W&F 1997/2

Vergewaltigung

Analyse eines Kriegsverbrechens

von Cornelia Zirpins

Vor vier Jahren gelangten die ersten Berichte über Massenvergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien in die Öffentlichkeit. Politik, Gesellschaft und die Medien verurteilten damals, daß die Serben, aber auch alle anderen kriegsführenden Parteien, Vergewaltigungen ganz gezielt als Kriegsmittel anwendeten. Mit dem Krieg in Bosnien rückte ein »vergessenes« Kriegsverbrechen wieder in das Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit. Heute, vier Jahre später, scheinen die Opfer der Vergewaltigungen erneut in Vergessenheit zu geraten. In der aktuellen Diskussion um die Rückkehr der bosnischen Flüchtlinge in ihre Heimat tritt neben politischen, militärischen und verwaltungstechnischen Aspekten die besondere Situation der mißbrauchten Frauen in den Hintergrund.

Durch das Rotkreuzabkommen von 1949 ist die Vergewaltigung zwar namentlich im Völkerrecht verankert, eine Definition dieses Verbrechens erfolgt jedoch nicht. Die Schwierigkeit einer solchen Begriffsbestimmung wird bei der Betrachtung nationalen Strafrechts am Beispiel des Strafgesetzbuches der Bundesrepublik deutlich. Nach § 177 Abs.1 StGB begeht eine Vergewaltigung, „wer eine Frau mit Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben zum außerehelichen Beischlaf mit ihm oder einem Dritten nötigt…“ (Strafgesetzbuch 1994: 94)

Der Begriff »Beischlaf« wird hier in seiner engen Auslegung des gewaltsamen Eindringens des Penis in die Vagina definiert; Zwang zu analem und/oder oralem Verkehr werden durch diesen Paragraphen nicht erfaßt. Diese Handlungen fallen der Definition nach § 178 StGB unter den Tatbestand der »Sexuellen Nötigung«, die mit geringeren Strafen geahndet wird.

Das Strafgesetz der BRD ordnet diese Straftaten einer »normalen« Vergewaltigung unter. Gerade aus dem Krieg in Ex-Jugoslawien gibt es zahlreiche Berichte über erzwungene sexuelle Handlungen, die nach bundesrepublikanischem Recht nur den Tatbestand der sexuellen Nötigung erfüllen1. Es ist aber kaum anzunehmen, daß die psychologischen und physischen Folgen eines erzwungenen Analverkehrs beispielsweise geringer sind als die einer Vergewaltigung, wie sie in § 177 StGB definiert ist. Eine Festlegung des Vergewaltigungsbegriffs ausgehend von nationalem Recht ist daher unzureichend.

Der soziologisch-psychologische Aspekt

Wesentlich umfassender und mehr auf die Empfindungen der Betroffenen eingehend ist die soziologisch-psychologische Begriffsbestimmung. Demnach haben Vergewaltigungen weniger mit Sexualität zu tun, sondern stellen vielmehr einen extremen Gewaltakt dar, der sich sexueller Mittel bedient.

Die Soziologin Ruth Seifert weist darauf hin, daß „Vergewaltigung kein aggressiver Ausdruck von Sexualität, sondern ein sexueller Ausdruck von Aggression“ ist (Seifert 1993: 88). Vergewaltigung dient in der Psyche des Täters nicht zur Befriedigung eines Triebes, sondern als Mittel zur Erniedrigung, Demütigung und Unterwerfung der Frau. Diese These wird gestützt durch Untersuchungen von Vergewaltigungen in zivilen Kontexten, aus denen hervorgeht, daß die Opfer die Tat in den meisten Fällen eben nicht als sexuelle Handlung empfinden, sondern als extreme und demütigende Form der Ge-walt-ausübung. Ebenso beschreiben die Täter die Vergewaltigung nicht als ein sexuelles Erlebnis, sie artikulieren vielmehr Gefühle der Feindseligkeit, Aggression, Macht und Herrschaft (Smaus 1994: 86 und Feldmann 1992: 7). Der Lustgewinn besteht darin, „die Unterdrückung der Frau zu genießen, die eigene Macht zu spüren und auszukosten“ <>(Smaus 1994: 85).<>

Hiervon ausgehend muß Vergewaltigung verstanden werden als der schwerstmögliche Angriff auf das intimste Selbst mittels sexueller (nicht sexuell motivierter!) Gewalt mit dem Ziel, Machtverhältnisse am Körper der Unterlegenen zu manifestieren. Vergewaltigung ist also ein Werkzeug sozialer Kontrolle der Frau durch den Mann.

