Viren als Waffen? Genforschung für das BMVtdg in Niedersachsen
von Manuel Kiper
An der Tierärztlichen Hochschule Hannover startete ein bundesweit bislang einmaliges Projekt im Bereich Gentechnologie: Auftraggeber und Finanzier ist das Bundesverteidigungeministerium. Der Auftrag handelt unverfänglich von Immunprophylaxe bei Arbovireninfektion.
Gentechnologische Militärforschung an der TIHO Hannover
Wie die Bundesregierung auf Anfrage am 12.8.1985 bestätigte, hat das Bundesverteidigungsministerium erstmalig zum 1. September 1985 Gelder für militärische gentechnologische Forschungen bewilligt. Diese Mittel gehen an das Institut für Virologie an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Betraut mit den Forschungen wurden Prof. Dr. Kaaden und Dr. Volker Moennig. Beide weisen den Vorwurf der Militär- oder gar Kriegsforschung weit von sich. Ihre Fragestellung sei eine rein medizinische. Ihnen gehe es darum, einen Impfstoff gegen Arboviren, beispielsweise Zecken-Encephalitis (durch Zecken übertragene Gehirnentzündung), zu entwickeln, einer in Österreich inzwischen häufiger und in Deutschland vereinzelt auftretenden Krankheit (gegen die Impfstoffe allerdings bereits existieren).1 Prof. Moennig bestätigte aber telephonisch das von der Bundesregierung genannte „Ziel des Entwicklungsvorhabens“: Es sei „ein Antigen (und dann ein Impfstoff) zu finden, das möglichst gegen mehrere Vertreter aus der Alphavirusgruppe der Togaviridae schützt. Beispielhaft kann hier das Virus der venezuelanischen Pferdeencephalitis angeführt werden.“2
Doch die betreffende Bundestagsdrucksache wird noch deutlicher: „Die Entwicklung von Impfstoffen gegen potentielle B-Kampfstoffe ist nach dem B-Waffenübereinkommen von 1972 erlaubt, sie ist deshalb zweifelsfrei eine Schutzmaßnahme. Solche Impfstoffe sind auch im zivilen Bereich verwendbar. Diese Aufgabe könnte auch ein anderes Ressort übernehmen, da das überwiegende Interesse für solche Impfstoffe beim BMVg liegt, wird von dort die Entwicklung veranlaßt.“
Was also harmlos als Impfstoffentwicklung gegen eine Variante der Gehirnentzündung daherkommt, findet höchstes militärisches Interesse. Als in Hannover öffentliche Kritik an der gentechnologischen Militärforschung laut wurde, hagelte es Dementis:
- Prof. Moennig leugnete im TiHO-Anzeiger im Oktober 1985 die Auftragsforschung für die Fraunhofer-Gesellschaft.3 Korrespondenz des Autors mit der Fraunhofer-Gesellschaft förderte zu Tage, daß diese lediglich Verwaltungshilfe bei der Abwicklung leistet, das Projekt aber eines des BMVg ist.4
- Weiterhin wurde von Prof. Moennig die Behauptung aufgestellt, daß die erhofften Forschungsergebnisse nicht militärischen Zielsetzungen dienten, sondern „ausschließlich humanitären Zwecken dienen“ würden und von großer veterinär- und humanmedizinischer Relevanz seien.3 Wie sich herausstellte, waren die Forschungen aber vom BMVg initiiert worden. Kaaden und Moennig waren bereits drei Jahre vorher vom Militär eingespannt worden für die Herstellung von monoklonalen Antikörpern gegen Arboviren, aus denen dann das Immunprophylaxe-Projekt logisch erwuchs. Die Leugnung des militärischen Charakters des Projekts ist schwer aufrechtzuerhalten, heißt es doch in einer Bundestagsdrucksache zu diesem Projekt explizit: „Da das überwiegende Interesse für solche Impfstoffe beim BMVg liegt, wird von dort die Entwicklung veranlaßt.“2
Bei dem geheimen Fachgespräch der Enquetekommission des Deutschen Bundestages am 16.12.85 „über die mögliche militärische Nutzung der Gentechnologie“, zu der Prof. Kaaden als Referent geladen war, sich aber wegen Krankheit entschuldigen ließ, führte Dr. Salier für das BMVg noch deutlicher aus: „Wenn wir z.B. einen Arbovirus-Impfstoff entwickeln, dann doch nur deshalb, weil die anderen Bundesressorts daran kein Interesse haben.“ Was für eine sträfliche Situation, wenn tatsächlich medizinischer Bedarf da wäre. „Von uns aus gesehen“, so Sailer, „springen wir nur in die Schutzlücke, wenn irgendein anderes Bundesministerium oder ein anderes Land so einen Impfstoff nicht entwickelt.“5 Wie generös!
