W&F 1991/4

Vage Absichten und gute Geschäfte

Zur aktuellen Rüstungsexport-Kontrollpolitik der Industrieländer

von Katrin Fuchs

Saddam Hussein konnte nur deshalb Krieg führen, weil ihm die halbe Welt Waffen geliefert hatte. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Gut 80% der Waffenimporte des Irak stammten von den fünf Ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates. Und so gab es nach dem Golfkrieg eine Reihe neuer Anstrengungen, das Netz der Rüstungsexport-Kontrollen fester zu knüpfen. Erstmals wurde auch die konventionelle Rüstung in diese Initiativen einbezogen. Die früher in vertraulichen Runden behandelten Themen der Exportkontrolle für Nuklearrüstung, Chemiewaffen und Raketen wurden zur Chefsache erklärt und mit breitestmöglicher Öffentlichkeit erörtert. Die Präsidenten Bush, Mitterrand und Mubarak legten eigene Pläne zur Abrüstung vor.

Ich will der Frage nachgehen, inwieweit diese neuen Initiativen eine Abkehr von der bisherigen Praxis darstellen, den Nahen Osten mit Waffen vollzustopfen, oder ob es sich dabei eher um flankierende Maßnahmen für Optionen militärischer Krisenlösungen handelt.

Der Bush-Plan

Es lohnt sich, insbesondere die Bush-Initiative näher zu betrachten und sie mit der Entwicklung der US-Rüstungsexporte in den Nahost-Raum zu vergleichen.

In einer Rede vor der U.S.-Luftwaffenakademie in Colorado Springs stellte Präsident Bush am 29.5.91 seine Rüstungskontrollinitiative für den Nahen Osten vor1. Bush schlug sehr unterschiedlich strikt gefaßte Abrüstungsziele und Rüstungsexportkontrollen für atomare, chemische, biologische und konventionelle Waffen sowie für Raketen vor2. Die Vorschläge sollten für den ganzen Mittleren Osten unter Einschluß von Irak, Iran, Libyen, Syrien, Ägypten, Libanon, Israel, Jordanien, Saudiarabien und der anderen Staaten des Maghreb und des Golfkooperationsrates gelten und wandten sich zunächst an die „fünf Hauptlieferanten konventioneller Waffen“ Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion, China und USA, und in einem zweiten Schritt an die G-7-Gruppe der führenden westlichen Wirtschaftsmächte.

