W&F 2015/3

Verhandeln nicht immer eine Option

von Jochen Hippler

Verhandeln geht nur, wenn mit dem Kriegsgegner ein Gespräch möglich ist. Immer wieder gibt es aber Konstellationen, wo dies nicht aussichtsreich ist. Für Friedensverhandlungen gibt es darüberhinaus einige weitere Voraussetzungen, die ebenfalls nicht immer gegeben sind. Der Autor erläutert, wann aus seiner Sicht Friedensverhandlungen überhaupt eine Option sind und wann sie nicht zweckdienlich scheinen. Er belegt seine Einschätzung am Beispiel der Taliban bzw. des Islamischen Staates.

Verhandlungen in Kriegssituationen führt man mit seinen Gegnern oder mit Feinden, nicht mit Freunden. Friedensverhandlungen erfordern Kommunikation und Verständigung gerade mit denjenigen, mit denen man nicht übereinstimmt, sondern sich sogar im Kriegszustand befindet. Das Argument, solche Verhandlungen seien falsch und unangebracht, weil der Gegner schließlich Gewalt anwende, ist zunächst einmal unsinnig: Gerade deshalb sind solche Verhandlungen ja notwendig. Außerdem führt die eigene Partei den Krieg ebenfalls nicht nur mit Worten, sondern mit den Mitteln militärischer Gewalt. Auch politische oder ideologische Gegensätze können kein Argument gegen Friedensverhandlungen sein, da man von seinem Feind kaum als Gesprächsvoraussetzung verlangen kann, er müsse erst so werden wie man selbst.

Diese einfachen Wahrheiten implizieren allerdings nicht, dass Verhandlungen zur Beilegung eines Gewaltkonfliktes oder Krieges immer, mit jedem und zu jedem Zeitpunkt sinnvoll oder möglich wären. Verhandlungen können aussichtslos sein, wenn man selbst oder der Gegner sie nur als Mittel für andere Zwecke betrachtet, etwa zur Propaganda oder um Zeit zu gewinnen, um die Kriegführung später effektiver fortsetzen zu können. Häufig werden Verhandlungsangebote auch mit Vorbedingungen belastet, die vom Gegner gar nicht erfüllt werden können, z.B. die Gegenseite solle die Waffen niederlegen, während man die eigenen behält – das ist in Kriegssituationen kaum mehr als die freundliche Aufforderung zu Kapitulation. Oder man verlangt in einem Bürgerkrieg, die Gegenseite solle zuerst einmal die »geltende Verfassungsordnung akzeptieren« – die aber gerade umstritten ist und gewaltsam bekämpft wird.

Hier wird deutlich, dass schon das Reden über Verhandlungen ein Teil der Kriegführung sein kann, wenn es den Versuch darstellt, den Gegner wenn nicht militärisch, so doch politisch und ideologisch zu entwaffnen oder zu schwächen, indem man ihn delegitimiert.

Besonders offensichtlich sind solche Probleme, wenn ein Gewaltkonflikt oder Krieg »asymmetrisch« geführt wird, also zwischen Großmächten und Kleinstaaten oder insbesondere zwischen Regierungen und nicht-staatlichen Gewaltakteuren. Tatsächliche Verhandlungen setzen in der Regel eine minimale Gleichheit der Verhandlungspartner voraus, eine prinzipielle Machtgleichheit (keine Seite kann die andere militärisch besiegen) und/oder eine vergleichbare Legitimationsstärke. Ein legitimer Staat – oder was sich dafür hält – kann mit einer Verbrecherbande keine »Friedensverhandlungen« führen, ohne den Anspruch auf seine Legitimität als Staat aufzugeben und sich auf eine gleiche Ebene mit der Verbrecherbande zu stellen. Bereits die öffentlich Erörterung einer möglichen Verhandlungslösung kann deshalb die Legitimität der Konfliktparteien und die Konfliktdynamik beeinflussen. Auch deshalb sind Verhandlungen zwischen Ungleichen zur Beilegung von Gewaltkonflikten so schwierig: Beide Seiten können bereits dadurch politisch gewinnen oder verlieren, dass sie sich öffentlich auf Verhandlungen einlassen.

In der Debatte um Gewaltkonflikte hört man häufig das Argument, dass »Gewalt keine Lösung« sein könne. Würde dies stimmen, wäre Krieg inzwischen den Weg der Dinosaurier gegangen und ausgestorben. Kriege und Gewalt können unter bestimmten Bedingungen durchaus eine Lösung sein, sonst würde ja kaum eine Konfliktpartei noch Gewalt einsetzen, kein Aggressor einen Krieg beginnen. Allerdings bedeutet eine gewaltsame Konfliktlösung in aller Regel ein beträchtliches Maß an Blutvergießen und Zerstörung. Nicht allein der Tod vieler Menschen, sondern auch die Zerstörung ganzer Gesellschaften können das Ergebnis sein, wie der syrische Bürgerkrieg erneut demonstriert. Auch wenn Gewalt also pragmatisch gesehen unter bestimmten Bedingungen »funktionieren« kann (gemessen an ihren Zielen), ist sie unter normativen Gesichtspunkten keine Option.

