W&F 1991/1

Von der patriarchal organisierten Friedlosigkeit zum Krieg

von Ulrike C. Wasmuht

„Die Mutter aller Schlachten hat begonnen“, so Saddam Hussein, für den „Sieg über den Satan im Weißen Haus“. „Ich bin nicht nur davon überzeugt, daß wir siegen werden…“ so George Bush. Kommentar vom CNN: „Ist das nicht wunderbar, dieses Feuerwerk aus Leuchtspurraketen?“ Wieder einmal wurde die Politik »nur mit anderen Mitteln« fortgesetzt, wieder einmal wird ein Krieg geführt, der von Politikern und Kommentatoren als »unvermeidlich«, als »unausweichlich« betrachtet wird. Gefragt wird: „Was hätte man denn tun sollen – Hussein hat ein wehrloses, kleines Land überfallen und das Völkerrecht gebrochen?“ Die Antwort lautet selbstredend: So ein Verhalten darf nicht geduldet und muß bestraft werden. Diese Fragen werden allerdings erst fünf Minuten nach zwölf gestellt, womit ich nicht die fünf Minuten nach Ablauf des Ultimatums meine, sondern die Tatsache, daß es zu spät ist, einen Konflikt innerhalb weniger Tage – der Zeit des Ultimatums – lösen zu wollen, der bereits eine Eskalationsstufe erreicht hat, die im Militärjargon als »point of no return« bezeichnet wird. Und dieser Zeitpunkt war bereits am 2. August da, als Saddam Hussein Kuwait besetzt hat.

Es ist zwar eine Binsenweisheit, daß jeder aktuelle Konflikt und jede konkrete Krise tiefliegende, auch historisch verankerte strukturelle Ursachen hat, aber es scheint, daß diese Tatsache vergessen wird: Man berichtet nur über die augenblickliche Situation und be- und verurteilt die eine oder die andere bzw. beide Seiten. Ich werde mich hier nicht auf die Beschreibung und Bewertung von Einzelheiten dieses Krieges einlassen und auch nicht auf eine Argumentationsebene begeben, die diesen Krieg als »gerecht« oder »ungerecht« bzw. gar »heilig« oder »legitim« und insbesondere als »unvermeidlich« erscheinen läßt. Dies entspricht der »Logik des Augenblicks«, die einem, gleich der Suggestivfragen, nur eine Antwort erlaubt: Ja dieser Krieg mußte so kommen. Vielmehr gilt es jedoch diese Logik nicht zu akzeptieren, sondern die Entwicklung und Verfestigung einer tiefgreifenden Legitimation von Krieg und Militär zu hinterfragen, die eine lange Tradition aufweist und die bis heute und örtlich unabhängig Gültigkeit hat und die in einem indischen Sprichwort treffend ausgedrückt wird: „Töte einen, und du bist ein Mörder! Töte Tausende, und du bist ein Held!“ Wie sind die innergesellschaftlichen Strukturen beschaffen, die die Regierungen und mit ihnen die Wähler und Wählerinnen dazu bewegen, stets mit der potentiellen Präsenz des Krieges als einer – wenn auch der zuletzt angewandten – Form der Konfliktregelung zu leben? So in Form der Finanzierung und Entwicklung quantitativer und qualitativer Aufrüstung, in Form der »Selbstverständlichkeit«, daß junge Männer mit den Taktiken und Techniken des Kriegführens vertraut gemacht und in den Jahren ihrer Identitätsuche auch dementsprechend sozialisiert werden dürfen? Und wie sind die internationalen Beziehungen strukturiert, innerhalb derer der Krieg als »last ressort« eines Krisenmanagements, an dessen Ausdifferenzierung und »Effizienz« stets gearbeitet wird, nicht nur als Selbstverständlichkeit, da u.U. »unvermeidbar«, sondern überhaupt in Erwägung gezogen wird? Um die Frage „Warum dieser Krieg?“ zu beantworten, müssen innergesellschaftliche und internationale repressive Gewaltstrukturen untersucht werden, die eng miteinander verknüpft sind.