Da es bei dem Arbovirusprojekt des BMVg konkret um die venezuelanische Pferdeencephalitis geht, fiel es dem Vorsitzenden der Enquetekommission Catenhusen (SPD) „schwer zu glauben, daß das vorrangige Ziel einer Impfstoffentwicklung im Grunde genommen darin besteht, den Ländern der Dritten Welt zugute zu kommen“. 6 Auch der Hinweis auf mögliche Vorteile für Touristen (der nicht vom BMVg kam), konnte die Kommission nicht überzeugen. - Von Moennig wurde die Behauptung aufgestellt, „die an der Tierärztlichen Hochschule durchgeführten Forschungen dienen ausschließlich dem Schutz von Mensch und Tier und können nur für spätere Impfmaßnahmen genutzt werden.“ Richtig hingegen ist, daß das Projekt aufbaut auf der vom Militär aus den beiden herausgekitzelten Erkenntnis, daß die Gesamtgruppe der ca. 400 Arboviren offensichtlich konservierte Gene und entsprechend nachweisbare gemeinsame Oberflächenantigene enthalte, deren genaue Charakterisierung gerade Ziel des angelaufenen Forschungsvorhabens ist. Zu dieser Gruppe verwandter Arboviren gehören so prominente B-Kampfstoffe wie Chikungunya, Venezuelanische Pferdeencephalitis u. a., die von der US-Army seit 1983 für potentielle B-Waffeneinsätze in Betracht gezogen werden.8 Für die Einsatzerprobung auch speziell dieser Arboviren wurde im Dezember vom Department of Defense die Dugway Aerosole Test Facility beantragt (ein Hochsicherheitslabor der US-Army) und vom amerikanischen Kongreß bewilligt.9 Es muß befürchtet werden, daß das militärische Interesse an diesen gentechnologischen Manipulationen an Arboviren daher rührt, daß dadurch diese potentiellen Bio-Kampfstoffe militärisch erst richtig verfügbar gemacht würden. Nach Meinung vieler Gentechnologen ist eine Unterscheidung von defensiven und offensiven Forschungen bei solchen gentechnologischen Manipulationen nicht mehr zu treffen.10/11/12/13
- Die Bundesregierung macht aus der engen Kooperation mit den USA auf diesem sensiblen Gebiet gar keinen Hehl. Dr. Sailer führte beim geheimen Fachgespräch der Enquetekommission bezogen auf die Encephalitiserreger aus: „Ziel war es, mit einer amerikanischen Arbeitsgruppe zusammen ein Antigen zu finden, das protektiv ist gegen diese Alphaviren der Arboviren.“14 Und weiter: „Für uns ist es ein Verteidigungsauftrag, unsere Soldaten so zu schützen. Wenn kein anderes Ressort – aus welchen Gründen auch immer – den benötigten Impfstoff entwickelt, dann hängen wir uns an die Impfstoffentwicklung der Amerikaner an.“15 „Zunächst lernen wir von ihnen.“16 Arbovirusforschungen wurden in den USA vom Department of Defense bereits in den letzten Jahren in Auftrag gegeben.17
Gerade im „Anhängen“ an die amerikanischen Militärforschungen liegt auch die politische Brisanz des Arbovirenprojekts. Für die Amerikaner geht es nämlich auch um möglichen offensiven Einsatz der DNA-Technologie, offensichtlich, wie vor der Enquetekommission am 19.12.1985 berichtet wurde, zu dem Zweck, um besser zu verstehen, wie man sich dagegen verteidigen kann.
