.

Unter der Kategorie der zivilen Verwendungen können industrielle und wissenschaftliche Nutzungen subsumiert werden, während bei militärischen Verwendungen die für Nuklearwaffen und die für andere Zwecke unterschieden werden können. Die Menge an Tritium, die weltweit bisher für militärische Zwecke mindestens produziert worden ist, übertrifft die für zivile Zwecke verwendete um den Faktor 10.

Von der physischen Beschaffenheit des Tritiums her ist nicht erkennbar, ob das Tritium zivil oder militärisch genutzt werden soll. Der Umgang mit Tritium ist daher von Natur aus ambivalent. Ein Mißbrauch von für ausschließlich zivile Zwecke produziertem und gehandeltem Tritium für militärische Zwecke kann daher nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden.

Im zivilen Bereich dient Tritium sowohl als energieversorgungsunabhängige Lichtquelle in industriellen Produkten (z.B. Landebahnmarkierungen, EXIT-Schilder, Leuchtziffern in Uhren), als auch in der Forschung und Wissenschaft (als Tracer in der Biologie, Medizin und Geologie sowie bei der Fusionsforschung).

In der militärischen Sphäre findet Tritium in zwei Bereichen Anwendung. Einmal fungiert es analog zum zivilen Bereich als energieversorgungsunabhängige Lichtquelle (z.B. zur Beleuchtung der Zieleinrichtungen von Handfeuerwaffen oder für die Landebahnbeleuchtung bei nächtlichen Militäraktionen wie der Invasion von Grenada durch die USA).

Von weitaus größerer Relevanz ist Tritium aber für die Staaten, die sich im Besitz von Kernwaffen befinden. Hier hat Tritium entweder den Effekt der Sprengwirkungssteigerung (Faktor zwei bis zehn bei Spaltbomben) oder ist sogar für die Funktionsfähigkeit unabdingbar (bei der Wasserstoff- sowie der Neutronenbombe). Bei ersterem, dem sogenannten »boosting«, wird gasförmiges Tritium in Mengen von rund zwei bis drei Gramm je Sprengkopf eingesetzt, während bei den Neutronenbomben bis zu 20 Gramm pro Sprengkopf benötigt werden.

Alle fünf offiziellen Kernwaffenstaaten (USA, UdSSR, Großbritannien, Frankreich und China) nutzen Tritium heute wahrscheinlich in allen Sprengköpfen ihrer Kernwaffenarsenale.

Einfache Kernsprengsätze, wie sie zunächst jeder Staat zu konstruieren anstrebt, der sich noch in der ersten Phase seines Kernwaffenprogrammes befindet, sind tritiumlos (dies traf auch auf die Bomben zu, mit denen Hiroshima und Nagasaki zerstört worden sind).

Der Tritiummarkt

Die derzeitige zivile Nachfrage auf dem stark schwankenden Tritiummarkt liegt durchschnittlich bei 500 bis 1.000 Gramm pro Jahr weltweit. Der Preis für ein Gramm gasförmigen Tritiums beträgt 1991 etwa $ 28.000, nachdem er 1988 noch bei $ 13.000 lag. Hauptanbieter sind Kanada (Ontario Hydro, OH), die USA (Oak Ridge National Laboratory, ORNL), die UdSSR und Frankreich. Auch in der Bundesrepublik kann Tritium käuflich erworben werden. Primär aber treten die Bundesrepublik bzw. bundesdeutsche Unternehmen und Behörden (u.a. das Kernforschungszentrum Karlsruhe) als Nachfrager auf dem Tritiummarkt auf.

Aufsehenerregend war Mitte der 80er Jahre die Entscheidung Kanadas, durch das Unternehmen Ontario Hydro 2,5 Kilogramm Tritium pro Jahr auf dem zivilen Weltmarkt anzubieten. Die Angst vor einer möglichen militärischen Verwendung dieser augenscheinlichen Überproduktion war der Gegenstand von massivem öffentlichen Druck. Als Folge traf die kanadische Regierung gesetzgeberische Maßnahmen, die eine ausschließlich zivile Nutzung des kanadischen Tritiums sicherstellen sollen. Kanada hofft, sich in dieser Marktnische zu etablieren und setzt auf eine starke Ausweitung der zivilen Tritiumnachfrage. Diese Hoffnung richtet sich weniger auf den industriellen Sektor, sondern in erster Linie auf einen wissenschaftlichen Durchbruch bei der Fusionsforschung, durch den ein zusätzlicher Bedarf in der Größenordnung von mehreren Kilogramm Tritium erwartet wird.