Keine Garantie für Erfolgschancen

Ein Problem besteht darin, dass die aus normativen wie pragmatischen Gründen berechtigte Ablehnung gewaltsamer oder militärischer Konfliktlösung nicht automatisch Alternativen impliziert, wie Konflikte auf andere Art gelöst werden können oder sollten. Häufig wird vorgebracht, an die Stelle der Gewalt solle eine »politische Lösung« treten – eine ebenso sympathische wie prinzipiell richtige Forderung. Allerdings ist oft nicht klar, was der Begriff »politische Lösung« genau bedeutet, meist wird er synonym mit »Verhandlungslösung« verwandt. Diese Einengung ist alles andere als hilfreich, weil sie einerseits andere politische Optionen ignoriert und andererseits die Erfolgschancen von Verhandlungen unterstellt, ohne den konkreten Kontext und die Erfolgsvoraussetzungen zu prüfen. Viele Erfahrungen, etwa die Verhandlungen zwischen Israel und der PLO bzw. der palästinensischen Autonomieregierung, die der US- oder afghanischen Regierung mit den Taliban oder die zur Beendigung des Bürgerkrieges in Sri Lanka, demonstrieren, dass Verhandlungen nicht immer zu einer Lösung führen. Und selbst dann ist nicht automatisch gewährleistet, dass die Vereinbarung wirklich umgesetzt wird oder zum Frieden führt.

Es sind viele Kontexte vorstellbar, in denen Verhandlungen kaum aussichtsreich wären. Dazu gehören: Situationen, in denen

  • das Machtungleichgewicht so groß ist, dass eine Seite Kompromisse nicht nötig zu haben glaubt,
  • eine Seite ihre existentiellen Ziele erreicht hat, die andere nicht,
  • die politisch Verantwortlichen oder die Verhandlungsführer aufgrund von Widerstand im eigenen Lager nicht über den nötigen Kompromiss- und Handlungsspielraum verfügen,
  • die Konfliktparteien besonders fragmentiert oder die jeweiligen Seiten im jeweils »eigenen« Lager untereinander verfeindet sind,
  • keine wirksame Kontrolle über die bewaffneten Einheiten durch die politische Führung besteht oder
  • eine Seite aus nachvollziehbaren Gründen eine baldige schrittweise oder plötzliche Verschiebung der Kräfteverhältnisse zu eigenen Gunsten erwartet.

Offensichtlich können mehrere dieser Kontexte zugleich gegeben sein, womit die Wahrscheinlichkeit eines Verhandlungserfolgs noch weiter sinkt, wie die jahrzehntelangen Versuche, den Palästinakonflikt durch Verhandlungen beizulegen, zeigen.

Insgesamt erfordern Verhandlungslösungen (a) den Willen aller relevanten Konfliktparteien, eine Einigung zu erreichen, was (b) eine ausreichende Überlappung der Interessen der Konfliktparteien voraussetzt, ebenso (c) einen erfolgreichen Verhandlungsprozess, der externe oder interne »Spoiler« marginalisiert, und (d) die fortdauernde Bereitschaft und Fähigkeit der Konfliktparteien und ggf. einflussreicher Dritter, die Verhandlungsergebnisse tatsächlich umzusetzen bzw. Verstöße wirksam zu sanktionieren. Keine dieser Voraussetzungen darf immer als gegeben unterstellt werden.

Verhandlungen mit den Taliban zu spät ins Spiel gebracht

Betrachten wir zur Illustration die Verhandlungen mit den afghanischen Taliban. In den Jahren 2002 bis ca. 2005 wären Erfolg versprechende Verhandlungen vermutlich möglich gewesen: Die Taliban waren nach ihrem Sturz politisch wie militärisch schwach, ihr früheres Prestige im Land und ihre Legitimität waren schwer beschädigt, und nach der schnellen militärischen Niederlage bestand in der afghanischen Gesellschaft und bei ihnen selbst nicht die Erwartung, dass sie bald in eine starke Machtposition zurückkehren könnten. Ein politisches Verhandlungsangebot für ihre – durchaus begrenzte – Machtbeteiligung oder wenigstens Duldung im neuen politischen Rahmen hätte zu einer zumindest teilweisen Integration ins politische System führen können. Damals allerdings waren weder die afghanische Regierung noch die USA und ihre Verbündeten zu einer solche Politik (oder auch nur zu irgendwelchen Gesprächen oder gar Verhandlungen) bereit, weil sie triumphalistisch und überheblich glaubten, ein solches Zugeständnis nicht nötig zu haben. Zu dieser Zeit war selbst der Begriff »Verhandlungen« auch in Deutschland tabuisiert, wie es ja auch tabu war, den Krieg einen Krieg zu nennen. Das Ergebnis: Den Taliban blieb keine andere Option, als sich politisch außerhalb und gegen das neue System zu organisieren.

