W&F 2021/4

Verflochtene Machtstrukturen

Ökologie, Klima- und Energiepolitik in China

von Anja Senz

Der Beitrag gibt einen Einblick in die aktuelle umwelt- und klimapolitische Situation der Volksrepublik China. Betrachtet werden einerseits die ökologischen Herausforderungen, die aus einer langen Phase des Wirtschaftswachstums resultieren und andererseits die Umsetzungsprobleme in der Umwelt- und Klimapolitik, die sich aus den gegenwärtigen ökonomischen und politischen Strukturen ergeben. Neben den offiziellen klimapolitischen Ambitionen werden unterschiedliche innerchinesische Interessenlagen und Vollzugsdefizite betrachtet, die ein klimapolitisches Umsteuern erschweren.

Die Entwicklungen in China sind seit vielen Jahren Thema in internationalen Debatten zu Umwelt- und Klimaschutz. Als großer Emittent von Treibhausgasen gilt das Land als »Klimasünder« und internationalen Umweltindizes zu Folge hat sich im Zuge der rapiden Wirtschaftsentwicklung in den letzten drei Jahrzehnten die Umweltsituation erheblich verschlechtert. Gesellschaftliche Unzufriedenheit ist ein Resultat des enormen Ausmaßes der Umweltzerstörung. Allerdings ist »Umweltstress« kein neues Phänomen in China. Neben den von Menschen erzeugten Problemen stellen schwierige naturräumliche Gegebenheiten eine Langzeitherausforderung dar. Chinas agrarisch nutzbare Fläche steht seit jeher in ungünstiger Relation zur Bevölkerungsgröße, denn nur etwa 12,5 % des Territoriums ist landwirtschaftlich nutzbar, wobei durch Urbanisierung und Industrialisierung in den letzten Dekaden viele Agrarflächen verlorengingen. Problematisch ist auch die Verfügbarkeit von Wasser: mit sechs Prozent der weltweiten Frischwasserreserven müssen heute knapp 20 % der Weltbevölkerung versorgt werden. Schwer wiegt, dass die Wasserressourcen in Nord-Süd-Richtung ungleich verteilt sind, wodurch der Süden von Wasserreichtum, der Norden jedoch von Trockenheit und häufigen Dürreperioden gekennzeichnet ist. Großprojekte zur Kanalisierung des Wassers nach Norden bewegen die politische Führung daher seit langem.

Die Umweltsituation heute

Luftverschmutzung, ausgelaugte oder mit Schadstoffen belastete Böden und schlechte Wasserqualitäten kennzeichnen China heute landesweit. Besonders die alten Industrieregionen im Nord­osten sowie die Industriezentren am Yangzi- und am Perlflussdelta sind von Emissionseinträgen durch sauren Regen, Chemikalien aus der Landwirtschaft, Industrie- und Bergbauaktivitäten sowie einer ungeregelten Müllbeseitigung betroffen. Großflächige Infrastrukturprojekte, forcierte Ressourcenextraktion, Intensivierung der Landwirtschaft, Urbanisierung, zunehmende Mobilität und Binnenmigration, der steigende Energiebedarf und die Lebensgewohnheiten der wachsenden urbanen Mittelschicht haben als Ausdruck einer auf rasches Wirtschaftswachstum ausgerichteten Entwicklungsstrategie enorme ökologische Konsequenzen.

Bereits Mitte der 2000er Jahre wies die nationale chinesische Umweltbehörde erstmals darauf hin, dass die Steigerung des Bruttoinlandsproduktes durch die Umweltzerstörung aufgezehrt würde, weil die Kosten der Umweltdegradation dem Wert des jährlichen Wirtschaftswachstums entsprächen. Eine aktuelle Weltbankstudie kommt zu einem ähnlichen Resultat. So geraten viele Menschen in finanzielle Not, weil sie die Erträge ihrer verseuchten Böden nicht mehr verkaufen können. Knapp 300 chinesische Städte, deren bisherige ökonomische Basis die Rohstoffextraktion (Kohle, Mineralien, Forstwirtschaft) war, gelten offiziell als »ressourcenerschöpft«. Für Millionen von Menschen bedeutet das den Verlust des Arbeitsplatzes und das Angewiesensein auf staatliche Grundversorgung.