OH kommen dabei die jüngsten Probleme bei der militärischen Tritiumproduktion zugute. Seit April 1988 mußten die Tritiumpoduktionsanlagen in Savannah River/South Carolina aus Sicherheitsgründen stillgelegt werden. Mit diesen Anlagen wurde der gesamte militärische Bedarf der USA gedeckt, geringe Mengen wurden für die zivile Nutzung verkauft. Trotz des Produktionsstopps wurden auch 1990 noch 180 Gramm Tritium aus dieser Quelle auf dem internationalen Markt angeboten.

Die kommerziellen Tritiumverkäufe aus der UdSSR stammen mutmaßlich ebenfalls aus militärischer Produktion. Bei künftig möglicherweise strengeren Sicherheitsbestimmungen für den Reaktorbetrieb erscheint auch die sowjetische Tritiumproduktion nicht als gesichert. Damit könnte sich, zumindest mittelfristig, für Kanada bzw. OH eine globale Monopolstellung ergeben, was auch auf den Tritiumpreis Auswirkungen haben könnte.

Tritiumkontrolle

Bei der praktizierten Tritiumkontrolle haben die Kernwaffenrelevanz und die diesbezügliche Verhinderung der Proliferation von Tritium und Tritiumtechnologie sowie die abrüstungspolitische Bedeutung bislang nur eine untergeordnete Rolle gespielt.

Auf der nationalen Ebene haben die Gesetzgeber die Anlagenbetreiber aus Strahlenschutzgründen dazu verpflichtet, ein Kontroll- und Buchführungssystem zu implementieren, wenn mit Tritiummengen oberhalb einer festgelegten Freigrenze hantiert wird. In Bezug auf den Strahlenschutz existieren internationale Richtlinien aufgrund von Empfehlungen der IAEO (Internationale Atomenergie Organisation), NEA (Nuclear Energy Agency) und ICRP (International Commission on Radiation Protection). Diese sind in die nationale Gesetzgebung vieler Staaten übernommen worden.

Ebenso bestehen in den meisten Staaten, in denen mit Tritium umgegangen wird, Regelungen für die Produktion, den Erwerb, Import und Export von Tritium. In der Regel sind die genannten Aktivitäten oberhalb einer Grenzmenge lizenzpflichtig. Nach der Lizenzerteilung sind die zuständigen Behörden jedoch nicht zu physischen Kontrollen oder anderen Verifikationsmaßnahmen berechtigt. Zollämter haben weder das Wissen noch die technischen Voraussetzungen, um einen Verdacht auf illegalen Tritiumtransfer zu überprüfen.

Die Regelungen variieren stark von Staat zu Staat. Dies wird besonders augenfällig bei einem Vergleich der nationalen Grenzwerte für Exportmengen, oberhalb derer eine Lizenz erforderlich ist (siehe Tabelle).

Mögliche Diebstahlvarianten und Abzweigungsstrategien für Tritium sind bei den meisten Staaten nicht in die Überlegungen bzgl. der entsprechenden Gesetzgebung eingegangen. Eine systematische Kontrolle über den Verbleib von Tritium ist zudem wegen der Vielzahl relevanter Vorschriften und zuständiger Behörden kaum durchführbar. Wenn Individuen oder Staaten die Absicht haben, unerkannt Tritium ein- oder auszuführen, bieten sich vielfältige Schlupflöcher. So befürchtet die NRC (Nuclear Regulatory Commission; das ist die in den USA u.a. für den Tritiumexport zuständige Lizensierungsbehörde), daß die derzeitigen Bestrebungen der US-Gesetzgebung, die Tritiumexportkontrollen zu verschärfen (u.a. durch die schriftliche Verpflichtung des Empfängers, keinen unautorisierten Weitertransfer des Tritiums durchzuführen), zu Einbußen bei der Kontrolle des internationalen Tritiummarktes (durch die USA!) führen könnten, da bisherige und potentielle Kunden sich dann an Anbieter wenden könnten, deren Staaten weniger Bedingungen an ihre Tritiumexporte knüpften.