Land Datum Wert2 Waffensystem/Service
Ägypten 15.10.90 281 Mio. 136.000 Patronen 120mm Munition für die M1A1-Panzer
15.10.90 70 Mio. 40 M88A1 Aufklärungsfahrzeuge und zugehörige Waffen, 40 M2 50-Kaliber Maschinenkanonen und 80 AN/PV9-5 Nachtsichtgeräte
1.3.91 1,6 Mrd. 24 F-16C und D Flugzeuge, 8 Ersatztriebwerke; 100.000 Patronen von 20mm Munition; 240 MK84 und 1.000 MK-82 frei fallende Bomben; 20 GBU-10 und 28 GBU-12 Gleitbomben; 40 AGM-65D und 40 AGM-65G Maverick Luft-Boden-Raketen; und 160 CBU-87 und 80 MK-20 Clusterbomben
Total 1,95 Mrd.
Bahrain 27.9.90 37 Mio. 27 M60A3 Kampfpanzer und 50 AN/PVS-5 Nachtsichtgeräte
5.6.913 8 Apache Hubschrauber
Total 37 Mio.
Israel 10.904 240 Mio. 2 Patriot-Raketenbatterien, 10 Patriot Raketenabschußgeräte, 128 Patriot Raketen
10.905 13,6 Mio. 10 CH-53A Transporthubschrauber
10.90 67,5 Mio. 15 F-15A und B Kampflugzeuge
22.3.91 350 Mio. 1 Patriot-Batterie – 8 Abschußgeräte und 64 Raketen
31.5.916 65 Mio. 10 F-15A und B Flugzeuge
100 Mio. Eingelagerte Ausrüstung7
Total 836 Mio.
Saudi-Arabien 29.8.90 2,0 Mrd. 24 F-15C und D Flugzeuge (mit Sidewinder und Sparrow Luft-Luft-Raketen)
29.8.90 206 Mio. 150 M60A3 Kampfpanzer
29.8.90 13 Mio. 15.000 Patronen 105mm Panzerabwehr-Munition für die M60A3-Panzer
29.8.90 12 Mio. 50 Stinger-Abschußgeräte und 200 Stinger Boden-Luft-Raketen
27.9.90 33 Mio. 150 TOW II Panzerabwehr-Raketenabschußgeräte und 150 TOW II Nachtsichtgeräte
27.9.90 307 Mio. Technische und logistische Unterstützung für Modernisierungs-, Kampfwertsteigerungs- und Wartungsprogramme der Seestreitkräfte
7.9.90 300 Mio. 12 AH-64 Apache Hubschrauber, 155 Hellfire-Raketen mit 24 Abschußgeräten
27.9.90 1,8 Mrd. 10.000 Rad-Fahrzeuge
27.9.90 984 Mio. 6 Patriot-Batterien, 48 Patriot Abschußgeräte und 384 Raketen
27.9.90 121 Mio. 8 UH-60 Medevac Hubschrauber und Ersatztriebwerke
27.9.90 64 Mio. 9 Mehrfachraketenwerfer MLRS und 2.880 MLRS-Raketen
27.9.90 3,14 Mrd. 150 M1A2 Kampfpanzer; 200 Bradley Schützenpanzer (inkl. TOW-Versionen und 1.750 TOW IIA Raketen); 207 M113 Manschaftstransportwagen; 50 M548 Transportfahrzeuge; 17 M88A1- und 43 M578-Aufklärungsfahrzeuge
22.3.91 158 Mio. Hilfsdienste des US-Armee Corps of Engineers für das saudische Army Ordnance Corps
22.3.91 300 Mio. Ersatzteile und Wartungsdienste für die saudischen Streitkräfte
22.3.91 461 Mio. Ersatz und Reparatur von Geräten, die während »Desert Storm« eingesetzt wurden
Total 9,9 Mrd.
Vereinigte Arabische Emirate 5.6.918 500 Mio. 20 Apache Hubschrauber
Total 500 Mio.

Konventionelle Rüstung

Für den Bereich der konventionellen Rüstung schlug Bush einerseits „allgemeine Verhaltensrichtlinien für verantwortliche Rüstungstransfers“ vor, „um destabilisierende Exporte zu vermeiden“, andererseits betonte er das „legitime Bedürfnis eines jeden Staates auf Selbstverteidigung“. Der Mitterrand-Plan vom 31. Mai 1991 betonte die Notwendigkeit, „ein Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten bzw. herzustellen“ und schlug vor, ein UN-Register für Waffenexporte einzurichten.

Am 8./9.7.91 trafen sich die fünf Ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates in Paris, um über die amerikanischen und französischen Vorschläge zu beraten. Dabei wurde die Bush-Initiative von den Fünf in fast allen Einzelheiten übernommen.

Der Londoner G-7-Gipfel Mitte Juli 91 veröffentlichte eine umfangreiche Erklärung zum „Transfer konventioneller Waffen“ und zur „Nichtverbreitung“ 3, die sich nicht auf den Nahen Osten beschränkt, sondern allgemein gültige Regeln formulieren will. Für konventionelle Waffenexporte sollen die „drei Grundsätze der Transparenz, der Konsultation und des Handelns“ gelten. Transparenz soll durch die Einrichtung eines allgemeinen Registers für den Transfer von Waffen unter UN-Aufsicht erreicht werden, Konsultation durch die „Aufnahme von Gesprächen zwischen den führenden Rüstungsexporteuren“ mit dem Ziel, „eine gemeinsame Haltung im Hinblick auf die Richtlinien zu vereinbaren, die auf den Transfer konventioneller Waffen Anwendung finden.“ Der Grundsatz des Handelns soll dadurch konkretisiert werden, daß „alle Staaten von Waffenexporten absehen, die sich destabilisierend auswirken oder bestehende Spannungen verschärfen würden.“ In diesem Zusammenhang sollen „spezielle Anstrengungen unternommen werden, um sensitive Gegenstände und Produktionskapazitäten für fortgeschrittene Waffen zu definieren, auf deren Transfer ähnliche Beschränkungen Anwendung finden könnten.“