- Die Tatsache der konservierten Antigen- und Genstrukturen in der Arbovirusgruppe widerlegt auch die Behauptung von Prof. Kaaden, „im Institut für Virologie (würde) aus prinzipiellen Gründen nur mit Viren gearbeitet, die beim Menschen nicht zu Erkrankungen führen.“ 18a Zwar arbeiten Kaaden und Moennig nach eigenen Angaben nur mit Sindbis- und Semliki-Forest-Viren und nicht mit humanpathogenen Viren. Ihr erfolgreicher Nachweis der Konservierung wichtiger Gene innerhalb der Arbovirengruppe macht ihre gentechnologischen Arbeiten mit Sindbis- und Semliki-Forest-Viren unter lediglich L 2 Sicherheitsbedingungen unter gesundheitlichen Aspekten ausgesprochen fragwürdig, muß doch mit der Freisetzung bislang nicht charakterisierter und womöglich pathogener Arboviren-Gene gerechnet werden.
Die militärische Zielsetzung, Initiierung, Finanzierung und Nutzung der Ergebnisse ist unbestreitbar. Zynischerweise wird dem von Prof. Kaaden entgegengehalten, daß der Projektbetreuer im BMVg ein Mediziner sei; die Forschungsvorhaben seien demnach medizinische, nicht militärische. Dies ist ein schwacher Trost, um den „humanitären“ Ansatz der B-Waffenprojekte zu belegen.
Monoklonale Antikörper fürs Militär
Im Institut für Virologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover wird aber noch an anderen militärischen Projekten gearbeitet. Ein Projekt, das am 1.4.1986 anlaufen sollte und bis zum 31.3.1989 geplant ist, sieht die Herstellung monoklonaler Antikörper gegen Bakterien vor und zwar solche, die von einschlägigem miliärischen Interesse sind. Bei dem Vorhaben handelt es sich um einen Ergänzungsbeitrag zum Forschungsvorhaben BA III 1-E/B31 E/C0205/75459. Im Projektantrag wird unter 2. vorgeschlagen, „gegen folgende Bakterien monoklonale Antikörper zu produzieren:
- Antigenkomplex „M“ von Brucella sp.
- Yersinia pestis (Pest); die erzeugten Antikörper sollten insbesondere keine Kreuzreaktionen mit Yersinia tuberculosis zeigen.
- Bacillus anthracis (Milzbrand); die erzeugten Antikörper sollten insbesondere keine Kreuzreaktionen mit Bacillus cereus zeigen.
- Pseudomonas mallei; die erzeugten Antikörper sollten insbesondere keine Kreuzreaktionen mit Pseudomonas putida zeigen.
- Virbrio cholerae; die erzeugten Antikörper sollten die Erreger nicht agglutinieren.“
Im Arbeitsplan wird dazu ausgeführt: „In einem Vorgespräch mit Herrn Dr. Thon von der Wehrwissenschaftlichen Dienststelle in Münster wurde der Vorschlag für einen Arbeitsplan entwickelt, der die Herstellung monoklonaler Antikörper gegen die o. g. Erreger zum Ziel hat. Im Rahmen dieses Vorhabens übernimmt die Wehrwissenschaftliche Dienststelle folgende Aufgaben:
- Die für die Immunisierung und die Durchführung der serologischen Tests erforderlichen Wirkorganismen werden gezüchtet, gereinigt und inaktiviert. Die Reinigung sollte so sorgfältig wir möglich erfolgen, um eine spezifische Immunantwort zu erreichen bzw. um exakte Testergebnisse zu erzielen.
- Die im Institut für Virologie hergestellten und im ELISA geprüften Antikörper werden mit der Immunfluoreszenztechnik charakterisiert.
- Die Hybridomzellinien werden in die künftige Zellsammlung übernommen und in den erforderlichen Abständen regelmäßig überprüft und ggf. rekloniert.
