W&F 1983/1

Umkehren bevor es zu spät ist…

von Friedensinitiativen

Unter dieser Überschrift veröffentlichte die Unterzeichnergruppe des Mainzer Appells wenige Tage vor der Bundestagsdebatte am 21. November einen Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages als Anzeige, in dem es unter anderem heißt:

„In wenigen Tagen sieht der Bundestag vor einer folgenschweren Entscheidung, die eine neue Stufe des Wettrüstens einleiten könnte. Wir Naturwissenschaftler wollen noch einmal warnen vor Pershing II Raketen und Marschflugkörpern (Cruise Missiles), vor neuen Waffen, die nicht den Frieden sichern, sondern die Wahrscheinlichkeit eines Krieges erhöhen. Wir haben unsere Gründe im Juli auf dem Mainzer Kongreß erarbeitet und bekannt gemacht. Unsere Argumente sind nicht widerlegt.“

Das oberste Gut, das es für alle Deutschen zu wahren gilt, ist der Frieden.

Das sagte Adenauer 1955. Dieser Satz gilt heute umsomehr, denn Physiker, Strahlenbiologen, Mediziner und Katastrophenschutzexperten sagen unmißverständlich: der nächste Krieg wäre für Europa auch der letzte; was verteidigt werden sollte, würde unweigerlich zerstört würden.

Die Sicherung des Friedens erfordert Stabilität

Politiker sagen, daß die nukleare Abschreckung mit der Drohung des gesicherten Zweitschlags den Krieg der Blöcke verhindert hat. Selbst, wenn dieser Satz stimmt, bedeutet er angesichts der ständigen Aufrüstung keine Garantie für die Zukunft. Das Ziel muß aber Stabilität, nicht simple Gleichheit auf beiden Seiten heißen. Zweitschlagpotential ist überreichlich vorhanden.

Pershing II und Cruise Missiles machen den Frieden unsicherer

Bei aller Sorge wegen der neu aufgestellten sowjetischen SS 20-Raketen darf das vermeintliche Gleichgewicht nicht durch „Nachrüstung“ mit den qualitativ ganz neuartigen Pershing II Raketen und Cruise Missiles angestrebt werden. Ihre gegenüber der SS 20 zehnfach erhöhte Zielgenauigkeit bedeutet Vertausendfachung der Wirkung. Deshalb sind sie in der Lage gegnerische Kommando- und Kontrollzentren, sowie Raketensilos mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vernichten. Die Gefahr eines Krieges aus Versehen nimmt zu. Mit der Stationierung würde deshalb eine ganz neue, destabilisierende Runde der Rüstungsspirale beginnen. Kaum je ist ein einmal vollzogener Aufrüstungsschritt wieder zurückgenommen worden. Die technische Entwicklung macht dies künftig noch schwieriger.

Rüstungsstop ist möglich

Durch sofortiges Einfrieren der atomaren Rüstung in Ost und West könnte das Wettrüsten endlich angehalten und ohne zusätzliches Risiko Zeit gewonnen werden für Verhandlungen mit dem Ziel einer kontrollierten Abrüstung. Ein Einfrieren der Rüstung ist in zentralen Punkten kontrollierbar. Ein wichtiger Durchbruch ist z.B. in den letzten Jahren dadurch erzielt worden, daß die technischen Probleme der Kontrolle von unterirdischen Atombombenversuchen gelöst wurden. Ein Vertragsentwurf liegt der Genfer Abrüstungskonferenz vor. Für den sofortigen Abschluß dieses Vertrages bedarf es nur noch des politischen Willens... Wir Naturwissenschaftler wenden uns in dieser existenzbedrohenden Situation noch einmal an alle Bundestagsabgeordneten:

Setzen Sie sich dafür ein, daß Zeit gewonnen wird für ernsthafte Verhandlungen, die wirklich zur Rüstungsbegrenzung führen.

Stimmen Sie der Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles nicht zu."

BUNDESKANZLERAMT Horst Teltschik Ministerialdirektor 212 - K 35203/83

Herrn Peter Starlinger c/o Prof. Dr. H. Kneser Institut für Genetik Weyertal 121 5000 Köln 41

Sehr geehrter Herr Starlinger,

der Bundeskanzler hat mich gebeten, den Eingang Ihres Schreibens vom 28. September 1983 zu bestätigen.

Der Bundeskanzler hat Ihre Ausführungen mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Ich bitte um Ihr Verständnis dafür, daß er das von Ihnen gewünschte zusätzliche Gespräch zur Zeit nicht führen möchte.

Mit freundlichen Grüßen

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1983/1 1983-1, Seite