Mit der Ausnahme der COCOM-Liste (Coordinating Committee for Multilateral Export Control) ist Tritium bisher keiner internationalen Technologietransferkontrolle unter dem Gesichtspunkt der Nichtweiterverbreitung unterworfen. COCOM ist in vielerlei Hinsicht ein nur sehr begrenztes Instrument. Es hat eine relativ geringe und einseitige Mitgliedschaft (nur die führenden westlichen Industrienationen). Es richtet sich als externes Regime gegen eine bestimmte Staatengruppe, die kommunistisch regierten Staaten, die es bewußt ausgrenzt und nicht zu integrieren versucht. COCOM ist daher als ein hochgradig diskriminierendes Technologieverweigerungsinstrument zu charakterisieren. Zudem hat es sich insofern überholt, als diese Staatengruppe spätestens seit 1989 nicht mehr als der monolithische Block existiert, als der er von den COCOM-Mitgliedsstaaten 40 Jahre lang perzipiert worden war. Dem versucht COCOM derzeit durch Änderungen sowohl der Inhalte der COCOM-Liste, als auch der Zielstaaten gerecht zu werden. Bezüglich der weiteren Entwicklung bestehen zahlreiche Unwägbarkeiten. Bliebe COCOM erhalten und Tritium auf der Liste, was wegen seiner Kernwaffenrelevanz zu erwarten ist, würde sich bei einer mutmaßlichen Erweiterung der Mitgliedschaft auch die Tritiumexportkontrolle ausdehnen. Nachdem die meisten ehemaligen sozialistischen Staaten wegen »Wegfall der Geschäftsgrundlage« von der Liste der Zielstaaten gestrichen worden sind, zeichnet sich eine neue Liste von Staaten ab, denen (neben den wenigen noch verbliebenen Staaten wie Nordkorea, Vietnam oder Kuba) in erster Linie gemeinsam ist, daß ihnen in irgendeiner Form Ambitionen auf ABC-Waffen unterstellt werden.

Das COCOM-Konzept kann aus den genannten Gründen auch bei etwaigen Modifikationen kein geeignetes Instrument für eine hinreichende Tritiumkontrolle auf internationaler Ebene darstellen.

Neue Entwicklungen bei der Tritiumkontrolle

Neben der derzeitigen COCOM-Revision zeichnen sich seit dem Herbst 1990 bezüglich einer internationalen Kontrolle von Tritium und Tritiumtechnologie aus Gründen der Nichtweiterverbreitung auf mehreren Ebenen neue Entwicklungen ab.

1. Im September 1990 wurde auf der vierten Überprüfungskonferenz des Nichtweiterverbreitungsvertrages (Non-Proliferation Treaty, NPT) die Proliferationsrelevanz von Tritium erstmals auf dieser Ebene bestätigt. Obschon Tritium und dessen mögliche Abzweigung für eine militärische Nutzung in dem Vertragswortlaut von 1970 kein expliziter Kontrollgegenstand des NPT ist, wurde auf der Konferenz dazu aufgerufen, eine frühzeitige und adäquate Koordination bei der Kontrolle von Tritiumexporten sicherzustellen.

Dabei wurde aber keine Diskussion mit der Intention geführt, Tritium zusätzlich zu Plutonium und hochangereichertem Uran (highly enriched uranium, HEU) unter Safeguardsmaßnahmen zu stellen, d.h. eine Tritiumkontrolle in den NPT zu integrieren. Trotzdem ist diese Sensibilisierung in Bezug auf Tritium ein erster Schritt der NPT-Mitgliedstaaten, sich mit einer Tritiumkontrolle zu beschäftigen.

