W&F 2017/4

Vom Umgang mit Konflikten

Was Friedensarbeit und Beratung verbindet

von Daniela Pastoors

Zivile Konfliktbearbeitung und Beratung haben vieles gemeinsam. In beiden Tätigkeitsfeldern können Expert*innen entweder Ratschläge geben oder sogar Lösungen vorschreiben; beide Felder eröffnen aber auch die Möglichkeit, einen Raum zu bieten für Entwicklungsprozesse und für die Selbsthilfe. Dies hat für die Begleiter*innen von Prozessen der Konfliktbearbeitung und Konflikttransformation Konsequenzen: Es bedarf der Räume, Möglichkeiten und Anregungen für Selbstreflexion – eine weitere Gemeinsamkeit mit der Beratung.

Was macht Friedensarbeit aus? Wie können Konflikte nachhaltig bearbeitet werden? Das sind Fragen, die vermutlich viele Menschen umtreiben, die sich für zivile Konfliktbearbeitung und Friedensprozesse einsetzen. Sei es auf zwischenmenschlicher, gesellschaftlicher oder völkerrechtlicher Ebene: Bestimmte Erkenntnisse über Frieden und Konflikt sind auf allen Ebenen relevant, prägt doch das Verständnis von Konflikten in hohem Maße ihre Bearbeitung.

Wird ein Konflikt als Problem gesehen, liegt der Fokus auf den Risiken und der Möglichkeit, dass sich die Situation durch den Konflikt verschlechtert. Ein solches Konfliktverständnis ruft danach, Konflikte zu vermeiden oder möglichst schnell zu beenden, wie Begriffe wie »conflict prevention« (Konfliktvorbeugung), »peace enforcement« (Friedenserzwingung) oder »conflict resolution« (Konfliktlösung) nahe legen.1 Wird dagegen anerkannt, dass Konflikte häufig komplexere Lösungen brauchen, rücken damit die Formen der »Konfliktregelung«, des »Konfliktmanagements« und der »Konfliktlösung« in den Mittelpunkt. Kompromisse werden in Betracht gezogen. Dennoch wird der Konflikt hier vor allem mit seinen destruktiven Gefahren und als zu lösendes Problem gesehen.

Die »Konfliktbearbeitung« und besonders die »Konflikttransformation« nehmen dagegen auch das Veränderungspotential von Konflikten wahr (Lederach 2003, S. 4) – Veränderungen, die sowohl destruktiver als auch konstruktiver Art sein können. Es werden kreative Win-win-Vereinbarungen angestrebt, die allen Beteiligten nützen. Vor allem die Art des Umgangs mit Konflikten entscheidet darüber, ob sie eskalieren und zerstörerisch wirken oder ob sie als Warnsignal aufgenommen werden und dafür gesorgt wird, dass tieferliegende, strukturelle Konfliktursachen an das Licht kommen und bearbeitet werden können. Ziel dieser Herangehensweise an Konflikte ist es, die Konfliktenergie zu nutzen, um die Situation in konstruktiver Weise in eine für alle wünschenswerte Zukunft zu transformieren.

Ratschläge geben oder Prozesse begleiten – wie wird interveniert bzw. beraten?

Zivile Konfliktbearbeitung beschreibt nicht-militärische und gewaltarme Umgangsweisen mit Konflikten und umfasst sowohl die Austragung durch die Konfliktparteien selbst als auch Interventionen Dritter (Schweitzer 2004, S. 510). In der eigenen Austragung von Konflikten sind Akteure immer parteilich, bei externen Interventionen sind sowohl parteiliche als auch unparteiliche Einmischungen möglich.

Bei Interventionen lassen sich viele verschiedene Konfliktbearbeitungsansätze unterscheiden, die sich in manchen Bereichen schon fest etabliert haben. Die Vielfalt der Interventionen lässt sich z.B. gut am Grad der Selbstbestimmung einordnen, der den Konfliktparteien innerhalb dieser Verfahren verbleibt. In einem Gerichtsprozess geben die Parteien die Entscheidungsgewalt an die/den Richter*in ab, bei Schiedsverfahren zum Teil ebenfalls. Bei Schlichtungen behalten sie mehr Befugnisse, und bei Mediation, Moderation und Aushandlung unter den Augen Dritter können sie besonders viel selbst bestimmen, sowohl was das Ergebnis als auch was die Gestaltung der Rollen oder des Prozesses angeht (Glasl 2011, S. 445). Wird der Blick auf die Drittpartei und ihr Handeln in der Intervention gelegt, können die Vorgehensweisen ebenfalls auf einer Skala angeordnet werden, nämlich von direktiv bis nicht-direktiv. So interveniert eine Drittpartei durch die Beobachtung eines Verfahrens sehr viel weniger direktiv als sie es beispielsweise in einem Training oder in der Anwaltschaft tut.