Im Institut für Virologie werden folgende Arbeiten durchgeführt:
- Etablierung von Hybridomzellinien, die Antikörper gegen die unter 2 bezeichneten Antigene sezernieren.
- Stabilisierung der hergestellten Hybridzellen durch Reklonierung mit Hilfe der 'soft agar' Technik.
- Prüfung der monoklonalen Antikörper auf das Fehlen unerwünschter Kreuzreaktionen mit anderen gramnegativen Bakterien im ELISA und Charakterisierung der Antikörper im „western blot“.“
Wie in dem Projektantrag weiter ausgeführt wird, liegen die „Schwierigkeiten bei der Herstellung nicht-kreuzreagierender monoklonaler Antikörper gegen gramnegative Bakterien insbesondere in den gleichartig strukturierten Bakterienwänden und den damit verbundenen ausgedehnten antigenen Homologien.“
Offensichtlich werden hier mit modernen zellbiologischen Methoden Pest, Milzbrand und andere Erreger komfortabel charakterisierbar und damit handhabbar gemacht, wie andererseits die Immunisierung erleichtert wird.19 Dr. Sailer vom BMVg beschrieb bei der geheimen Anhörung vor der Enquetekommission: „Wir haben den Schwerpunkt bisher nicht auf die Entwicklung von Impfstoffen oder die Nachentwicklung von Impfstoffen gelegt – die Impfstoffe gibt es im Grunde meistens schon -, sondern auf Nachweisverfahren. Das war unser Schwerpunkt, während unsere Bündnispartner mehr den Schwerpunkt auf die Impfstoffentwicklung legten.“20
Im Rahmen der engen Zusammenarbeit mit den USA bei der B-Kampfstofforschung werden den Amerikanern die deutschen Biodetektoren dienlich sein.
Rüstungswettlauf bei B-Waffen
Das Forschungsvorhaben ordnet sich in größere Zusammenhänge ein: der Rüstungswettlauf auf dem Gebiet der B-Waffen. Setzte 1979 nach mehrjähriger Pause wieder ein. Am Anfang standen Berichte einer obskuren russischen Emigrantenzeitung über einen B-Waffenunfall in der sowjetischen Stadt Swerdlowsk. An der dadurch ausgelösten Milzbrandepidemie seien zwischen 20 und 1000 Menschen gestorben. Wie sich inzwischen herausstellte, war nichts davon wahr. Trotzdem geistert die Story zusammen mit etlichen anderen Ammenmärchen von sagenhaften Aufrüstungsanstrengungender Sowjets auf dem Gebiet der biologischen und chemischen Kriegsführung immer noch durch Debattenreden und Presseartikel. Wissenschaftlich widerlegt wurde inzwischen eindeutig die Story vom gelben Regen, dem Toxinwaffeneinsatz durch Sowjets in Laos, Kambodscha und Afghanistan. Die vermeintliche Toxinwaffe wurde als Bienenkot entlarvt.24 Allerdings verfehlten die Behauptungen nicht ihre Wirkung: im Dezember 1984 bewilligte der amerikanische Kongreß 8,4 Mio. Dollar für den Bau des oben schon erwähnten Hochsicherheitslabors für militärische gentechnologische Forschung. Dieses noch einstweilen durch Prozesse verzögerte Projekt ist nur die Spitze eines breit angelegten Forschungsprogramms. Bis zum Frühjahr 1985 waren bereits über 50 gentechnologische Projekte in den USA angelaufen.17
Auch das Vorhaben an der Tierärztlichen Hochschule Hannover wird vermutlich kein Einzelfall bleiben. Dr. Sailer kündigte für das BMVg vor der Enquetekommission am 19.12.85 bereits an, daß der Pockenimpfstoff MVA bereits in einer Studienphase sei, 22 eventuell von Militärs gentechnologische Arbeiten mit Pockenviren initiiert werden könnten.
