Verantwortung hat viele Namen.
Interview mit Charles Schwartz (Professor für Physik, Universität Berkeley)
von Charles Schwartz und Jürgen Scheffran
I.: Was ist Ihr Eindruck von dieser Konferenz und was hat Sie veranlaßt, den weiten Weg aus den Staaten hierer zu machen?
C. Schwartz: Das Thema „Militärische Forschung und vor allem die Verstrickungen der Hochschulen beschäftigen mich. Die Situation in den USA ist ziemlich ernst. Die wissenschaftliche Arbeit an den Universitäten ist sehr stark in die Pläne des Pentagon integriert – aber freilich in subtiler Weise. Die meisten Professoren sagen: „Oh nein, wir machen keine Waffenforschung. Wir haben mit all dem nichts zu tun.“ Doch die von der Regierung unterstützten Forschungen, auch wenn es sich um nicht klassifizierte Arbeit an den Hochschulen handelt, führen weitgehend in die Gebiete, die das Pentagon will. Die Hochtechnologie an allen Fronten: das ist die mächtigste Antriebskraft für den heutigen Militarismus. Und mehr noch: auch die Lehre ist vital für das Pentagon, schließlich bilden wir die Wissenschaftler und Ingenieure aus, die dann in der Industrie und den Nationallaboratorien an Rüstungsprojekten arbeiten. Gegenwärtig ist die Arbeitsmarktlage für einen Physiker sehr schwer, wenn er nicht an Waffen arbeiten will. Es ist sehr kompliziert, eine andere Arbeit zu finden. Daher denke ich, daß die Teilnehmer der Konferenz ähnliche Probleme haben. Die Lage ist nicht so schlimm, aber sie entwickelt sich in eine ähnliche Richtung. So war ich sehr froh, daß ich über die Entwicklung in den USA informieren konnte, von Ihren Einschätzungen hörte und Meinungen über die Verantwortung des Wissenschaftlers austauschen konnte. Und übrigens: Glückwunsch zu dieser Tagung. Eine ähnliche Konferenz hat es in den USA noch nicht gegeben.
I.: Könnten Sie uns ein wenig über sich selbst sagen? Über Ihre wissenschaftliche und politische Arbeit?
S.: Ich arbeite seit 1960 als theoretischer Physiker an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Nach einigen Jahren habe ich andere Welten als die der Physik kennengelernt: die des Vietnamkrieges und der politischen Aktivitäten der Studenten. Ich habe begonnen, mich intensiv mit dem Zusammenhang von Wissenschaft und Krieg, mit der gesellschaftlichen Rolle der Wissenschaft zu beschäftigen. Ich habe dazu geforscht und gelehrt und politisch gearbeitet zu den Fragen der sozialen Verantwortung – Verantwortung für den Frieden, für den Anti-Imperialismus. Verantwortung hat viele Namen. Und es sind beileibe nicht nur Wissenschaftler, die sich ihr stellen.
I.: Viele Wissenschaftler glauben, sie machten bloß „reine“ Grundlagenforschung. Was hat Grundlagenforschung mit dem Militär zu tun ?
S.: Fakt ist: unglücklicherweise sind sehr viele Gebiete der sogenannten Grundlagenforschung an den Hochschulen – vor allem in der Physik – von sehr hohem Interesse für das Verteidigungsministerium. Oft sind es Forschungen, die von anderen Ministerien finanziert werden. Die Situation ist wirklich dramatisch: man kann ebensowenig spätere militärische Anwendungen der Forschungen verhindern wie die spätere Beschäftigung der Studenten in der Rüstungsindustrie. Für den Fortbestand eines militärischen Produktionssystems üben die Hochschulen eine lebenswichtige Rolle aus. Von ihnen kommen oft die neuen technologischen Innovationen und die Leute, die sie in die Produktion umsetzen. Unglücklicherweise sehen die meisten meiner Kollegen an den Universitäten diese Verbindungen nicht oder machen sich erfolgreich vor, daß sie mit ihnen nichts zu tun haben.
I.: Gibt es an der Berkeley University eine Diskussion um die militärische Forschung?
S.: Für uns in Berkeley (und überhaupt in Kalifornien) gibt es eine ganz besondere Verantwortung, weil die Nationalen Laboratorien mit ihren Forschungen an Nuklearwaffen von der Universität im Namen der Regierung verwaltet werden. Dies ist seit Jahren Gegenstand heftiger, bitterer, langanhaltender Auseinandersetzungen. Bisher ist es uns nicht gelungen, diese Verbindung der Hochschule mit der Nuklearwaffenforschung zu lockern und aufzulösen. Aber wir haben diese Verbindung zu einer öffentlich disputierten Angelegenheit gemacht, welche die Menschen in den Waffenlaboratorien ständig neu herausfordert. Auch deshalb machen die Laboratorien alle Anstrengungen, sich abzusichern. Sie sind für SDI. Sie bekämpfen jeden Teststopp. Das Unbehagen unter den Wissenschaftlern ist verbreitet, aber es bleibt oft eine Privatsache, der öffentliche Mut, die Zivilcourage fehlen.