All dies sind lobenswerte, wenn auch denkbar vage Absichtserklärungen. Aber selbst diese unverbindlichen Vorsätze werden durch die Explosion der Rüstungsexporte in den Nahost-Raum nach dem Ende des Golfkrieges vollständig überrollt. Beispielhaft dafür ist die Entwicklung der amerikanischen Rüstungsexporte nach Nahost: Im Finanzjahr 1989 betrugen sie weniger als 7 Mrd. $, von August 1990 bis Juni 1991 schon über 13,2 Mrd $4, und für das Finanzjahr 1992 hat die amerikanische Regierung mit der Javits-Liste ein Rüstungsexportvolumen nach Nahost von sage und schreibe 25 Mrd. $ angekündigt.5 Der Golfkrieg hat die US-Rüstungsexporte in die Nahost-Region verdoppelt, jetzt sollen sie auf das Dreifache des Vorkriegsstandes steigen. Damit wird dieselbe Politik fortgesetzt, die bereits zum Ausbruch des Golfkrieges beigetragen hat, und diese Politik kann auch den nächsten Krieg dort möglich machen. Ausgerüstet werden immer die jeweiligen »Freunde« gegen die jeweiligen »Feinde«. Dabei kann sich die Zuordnung, siehe Iran oder Syrien, sehr schnell ändern. Einem Rüstungsschub folgt ein Krieg, »heiße Abrüstung«, dann wieder ein neuer Rüstungsschub. Dieser verheerende Zyklus ist, wie die Exportstatistik zeigt, durch den Bush-Vorschlag nicht im mindesten berührt worden, im Gegenteil, der Bush-Vorschlag ist die Begleitmusik für eine wahre Explosion von Rüstungsexporten in eine ohnehin schon hochexplosive Region.

Grundsätzlich ist es eine Anmaßung, daß fünf oder sieben Staaten meinen, entscheiden zu können, was für den Rest der Welt als destabilisierend zu gelten hat und was nicht, während sie für sich selbst nicht die geringste Verpflichtung zur Beendigung des High-Tech-Rüstens eingehen und ihre eigene Klientel mit modernsten Waffen ausrüsten. Rüstungsexport-Kontrollpolitik verkommt so zu einem flankierenden Instrument der Option militärischer Krisenlösungen und zur „Bildung eines Lieferantenkartells für Waffen“, wie der Berliner Friedensforscher Prof. Albrecht schreibt.

Nuklearrüstung

Für den Bereich der Nuklearwaffen schlug Bush ein verifizierbares Verbot des Erwerbs und der Produktion von waffenfähigem Material, den Beitritt aller Staaten der Region zum Nichtverbreitungs-Vertrag (NVV) und die Unterstellung aller Nuklearanlagen unter die Kontrollen der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) vor. Ferner sollte eine regionale atomwaffenfreie Zone eingerichtet werden.

Der G-7-Gipfel unterstützte diese Vorschläge, ohne daß kernwaffenfreie Zonen erwähnt wurden.