Vergewaltigung und das Völkerrecht

Neben der namentlichen Erwähnung im Rotkreuzabkommen hat die Kriegsvergewaltigung auch als Folter und als Bestandteil der »ethnischen Säuberung« zum Zwecke des Völkermords Eingang ins Völkerrecht gefunden. Nach Art. 1 I des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vom 10. Dezember 1984 ist als Folter jede Handlung zu verstehen, „durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, … oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen…“ (Menschenrechte 1995: 118).

Die Vergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien wurden durchgeführt, sowohl um die Frauen und ihre Angehörigen einzuschüchtern und zu diskriminieren (Wullweber 1993: 182 und Helsinki Watch 1994: 21) als auch um von ihnen Auskunft über gegnerische Gefechtsstellungen zu erfahren (Stiglmayer 1993: 172).

Art. 2 der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 bezeichnet u. a. die „Tötung von Mitgliedern einer Gruppe“ oder die „Verursachung von schwerem körperlichen oder seelischen Schäden an Mitgliedern der Gruppe“ als Völkermord, wenn diese in der Absicht begangen werden, „eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“ (Menschenrechte 1995: 44).

Die zum Zweck der »ethnischen Säuberung« vorgenommenen Massenvergewaltigungen, die auf die psychische und physische Vernichtung und Demoralisierung der gegnerischen Frauen, Männer und Kinder zielen, müssen nach dieser Definition als Bestandteil des Völkermords aufgefaßt werden.

In beiden Abkommen werden die Kriegsvergewaltigungen nicht speziell genannt, sie sind aber so formuliert, daß sie Vergewaltigung durchaus mit einbeziehen. Sie betonen vor allem die psychische und physische Gewalt.

Ursachen der Kriegsvergewaltigung

Neben der auch in Friedenszeiten vorhandenen Gewalt gegen Frauen gibt es weitere Erklärungsmodelle dafür, warum es gerade in Kriegszeiten zu einer Eskalation der Gewalt gegen die weibliche Bevölkerung, namentlich zu brutalen Massenvergewaltigungen, kommt. Dabei spielen die Identifikationsmodelle von Männlichkeit, die die Armeen ihren Soldaten geben, eine wesentliche Rolle.

Lange Zeit stellte der Dienst beim Militär für die jungen Männer eine Art „Reifeprüfung der Mannwerdung“ dar (Haltiner 1985: 37). Autorität, Macht, Stärke und Siegeswillen, aber auch die Fähigkeit zu schützen und zu verteidigen, werden als Werte dargeboten, über die sich männliche Identität definiert.

Obwohl sich die Geschlechterverhältnisse in den letzten Jahrzehnten geändert haben, werden im Soldatenberuf noch immer Subjektpositionen bereitgestellt, die Konnotationen von Macht und Herrschaft sowie Erotik und Sexualität aufweisen. Besonders deutlich wird dies in der Sprache, die durch eine Vermengung von Gewalt und Sexualität gekennzeichnet ist: »erobert« wird sowohl im Krieg als auch im Schlafzimmer; der Einmarsch deutscher Truppen in Belgien im Ersten Weltkrieg und der irakische Angriff auf Kuwait 1990 wurden als »Rape of Belgium« bzw. »Rape of Kuwait« tituliert; das Gewehr wird als die »Braut des Soldaten« bezeichnet (Seifert 1993: 96).

Der Zusammenhang zwischen (sexueller) Gewalt und Männlichkeit in den Armeen zeigt sich auch in den Berichten über Gruppenvergewaltigungen, die von den Amerikanern in Vietnam begangen wurden. Zusätzliche Grausamkeiten am Opfer wurden als Wettbewerb um mehr Männlichkeit aufgefaßt. Susan Brownmiller schildert den Fall eines Soldaten, der sich weigerte, eine Vergewaltigung zu begehen, und infolgedessen von seinem Einsatzleiter als Schwuler und Schwächling bezeichnet wurde. Soldaten, die ihre Kameraden wegen eines solchen Vergehens anzeigten, mußten vor Gericht ihre Männlichkeit in Frage stellen lassen (Brownmiller 1978: 105f).