Staat und Gesellschaft

Die Anzahl der (Umwelt-)Proteste hat in den letzten zwei Jahrzehnten stetig zugenommen. Das Internet und neue Möglichkeiten der digitalen Vernetzung erweisen sich als wichtige Informations- und Mobilisierungsinstrumente. Während Effekte des Klimawandels nur in geringem Maße als gesellschaftliche Herausforderung thematisiert werden, rangieren die vielfältigen Umweltprobleme in Umfragen zu den Sorgen der chinesischen Bevölkerung stets auf den vorderen Plätzen. Die Menschen erwarten Lösungen von der Politik (vgl. auch Klabisch und Straube in dieser Ausgabe). Das ist nicht erstaunlich in einem Staat, der der Gesellschaft wenig Freiraum für Debatten und Selbstorganisation lässt und für alle relevanten Fragen Zuständigkeit reklamiert. Doch Chinas Führung hat nicht nur aus Gründen der politischen Stabilität und Legitimation inzwischen ein vitales Interesse an der Verbesserung der Umwelt. Für eine weitere positive ökonomische Entwicklung sind Innovation und die Produktion hochwertiger Güter essentiell. Neue Umwelttechnologien und beispielsweise die Elektromobilität sind mögliche Wege aus der Sackgasse billiger Massenproduktion und ein internationaler Markt mit großem Potential (Senz 2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Dynamiken ab 1978 mit Liberalisierung und Dezentralisierung haben ein politisches System geschaffen, das durch eine Vielzahl von Akteuren mit diversen Eigen­interessen gekennzeichnet ist, die sich in einer komplizierten Matrix aus vertikalen und horizontalen behördlichen Kompetenzen bewegen. Dies erschwert die landesweite Steuerung und Durchsetzung von Politiken, Gesetzen und Mindeststandards und lokale Behörden nutzen die vielfältigen Spielräume für eigene politische Ziele (Senz 2017). Viele Gesetzestexte formulieren nur allgemeine Prinzipien und erweisen sich als lückenhaft im Hinblick auf eindeutige Verantwortlichkeiten. Ein schwaches Rechtssystem vermag die Durchsetzung von Ansprüchen nicht sicherzustellen. Lokaler Protektionismus, Korruption und ein doppeltes Berichtswesen (­Heberer und Senz 2011), in dessen Rahmen inhaltlich variierende Ergebnissen nach oben gemeldet werden sowie eine oft mangelhafte Ausstattung und Qualifikation der lokalen Verwaltungen resultieren in großen Vollzugsdefiziten, gerade auch bei der Implementierung von Umweltgesetzen. Normativ geht Wirtschaft vor Klimaschutz und administrativ erweist sich die Umsetzung umwelt- und klimapolitischer Maßnahmen als kompliziert.

Die Herausforderung der Dekarbonisierung

Etwa 25 % des weltweiten Energieverbrauchs entfallen auf China. Kohlekraft dominiert im chinesischen Energiemix (ca. 58 % in 2019), der Anteil der erneuerbaren Energien liegt derzeit bei ca. 15 %. Während pandemiebedingt der Stromverbrauch in den großen Industrie- und Schwellenländern im Jahr 2020 sank, verzeichnet China weiterhin einen wachsenden Stromverbrauch. Eine Auswertung statistischer Daten ist aufgrund sich teils ändernder Berechnungsgrundlagen u.a. im Bereich der Windenergie sowie der Vermischung mit politischen Zielgrößen (z.B. aus den Fünfjahresplänen) schwierig.

Für die chinesische Ökobilanz wird die langfristige Stromerzeugung über erneuerbare Energien entscheidend sein. Neben der Reduzierung von CO2-Emmissionen durch den Ausbau erneuerbarer Energien und der Verbesserung der Energieeffizienz sowie des Stromnetzes (Yang et al. 2016), ist die Regulierung der heimischen Kohleindustrie von Bedeutung. Eingeleitete, aber oft nur halbherzig umgesetzte Maßnahmen reichen vom Baustopp bei Kohlekraftwerken, strengeren Grenzwerten und Effizienzstandards für Kraftwerke, Importabgaben auf Kohle bis zur angestrebten Deckelung der Kohlekapazitäten bei 55 % im Energiemix.