2. Die Staaten der Nuclear Suppliers Group (NSG) haben während ihres letzten Treffen vom 5. bis 7.März 1991 in Den Haag eine Arbeitsgruppe mit der Aufgabe eingesetzt, die Richtlinien und die Liste der nuklearen Materialien und Technologien zu überarbeiten, die sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können, d.h. Dual-Use-Charakter besitzen.

Da Tritium in diese Kategorie fällt, haben einige Staaten, darunter auch Deutschland, vorgeschlagen, Tritium und Tritiumtechnolgie auf diese Liste zu setzen. Bis Ende 1991 wird die Arbeitsgruppe eine Vorlage für eine Ergänzung der NSG-Richtlinien erarbeiten, die auf dem nächsten Treffen der NSG 1992 in Warschau verabschiedet werden soll.

3. Kanada legt als weltweit größter Produzent von Tritium für den zivilen Markt besonderen Wert auf eine effektive Kontrolle seiner Tritiumexporte. So wurde eine entsprechende Ergänzung zum Kooperationsabkommen zwischen EURATOM und Kanada im Mai 1991 verabschiedet. Sie umfaßt eine Vereinbarung über die Lieferungen von Tritium und Tritiumtechnologie von Kanada für die europäische Fusionsforschung. Darin wird die EURATOM beauftragt, die vertragsgemäße Verwendung des gelieferten Tritiums in EURATOM-Mitgliedsstaaten zu überwachen. Eingeschlossen ist auch die Überprüfung gelieferter Tritiumtechnologie und von Tritium, das damit produziert oder verarbeitet wird.

Eine bilaterale technische Arbeitsgruppe hat den Auftrag, die spezifischen Modalitäten der Kontrolle und Buchführung auszuarbeiten. Die Mitte 1991 abgeschlossenen Kaufverhandlungen über die Lieferung von zehn Gramm Tritium an die Kernforschungsanlage Karlsruhe (KfK) bilden in diesem Zusammenhang einen Präzedenzfall. Der erste Teil des Tritiums, welches in Raten über einen mehrjährigen Zeitraum geliefert werden soll, wird 1992 nach Karlsruhe transferiert. Hier hat die EURATOM, die sich noch in der Entwicklungsphase bei den zu treffenden Safeguardsmaßnahmen befindet, die Gelegenheit, erste Erfahrungen mit der Tritiumkontrolle zu sammeln.

Dabei ist sich die EURATOM-Safeguardsabteilung der Dual-Use-Problematik des Tritums bewußt und beabsichtigt, dies bei der Entwicklung der Safeguards, z.B. durch Maßnahmen zur Verhinderung von Abzweigungen, auch zu berücksichtigen.

Bislang allerdings beschränken sich die EURATOM-Zuständigkeiten auf Tritiumlieferungen für Fusionsprojekte. EURATOM besitzt noch kein Mandat für Tritium, das für andere zivile Anwendungen oder gar militärische Zwecke gedacht ist.

Analoge Abkommen mit anderen potentiellen Tritiumlieferanten an EURATOM-Mitgliedsstaaten für Fusionsforschungsprojekte sind zu erwarten. Derzeit laufen Verhandlungen der EURATOM mit sowjetischen Behörden über eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Nukleartechnik, bei denen es auch um Regelungen für Tritium geht.

4. In den USA werden Umgang und Verkauf von Tritium durch das DoE (Department of Energy) und die NRC (Nuclear Regulatory Commission) nach zwei nationalen Gesetzen, dem Atomic Energy Act von 1954 und dem Nuclear Non-Proliferation Act von 1978, kontrolliert.