Nach Joan Smith geschieht in den Militärorganisationen die Konstruktion von Männlichkeit durch die Minderbewertung »weiblicher« Eigenschaften wie Empathie, Weichheit oder Ängstlichkeit (Smith 1992: 135f). Die Leugnung dieser Emotionen macht es den Männern fast unmöglich, mit Lust, Angst, Mitleid und Wut reflektiert umzugehen, vielmehr werden diese als Bedrohung der maskulinen Existenz angesehen. Gerade im Krieg, wenn die Männer zu Befehlsempfängern in einer unendlich langen Kette erniedrigt werden und erfahren, wie wenig sie dem übersteigerten Ideal überlegener Männlichkeit entsprechen, kommt es zur Auslösung solcher Gefühle, die dann einen Affekt gegen Weiblichkeit hervorrufen. Das heißt nicht, daß jeder Soldat vergewaltigt, aber „in der Konstruktion des Soldaten sind bestimmte Verhaltensweisen eher als andere angelegt“ (Seifert 1993: 97).

Ob in einer Extremsituation mit Gewalt reagiert wird, ist davon abhängig, welche Alternativen in einem kulturellen Kontext zur Kanalisierung von Gefühlen zur Verfügung stehen. Häufig greifen die Soldaten zum „kulturell bereitgestellten… Lösungsangebot, für das sie auch noch als Experten ausgebildet sind: der Gewalt, die dann zur spezifisch sexuellen Gewalt gegen Frauen wird“ (Smith 1992: 135f).

Motive der Täter

Schon in Friedenszeiten stellt die Vergewaltigung eine Manifestation von Machtverhältnissen dar. Vor dem Hintergrund eines militärischen Konfliktes kommt es zu einer Erweiterung der Bedeutung von Vergewaltigung. Der in Kriegen häufig mobilisierte Beschützermythos der Männer ist in der Regel nicht ein wirkliches Anliegen, die Frauen zu beschützen, trotzdem hat er eine soziale Bedeutung. Für die Männer, deren »Pflicht« es ist, »ihre Frauen« zu beschützen, ist die nichtverhinderte Mißhandlung und Vergewaltigung »ihrer Frauen« einer militärischen Niederlage vergleichbar, wird als eine persönliche Demütigung empfunden. Die Frauenkörper werden damit zu Orten des Austauschs männlicher Botschaften.

Ein Beispiel für diese Kommunikationsfunktion von Mann zu Mann sind die im ehemaligen Jugoslawien begangenen Rücktransporte von vergewaltigten Frauen. Diese wurden im siebten oder höheren Schwangerschaftsmonat über die feindlichen Linien zurückgeschickt – in Bussen, die meist zynische Aufschriften über die zu gebärenden Kinder enthielten (Seifert 1993: 94).

Die Frau als Bestandteil der gegnerischen Kultur zerstören

Massenvergewaltigungen während der militärischen Auseinandersetzungen in diesem Jahrhundert geben Anlaß zu der Vermutung, daß dahinter eine ganz bewußte militärische Strategie steckt, daß die Zerstörung der gegnerischen Kultur, für die die Frau wegen der »Reproduktionsfähigkeit« eine besondere Bedeutung einnimmt, gezielt zerstört werden soll.

Im Zweiten Weltkrieg zwang nicht nur die japanische Armee Tausende Koreanerinnen in die sexuelle Sklaverei, es gab auch deutsche Kriegsbordelle, in die Frauen zwangsweise hineingetrieben wurden. 1943 wurde den zu der Restarmee Frankreichs gehörenden marokkanischen Söldnertruppen explizit zugestanden, auf Feindesgebiet zu plündern und zu vergewaltigen, was zu ausgedehntem Mißbrauch von Frauen in Italien führte (Walzer 1977: 133f), und am Ende das Krieges standen massenhafte Vergewaltigungen durch die Rote Armee im Raum Berlin.

Während des Bürgerkrieges in Bangladesch 1971/72 wurden etwa 200 000 Frauen vergewaltigt. Ein indischer Schriftsteller war damals davon überzeugt, „daß es sich um ein geplantes Verbrechen gehandelt hat. Es ist derart systematisch und flächendeckend vergewaltigt worden, daß nur bewußte militärische Taktik dahinterstecken kann.“ Er nahm an, daß mit den Vergewaltigungen eine neue Rasse geschaffen und das bengalische Nationalgefühl ausgelöscht werden sollte (zitiert nach Brownmiller 1978: 89).