Wehrforschung beim Fraunhofer-Institut für Aerosolforschung und Toxikologie (ITA) in Hannover
Als Kernstück des Hannoverschen Medical Parks wurde seit 1980 direkt neben der Medizinischen Hochschule Hannover ein Fraunhofer-Institut für Aerosolforschung und Toxikologie aufgebaut. Seit Anfang 1985 ist dort eine gentechnologische Abteilung entstanden, in der die gesamte gentechnologische Forschung der Fraunhofer-Gesellschaft zusammengefaßt werden soll. Zwar betreibt dieses Institut gegenwärtig keine geotechnologische Forschung fürs Militär. Prof. Dr. Stüber, der geschäftsführende Leiter des Instituts, wollte im Telefongespräch derartiges jedoch für die Zukunft nicht ausschließen: „Eine solche ungebundene Entscheidung für die Zukunft ist mehr, als von einem verantwortungsbewußten Staatsbürger erwartet werden kann.“
Die Situation des Instituts ist delikat: Schließlich ist die Fraunhofer-Gesellschaft erste Adresse für das Bundesverteidigungsministerium. Die Gründung des Mutterinstituts des ITA Hannover in Grafschaft/ Sauerland, das bis 1968 Institut für Aerobiologie hieß, 23 geht wie auch die Gründung anderer Fraunhofer-Institute direkt auf Initiative des Bundesverteidigungsministeriums zurück. 24 Es besteht also Grund zu der Annahme, daß hier die Freiheit des Forschers recht eng an den Freiheitsbegriff des Verteidigungsministeriums gekoppelt wird.
Leiter des Instituts in Grafschaft, an dem wichtige Forschungen an C-Kampfstoffen fürs BMVg durchgeführt werden, 23 war Prof. Dr. Stöber, jetzt geschäftsführender Direktor des ITA Hannover.
Seit dem 1.4.1985 wird auch am Fraunhofer-Institut für Aerosolforschung und Toxikologie in Hannover Militärforschung betrieben. Unter dem Aktenzeichen San I-AZ 71-01-05 betreibt Frau Dr. Lohmann-Matthes, Leiterin der ITA-Abteilung Immunologie, wehrmedizinische Forschung zu dem Thema „Makrophagen-Subpopulationen Charakterisierung, Strahlenresistenz, Infektabwehr“. Kleine Nagetiere werden mit bis zu 300 Röntgen radioaktiv bestrahlt (tödliche Dosis für den Menschen: 800 R). Die lädierten Mäuse werden dann mit Viren und anderen Krankheitserregern infiziert und der überlebende Teil des Immunsystems studiert. Erklärtes Forschungsziel von Frau Lohmann-Matthes: medizinisches Grundlagenwissen. Das Forschungsziel des Geldgebers BMVg sei ihr schleierhaft, wie sie mir anvertraute. Offenbar kommen nur Leute mit schmutziger Phantasie darauf, daß hier Kombinationswirkungen von Strahlen und biologischen Waffen getestet werden könnten. Die Frage drängt sich auf, ob das Forschungsvorhaben auf dem Hintergrund der neuen Air Land Battle Doktrin der NATO zu verstehen ist, wonach die Anwendungswelle von ABC-Waffen so weit wie möglich gesenkt werden soll. Die beschriebene „Versuchsanordnung“ könnte dabei schnell Realität werden.
Im Gespräch verdeutlichte Frau Prof. Dr. Lohmann-Matthes Einzelheiten, wie heute militärische Fortschritte erzielt und Förderungsmittel vergeben werden: Nach anfanglich abschlägigen Bescheiden des Bundesverteidigungsministeriums geriet sie schließlich an einen Referenten im Sanitätsbereich des BMVg, der „wissenschaftlich irrsinnig interessiert“ war. Es war mit ihren Worten „toll, daß die sich für Grundlagenaspekte erwärmen ließen.“ Sie versteht nicht (?), wieso das Militär an ihren Forschungen interessiert sei, aber durch die Tatsache der Strahlenresistenz ihres Forschungsobjektes, der Makrophagen (Zellen des Immunsystems), konnte sie schließlich das BMVg locken.
Schutzmaßnahmen oder Offensivwaffenentwicklung
Das gute Gewissen der Forscher gründet sich auf die Schwierigkeit, zivile biochemische Forschung und die Weiterentwicklung von B-Waffen voneinander zu trennen. Der Selbstbetrug fällt leicht.