Auch in der Beratungswissenschaft wird zwischen verschiedenen Beratungsformaten unterschieden. Im Alltag wird Beratung vor allem als Ratschlag-Geben verstanden. Im professionellen Sinne verbirgt sich jedoch viel mehr hinter dem Begriff. So will Beratung Entwicklungsprozesse unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe sein, indem sie Klient*innen eine Orientierungs-, Planungs-, Entscheidungs- und Bewältigungshilfe bietet (Schnoor 2006, S. 7). Durch die Beratung soll die Handlungssicherheit der Klient*innen zur Bewältigung aktueller Krisen und Probleme erhöht werden. Dabei gibt es Beratung im informellen, privaten Bereich ebenso wie verschiedene Formen halb-formalisierter und formalisierter Beratung in professionellen Settings, wie in der Sozialen Arbeit oder in expliziten Beratungseinrichtungen. Neben den verschiedenen Beratungsansätzen und Schulen, wie der psychodynamischen, behavioristischen, systemischen oder humanistisch fundierten Beratung, gibt es auch unterschiedliche Beratungsformate, wie Mentoring, kollegiale Beratung, Mediation, Coaching, Supervision, Organisationentwicklung. Sie legen mit ihrer Art der Intervention je spezifische Schwerpunkte. Zum Teil ist eine externe Beratungsperson, z.B. ein*e Supervisor*in, involviert, zum Teil können die Beratungsformate unter »Peers« oder kollegial, also ohne externe Person, durchgeführt werden.

Zudem wird zwischen zwei Beratungsarten unterschieden: der Expert*innenberatung, bei der vor allem die Wissens- und Informationsvermittlung im Mittelpunkt steht, und der Prozessberatung, in der es u.a. um (Selbst-) Reflexionsprozesse und die Bedeutung des neuen Wissens für den eigenen Lebensweg geht (DGfB 2015). Plakativ gesprochen werden im einen Fall mehr Antworten gegeben und im anderen Fall mehr Fragen gestellt. In der Realität gibt es viele Mischformen dieser Beratung, aber insbesondere professionelle, formalisierte Beratungsarbeit zeichnet sich durch den Fokus auf Reflexivität aus. Ob es sich bei einer Beratung mehr um »Consulting« mit Expert*innenwissen oder um psychosoziales »Counseling« handelt, hängt auch davon ab, ob primär das Ergebnis im Vordergrund steht oder ob es stärker um die Kompetenzentwicklung der beratenen Personen geht (Champion et al. 1990, S. 68). Verschiedene Beratungsformen streben daher verschiedene Zielsetzungen an, bei denen teils der Prozess und teils das Ergebnis stärker betont wird.

Friedens- und Konfliktarbeit als Beratung?

Es zeigen sich also bereits viele Parallelen zwischen den verschiedenen Ansätzen der Konfliktbearbeitung und der Beratung, die alle als Interventionen verstanden werden können, wenn externe Drittparteien hinzugezogen werden.

In der Konflikttransformation werden die Herangehensweisen an Konflikte auch als »vorschreibend« (präskriptiv) oder »hervorlockend« (elicitiv) bezeichnet, je nachdem, ob eher die Ideen der Drittpartei oder die der Konfliktparteien im Vordergrund stehen (Lederach 1995, S. 65).

In einem technokratischen Verständnis von Konflikt mit Fokus auf die Symp­tome (z.B. direkte Gewalt) bedarf es lediglich bestimmter »Tools« und Instrumente, um einen Konflikt zu lösen, und der Blick richtet sich auf das Ergebnis, das Ziel, die Lösung. Die Drittpartei ist als Expert*in dazu da, neue Inhalte und Strategien zu vermitteln, die die Konflikt­akteur*innen übernehmen sollen. Hier zeigt sich die Parallele zur Expert*innenberatung.

Wenn es aber um die Transformation eines Konfliktes geht und nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen angegangen werden, rücken der Prozess und die Veränderungen, die währenddessen geschehen, in den Blick. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn sich Konfliktparteien in einem Mediationsprozess begegnen, im Gespräch zu Erkenntnissen gelangen und sich ihre Einstellung verändert. Die hervorlockende Art der Konflikttransformation will aus dem bereits vorhandenen Wissen und Können der Akteur*innen schöpfen (Dietrich 2011, S. 18). Die Drittpartei hat dann vor allem die Aufgabe, einen sicheren Rahmen zu schaffen und den Prozess zu begleiten, genau wie es in der Prozessberatung angedacht ist.