Hauptziel der Vorschläge ist die Festigung eines weltweiten Regimes, nämlich das des Nichtverbreitungsvertrages (NVV). Allerdings verlieren weder die Bush-Initiative noch die G-7-Erklärung ein Wort über die im NVV niedergelegte und bis jetzt weitestgehend ignorierte Verpflichtung der Kernwaffenstaaten zu „allgemeiner und vollständiger Abrüstung“. Wie destruktiv diese Unterlassung gerade im Sinne der Ziele eines effektiven Rüstungsexport-Kontrollregimes ist, zeigt sich am Verhältnis der Bush-Initiative zur israelischen Atomrüstung. Die Bush-Initiative fordert alle Staaten des Nahen Ostens auf, dem NVV beizutreten. Da aber Art. IX, Abs. 3 NVV einen Kernwaffenstaat als einen Staat definiert, „der vor dem 1. Januar 1967 eine Kernwaffe oder einen sonstigen Kernsprengkörper hergestellt und gezündet hat“, würde dies bedeuten, daß Israel dem NVV nur als Nichtkernwaffenstaat beitreten könnte. Dies wiederum hätte zur Folge, daß Israel bei einem Beitritt zum NVV seine Nuklearrüstung zu beseitigen hätte. Um diesen zentralen Aspekt aber mogelt sich die amerikanische Regierung herum, indem sie ihn nicht thematisiert. Der Eindruck der Doppelbödigkeit wird durch den Umstand verstärkt, daß der Bush-Vorschlag lediglich den „Erwerb“ und die „Produktion“ von waffenfähigem Material verbieten will, nicht aber dessen Besitz. D.h. Israel müßte seine Vorräte an waffenfähigem Material nicht aufgeben. Daß dieser Umstand in der Nahost-Region sehr genau erkannt worden ist, zeigt der Mubarak-Plan, der neben dem Verbot der Produktion und des Erwerbs von waffenfähigem Material auch die Verpflichtung fordert, nicht über „Vorräte dieses Materials zu verfügen.“ 6

Die amerikanische Non-Proliferationspolitik setzt sich damit dem Verdacht der Doppelbödigkeit und der einseitigen Bevorzugung der heimlichen Atommacht Israel aus.

Grundsätzlich leiden alle Bemühungen um nukleare Non-Proliferation daran, daß die Kernwaffenstaaten nicht bereit sind, auf ihre eigenen Kernwaffen zu verzichten, ja sie sogar als letztes Unterpfand der eigenen Sicherheit begreifen. An diesem Gedanken hält Bush auch mit seiner jüngsten Abrüstungsinitiative fest: „Aber die Vereinigten Staaten müssen weiter moderne Atomstreitkräfte einschließlich der strategischen Triade unterhalten, um damit die Glaubwürdigkeit unserer Abschreckung zu gewährleisten.“ Solange das so bleibt, werden bestimmte Schwellenländer immer wieder versucht sein, sich eher an den Taten der Kernwaffenstaaten als an deren Worten zu orientieren und daraus den Schluß ziehen, selbst Kernwaffen zu bauen.

Chemische und biologische Waffen

Im Bereich chemischer und biologischer Waffen schlug Bush vor, daß alle Staaten der Region der künftigen C-Waffenkonvention als Erstunterzeichner beitreten, die Implementierung der B-Waffen-Konvention stärken und vertrauensbildende Maßnahmen in beiden Bereichen einleiten sollten. Der G-7-Gipfel beschloß, die B-Waffenkonvention solle durch wirksame Verifizierungsmaßnahmen gestärkt werden. Damit sind die Vorschläge in diesem Bereich am klarsten und weitreichendsten: Ziel ist ein weltweites, für alle Staaten gleichermaßen gültiges Regime der Beseitigung biologischer und chemischer Waffen, das in kritischen Regionen durch Vertrauensbildung ergänzt werden soll.

Raketen(technologie)

Bush schlug vor, den Erwerb, die Produktion und das Testen von Boden-Boden-Raketen in der Nahost-Region einzufrieren mit dem Ziel, diese endgültig zu beseitigen. Die Ankündigung von Präsident Bush, weltweit alle nuklearen Kurzstreckenraketen zu beseitigen und die gleichlautende Antwort Gorbatschows dürften die Chancen für die Beseitigung der Raketen im Nahen Osten verbessern. Der G-7-Gipfel appellierte an alle Staaten, die Richtlinien des Missile Technology Control Regime (MTCR) zu übernehmen.

Grundsätzlich strebt das Missile Technology Control Regime nicht die Errichtung eines weltweiten Regimes an, das mit den Verträgen im atomaren, chemischen und biologischen Bereich vergleichbar wäre. Das Grundprinzip ist hier die Trennung in eine Besitzer- und eine Nichtbesitzergruppe. Im Gegensatz zum atomaren Bereich, wo der Nichtverbreitungsvertrag wenigstens noch ein unverbindliches Bekenntnis der Kernwaffenbesitzer zur allgemeinen Abrüstung enthält, haben die Raketenbesitzer nirgendwo erklärt, daß sie ihre militärisch genutzten Flugkörper abrüsten wollen. Die Nichtbesitzer von Raketen werden zudem auch von deren ziviler Nutzung praktisch ausgesperrt. Zwar ist unter Fachleuten verschiedentlich über eine Internationalisierung der Weltraumforschung und damit der Raketennutzung diskutiert worden, aber die aktuellen Vorschläge der Industrieländer enthalten nicht den geringsten Ansatz in diese Richtung.