Die Vergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien richteten sich offensichtlich gegen die Fortpflanzungsfähigkeit besonders der bosnischen Bevölkerung. Junge Frauen starben an den körperlichen und seelischen Folgen der Vergewaltigungen, die Überlebenden sind häufig so stark traumatisiert, daß sie keine Kinder mehr gebären werden.

Vor dem Hintergrund dieser Beispiele müssen Massenvergewaltigungen nicht als planlose Gewalteruptionen in Extremzeiten, sondern als militärische Strategie und damit zu den Spielregeln des Krieges zugehörig betrachtet werden.

Vergewaltigung und die Folgen

Viel schwerwiegender als die körperlichen Folgeerscheinungen (Schürfwunden, Prellungen, Quetschungen, Hämatome, Geschlechtskrankheiten und auch Verstümmlungen) sind in der Regel die psychischen Folgen einer Vergewaltigung. Während der unmittelbaren Gewalthandlung kommt es nach Studien von Harry Feldmann bei 98,7<0> <>% der Frauen zu einem „Gefühl des hoffnungslosen Ausgeliefertseins“. Als Langzeitreaktionen sind bei den untersuchten Frauen festzustellen: Sexualabwehr (85<0> <>%), phobische Ängste (81,3<0> <>%) und eine Veränderung des äußeren Lebensstils (72<0> <>%). Noch mehr als 46 Monate nach der Tat wurden bei mehr als 50<0> <>% der Opfer Depressionen und Emotionen wie Mutlosigkeit, Hilflosigkeit, Ängstlichkeit und Mißtrauen verzeichnet (Feldmann 1992: 27).

Man geht davon aus, daß diese Symptomatik durch die Zahl der Angreifer verstärkt wird, ebenso wie durch den Grad der erfahrenen Gewalt. Erschwerend kommt hinzu, daß in Krisenzeiten kaum Hilfestellungen für die betroffenen Frauen geleistet werden können, da zunehmend auch zivile Einrichtungen (Krankenhäuser, Therapiezentren, Beratungsstellen) Ziele von Angriffen werden und die Frauen oft zusätzlich belastet werden durch den Verlust von Familienangehörigen und Freunden sowie des eigenen Heimes.

Bei Kriegsvergewaltigungen sind aber nicht nur die Frauen, sondern oft auch ihr soziales Umfeld direkt betroffen. Nicht selten werden die Frauen in Kriegszeiten im Beisein ihrer Angehörigen vergewaltigt, um diese einzuschüchtern und zu diskriminieren, was bei den Familienmitgliedern zu einer starken Traumatisierung führen kann.

Das verminderte Selbstwertgefühl des Opfers und die (sexuelle) Ablehnung des Partners infolge der Tat kann außerdem zu einer Belastung der Beziehung, nicht selten auch zu ihrem Ende führen. Damit kommt es zu einem völligen Bruch in der Lebenskontinuität, was die Verarbeitung des Erlebten erschwert. So berichtet Vera Folnegovic-Smalc, Chefärztin des Zentrums für klinische Psychiatrie in Zagreb, daß psychische Störungen infolge der Vergewaltigungen schneller abnahmen, wenn die Opfer durch Familie und Freunde eine starke emotionale Unterstützung erfuhren (Folnegovic-Smalc 1993: 221).

Die Frau als Objekt der Propaganda

Hilfestellung durch die offiziellen Vertreter »ihrer« Gruppe können die Frauen meist ebenfalls nicht erwarten, vielmehr müssen sie damit rechnen, zum Objekt der Kriegspropaganda zu werden. Durch die Mobilisierung des Beschützermythos kann die Präsentation der mißbrauchten Frauen zur Steigerung der Kampfbereitschaft der eigenen Soldaten dienen. Unter dem Vorwand, »ihre« Frauen vor der Schändung zu bewahren, werden die Männer zum Kampf gegen den Feind motiviert. Aber auch nicht direkt betroffene Staaten profitieren von solchen Greueltaten. Hanne-Magret Birckenbach geht davon aus, das die Grausamkeiten an der Zivilbevölkerung generell der Rechtfertigung militärischer Interventionen und der Fortsetzung des Rüstungsgeschäftes dienen, besonders wenn diese in der Öffentlichkeit umstritten sind (Birckenbach 1993: 234).