Die neuen genetischen Techniken haben es eben unter anderem ermöglicht, Impfstoffe leichter und billiger zu entwickeln. Tatsächlich hat das US-Verteidigungsministerium ein großes Programm festgelegt, um mit Hilfe gentechnologischer Methoden Impfstoffe gegen Malaria, Rift Valley Fieber, Denguefieber, Q-Fieber, Venezuelanische Pferdeencephalitis, Pest und viele andere Krankheitserreger zu produzieren. Doch schon das Hantieren mit nahezu verschwundenen Krankheiten wie der Pest oder Pocken muß die Befürchtung aufkommen lassen, daß dieses Programm eben den Militärs dazu dienen könnte, diese Erreger Handhabbar zu machen – als B-Waffe. (10/11/13)
Man denkt zu kurz bei der Annahme, daß es dem Militär darum ginge, Super-B-Waffen vor allem in offener Feldschlacht einzusetzen. Es ist schwierig vorherzusagen, wie sich die neuartigen Bakterien in der Umwelt verhalten werden. Auch ist es schwierig, die eigenen Truppen und die Zivilbevölkerung umfassend gegen die Krankheitserreger zu schützen; ganz abgesehen von der internationalen Ächtung, die solche Aktionen erfahren würden.
Für das Militär viel naheliegender ist der kontrollierte Einsatz bekannter Krankheitserreger. In den hochindustrialisierten Staaten lösen diese keine Epidemien mehr aus, da die allgemeine Hygiene- und Ernährungssituation ihre Verbreitung verhindern. Anders in der Dritten Welt, wo schlechte Ernährung, Hygiene und Gesundheitsversorgung oft Epidemien bekannter Krankheitserreger ermöglichen.
Die behauptete B-Waffenschutzforschung richtet sich demnach weniger gegen einen B-Waffenkrieg, den ein möglicher Gegner mit ebenso ungewissem Ausgang führen könnte. Viel „sicherer“ sind da Undercover-Aktionen in Ländern der Dritten Welt, wo solche B-Waffeneinsätze unauffällig vonstatten gehen und zur Destabilisierung unliebsamer Regime eingesetzt werden könnten, wie auch zum Schutz dort operierender Truppen aus entwickelten Ländern.25
Offensive Logik US-amerikanischer B-Waffenforschung
In der wehrmedizinischen gentechnologischen Forschung wird mit den USA eng zusammengearbeitet. Schon 1982 haben amerikanische Militärs ein deutsches Forschungsinstitut, die Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF) in Braunschweig, um Mithilfe gebeten. Dr. John Collins von der GBF sagte in einem report-Interview (27.8.85), 1982 sei an ihn die Bitte herangetragen worden, ein amerikanisches Projekt zu unterstützen. Bei solchen Forschungsarbeiten, so Collins, spreche man zuerst immer von Abwehr. „Man isoliert Bruchteile von Krankheitserregern und hofft, dann einen Impfstoff entwickeln zu können. Impfstoffe sind Voraussetzung für biologische Waffen, bei denen ebenfalls Bruchteile von Krankheitserregern isoliert werden müssen. Man kann sagen: Die notwendigen Forschungen zur Abwehr biologischer Waffen sind identisch mit denen zur Entwicklung biologischer Waffen.“
Um dies zu belegen, lassen wir den honorablen Caspar W. Weinberger, seines Zeichens US-Verteidigungsminister, persönlich zu Wort kommen:
„(…) Bezüglich der US-Politik in punkto Kriegsführung mit Biologischen Toxinwaffen kann es keine Mißverständnisse geben …: Die USA besitzen keine B- oder Toxin-Waffen, noch streben die USA solche an. Wir werden solche Waffen weder selber entwickeln, noch andere dabei unterstützen … wir beziehen laufend neue Erkenntnisse, daß die Sowjetunion ihr offensives B-Waffenprogramm fortführt und Gentechnologie einsetzt, um die Reichweite ihres Programms zu vergrößern. Es ist daher wesentlich und dringend, daß wir angemessen Schutz gegen biologische Toxinwaffen entwickeln und einsatzbereit machen.