Die Wiederbelebung bestehender Rüstungsexportkontrollforen

Bemühungen um Rüstungsexport-Kontrolle im nuklearen und chemischen Bereich und bei der Trägertechnologie hat es bereits seit den siebziger Jahren gegeben. Es trägt zum Verständnis bei, sich diese Ansätze noch einmal in Erinnerung zu rufen, denn seit dem Golfkrieg wurde die Tätigkeit dieser Foren wiederbelebt und intensiviert.

Nuklearrüstung: Nuclear Suppliers Group (Londoner Gruppe)

1974 wurde das Nuclear Exporters Committee der IAEA gegründet, das die nach dem Vorsitzenden des entsprechenden Komitees, dem Schweizer Diplomaten Zangger benannte Zangger-Liste bestimmter Anlagen und Materialien für den Brennstoffkreislauf ausarbeitete, die nur dann an Nichtkernwaffenstaaten exportiert werden durften, wenn diese die Kontrollen der IAEA akzeptierten. Das Nuclear Exporters Committee war der erste Versuch, die in Art. III, Abs. 2 Nichtverbreitungsvertrag niedergelegte Verpflichtung auszufüllen, Nuklearexporte an Nichtkernwaffenstaaten den „erforderlichen Sicherungsmaßnahmen“ zu unterwerfen. Frankreich als Nichtunterzeichner des NVV war nicht beteiligt.

Nicht zuletzt aus diesem Grunde wurde 1975 außerhalb der IAEA die Nuclear Suppliers Group (NSG) gegründet – auch Londoner Gruppe genannt –, an der sich die USA, die Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland, Kanada und Japan beteiligten. Die NSG erarbeitete die Londoner Richtlinien, eine erweiterte Fassung der Zangger-Liste.

1978 stießen Schweden, Polen, Italien, Belgien, die CSSR, die Niederlande, die Schweiz und die DDR zur NSG, später auch Österreich, Luxemburg, Dänemark, Griechenland, Irland, Finnland, Ungarn, Bulgarien und Südafrika dazu. 1978 stellte die Londoner Gruppe ihre regelmäßigen Treffen ein.

Im März 91 trafen sich 26 Staaten, um die NSG wiederzubeleben. Die NSG will sich in Zukunft besonders der Kontrolle doppelt verwendbarer Anlagen widmen. Der G-7-Gipfel appellierte „dringend an alle Nuklearlieferländer, die Richtlinien der Gruppe der Nuklearlieferländer anzunehmen und umzusetzen.“ Wichtige neue Lieferländer wie Argentinien, Brasilien, China, Südkorea, Indien und Pakistan, die sämtlich den Nichtverbreitungsvertrag nicht unterschrieben haben, sind auch nicht Mitglieder der NSG.

C-Waffen: Australische Gruppe

Unter dem Eindruck des Einsatzes von C-Waffen im irakisch-iranischen Krieg gründeten die USA und neun weitere Industrieländer 1984 die australische Gruppe zur Ausarbeitung von Richtlinien zur Exportkontrolle für Stoffe, die zum Bau von C-Waffen nutzbar sind.

Inzwischen gehören der Gruppe 20 Staaten an: Die EG-Staaten, die EG-Kommission, die USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Japan, Norwegen, Österreich und die Schweiz.

Die Gruppe arbeitete zwei Listen aus: eine »Warnliste« mit 50 Stoffen und eine »Kernliste« mit 9 Stoffen, die Ausfuhrbeschränkungen unterworfen werden sollten. Noch Ende 1990 unterlag nur in wenigen Mitgliedsstaaten der Gruppe, darunter in der Bundesrepublik, der Export aller 50 Stoffe der Genehmigungspflicht.

