W&F 2014/2

Unter Anpassungsdruck

IWF und Weltbank in der multipolaren Welt

von Peter Wahl

IWF und Weltbank gaben jahrzehntelang ökonomischen Flankenschutz für die US-Hegemonie. Mit dem Umbruch des internationalen Systems hin zu einer multipolaren Ordnung könnte der IWF seine Rolle allerdings verlieren, da die BRICS-Staaten u.a. vom IWF unabhängige Strukturen schaffen. Was allerdings gebraucht wird, ist eine globale, demokratische Finanzinstitution, die an die neuen Entwicklungen angepasst ist.

Einer Studie der Columbia University und der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge war der Internationale Währungsfond (IWF) in den Jahren 2006-2013 weltweit das Ziel von 20% aller größeren Protestbewegungen und Aufstände. Das ist der Spitzenplatz, und damit liegt der IWF deutlich vor der World Trade Organization oder gar der IWF-Zwillingsinstitution, der Weltbank, die mit zwei Prozent weit »abgeschlagen« ist.1 Allerdings war es nicht immer so, dass vor allem der IWF so umstritten ist (die Weltbank stand ohnehin von Anfang an in seinem Schatten).

Ursprünglich eine gute Idee

Die Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank wurden 1944 unter dem maßgeblichen Einfluss der USA und Großbritanniens gegründet. Unausgesprochenes Motto der Bretton-Woods-Institutionen war »Nie wieder Weltwirtschaftskrise!«. Schließlich herrschte damals Konsens darüber, dass die Weltwirtschaftskrise von 1929 nicht nur eine ökonomische und soziale Katastrophe gewesen war, sondern auch den Aufstieg des Faschismus in Europa begünstigt hatte.

Die Weltbank und der IWF bildeten den institutionellen Kern der globalen Finanzordnung nach dem Zweiten Weltkrieg mit festen Wechselkursen und dem US-Dollar als Leit- und Reservewährung. Der IWF hatte die Funktion, bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten eines Landes mit Krediten einzuspringen, um eine globale Kettenreaktion wie nach dem Schwarzen Freitag 1929 zu verhindern. Die Weltbank war ursprünglich dazu da, den Wiederaufbau in Europa zu finanzieren. Dies waren durchaus sinnvolle Aufgaben, zumal beiden Institutionen die Logik politischer Kooperation in ökonomischen Grundfragen eingeschrieben war.

Teil der geopolitischen Ordnung

Damit waren die Bretton-Woods-Institutionen von Anfang an integraler Bestandteil der neuen Weltordnung für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, zu der außerdem die Vereinten Nationen und eine noch zu gründende Welthandelsorganisation gehörten. Der Kalte Krieg führte jedoch dazu, dass die Vereinten Nationen die Erwartungen nicht erfüllen konnten und die Welthandelsorganisation gar nicht erst zustande kam (bzw. erst 1995 in Form der World Trade Organization/WTO). Die Bretton-Woods-Institutionen hingegen konnten durchaus eine bedeutende Rolle spielen.

Allerdings: Auch wenn Weltbank und IWF sinnvolle Funktionen erfüllten, waren sie von Anfang an untrennbar mit herrschaftsförmigen Momenten des internationalen Systems verwoben. Dies zeigte sich schon bei der Gründung der Institutionen in Bretton Woods (New Hampshire, USA) im Juli 1944: Der britische Finanzminister Keynes – der bedeutendste Ökonom seiner Epoche – konnte seinen recht progressiven Vorschlag einer neutralen internationalen Leitwährung nicht durchsetzen. Vor allem die Etablierung des Dollars als Leitwährung wurde eine der Säulen der US-Dominanz nach dem Zweiten Weltkrieg. Seither sind nicht nur die USA das einzige Land, das sich im Ausland in der eigenen Währung und damit ohne Wechselkursrisiko verschulden kann, auch die gesamte Weltwirtschaft wird durch die Zins- und Wechselkurspolitik der USA stark beeinflusst. Die Durchsetzung der Dollarhegemonie reflektierte die Verschiebungen der Kräftekonfiguration im Zweiten Weltkrieg, d.h. den Niedergang des britischen Empire und den Aufstieg der USA zur Supermacht.