Konflikttransformation braucht Selbstreflexion!

Wenn Frieden nicht als fernes Ziel, sondern als ständiger Prozess verstanden wird, dann wird deutlich, dass Friedensarbeit Prozessbegleitung ist und Prozessbegleiter*innen mit entsprechenden Kompetenzen braucht. Die hervorlockende Konflikttransformation erfordert eine grundlegend andere Haltung als das vorschreibende Vorgehen und darauf aufbauend bestimmte Fähigkeiten, die diese begleitende Arbeit ermöglichen. Die klassischen Grundpfeiler aus dem personenzentrierten Ansatz sind auch hier von Bedeutung: Präsenz, Echtheit, Akzeptanz und Empathie (Rogers 1981). Wenn die Drittpartei authentisch ist, ihr Gegenüber anerkennt und wertschätzt und sich zudem einfühlen kann, dann wirkt sie schon durch ihre Anwesenheit. In der hervorlockenden Konflikttransformation werden außerdem Aufmerksamkeit für sich und die Mitwelt, Balance zwischen Mitgefühl und Selbstschutz sowie kongruente Kommunikation hervorgehoben, die für Friedensarbeiter*innen zentrale Prinzipien sind (Dietrich 2014, S. 53). Egal welche Fähigkeiten nun besonders in den Mittelpunkt gestellt werden: Deutlich wird, dass diese Formen der Begleitung und Beratung die Fähigkeit zur Reflexion und besonders der Selbstreflexion benötigen, um sich die eigene Haltung und die eigenen Fähigkeiten überhaupt bewusst machen und dann daran und damit arbeiten zu können.

Für diese Selbstreflexivität braucht es Räume, Möglichkeiten und Anregungen. Daher sind auch die Beratung und Begleitung von Friedens- und Konfliktarbeiter*innen und die Schaffung solcher reflexiver Räume von enormer Bedeutung für die Konflikttransformation – nicht nur zur Prävention von Burnout und anderen Risiken der Arbeit, sondern deshalb, weil die Reflexion als wichtiger Bestandteil der Arbeit verstanden wird, die die Professionalisierung von Friedens- und Konfliktarbeit stärkt und eine Friedensprozessbegleitung erst möglich macht.

Anmerkung

1) Natürlich werden die Begriffe unterschiedlich verwendet und decken sich nicht immer mit den genannten Konfliktverständnissen, dennoch geben die sprachlichen Bilder wertvolle Hin­weise.

Literatur

Champion, D.P.; Kiel, D.H.; McLendon, J.A. (1990): Choosing a consulting role. Training and Development Journal, Vol. 44, No. 2, S. 66-69.

Deutsche Gesellschaft für Beratung/DGfB (2015): Beratung in der reflexiven Gesellschaft. Köln: DGfB, Positionspapier; dachverband-beratung.de.

Dietrich, W. (2014): A Brief Introduction to Transrational Peace Research and Elicitive Conflict Transformation. Journal of Conflictology, Vol. 5. No. 2, S. 48-57.

Dietrich, W. (2011): Variationen über die vielen Frieden. Band 2: Elicitive Konflikttransformation und die transrationale Wende der Friedenspolitik. Wiesbaden: Springer VS.

Glasl, F. (2011): Konfliktmanagement – Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater. Bern: Haupt.

Lederach, J.P. (2003): Little Book of Conflict Transformation – Clear Articulation Of The Guiding Principles By A Pioneer In The Field. Intercourse, PA: Good Books.

Lederach, J.P. (1995): Preparing for Peace – Conflict Transformation across Cultures. Syracuse, N.Y.: Syracus University Press.

Rogers, C.R. (1981): Der neue Mensch. Stuttgart: Klett-Cotta.

Schnoor, H. (Hrsg.) (2006): Psychosoziale Beratung in der Sozial- und Rehabilitationspädagogik. Stuttgart: Kohlhammer.

Schweitzer, C. (2004): Zivile Interventionen. In: Sommer, G; Fuchs, A. (Hrsg.): Krieg und Frieden – Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim: Beltz, S. 508-521.

Daniela Pastoors ist Friedens- und Konfliktforscherin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft in Marburg, lehrt im Bereich Konflikttransformation und Gewaltfreie Kommunikation und promoviert zur Begleitung und Beratung von Fachkräften im Zivilen Friedensdienst.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2017/4 Eingefrorene Konflikte, Seite 42–44