Doch stellt die Kohleindustrie nicht nur den Löwenanteil der genutzten Energie bereit – etwa die Hälfte der weltweit geförderten Kohle wird in China verbrannt –, sondern war und ist auch ein wichtiger Arbeitgeber. Während strukturell zunächst Staatsunternehmen dominierten, wuchs ab den späten 1970er Jahren die Bedeutung lokaler Minen im kommunalen Besitz. Hiermit konnte der Energiebedarf flexibler gedeckt werden, die kleineren Unternehmen wirtschafteten profitabler, allerdings vielfach um den Preis schwerster Umweltschäden. Neben dem Abbau sind hierbei auch die Effekte des Transportes und der Infra­struktur zu berücksichtigen. Ab den 1990er Jahren waren in der Kohleindustrie nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen sechs und zehn Millionen Menschen direkt beschäftigt (Wright 2012). Die Regulierung dieses Industriezweigs gestaltet sich schwierig: Kleinminen, die aufgrund der gefährlichen Arbeitsbedingungen, ihrer negativen Ökobilanz und der Konkurrenz zu den Großunternehmen in der Kritik stehen, sind zwar in den letzten zwei Jahrzehnten nach und nach geschlossen worden – allerdings mit gravierenden sozialpolitischen Folgen besonders in Regionen, die einseitig von der Kohle abhingen. Auch wirken sich Eingriffe in die Branche auf die Verfügbarkeit von Elektrizität sowie die Strom- und die Verbraucherpreise aus, so dass Regulierungsmaßnahmen auf vielfältige Widerstände stoßen. Häufig werden daher Minen »formal« geschlossen, arbeiten jedoch de facto weiter, wie sich aus nachträglich korrigierten Daten zur Kohleproduktion schlussfolgern lässt.

Klimaschutzambitionen und die Interessen des Energiesektors

Zentral regulierende Akteure des Energiesektors sind die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC), die Nationale Energiebehörde (NEA) und das Ministerium für Umwelt und Ökologie (MEE). Mit dem zwölften Fünfjahresplan (2011-2015) wurde der Emissionshandel als marktorientierte Maßnahme zur Steuerung von Emissionen testweise in sieben Pilotstädten eingeführt (Heggelund 2021). Nach Auswertung und Anpassung wurde schließlich im Juli 2021 der Startschuss für den nationalen Emissionshandel gegeben. Der Handel erstreckt sich vorerst nur auf Firmen des Energiesektors mit CO2-Emissionen über 26.000 Tonnen pro Jahr (Raiser, Eckardt und Ruta 2021). Bereits der dreizehnte Fünfjahresplan (2016-2020) deckelte erstmals den Kohleanteil an der gesamten Energieproduktion auf 58 %. Ein Aktionsplan gegen Luftverschmutzung sollte zwischen 2013 und 2017 zur Reduktion von Kohlekraft beitragen, wurde jedoch durch ein Gesetz von 2014, nach dem die Provinzen selbst über die Inbetriebnahme von Kohlekraftwerken entscheiden können, konterkariert. Ein Ampelsystem zur Inbetriebnahme von Kohlekraftwerken, das daraufhin im Jahr 2016 angestrebt wurde, erweist sich als zu unspezifisch.

Neben vertikalen Interessen zwischen der Zentrale und den Regionen spielen auch horizontale Belange eine Rolle. Hier stehen zum Beispiel der nationalen Energiebehörde die Staatsbetriebe und der Elektrizitätsrat gegenüber, der die Stromerzeuger vertritt. Das Umsteuern im Energiesektor ist auch bezüglich der Energiesicherheit tückisch: Stromausfälle in zahlreichen Provinzen über das gesamte Jahr 2021 deuten auf erhebliche Engpässe hin; Unternehmen wurden aufgefordert, den Energieverbrauch während der Spitzenlastzeiten zu reduzieren oder die Anzahl der Betriebstage zu begrenzen. Energieintensive Industrien wie die Stahlindustrie, die Aluminiumverhüttung, die Zementherstellung und die Düngemittelproduktion gehören zu den Unternehmen, die am stärksten von den Ausfällen betroffen sind.

Innovativer Klimaschutz?