Im Mai 91 einigten sich die Mitgliedstaaten unter dem Eindruck des Golfkrieges und der irakischen C-Waffenpotentiale darauf, alle 50 Stoffe Exportbeschränkungen zu unterwerfen und zwar in alle Staaten außerhalb der Gruppe. Im Dezember 91 will sich die australische Gruppe erneut treffen und sich mit Exportkontrollen für Stoffe und Anlagen beschäftigen, die zur Produktion von B-Waffen benutzt werden könnten.

Raketentechnologie: Missile Technology Control Regime (MTCR)

Nach jahrelangen Geheimverhandlungen hatten die G-7-Staaten 1987 Richtlinien zur Kontrolle des Exports unbemannter Trägersysteme ausgearbeitet, das Missile Technolog Control Regime. Seit Anfang 1990 hält sich auch die Sowjetunion an diese Richtlinien. Kontrolliert werden soll der Export aller Raketensysteme (ballistische Raketen und Cruise Missiles) mit einer Wurflast von mehr als 500 kg und einer Reichweite von mehr als 300 km. Unter Kategorie I werden komplette Raketensysteme, Subsysteme sowie spezielle Produktionsanlagen für Raketen zusammengefaßt. Sie sollen normalerweise überhaupt nicht und wenn, dann nur unter strengen Kontrollen, exportiert werden. Unter Kategorie II werden sonstige relevante Technologien erfaßt, deren Export im Ermessen der Mitglieder steht. Jetzt verlagert sich das Interesse zunehmend auch auf die Erfassung von Anlagen und Technologien unter Kategorie II.

Multilaterale Exportkontrollpolitik?

Aus einer Reihe von Gründen sind die Erfolgsaussichten auch der neuerlichen Rüstungsexport-Kontrollinitiativen eher bescheiden.

Dies zum einen schon wegen der komplizierten technischen Natur des Rüstungstransfers und der wechselnden Interessenlagen von Liefer- und Empfängerländern, die in bestimmten politischen Konstellationen Rüstungsexporte – siehe oben – geradezu als geboten erscheinen lassen. Noch gravierender aber ist, daß die Rüstungsexport-Kontrollpolitik der Industrieländer durch zentrale innere Widersprüche geprägt ist, die ihre Wirksamkeit von vornherein untergraben.

Der Widerspruch zwischen der Privilegierung der Besitzerstaaten und der Diskriminierung der Nichtbesitzerstaaten führt zu unterschiedlicher und selektiver Behandlung der verschiedenen Rüstungskategorien.

Die Bush-Initiative und die G-7-Erklärung setzen für die verschiedenen Rüstungskategorien unterschiedliche, verschieden weitgehende und teilweise willkürlich interpretierbare Ziele. Während die Vorschläge für den Bereich der atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungsmittel auf den Abschluß bzw. die Stärkung global wirksamer Verträge zielen, strebt man im Bereich der Raketenproliferation und des konventionellen Rüstungsexports nicht Verträge, sondern lediglich einen politischen Konsens der Lieferländer an.

Gemeinsames Grundmuster ist hier, daß die Industrieländer bestimmte Rüstungsgüter und dafür sensible Technologien, die sie besitzen, an die Staaten der Dritten Welt nicht weitergeben, selbst aber behalten wollen. Die Rüstungsexport-Kontrollpolitik der Industrieländer ist gekennzeichnet durch eine systematische Privilegierung der Besitzerstaaten und die Diskriminierung der Nichtbesitzerstaaten und zielt damit auf „ein selektives strategisches Embargo;7. Dadurch, daß diese Politik bestimmten Staaten bestimmte Waffen gibt, anderen Waffen verweigert und sich selbst alle Rüstungsoptionen offen läßt, trägt sie dazu bei, die Option militärischer Krisenlösungen für Nord-Süd-Konflikte offenzuhalten.