Besonders instrumentalisiert werden die Frauen, wenn sie durch die Vergewaltigungen schwanger geworden sind. Die Frauen sehen sich dann Anfeindungen und Anmaßungen ihrer eigenen Gruppe ausgesetzt, weil sie ein Kind des Feindes in sich tragen. Ruth Harris beschreibt den Fall französischer Frauen aus dem Ersten Weltkrieg, die durch die Vergewaltigung deutscher Soldaten schwanger geworden waren. Vertreter der Katholischen Kirche forderten öffentlich, die Kinder zur Erhaltung der französischen Kultur abzutreiben (Harris 1993: 191ff).

Kirsten Poutrus schildert ähnliche Vorgänge in Deutschland am Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Erlaß über die „Unterbrechung der Schwangerschaften, die auf eine Vergewaltigung der Frau durch Angehörige der Sowjet-Armee zurückzuführen sind“, sollte den Frauen Möglichkeiten einer schnellen und unbürokratischen Abtreibung eröffnen. Ziel war es aber nicht, den Betroffenen zu helfen, denn dieses Angebot bezog sich nur auf unerwünschte Kinder, die nach der NS-Ideologie als rassisch minderwertig zu betrachten waren. Hingegen sollten die Frauen ihre Kinder austragen, wenn sie von Deutschen und Westallierten mißbraucht worden waren (Poutrus 1995: 124).

Abschließende Betrachtung

Natürlich wäre die Verhinderung des Krieges die beste aller Möglichkeiten, um zukünftig kriegsbedingte Gewaltakte gegen Frauen zu verhindern. Bei der Betrachtung des derzeitigen Kriegsgeschehens mutet dies jedoch wie eine Utopie an.

Deshalb muß damit angefangen werden, die Ursachen dieses speziellen Kriegsverbrechens bereits im zivilen Kontext zu bekämpfen. Der Gewalt gegen den weiblichen Teil der Bevölkerung muß im täglichen Leben entgegengewirkt werden. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen stellt in ihrer Erklärung über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen fest, „daß Gewalt gegen Frauen… der Herbeiführung von… Frieden entgegensteht, … daß die Anwendung von Gewalt gegen Frauen einer der maßgeblichen sozialen Mechanismen ist, durch die Frauen gezwungenen werden, sich dem Mann unterzuordnen“ und daß „Gewalt gegen Frauen … in allen Einkommensschichten, Klassen und Kulturen vorkommt.“

Die Erklärung versteht unter Gewalt gegen Frauen jede gegen Frauen aufgrund ihrer Geschlechterzugehörigkeit gerichtete körperliche, sexuelle und psychologische Gewalt in der Familie, im Umfeld der Gemeinschaft sowie staatliche oder staatlich geduldete Gewalt (Menschenrechte 1995: 150).

Zur Verwirklichung ihrer Ziele fordert die Erklärung u. a. strafrechtliche Sanktionen und „alle sonstigen gesetzlichen, politischen, administrativen und kulturellen Maßnahmen, die den Schutz der Frau gegen jede Art von Gewalt fördern.“

Es muß konsequent darauf hingearbeitet werden, daß diese Erklärung für alle Staaten verbindlich wird.

Eine Aufwertung der Frau, bis hin zu ihrer völligen Gleichstellung, könnte auch das Motiv, die Frau in Kriegszeiten zur »zwischenmännlichen« Kommunikation zu instrumentalisieren, hinfällig werden lassen. Denn wenn die Frau als gleichwertiges Wesen über sich selbst definiert und nicht dem Mann untergeordnet wird, wenn sie zum Subjekt wird und nicht länger Objekt ist, über das sich Machtpositionen manifestieren, wird die Symbolik der Vergewaltigung diesbezüglich an Bedeutung verlieren. Damit einhergehend kann auch davon ausgegangen werden, daß durch die Subjektivierung der Frau der Gehalt der Vergewaltigung als über den Körper der Frau vollzogene Kulturzerstörung verloren geht.

Wird die Frau trotzdem Opfer einer Kriegsvergewaltigung, kann ein neues Frauenbild dennoch hilfreich sein. Die Frau kann selbst bestimmen, was mit ihrem Körper bei einer eventuellen Schwangerschaft nach der Vergewaltigung geschieht und auch aus ihrem Umfeld kann mit einer größeren emotionalen Unterstützung gerechnet werden. Natürlich sind das nur langfristig zu verwirklichende Ziele.