Ab 2005 wurde immer klarer, dass die Taliban militärisch doch nicht zu schlagen waren, sondern zunehmend zu einer ernsten Bedrohung wurden, dass Sicherheit auch nicht durch die ausländischen Truppen zu erreichen war und die Regierung Karzai nicht die Lösung, sondern selbst ein Teil des Problems war. Da erst führten das Scheitern der westlichen Afghanistanpolitik und die blanke Not dazu, auf eine Verhandlungslösung zu setzen. Allerdings hatten die Taliban nun ernsthafte Gespräche oder Verhandlungen nicht mehr nötig, konnten sie aber nutzen, um als legitimer und prinzipiell ebenbürtiger Partner akzeptiert und damit politisch gestärkt zu werden.

Insbesondere nachdem in den USA und Westuropa die Diskussion über einen Abzug der eigenen Truppen aus Afghanistan begonnen hatte, hatten die Taliban weder ein Interesse an massiven und riskanten Militäroffensiven noch an der Beendigung des Bürgerkrieges durch einen Kompromiss. Aus ihrer Sicht waren Geduld und Abwarten die richtige Strategie: Da die afghanische Regierung nicht einmal mit Hilfe der NATO-Truppen zu einem Sieg über die Taliban in der Lage gewesen war, wie sollte dies erst ohne die ausländischen Soldaten gelingen? Die Taliban zielten darauf, den Druck auf die Regierung und die fremden Truppen sowie die allgemeine Situation der Unsicherheit aufrecht zu erhalten, punktuell sogar noch zu erhöhen, dabei aber den Truppenabzug nicht zu gefährden. Zugleich halfen Gespräche mit der Regierung oder den USA dabei, den Abzug in den westlichen Ländern innenpolitisch zu rechtfertigen und zu befördern. Jenseits dessen haben die Taliban kein Interesse an einem Verhandlungskompromiss. Die Zeit arbeitet für sie, und die afghanische Regierung verfügt über keine legitimen und effektiven Governance- Strukturen, um sie politisch zu marginalisieren. Nach dem Abzug der ausländische Truppen und der später zu erwartenden Verminderung der finanziellen Unterstützung aus dem Ausland würde, so das Kalkül, die afghanische Regierung weiter geschwächt und ein Erfolg der Taliban, etwa durch eine Fragmentierung der Regierung und des Staates, wahrscheinlicher.

Umgekehrt darf nicht übersehen werden, dass auch die afghanische Regierung bisher keinen wirklichen Anreiz hat, den Bürgerkrieg durch einen Verhandlungskompromiss zu beenden. Solange sie sich gegenüber dem Westen als einziges Bollwerk gegen die Taliban präsentieren kann, darf sie sich Hoffnungen auf militärische und finanzielle Unterstützung machen. Ein Machtverlust oder auch nur eine Machtteilung infolge von Verhandlungen würde die politische und materielle Unterstützung der Anti-Taliban-Kräfte in Frage stellen und damit deren Kerninteressen und Zusammenhalt bedrohen.

Eine Verhandlungslösung in Afghanistan würde nur dann eine realistische Option, wenn sich dort zwei (oder sehr wenige) halbwegs geschlossene Konfliktparteien gegenüberstünden, die beide keine Aussicht auf einen politischen oder militärischen Erfolg haben, aber so stabil sind, dass sie keine Niederlage fürchten müssen. Ein solches Patt ist allerdings nicht in Sicht.

Verhandlungen mit dem IS keine Option

Anders ist die Lage in Bezug auf den »Islamischen Staat« (IS). Gegenwärtig gibt es erste, wenngleich noch vorsichtige, Vorschläge, mit diesem Gespräche und Kontakte zu pflegen (siehe z.B. „Die Anbahnung von Kontakten zum IS sollte nicht von vornherein aus den Möglichkeiten des Konfliktmanagements ausgeschlossen werden“ im Friedensgutachten 2015, S.12).