Über den Zusammenhang zwischen Bellismus und Sexismus

Wir leben nicht nur in einer »organisierten Friedlosigkeit«, wie Dieter Senghaas den Zustand des »negativen Friedens«, der mit den Mitteln einer aggressiven Drohpolitik aufrechterhalten wird, bezeichnet hat, sondern wir leben in einer »patriarchal organisierten Friedlosigkeit«, die die Grundlage von Bellismus und Sexismus ist: zwei unterschiedliche Ausprägungen einer Wurzel. Anders formuliert: Bellismus ist die internationale Dimension des Sexismus. Ich leite den Begriff »Bellismus« vom lateinischen Wort »Bellum« für Krieg ab und meine damit ein System der Unterdrückung von Staaten durch solche Staaten, die gleichzeitig ökonomisch als auch militärisch überlegen sind und die sich die Herrschaft über andere Staaten anmaßen: Ein bellistisches System ist ein soziales Gefüge von zwischenstaatlichen Beziehungen, deren Beziehungsmuster nicht auf einer gleichberechtigten Ausgangsbasis für die beteiligten Parteien organisiert, sondern hierarchisch strukturiert sind. D.h. es gibt hier die »Arbeitsteilung« zwischen »Herr« und »Knecht«, wobei die militärischen und die immer bedeutsamer werdenden ökonomischen Machtanteile den Ausschlag darüber geben, welcher Staat in welcher Allianz welche Rolle einnimmt. Mehr noch: im Falle eines Konfliktes zwischen bellistisch organisierten Staaten sind die Möglichkeiten, den Konflikt auf einer symmetrischen – d.h. unter gleich starken Konfliktparteien – Basis auszutragen, nicht gegeben. Es gibt Staaten (die »Herren«), die aufgrund der unterschiedlichen »Machtchips« (Bourdieu) bessere Möglichkeiten haben als andere (die »Knechte«), die Konfliktregelung zugunsten ihrer eigenen Interessen zu beeinflussen. Gelingt das nicht, weil einer der »Knechte« die gegebene Ordnung nicht anerkennt, so werden die »Herren« die »Knechte«, und sei es mit militärischer Gewalt, wieder an ihren »angestammten« Platz verweisen. Ein solches bellistisches Beziehungsmuster läßt sich sowohl auf der Nord-Süd- als auch der Ost-West-Achse sowie innerhalb von Staatengemeinden finden: Das Verhältnis zwischen der »Ersten« Welt und der »Dritten« Welt ist geprägt durch eine ökonomische Abhängigkeit der letzten von der ersten und militärische Ungleichheit, wobei beides mit den Mitteln der wirtschaftlichen Sanktionsgewalt einerseits und der militärischen Drohpolitik – bis hin zur letzten Konsequenz, dem Krieg – andererseits aufrechterhalten wird. Zurecht stellt der frühere US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski fest: „Wir überbetonen die High-Tech-Waffen und bilden uns zuviel darauf ein; denn letztlich kämpft hier eine Supermacht gegen ein Land der Dritten Welt.“ Daß hier die »Machtchips« ungleich verteilt sind, muß nicht weiter nachgewiesen werden: deutlich wird dieses Machtverhältnis mit dem Begriffspaar »top-dogs« versus »under-dogs« ausgedrückt. Das Verhältnis zwischen den westlichen Industrienationen und den Staaten des ehemaligen »Ostblocks« ist ebenfalls durch eine ökonomische Ungleichkeit geprägt, die letzlich den Machtanteil bei der Definition von Herrschaft für die westlichen Industrienationen auf der einen Seite und osteuropäischen Staaten auf der anderen Seite determiniert. Deutlich wird dieses im wörtlichen Sinne patriarchale Verhältnis im Zuge des deutschen Vereinigungsprozesses: der Patriarch, personifiziert in Bundeskanzler Kohl, bietet Schutz und Patronat, sorgt aber gleichzeitig dafür, daß die Regel, die auch in deutschen Wohnzimmern gilt, aufrechterhalten wird: „Wer die Füße unter meinen Tisch stellt,…“ In diesem Zusammenhang stellt sich auch für den Bereich der Struktur von Staatengemeinden folgende Frage: Wie wird das »Europäische Haus« oder die »Nachkriegsfriedensordnung« im Nahen Osten aussehen? Werden auch diese schon in ihrem Fundament bellistische Bausteine enthalten, wie das beim »Vertrag von Versailles« der Fall war, der zwar als »Friedensvertrag« bezeichnet wird, aber gerade das Fundament, die Wurzel für weitere Konflikte und Kriege gesetzt hat? Ergibt sich nicht zwangsläufig die Frage nach dem »Herrn« im Hause und dem »Knecht« (ganz zu schweigen von den Frauen)?