Zu innovativen Ansätzen des Klimaschutzes gehören seit 2010 Pilotprojekte im Bereich »kohlestoffarmer Städte« (Low Carbon Cities). In diesen Städten sollen Pläne zur Emissionsreduktion erarbeitet und implementiert werden, um den Menschen einen nachhaltigen Lebensstil zu ermöglichen. Allerdings gibt es keine projektspezifischen Ziele. Eine andere Initiative zur »Grünen Finanzierung« soll große Banken dazu bewegen, nachhaltige Projekte durch Kredite und Fonds zu unterstützen, den Nachhaltigkeitsaspekt in ihre Invest­ment­ent­schei­dungen aufzunehmen und u.a. die Pilotstädte zu unterstützen (­Sandalow 2020, S. 108f.). Bisher ist der Erfolg in den Städten und Provinzen jedoch gering. Vielen lokalen Entscheidungsträger*innen fehlt es an Fachkenntnis, wissenschaftlichen Partnern, oft ist auch die Amtszeit schlicht zu kurz, um langfristige Strategien zu verfolgen (Lo, Li und Chen 2020, S. 109). Weil viele Lokalregierungen vor allem in den ärmeren Landesteilen ihren Arbeitsschwerpunkt auf die Förderung der Wirtschaft legen, ist in den letzten Jahren eine Rezentralisierung eingeleitet worden. Unter diesen Bedingungen vermeiden lokal Verantwortliche jedoch zwecks Reduzierung politischer Risiken oftmals innovative Strategien (Zhang, Orbie und Delputte 2020).

Internationale Klimadiplomatie

Nach langer Zurückhaltung verfolgt die chinesische Regierung seit 2015 offiziell einen neuen Klimakurs und formulierte im Kontext der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCC) als nationale Ziele einige Absichten, darunter vor 2030 den Höhepunkt der Emissionen zu erreichen, den Anteil von nicht fossilen Energiequellen auf 20 % zu erhöhen und die CO2-Intensität im Vergleich zu 2005 um 60-65 % senken. Im Jahr 2020 kündigte Staatspräsident Xi Jinping weiterhin an, China solle bis 2060 klimaneutral werden. Im September 2021 sagte er zu, China werde im Ausland keine Kohlekraftwerke mehr bauen. Bisher hatte die chinesische Regierung die Ausrichtung auf fossile Brennstoffe in den Zielländern zum Beispiel im Rahmen von Auslandsinvestitionen der sogenannten »neuen Seidenstraße« unterstützt und gilt mit Blick auf Bau und Finanzierung als einer der globalen Hauptförderer.

Insgesamt erscheint das Land damit in puncto Klima- und Umweltschutz heute als durchaus ambitioniert, ob angesichts der vielen innerchinesischen Herausforderungen die anvisierten Ziele aber auch umgesetzt werden können, bleibt abzuwarten.

Literatur

Heberer, Th.; Senz, A. (2011): Streamlining local behaviour through communication, incentives and control: a case study of local environmental policies in China. Journal of Current Chinese Affairs 3, S. 77-112.

Heggelund, G. M. (2021): China’s climate and energy policy: at a turning point?. International environmental agreements: politics, law and economics 21, S. 9-23.

Lo, K.; Li, H.; Chen, K. (2020): Climate experimentation and the limits of top-down control: local variation of climate pilots in China. Journal of Environmental Planning and Management 63(1), S. 109-126.

Raiser, M.; Eckardt, S.; Ruta, G. (2021): Carbon Market Could Drive Climate Action. The World Bank. Opinion, 19.07.2021.

Sandalow, D. (2020): Guide to Chinese climate policy 2019. Columbia University Sipa, Center on Global Energy Policy.

Senz, A. (2017): Zwischen zerstörter Umwelt und Ökolabor – Perspektiven einer sozial-ökologischen Transformation in China. In: Brand, K.-W. (Hrsg.): Die sozial-ökologische Transformation der Welt. Ein Handbuch. Frankfurt/M.: Campus, S. 351-372.

Senz, A. (2020): China als Trendsetter in der E-Mobilität? Von Smog, industriepolitischen Ambitionen und dem Statussymbol Auto. In: Brunnengräber, A.; Haas, T. (Hrsg.): Baustelle Elektromobilität. Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Transformation der (Auto-)Mobilität. Bielefeld: transcript, S. 229-254.

Yang, X. J. et al. (2016): China’s renewable energy goals by 2050. Environmental Development 20, S. 83-90.

Zhang, Y.; Orbie, J.; Delputte, S. (2020): China’s climate change policy: central–local governmental interaction. Environmental Policy and Governance 30(3), S. 128-140.

Anja Senz ist Professorin für gegenwartsbezogene Chinaforschung an der Universität Heidelberg. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen u.a. auf den Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft in der chinesischsprachigen Welt sowie Umwelt- und Ressourcenfragen in China.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2021/4 Chinas Welt? – Zwischen Konflikt und Kooperation, Seite 28–30