Soweit sich dies auf humanitäre Notsituationen bezieht (Versorgung der Zivilbevölkerung, Geiselnahmen), ist gegen solche Kontakte und Gespräche nichts einzuwenden. Sollte man sich allerdings Hoffnungen auf eine Konfliktbeilegung (bzw. ein »Konfliktmanagement«) in Syrien oder dem Irak machen, wäre Zurückhaltung angebracht. Der bisherige Erfolg des »Islamischen Staates« beruht auf seiner kompromisslosen Brutalität, die er zum Alleinstellungsmerkmal gegenüber allen anderen politischen und militärischen Gruppen ausgebaut hat. Gerade diese Eigenschaft trägt zur Anziehungskraft des IS bei, insbesondere auf ausländische Kämpfer im arabischen Raum und in Westeuropa. Während viele jihadistische Gruppen, auch al Kaida, sich durch oft langatmige theologische Belehrungen profilieren wollen, setzt der IS bei seiner Propaganda auf »Aktion«, auf Offensive, Kompromisslosigkeit, Brutalität und Sieg. Dies wirkt auf bestimmte Personengruppen anziehend und schüchtert die Gegner ein.

Der »Islamische Staat« erhebt den Anspruch, »der« Staat aller Muslime zu sein. Er definiert sich als »Kalifat«, also zugleich als oberste religiöse wie als politische Instanz mit globalem Machtanspruch. In diesem Sinne versteht sich der IS nicht einfach als irgendein Staat neben anderen, sondern als allen anderen Staaten und nichtstaatlichen Akteuren übergeordnet. Wer sich dem IS nicht unterwirft, ist automatisch aus der Gemeinschaft göttlicher Legitimität ausgeschlossen und gilt als Ketzer.

Beide Aspekte, der pragmatische und der ideologische, stellen ernsthafte Hindernisse für Gespräche oder gar Verhandlungen dar. Das Geschäftsmodell des IS auf dem politischen Markt des Jihadismus beruht gerade auf brutaler Kompromisslosigkeit und würde durch Dialoge und Gespräche infrage gestellt. Zugleich sind Gespräche und Verhandlungen kaum möglich, wenn die Bereitschaft fehlt, andere zumindest als legitim und als prinzipiell gleichwertig zu akzeptieren.

Nun ließe sich einwenden, dass der IS nach Durchlaufen eines erfolgreichen Staatsbildungsprozesses aus pragmatischen Gründen eine »normale« Staatlichkeit herausbilden wird, vielleicht nach dem Muster von Saudi Arabien, das eine salafistische Ideologie mit diplomatischem Verkehr in Einklang bringt. Dies ist nicht grundsätzlich auszuschließen; sollte ein solcher Prozess der Mäßigung tatsächlich einsetzen, dürfte er allerdings in sehr ferner Zukunft liegen. Der Vorschlag, so lange mit Gesprächen oder Verhandlungen zu warten, wäre politisch absurd, insbesondere, weil die kompromisslose Brutalität des IS bis dahin so viele Opfer kosten und die Menschenrechtssituation dauerhaft so katastrophal prägen dürfte, dass dies unter humanitären Gesichtspunkten schlicht undenkbar ist.

»Politische Lösung« als Begriff weiter fassen

Das Problem im Umgang mit dem »Islamischen Staat« besteht darin, dass eine primär militärische Lösung (etwa durch Waffenlieferungen an seine Gegner, Luftangriffe, Ausbildung des irakischen Militärs, westliche Bodentruppen) keinen Erfolg verspricht, eine »politische Lösung« im Sinne von Verhandlungen mit dem IS aber eine absurde Vorstellung ist. Tatsächlich käme es in vielen Gewaltkonflikten darauf an, den wichtigen Begriff einer »politischen Lösung« weiter zu fassen. Wenn ein Konflikt nicht militärisch, sondern nur politisch gelöst werden kann, bedeutet das nicht automatisch, eine »Verhandlungslösung« zu favorisieren, für die in vielen Situationen die Voraussetzungen fehlen.

Eine politische Lösung wird oft auf einer anderen Ebene ansetzen müssen: So wäre es beispielsweise entscheidend, im Irak eine Politik zu betreiben, die die arabischen Sunniten nicht marginalisiert, sondern wieder in den nationalen Politikprozess reintegriert. Solange die Sunniten sich von der Regierung in Bagdad oder den schiitischen Milizen stärker bedroht fühlen als vom IS, wird der Krieg nicht beendet werden können, weder durch Bombardierung noch durch »Verhandlungen«. Die Ansatzpunkte für eine politische Lösung finden sich nicht in aussichtslosen und schädlichen Gesprächen mit dem »Islamischen Staat«, sondern in der Arbeit daran, in den betroffenen Gesellschaften Bedingungen herzustellen, die ihm gesellschaftlich und politisch durch Delegitimierung den Boden entziehen. Erst dann können andere Politikinstrumente mit Aussicht auf Erfolg angewandt werden.

Privatdozent Dr. Jochen Hippler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg/Essen; www.JochenHippler.de.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2015/3 Friedensverhandlungen, Seite 14–16