US-Hegemonie in den Spielregeln verankert

Auch in den formalen Strukturen wurde die Hegemonie der USA festgeschrieben: Anders als bei den Vereinten Nationen gilt nicht das Prinzip »Ein Land – eine Stimme«, sondern »One Dollar – one vote«, d.h. das Stimmgewicht richtet sich nach der Kapitaleinlage. Und diese wiederum richtet sich nach einem komplizierten Schlüssel, in den die Wirtschaftskraft eines Landes, aber auch die Offenheit einer Volkswirtschaft für Handel und Investitionen eingehen. Diese Regeln gelten bis heute. So hat z.B. China 3,8% der Stimmrechte, Frankreich aber 4,3% und Deutschland 5,8%. Die USA verfügen über 16,75%.

Letzteres ist relevant, da Satzungsänderungen nur mit mindestens 85% der Stimmen beschlossen werden können – daraus ergibt sich de facto ein Vetorecht für die USA. Zbigniew Brzezinski brachte es auf den Begriff: „Offiziell vertreten der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank globale Interessen und tragen weltweit Verantwortung. In Wirklichkeit werden sie jedoch von den USA dominiert.“ 2

Speerspitze der neoliberalen Wende

1972 fiel mit der Aufkündigung der festen Wechselkurse durch die USA eine tragende Säule der Nachkriegsfinanzordnung. Das war der Urknall dessen, was die Mainstream-Ökonomie später Finanzialisierung nannte und was in kritischer Theorietradition gern als Kasino-Kapitalismus oder finanzmarktgetriebener Kapitalismus bezeichnet wird – eine Variante von Kapitalismus also, in dem der Finanzsektor quantitativ und qualitativ die übrige Ökonomie dominiert. Da in dem neuen System der Markt die Kurse bestimmt und politische Zusammenarbeit als marktfremder Staatsinterventionismus in Misskredit fiel, schien es zu einem Bedeutungsverlust des IWF zu kommen. Die Weltbank hatte sich demgegenüber mit dem Wandel zur Institution multilateraler Entwicklungspolitik bereits in den 1960er Jahren neu erfunden.

1982 brach mit der Insolvenz Mexikos eine Schuldenkrise aus, die viele Länder der »Dritten Welt« erfasste. Die Krise war vor allem durch externe Schockwellen herbeigeführt worden, deren Epizentrum in den USA lag, namentlich drastische Zinserhöhungen und ein Anstieg des Dollarkurses. Über Nacht und ohne sein Zutun waren die Schulden des Südens in die Höhe geschossen und hatten viele Länder in die Zahlungsunfähigkeit getrieben.

Jetzt schlug die Stunde des IWF. Mit seinen Krediten verhinderte er zwar den Zusammenbruch der Schuldnerländer, aber dies hatte seinen Preis: Kredit gab es nur gegen Reformen. Eckpfeiler dieser Reformen waren Fiskaldisziplin, Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung. Hinter dieser Strukturanpassung stand konzeptionell die neoliberale Theorie, Markt und Wettbewerb seien die beste Form der Regulierung der Wirtschaft und politische Eingriffe in die Märkte seien schädlich. Die als »Washington-Konsens« bekannt gewordenen Reformen wurden mit einigen Modifikationen auch für die Weltbank verbindlich.

Die Bretton-Woods-Institutionen spiegelten damit den neoliberalen Paradigmenwechsel wider, der mit der Präsidentschaft von Ronald Reagan zur offiziellen Doktrin der USA wurde. Ihnen kam die Mission zu, das neue Leitbild in den Entwicklungsländern zu implementieren.

Die sozialen Konsequenzen der Strukturanpassung trafen vor allem die ökonomisch verwundbaren Sektoren der Bevölkerung. Eine Bestandsaufnahme, die 2002 von Weltbank und zivilgesellschaftlichen Organisationen gemeinsam vorgenommen worden war, kam zu einem vernichtenden Urteil.3 Zahlreiche weitere Studien kommen zu dem Schluss, dass sich in den 1990er Jahren der Trend zur Polarisierung von Einkommen und Vermögen weltweit durchgesetzt hat. Auch eine neue Studie der Forschungsabteilung des IWF kommt zum Schluss, dass weniger Ungleichheit „robust mit schnellerem und dauerhafterem Wachstum korreliert“ und dass daher „Umverteilung generell gut ist hinsichtlich ihrer Wirkung auf Wachstum“.4

Allerdings führen solche Einsichten keineswegs automatisch zu praktischen Konsequenzen. Ein Bericht der Unabhängigen Evaluierungskommission von 2011, die die Arbeit des IWF im Vorfeld der Finanzkrise untersuchte, wirft ein vielsagendes Licht auf die Arbeitsweise des Fonds: „Schwächen in den internen Strukturen, ein Mangel an Anreizen, ressortübergreifend zu arbeiten und abweichende Meinungen zur Kenntnis zu nehmen, sowie ein Überprüfungsprozess, der die »Mosaiksteine« nicht zusammenfügte oder ein Follow-up sicherte, spielten eine wichtige Rolle, ebenso wie politischer Druck einige Wirkung gehabt haben dürfte.“ 5 Mit anderen Worten: Stimmen, die nicht in die politische Richtung passen, perlen an den Mechanismen formeller und informeller Macht ab.