Die Rüstungsexport-Kontrollpolitik der Industrieländer zielt letztlich auf ein System ungleicher Sicherheit, das keine dauerhafte Stabilität bringen kann. Sie ist in sich brüchig und wird längerfristig wirkungslos bleiben. Vordergründig liegt das daran, daß die vorhandenen Exportkontrollen nicht »hart« genug sind und es zu viele »schwarze Schafe« gibt; im Grunde aber untergraben die Industrieländer selbst, und insbesondere die Atommächte, mit ihrer fortgesetzten Abstützung auf Abschreckung durch Atomwaffen, denen sie eine friedensstiftende Rolle zumessen, jedes wirksame Rüstungsexport-Kontrollregime. Auch in der Dritten Welt wird man die Colorado-Springs-Rede von Präsident Bush, in der er in zehn Zeilen seine Nahost-Rüstungskontrollinitiative ankündigte, während er seitenweise über die Vorzüge von Stealth und Raketenabwehr schwärmte, lesen und eigene Schlüsse ziehen. Es ist zu befürchten, daß trotz aller Exportkontrollanstrengungen gerade die Schwellenländer mit rasch wachsendem eigenen technologischen Potential alles tun werden, um selbst in den Besitz von Massenvernichtungsmitteln und High-Tech-Waffen zu gelangen.

Der diskriminierende Ansatz kommt auch darin zum Tragen, daß sich nirgendwo ein Ansatz für eine kooperative zivile Nutzung kritischer Technologien durch die heutigen Besitzer- und Nichtbesitzerstaaten findet. Die Rüstungsexport-Kontrollpolitik der Industrieländer tritt damit in Widerspruch zu den Entwicklungsbedürfnissen der 3. Welt.

Denn immer weniger sind es die Waffensysteme selbst, sondern doppelt verwendbare Pro`uktionsanlagen, die in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Die G-7-Erklärung hat diesen Punkt besonders hervorgehoben.

Konkret sind damit etwa numerisch gesteuerte Werkzeugmaschinen, bestimmte Schmieden und Pressen, Supercomputer und fortgeschrittene Kommunikationstechnologien gemeint. All diese Technologien können für die Produktion von High-Tech-Waffen verwendet werden; gleichzeitig machen sie aber auch den Kernbestand jeder fortgeschrittenen zivilen Produktion aus.

Wenn die Industrieländer die Dritte Welt von diesen Technologien aussperren, dann berauben sie diese Länder auch der Möglichkeit des Aufbaus fortgeschrittener Industrien schlechthin und verweigern ihnen damit die Chance dauerhafter Entwicklung. Die Reduktion von Sicherheit auf die militärische Dimension führt langfristig so zu gravierenden Folgen auch in den nichtmilitärischen Sektoren von Sicherheit.

Grundsätze einer erfolgversprechenden Rüstungsexportpolitik

Rüstungsexportkontrollpolitik muß, um längerfristig wirken zu können, in politische Lösungsansätze eingebunden werden, die die Ursachen militärischer Konflikte beseitigen oder zumindest lindern. Gerade die Entwicklung im Nahen Osten zeigt, daß Abrüstung nicht als erstes und nicht voraussetzungslos, sondern erst auf der Grundlage von Vertrauen möglich ist.

Zweitens muß Abrüstung auf dem Prinzip gleicher Rechte und Pflichten für alle Staaten fußen, und das bedeutet in erster Linie die Verpflichtung der Industrieländer, ihre überlegenen Waffenarsenale abzubauen. Voraussetzung dafür ist eine radikale Veränderung des heute immer noch militärisch dominierten Sicherheitsbegriffes, die den zivilen Charakter der heutigen globalen Herausforderungen erkennt und die Konsequenz daraus zieht, die militärische Dimension von Sicherheit langfristig nicht nur zu »kontrollieren«, sondern zu beseitigen.

Der Kern eines solchen Sicherheitsverständnisses ist das Gebot der Kooperation. Fortgeschrittene Technologien sind grundsätzlich doppelt verwendbar und werden dies immer bleiben. Militärischer Mißbrauch wird nur dann auszuschließen sein, wenn die künftige Nutzung solcher Technologien in internationaler Kooperation organisiert wird. Solche kooperativen Elemente müssen auch jetzt schon in Rüstungs(export)-Kontrollabkommen eingeführt werden.

Katrin Fuchs ist Mitglied der SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages und dort u.a im Auswärtigen Ausschuß tätig.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1991/4 Testfall Rüstungsexport, Seite