In einem Report vom März 1991 hat das GAO (General Accounting Office) festgestellt, daß die nationalen Kontrollen von Tritiumexporten für zivile Zwecke verbessert werden können. Anlaß für diesen Report waren mehrere Tritiumtransfers, bei denen relativ hohe Differenzen auftraten zwischen den Tritiummengen, die vor dem Transfer gemessen wurden und denen, die beim Empfänger noch ankamen. Daß der Report in der Rubrik »Nuclear Nonproliferation« erschienen ist, zeigt auch an, daß die USA zu den Staaten gehören, die die Dual-Use-Problematik erkannt haben und diesem Umstand mit gesetzgeberischen Maßnahmen Rechnung zu tragen versuchen. Der GAO-Report konstatiert erhebliche Schwächen im Management der Tritiumhandhabungen. Beispielsweise war nur eine allein arbeitende Person ohne jegliche Kontrolle dafür zuständig, das Tritiumgas in die Kontainer einzufüllen und für den Transport vorzubereiten. Das verantwortliche DoE versucht, die festgestellten Schwächen dadurch auszuräumen, indem es das bisher zuständige ORNL aller Verantwortlichkeiten bezüglich Tritium enthoben hat und die Tritiumoperationen seit Juli 1990 in der moderneren, angeblich besser geeigneten Tritiumanlage des Mound Laboratory in Ohio durchfuehren läßt. Zudem empfiehlt das GAO der NRC, schriftliche Endverbrauchsbestimmungen von den Empfängern zu verlangen und Abkommen mit den Empfängerstaaten abzuschließen, die einen Transfer des Tritiums in ein Drittland nur mit Zustimmung der NRC ermöglichen soll.

Fallbeispiel: Bundesrepublik und Tritiumexporte nach Pakistan

Neben den Kontrolldefiziten in den USA hat ein anderer Fall aus den Jahren 1985/1986 in der Bundesrepublik die internationale Aufmerksamkeit bezüglich Tritium erregt.

Illegale Exporte von Tritium und Tritiumtechnologie nach Pakistan (einem Land, welches in Verdacht steht, intensiv an einem eigenen Kernwaffenprogramm zu arbeiten) haben Gesetzeslücken und Vollzugsdefizite der bestehenden Gesetzgebung offensichtlich werden lassen. Interessengegensätze verschiedener Ressorts (besonders zwischen dem Bundesministerium für Wirtschaft und dem Außenministerium) sowie unterbesetzte und fachlich überforderte Exportkontrollorgane (besonders das Bundesamt für Wirtschaft, BAW und das Zollkriminalinstitut) haben es der Neuen Technologien GmbH (NTG) leicht gemacht, einen lukrativen Auftrag trotz evidenter Kernwaffenrelevanz zu realisieren.

Durch den illegalen Export von Tritium und Tritiumtechnologie haben sich seitdem die politischen Prioritäten in der Bundesrepublik in der Proliferationsfrage gewandelt. Die militärische Relevanz wurde erkannt, und die zuständigen Behörden (speziell das BAW) sind für diese Problematik sensibilisiert worden. Zudem wurden gesetzgeberische Maßnahmen und personelle Verstärkungen im Bereich der Exportkontrolle vorgenommen. Dies schließt aber nicht aus, daß Pakistan oder ein anderer Staat mit modifizierter Umgehungsstrategie sich nicht doch wieder erfolgreich den deutschen Exportkontrollen entziehen kann, um sich Tritium und Tritiumtechnologie für sein Kernwaffenprogramm zu verschaffen. Die nationalen Gesetzgebungen und Exportkontrollpraktiken vieler Staaten fallen sogar hinter den deutschen Standard zurück. Durch den NTG-Pakistan Fall bietet sich die Gelegenheit, daß die Bundesrepublik bei einem internationalen Aushandlungsprozeß über eine internationale Tritiumkontrolle die eigenen Erfahrungen einbringen kann.

Fazit

Das Fehlen stringenter, effektiver Kontrollmechnismen für Tritium und Tritiumtechnologie auf internationaler Ebene kann unter Proliferationsgesichtspunkten fatale Folgewirkungen nach sich ziehen. Im Gegensatz zu den speziellen nuklearen Materialien (Plutonium und HEU) existieren auf internationaler Ebene auch keine Vereinbarungen über den physischen Schutz von Tritium gegen Diebstahl oder Sabotage.