Bedeutungsverlust und erneute Renaissance

Der Aufstieg der Schwellenländer und der Rohstoffboom in vielen Entwicklungsländern in der ersten Hälfte der 2000er Jahre erlaubte es vielen Ländern, sich durch vorfristige Tilgung ihrer Schulden aus der Abhängigkeit des IWF zu lösen. In dem Maße, wie ihm die »Kunden« wegliefen, drohte dem IWF ein dramatischer Bedeutungsverlust.

Aber dann kam 2008 erneut eine Renaissance, dieses Mal als Resultat des Finanzcrashs. Die G20 beauftragte den IWF mit der praktischen Umsetzung der Rettungsmaßnahmen. Das Kreditvolumen wurde massiv ausgeweitet und auch die Konditionalität an die Krisenerfordernisse angepasst. Wieder einmal nahm der IWF seine ursprüngliche Aufgabe als Krisenfeuerwehr durchaus erfolgreich wahr und trug dazu bei, dass die Weltwirtschaft nicht völlig kollabierte.

Verunsicherung

Der Crash führte allerdings intern zu einiger Verunsicherung. So schreibt die oben erwähnte Evaluierungskommission: „Die Fähigkeit des IWF, die steigenden Risiken richtig zu erkennen, wurde durch ein hohes Maß an Konformismus, intellektueller Einseitigkeit […] sowie durch unangemessene theoretische Ansätze eingeschränkt.“ 6

Wenige Wochen vor seinem Rücktritt erklärte der damalige IWF-Chef Strauss-Kahn den Washington-Konsens für überholt und zitierte zustimmend Keynes: „Der dekadente internationale, aber individualistische Kapitalismus, in dessen Händen wir uns nach dem [Zweiten Welt-] Krieg wiederfanden, ist kein Erfolg. Er ist nicht intelligent. Er ist nicht schön. Er ist nicht gerecht. Er ist nicht rechtschaffen. Und er liefert keine Ergebnisse. Kurzum, wir mögen ihn nicht, und wir beginnen ihn zu verachten.“ 7

Allerdings fanden solche Überlegungen keinen Eingang in die Praxis.

IWF und Troika

Die Etablierung der Troika aus IWF, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission bescherte den europäischen Schuldnerländern die selbe harte Austeritätspolitik, wie sie zuvor die Entwicklungsländer erfahren hatten. Das demokratisch nicht legitimierte Regime der Troika hat nicht nur zu enormen humanitären Kosten geführt, sondern hat auch sein Kernziel, den Abbau der Verschuldung, nicht erreicht.8

Angesichts dessen sind inzwischen interne Widersprüche in dem Gremium aufgebrochen, und der IWF verhält sich zunehmend zurückhaltender. Hintergrund ist dabei weniger ein grundsätzlicher Kurswechsel; vielmehr sind die meisten IWF-Mitglieder – darunter auch die USA – der Meinung, die EU sei stark genug, ihre Probleme selbst zu lösen.

Hinzu kommen Differenzen über die Ursachen der Euro-Krise und die Ausrichtung des Krisenmanagements. So sind die USA und viele andere IWF-Mitglieder der Auffassung, dass die Handels- und Zahlungsbilanzungleichgewichte in der Euro-Zone – und hier als Hauptfaktor die deutschen Exportüberschüsse – eine wichtige Krisenursache sind. Berlin, Brüssel und die Europäische Zentralbank glauben aber immer noch, die Schuldnerländer häten »über ihre Verhältnisse gelebt«. In seinem Bericht über internationale Finanzentwicklungen vom Oktober 2013 kritisiert der US-Finanzminister in aller Deutlichkeit die deutsche Exportweltmeisterschaft: „Das Ergebnis ist eine deflationäre Tendenz sowohl in der Euro-Zone wie in der Weltwirtschaft.“ 9 Darüber hinaus hat der IWF schon früh die Reduzierung des Krisenmanagements auf Austeritätspolitik kritisiert und gefordert, den Krisenländern kräftige Finanzspritzen zur Ankurbelung ihrer Wirtschaft zu geben.10

Als Konsequenz aus den Differenzen steuerte der IWF bereits zum Rettungspaket für Zypern nur eine von zehn Milliarden Euro bei. An der Hilfe für Spanien ist er überhaupt nicht mehr beteiligt.