Wie aber kann den Betroffenen geholfen werden, wenn sie bereits Opfer einer Kriegsvergewaltigung geworden sind? Die Erklärung zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen macht außerdem auf die Notwendigkeit von Maßnahmen zur körperlichen und seelischen Rehabilitation aufmerksam. Für die Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien bedeutet dies verstärkte therapeutische und medizinische Hilfe. Ebenso muß von der Abschiebung der mißbrauchten Frauen nach Bosnien abgesehen werden, denn wie sollen sie ihre Erlebnisse bewältigen in einer Umgebung, in der die Auswirkungen des Krieges immer noch allgegenwärtig sind.

Ferner haben die Ereignisse auf dem Balkan gezeigt, daß den Opfern unmittelbar nur humanitär geholfen werden kann. Von politischen Drohungen gegen die Täter profitieren sie nicht. Weder die Androhung einer militärischen Intervention noch die Schaffung eines UN-Kriegsverbrechertribunals stellten für die Täter ein psychologisches Signal dar, ihre Taten zu beenden.

In Zukunft muß also auch weiterhin das Prinzip gelten, daß Frieden und Zivilisierung der Weltgemeinschaft nicht durch den Einsatz von Gewalt, sondern durch die Bekämpfung dieser zu erreichen sind.

Literatur

Birckenbach, Hanne-Margret (1993): Das Verbrechen beschreiben, analysieren und ihm vorbeugen. Zur Vergewaltigung im Krieg aus der Sicht der Friedensforschung, in: Stiglmayer (1993).

Brownmiller, Susan (1978): Gegen unseren Willen. Vergewaltigung und Männerherrschaft, Frankfurt a. M.

Feldmann, Harry (1992): Vergewaltigung und ihre psychischen Folgen: Ein Beitrag zur posttraumatischen Belastungsreaktion, Stuttgart.

Folnegovic-Smalc, Vera (1993): Psychiatrische Aspekte der Vergewaltigungen im Krieg gegen die Republiken Kroatien und Bosnien-Herzegowina, in: Stiglmayer (1993).

Haltiner, Karl (1985): Milizarmee – Bürgerleitbild oder angeschlagenes Ideal?, Frauenfeld.

Harris, Ruth (1993): The „Child of the Barbarian“: Rape, Race and Nationalism in France during the First World War, in: Past and Present – a Journal of Historical Studies 11/1993, o. O., S. 170-206.

Helsinki Watch (Hrsg.) (1994): War Crimes in Bosnia-Herzegowina. Vol. II, New York April.

Menschenrechte (1995): Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen, 2., aktualisierte Auflage, Bonn.

Poutrus, Kirsten (1995): Ein fixiertes Trauma – Massenvergewaltigung bei Kriegsende in Berlin, in: Feministische Studien 2/1995, Weinheim, S. 120-129.

Seifert, Ruth (1993): Vergewaltigung und Krieg, in: Stiglmayer (1993), S.87-112.

Smaus, Gerlinda (1994): Psychische Gewalt und die Macht des Patriarchts, in: Kriminologisches Journal 2/1994, Weinheim, S. 82-104.

Smith, Joan (1992): Misogynies. Frauenhaß in der Gesellschaft, München.

Stiglmayer, Alexandra (1993): Vergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina, in: dies. (1993), S.113-218.

Stiglmayer, Alexandra (1993): Massenvergewaltigung: Krieg gegen die Frauen, Frankfurt a. M.

Strafgesetzbuch (1994): Beck-Texte im dtv 5007, München.

Walzer, Michael (1977): Just and Unjust Wars. A Moral Argument with Historical Illustrations, New York.

Wullweber, Helga (1993): Vergewaltigung als Waffe und das Kriegsvölkerrecht, in: Kritische Justiz 1993, Baden-Baden, S. 178-193.

Alle 2 Jahre zeichnet die Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konliktforschung (AFK) Personen oder Projekte mit dem Christiane-Rajewsky-Preis aus, die sich besonders um die Friedens- und Konfliktforschung verdient gemacht haben. Preisträger 1997 ist die Redaktion der »ami«.

Cornelia Zirpins erhielt für ihre Arbeit »Vergewaltigung – Analyse eines Kriegsverbrechens« – die wir hier stark gekürzt wiedergeben – in diesem Jahr einen Sonderpreis der AFK.

Anmerkungen

1) Auf eine detaillierte Beschreibung der Verbrechen soll hier bewußt verzichtet werden, es sei jedoch verwiesen auf Stiglmayer (1993); zur Problematik der Beschreibung der Verbrechen siehe außerdem Birckenbach (1993). Zurück

Cornelia Zirpins ist Studentin an der Universität Münster.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1997/2 Quo vadis Europa, Seite