Unsere Entwicklungsanstrengungen in diesem Sektor werden von der sowjetischen Bedrohung getrieben. Um zu gewährleisten, daß unsere Abwehrsysteme funktionieren, müssen wir sie mit bekannten bzw. vermuteten sowjetischen Wirkstoffen testen (…)“.26
Damit ist in der Tat verständlich erklärt, daß alle Schweinereien, auf die die Sowjets kommen könnten, auch von den USA aus Verteidigungsgründen entwickelt und getestet werden müssen. Und bekanntlich traut die US-Regierung der Sowjetunion jede Schweinerei zu.
Anmerkungen
1 Wenn Virologen telefonieren; in: Veto Nr.11/1986, S. 10 Zurück
2 Drucksache 10/3718 Deutscher Bundestag vom 12.8.1985; Wehrmedizinische Entwicklungsaufträge und Forschungen im Bereich von B-Waffen Zurück
3 V. Moennig, Entwicklung eines Impfstoffes mit gentechnologischen Methoden in der TiHo; TiHo-Anzeiger 14 (1985), Heft 6 Zurück
4 Schreiben der Fraunhofer-Gesellschaft vom 26.2.86 Zurück
5 Enquetekommission Chancen und Risiken der Gentechnologie: Fachgespräch über die mögliche militärische Nutzung der Gentechnologie, Protokoll der 24. Sitzung vom 16.12.85, S. 16 Zurück
6 Enquetekommission, a.a.O., S. 53 Zurück
7 (entfällt)
8 W. C. Anderson In und J.M. King, Vaccine and Anti Toxin Availability for Defense against Biological Warfare Threat Agents, U.S. Army Health Care Studies Division Report 83-002, US Army Health Services Command, Fort Sam Houston, Texas, 78234 Zurück
9 J. Smith, New Army Biowarfare Lab Raises Concerns; Science, 226 (1984), S. 1176-78 Zurück
10 Referat Breindl beim Fachgespräch der Enquetekommission 16.12.85, a.a.O.Zurück
11 E. Geissler, Folgen der Gentechnik für die chemische und biologische Kriegsführung; in: SIPRI-Rüstungsjahrbuch 5, Gentechnik als Waffe, Reinbek 1985 Zurück
12 S. Wright und R. L. Sinsheimer, DNA and Biological Warfare, Bulletin of the Atomic Scientists, November 1983 Zurück
13 L. Müller, Militärische Nutzung der Gentechnik: Entwicklung von biologischen Kampfstoffen; IFIF, Düsseldorf 1985 Zurück
14 Fachgespräch Enquetekommission, a.a.O. S. 21 Zurück
17 Recombinant DNA Research Projects, durchgeführt und finanziert vom Department of Defense der USA, Liste vom 17.4.1985; in: Gene Watch, May/August 1985 Zurück
18 Fachgespräche Enquetekommission, a.a.O., S. 133
18a Prof. Dr. Kaden, Presseerklärung vom 11.10.85 Zurück
19 E. Geissler, a.a.O., S.133 Zurück
20 Fachgespräch Enquetekommission a.a.O., S. 44 Zurück
21 J. Maddox, Natural History of Yellow; Rain, in: Nature,309 (1984), S. 207 Zurück
22 Fachgespräch Enquetekommission, a.a.O., S. 74 Zurück
23 J. Angerer Chemische Waffen in Deutschland Dammstadt 1985, S. 164 Zurück
24 G. Wallraff, 13 unerwünschte Reportagen, Reinbek 1975, S. 172 Zurück
25 J.B. Tucker, Toxins: Gray Area Weapons; in: Gene Watch, May August 1985, S. 10-11 Zurück
26 Defense Secretary Caspar Weinberger an Senator Jim Sasser, Brief vom 20.11.1984, eigene Übersetzung Zurück
Dr. Manuel Kiper, Biologe, z. Zt. Geschäftsführer Landesverband der Grünen in Niedersachsen.