Der IWF in einer multipolaren Weltordnung

Das internationale System befindet sich im Umbruch. Die Phase einer unipolaren Weltordnung, in der die USA als einzige Supermacht agieren konnten, geht zu Ende. Das Scheitern der USA in Afghanistan, im Irak und in Libyen, die Probleme in Syrien, im Iran und im Israel-/Palästina-Konflikt, aber auch der Aufstieg Chinas zur Supermacht und das Comeback Russlands sind Indizien einer historischen Tendenz. Hinzu kommen die Schwächung durch den Crash des Finanzkapitalismus und die Aufdeckung der totalitären Indienstnahme des Internet durch den US-Auslandsgeheimdienst NSA. Zwar sind die USA militärisch und ökonomisch nach wie vor die Nummer eins – und das wird auch noch einige Zeit so bleiben –, aber der Trend zu einer multipolaren Weltordnung ist unaufhaltsam.

Dabei wird die Instrumentalisierung des IWF zum ökonomischen Flankenschutz der US-Hegemonie auf Dauer dysfunktional. Im Lager der Schwellenländer häufen sich die Versuche, sich jenseits der etablierten Institutionen zu organisieren, so zum Beispiel durch die BRICS-Staaten,11 die inzwischen eigene Gipfel veranstalten und eine eigene Entwicklungsbank etabliert haben. Auch in Lateinamerika wurde mit der Banco del Sur eine Parallelstruktur zu den Bretton-Woods-Institutionen geschaffen. Die Chiang-Mai-Initiative zur währungspolitischen Kooperation zwischen China, Südkorea, Japan und den im ASEAN zusammengeschlossenen südostasiatischen Staaten läuft auf einen regionalen Ersatz für den IWF hinaus. Zwar sind diese Versuche alle noch im Anfangsstadium und ihre Tragfähigkeit muss sich erst noch erweisen, sie stehen aber für eine neue Grundtendenz.

Eine globale Institution für die internationale Kooperation in Finanzfragen wird unter Bedingungen einer globalisierten Weltwirtschaft dringender gebraucht als je zuvor. Daher ist die Forderung nach Abschaffung des IWF keine Lösung. Notwendig wäre jedoch ein Wandel, bei dem der IWF der Instrumentalisierung durch die USA entzogen, dem Trend zur multipolaren Welt angepasst und insgesamt demokratisiert wird. Allerdings wird dies nicht isoliert von einer demokratischen Umgestaltung des internationalen Systems funktionieren. Insofern sind für emanzipatorische Politik noch viel Geduld und zähes Bohren dicker Bretter vonnöten.

Anmerkungen

1) Sara Burke et al. (2013): World Protests 2006-2013. Working Paper der Initiative for Policy Dialogue, Columbia University New York and Friedrich-Ebert-Stiftung New York.

2) Zbigniew Brzezinski (1999): Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft. Frankfurt am Main: Fischer, S.49.

3) Structural Adjustment Participatory Review International Network – SAPRIN (2002): The Policy Roots of Economic Crisis and Poverty. A Multi-Country Participatory Assessment of Structural Adjustment, Based on Results of the Joint World Bank/Civil Society Structural Adjustment Participatory Review Initiative (SAPRI) and the Citizens’ Assessment of Structural Adjustment (CASA). Washington D.C.

4) Jonathan D. Ostry, Andrew G. Berg, Charalambos Tsangarides (2014): Redistribution, Inequality, and Growth. Washington D.C.: International Monetary Fund Research Department, S.4.

5) IEO – Independent Evaluation Office of the International Monetary Fund (2001): IMF Performance in the Run-Up to the Financial and Economic Crisis: IMF Surveillance in 2004-07. Washington D.C., S. v.

6) Ibid.

7) Dominique Strauss-Kahn: Global Challenges, Global Solutions – an address at George Washington University. Washington, April 4, 2011. S.4.

8) International Monetary Fund: World Economic Outlook Database. October 2013.

9) U.S. Department of the Treasury Office of International Affairs: Report to Congress on International Economic and Exchange Rate Policies. Washington, October 2013, S.3.

10) Financial Times Deutschland, 5.9.2011. S.9.

11) Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika.

Peter Wahl ist Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation »WEED – Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung« und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von Attac.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2014/2 Gewalt(tät)ige Entwicklung, Seite 18–20