I.: Wie ist der aktuelle Stand der Diskussion um SDI und wie steht es um die Opposition der Wissenschaftler gegen SDI?
S.: Bekanntlich hat es von Beginn an eine Reihe bekannter und sehr anerkannter Wissenschaftler gegeben, die SDI kritisierten. Ihre Ansichten haben sich rasch in der Scientific Community verbreitet und dazu beigetragen, daß dort viel Skepsis entstanden ist. Und es ist eine sehr erfolgreiche Unterschriftensammlung initiiert worden, mit der Selbstverpflichtung, nicht an SDI zu arbeiten und dafür kein Geld zu nehmen. Das ist mehr als ein Lippenbekenntnis, es ist eine Art wirklichen Widerstands, die bis hinein in den Kongreß einigen Einfluß gehabt hat. Und es führte auch dazu, daß viele Wissenschaftler gegen Reagan gewählt haben. Aber andererseits: das reicht überhaupt nicht aus, um SDI zu stoppen. SDI hält man nicht mit Unterschriften auf. Und so hält man auch nicht das Wettrüsten auf. Vielen Wissenschaftlern wird es weit schwerer fallen, einen nächsten Schritt zu tun und sich noch deutlicher vom Wettrüsten loszusagen.
I.: Was ist dieser nächste Schritt? Haben Sie ihn getan?
S.: Es reicht nicht aus, über Rüstungskontrolle zu reden, erst recht nicht bloß auf einer Ebene, auf der die Mehrheit des Kongresses im Glauben bestärkt wird, sie kontrolliere die Rüstung. Tatsache ist, daß es eine Kontrolle der Rüstung nicht gibt. Also macht es kaum Sinn, die nicht vorhandene Kontrollfähigkeit des Parlaments einzufordern. Wenn man diese unerfreuliche Schlußfolgerung gezogen hat, muß man die Konsequenzen ziehen. Meine Konsequenz: ich habe mich schon seit Jahren immer mehr aus den Seiten meiner beruflichen Tätigkeit zurückgezogen, die zum Wettrüsten beitragen. Ich mache nur sehr wenig Forschung zu technischen Aspekten und habe mich jüngst auch entschlossen, die Mehrzahl der regulären Physik-Kurse nicht mehr zu lehren. Denn was ich tue – und ich liebe meine Arbeit sehr -, ist die Ausbildung der Leute, welche die nächsten brandneuen Waffen entwickeln werden. Und das wird die letzte Waffengeneration sein.
I.: Es geht also um die Verantwortung für die zukünftige Arbeit der Studenten und Studentinnen?
S.: Das ist der Punkt. Viele meiner Kollegen sprechen davon nicht. Statt dessen reden sie von der wundervollen Physik. Sie fürchten, vom Studium der Physik abzuschrecken – und davon allerdings spreche ich. Ich spreche davon, daß eine solche politische Handlung Folgen hat. Sie beunruhigt die Regierung. Sie gefährdet das ganze wundervolle Milieu der Physik, das prächtig viele Geld, die Veröffentlichungen, die Sommerschulen und so weiter.
I.: Gibt es Erfolge?
S.: Sicher – es gibt welche. In der Kommune Berkeley und der Hochschule gab es jüngst eine Auseinandersetzung um eine „nuclear free Zone“. Zufällig gibt es einen Atomreaktor auf dem Campus, einen sehr kleinen Forschungsreaktor. Ich hatte nicht angenommen, daß es hier ein politisches Problem gibt. In der Vergangenheit haben die Verantwortlichen immer erklärt: „Oh, der Reaktor ist völlig sicher, wir brauchen ihn nur für rein akademische Forschung.“ Kurz nachdem die Resolution über eine nuklearfreie Zone passiert war, haben wir herausgefunden, daß mit dem „Forschungsreaktor“ Auftragsarbeit für die Rüstungsindustrie gemacht wird und zwar im Rahmen eines allgemeinen DoD-Programms zur Steuerung von Raketen. Es war schon ziemlich peinlich, als wir dies publizierten. Drei Wochen später wurde der Reaktor geschlossen.
I.: Ich glaube, wir haben vieles gehört, was diskutiert werden muß – über diese Tagung hinaus. Herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte J. Scheffran.