W&F 2021/2

Vergesst die Frauen Afghanistans nicht

von Farkhondeh Akbari

Als ich 2010 in einem Kleinbus von Daikundi nach Kabul unterwegs war, saß ein zerbrechlich wirkender alter Mann mit seiner jungen Tochter vor mir. Als ich ihn nach dem Grund für ihre Fahrt fragte, antwortete er, er habe sein größtes Vermögen, eine Kuh, verkauft, um die Ausbildung für seine Tochter in Kabul zu finanzieren.

Fast zwanzig Jahre nach dem Beginn der von den USA geführten Intervention in Afghanistan hält das Land immer noch einen traurigen Rekord: Es ist der schlimmste Ort für Frauen. Das große Versprechen der „Befreiung der afghanischen Frauen” scheint zur Leerformel verkommen zu sein. Dabei lag doch gerade darin die vielleicht einzige menschenwürdige Vorstellung des »Krieg gegen den Terror« (»War on Terror«): Mit der Ablösung des Taliban-Regimes sollte auch seine tief wurzelnde Geschlechterdiskriminierung beseitigt werden. Heute, wo sich regionale und internationale Akteure um einen Friedensprozess mit den Taliban bemühen, scheint die Notlage der afghanischen Frauen jedoch höchstens eine Fußnote wert zu sein.

Als sich die Delegationen der Islamischen Republik Afghanistan und der Bewegung der Taliban im März im Rahmen der Friedensbemühungen in Moskau trafen, war Habiba Sarabi die einzige Frau im Raum – als Vertreterin der Frauen in Afghanistan. Das gibt einen Eindruck davon, wie wenig bisher in Sachen Frauenrechte erreicht wurde.

Was die afghanischen Frauen im Kampf für Gleichberechtigung bisher erreichen konnten, bleibt fragil, auch weil die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft nach der Intervention auf diesem Gebiet wenig effektiv und begrenzt geblieben sind. Am wichtigsten sind bisher zweifelsfrei die Aufnahme des Gleichheitsgrundsatzes in die neue Verfassung und die Vertretung der Frauen im Parlament durch eine Quotenregelung. Das neue Abkommen zwischen den USA und den Taliban gibt aber Anlass zur Sorge für die afghanischen Frauen, denn mit der Rückkehr der Taliban an die Macht wird es gleichzeitig unsicherer, ob die erreichte Anerkennung der Frauenrechte Bestand haben wird. Ein Friedensabkommen mit den Taliban könnte die ohnehin begrenzten Errungenschaften und den Handlungsspielraum für Frauen wieder in Frage stellen, da die Taliban ihre extrem patriarchale Einstellung gegenüber Frauen nicht verändert haben.

Deshalb wird die entscheidende Frage für die Frauen in Afghanistan sein, wie sie sich vor Ort miteinander organisieren können, um die Verteidigung ihrer Rechte selbst in die Hand zu nehmen, wenn bald der Rückzug der (begrenzten) internationalen Hilfe zu erwarten ist.

Die Ausgangsposition dafür wäre besser, wenn die internationalen und nationalen Bemühungen für Frauenrechte substanzieller gewesen und organischer mit den kulturellen Wurzeln in Afghanistan verbunden worden wären. Stattdessen wurden Milliarden Dollar in oft zweifelhafte Programme eines sogenannten »capacity building« oder »empowerment« gesteckt. Die meisten dieser Projekte richteten sich darüber hinaus auch nicht an die Frauen im ländlichen Afghanistan, es profitierten vielmehr die urbanen Eliten, Gelder versickerten in Korruptionskanälen.

Die afghanischen Frauen haben noch einen langen und einsamen Pfad vor sich im Kampf für ihre Rechte: konkret dem Recht auf Bildung, auf Arbeit und politische Teilhabe. Hinter diesen Forderungen müssen sich die Frauen im ganzen Land zusammenschließen und auf ihre landesweite Durchsetzung pochen.

Es besteht die Chance, dass eine solche Mobilisierung die urbanen und ländlichen Schichten und die verschiedenen ethnischen sowie religiösen Gruppierungen zusammenbringen könnte.

Der Friedensprozess mit den Taliban sollte sich deshalb weniger bei der Anzahl der teilnehmenden Frauen aufhalten, sondern eher dazu genutzt werden, einen landesweiten Konsens für die Rechte aller Frauen auf Bildung und Arbeit zu erreichen.

So bedeutsam ein politisches Abkommen mit den Taliban auch sein wird, ohne wirklich bedeutsame Anstrengungen für den Schutz von Frauenrechten wird es keinen nachhaltigen Weg vom Krieg zum Frieden für Afghanistan geben.

Wenn die Taliban als politische Akteure anerkannt werden, müssen sie von der internationalen Gemeinschaft auch für die Verletzung von Frauenrechten zur Verantwortung gezogen werden. Die internationale Gemeinschaft hat eine Verantwortung, den Kampf der afghanischen Frauen zu unterstützen.

Farkhondeh Akbari ist Doktorandin an der Australian National University. Sie forscht über Friedensschlüsse mit nichtstaatlichen, bewaffneten Akteuren wie den Roten Khmer in Kambodscha und den Taliban in Afghanistan.

Aus dem Englischen übersetzt von Corinna Hauswedell.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2021/2 Völkerrecht in Bewegung – Von Kritik, Krisen und Erneuerung, Seite 5