Erste Ansätze (COCOM, EURATOM, NSG) aus den letzten Jahren zeigen, daß eine globale Tritiumkontrolle keine Utopie bleiben muß. Für die Organisation dieser Kontrolle existieren mehrere Optionen. Sie reichen von Richtlinien für eine Harmonisierung der nationalen Gesetzgebungen für zivile Tritiumexporte bis zu der Möglichkeit der Kontrolle der zivilen und militärischen Produktion, des Transportes und der Endnutzung von Tritium durch eine unabhängige internationale Organisation (z.B. die IAEA oder eine neue Organisation) mit einem entsprechenden Apparat für die Verifikation und Sanktionsmöglichkeiten. Für die Realisierung spielen zahlreiche Faktoren wie politische Akzeptanz, technische Verifizierbarkeit und Kosten eine Rolle.

Die derzeitigen Initiativen von EURATOM sind in diesem Kontext ein konstruktiver Beitrag, aber aufgrund der organisationsimmanenten geographischen und der bestehenden anwendungsspezifischen Beschränkungen nur ein erster Schritt für eine globale Lösung.

Wünschenswert sind aber noch wesentlich weitergehende Optionen, die der Ambivalenzproblematik von Tritium besser gerecht werden.

  1. Es wäre ein generelles Produktionsverbot für Tritium denkbar. Dafür wäre die Suche nach Ersatzstoffen für die verschiedenen industriellen Anwendungen notwendig, und die Fusionsforschung müßte beendet werden. Die nukleare Abrüstung müßte mit einer am Tritiumzerfall orientierten Mindestrate vorangetrieben werden. Die Verifikation wäre einfach, da nur noch die Nichtproduktion von Tritium kontrolliert werden müßte.
  2. Weniger radikal wäre ein Herstellungs- und Nutzungsverbot von Tritium für militärische Zwecke und eine ausschließlich zivile Nutzung der Tritiumproduktion. Dies hätte dieselben Implikation für die nukleare Abrüstung, würde aber die industriellen Anwendungen und die Forschung gestatten. Die Kontrolle würde sich auf die Nichtproduktion in potentiellen militärischen und zivilen Anlagen und auf die Kontrolle der gesamten zivilen Tritiumvorräte erstrecken.

Ausblick

Wenn Kernwaffen auch weiterhin Bestandteil der Militärdoktrinen in den Kernwaffenstaaten blieben, wäre eine Tritiumproduktion in diesen Staaten auf lange Sicht unerläßlich. Falls an der Abschreckungsdoktrin festgehalten, aber gleichzeitig radikal bis auf ein »minimale Abschreckungsarsenal« mit etwa 1.000 Nuklearsprengköpfen abgerüstet würde, dann wäre eine Tritiumproduktion in den USA und der UdSSR bzw. Rußland bis weit in das 21. Jahrhundert nicht mehr notwendig (bis ungefähr zum Jahr 2030). Großbritannien, China, Frankreich und Israel könnten sich anschließen und ihre militärische Tritiumproduktion ebenfalls einstellen sowie die Produktion für den zivilen Markt durch ein internationales Safeguardssystem kontrollieren lassen. Somit könnte ein zunächst bilaterales Abkommen weiter internationalisiert werden.

Falls in den nächsten 40 Jahren auf politischer Ebene die Voraussetzungen für eine kernwaffenfreie Welt geschaffen würden, dann wäre eine internationale Tritiumkontrolle, die unter anderem ein Verbot der militärischen Nutzung von Tritium enthielte, ein möglicher Baustein für die Realisierung dieser Utopie.

Literatur

Colschen/Kalinowski, „Die Kontrolle der militärischen Nutzung von Tritium“ in: Müller/Neuneck (Hrsg.), „Stabilität und Rüstungsmodernisierung“, Baden-Baden 1991

Lars Colschen ist Diplom-Politologe, Martin Kalinowski ist Diplom-Physiker und am Zentrum für interdisziplinäre Technikforschung der TH Darmstadt beschäftigt. Beide arbeiten an dem Projekt zur Tritiumkontrolle im Rahmen der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaften und Sicherheitspolitik (IANUS) an der TH Darmstadt.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1991/4 Testfall Rüstungsexport, Seite