»Bellismus« ist eng mit anderen »ismen« verbunden, so z.B. mit »Sexismus« und »Rassismus«, denn alle drei haben gemein, daß ein Teil der internationalen Staatengemeinschaft resp. der Bevölkerung aufgrund bestimmter Merkmale von einem anderen Teil, der diese Charakteristika nicht aufweist, an der eigenen Entfaltung gehindert und unterdrückt wird. Es handelt sich um miteinander verbundene Gewaltstrukturen: das Dominanz-Subordinationsverhältnis zwischen der »Ersten« und der »Dritten« Welt; zwischen westlichen Industrienationen und osteuropäischen Ländern; zwischen dem »Ideal« des jungen, gesunden Menschen und dem älteren und/oder kranken Menschen; zwischen »In"LänderInnen und »Aus"LänderInnen und zwischen Männern und Frauen. Daraus folgt, daß Bellismus (internationale Ebene), Rassismus (innergesellschaftliche Ebene) und Sexismus (innergesellschaftliche und interpersonale Ebene) Gemeinsamkeiten haben: Erstens, sie sind hierarchisch-repressive Strukturen, die keinen Raum für Verhandlungen und Vermittlung zwischen den konfligierenden Parteien auf einer gleichberechtigten Basis zulassen, die jedoch die Voraussetzung für den inneren und äußeren Frieden ist. Zweitens, sie sind Manifestationen einer patriarchalisch-repressiven Struktur, die sich in Form von Dominanz-Subordination, Befehl und Gehorsam, Ungleichheit der Verteilung der »Machtchips«, der Hierarchisierung mit einer positiven und negativen Bewertung der eingebrachten Leistungen zeigt. Drittens, diese Strukturen müssen überwunden werden, wenn ein innerer und äußerer Frieden erreicht und erhalten werden soll, der im positiven Sinne mehr ist als nur die Abwesenheit von Krieg und darüber hinaus keine Wurzeln für den Krieg an sich setzt.

In einem bellistischen internationalen Gefüge kommt es vor, als im Grunde auch logische Konsequenz, daß einzelne Personen, Gruppen oder ganze Staaten sich dieser patriarchal organisierten bellistischen Ordnung nicht fügen. Dann wird dies Verhalten als »verrückt« bezeichnet oder es wird festgestellt, daß z.B. „Saddams Abstand zur Realität der Bedrohung … bereits pathologische Züge (trage)“. Innerhalb der Antipsychiatrie wird bereits seit langem darüber diskutiert, daß das Verhalten des Schizophrenen die normale »Reaktion« auf eine »unnormale« Welt ist, womit die gesamte Gesellschaftsstruktur in Frage gestellt wird, die letztenendes den Schizophrenen produziert und sozialisiert hat. Warum nicht auch hier diese Frage: Ist nicht das Verhalten Husseins eine normale Reaktion auf eine »ver-rückte« Welt?. Ahmad Taheri hat zurecht festgestellt: „Hussein ist ein Kind, das am Busen Europas genährt wurde. Nun wird er als Hitler, Dschingis Khan oder Jack the Ripper bezeichnet.“

Über den Zusammenhang von Bellismus und dualistischem Denken

Der in unserem Denken tief verankerte Dualismus ist Ausdruck einer patriarchal organisierten Friedlosigkeit und dient der Herrschaftsstabilisierung. „Die Einteilung in Entweder/Oder, das Auseinanderdividieren in zwei und nur zwei Seiten, … die Welt als Streitplatz von prinzipiell zwei Welten: das schafft Ordnung, das schafft klaren Überblick… und bei genügendem Selbstvertrauen ist leicht eine Über- bzw. Unterordnung herstellbar.“ (Manon Andreas-Grisebach) Zwei getrennte Seiten „provozieren geradezu die Herrschaft der einen über die andere“ Seite. Bezogen auf den Krieg im Golf werden folgende Logiken des dualistischen Denkens täglich offenbart:

1. Die Logik der Abschreckung:

Abschreckung zu erreichen, sei es »by denial« (die Drohung, dem Gegner einen Angriff zu vereiteln) oder »by punishment« (die Drohung, dem Gegner einen für ihn unkalkulierbaren und nicht tragbaren Schaden nach einem Angriff zuzufügen) ist die Grundlage aller Sicherheitpolitik und Militärdokrinen. Man geht davon aus, daß es keine realistische Alternative zur Abschreckung gibt und daß sie bislang den Frieden in Europa bewahrt habe. Auf die Frage „Und wenn Abschreckung versagt?“ gibt es keine Antwort, da die Prämisse lautet: Abschreckung hat funktioniert, weil sie funktioniert. Ein wenig differenziertes Denken, das allerdings aufgrund der zwei Pole – einer, der abschreckt und einer, der abgeschreckt wird – „Ordnung und klaren Überblick“ verschafft. Nun hat sich das dualistische, versimplifizierende Denken nicht nur als falsch erwiesen, sondern in seiner extremsten Form gezeigt: Menschenverachtung, Menschenvernichtung, Umweltzerstörung, Krieg. Die Abschreckung hat im Golf-Konflikt versagt! Nicht nur das, Hussein verfolgt eine völlig andere Strategie – eine Strategie, die den Alliierten fremd ist. Es verwundert nicht, daß trotz der militärischen Überlegenheit der Allianz, trotz der Möglichkeiten Kriegshandlungen durch Computersimulation vorwegzunehmen oder trotz des gesammelten Know-How dieser Krieg völlig unberechenbar ist und der Satz von Clausewitz hier und heute weiterhin Gültigkeit hat: „Der Krieg ist das Gebiet des Zufalls.“ Ich bezweifle, daß auch heute, fünf nach zwölf, dies Denken revidiert wird, es wird mit all seinen fatalen Wirkungen weiterhin die Sicherheitspolitik und Militärlogik bestimmen. Das zeigen die zahlreichen Bestellungen an Firmen der Rüstungsindustrie aus aller Welt, die Waffensysteme herstellen, die laut Meldungen »erfolgreich« gewesen seien.

2. Die Logik des Ethnozentrismus:

Der Dualismus der Abschreckungstheorie basiert auf der Annahme, daß sich Gegner gegenüberstehen, die erstens der gleichen Logik folgen und zweitens das Prinzip der Abschreckung akzeptieren. Das jedoch ist die Übertragung unseres westlichen Denkens auf das Denken in anderen Kulturen. Es wird die Vielfalt der Völker, ihrer Geschichte, ihrer Religionen und Philosophien negiert, die allerdings deren politisches Handeln bestimmt. Im Ost-West-Konflikt standen sich zwei Konfliktpartner gegenüber, die beide die Logik der Abschreckung verstanden und akzeptiert haben. Sogar Stalin hat einmal gesagt: „Ich weiß, bis wohin ich zu weit gehen darf.“ Nun ist es aber nicht die Sowjetunion, sondern Saddam Hussein, der als Gegner der Allianz gegenübersteht! Trotz der militärischen Übermacht des »geballten« militärischen Aufgebots der Allianz hat er sich nicht abschrecken lassen. Ein fataler ethnozentrischer Trugschluß der Politiker, der UNO, der Strategen der westlichen Welt. Zurecht wird seit langem von einigen FriedensforscherInnen das Empathiekonzept aus der Sozialpsychologie als die Grundlage für Völkerverständigung gefordert: Empathiefähigkeit als das Hineinversetzen – als das »Taking the role of the other« – in den anderen. Gerade eine solche Erkenntnis hätte bewirken können, daß man mit Hussein eine andere, auch seiner Kultur angemessene Verhandlungstaktik angewandt hätte – jedenfalls keine des Ultimatums, sondern eine des langen Miteinanderredens. Nach langen, aufwendigen Gesprächen war Hussein auch zur Freigabe der Geiseln bereit.

3. Die Logik von der Unvermeidbarkeit von Krieg:

Das Akzeptieren des Abschreckungsprinzips läßt – zu Ende gedacht – keine andere Möglichkeit als den Krieg zu. Daraus folgt die These von der Unvermeidbarkeit von Krieg – die seit Jahrtausenden überlieferte Prämisse „si vis pacem, para bellum“ -: doch falsche Prämissen bedingen falsche Schlüsse. Immense Summen und enormes Know-How werden verwendet, um für den Krieg als »last ressort« einer Konfliktregelung gerüstet zu sein. Kaum Ressourcen bleiben, um über alternative Konfliktregelungen und andere Krisenmanagementmethoden zu forschen: ein Instrumentarium, das auch in einer solch zugespitzten Lage zur Verfügung stehen könnte. Stattdessen greift auch die UNO auf »Konfliktregelungsmuster« zurück, die bislang Kriege ohnehin begleitet haben: das Embargo, das Ultimatum, die Abschreckung und wenn die versagt, letztlich der Krieg. Wenn es darauf ankommt, stehen natürlich die Lösungen zur Verfügung, die lange erdacht, erforscht und vorbereitet wurden. Über Alternativen wurde bei den Politikern und Militärs nicht nachgedacht. Alternative Konfliktlösungsmuster und Konfliktpräventionsmaßnahmen erfordern ebenfalls immense Summen, das Know-How einer Elite, die in entsprechenden Instituten Jahrzehnte nur über Konfliktlösungs- und Krisenmanagementmethoden forschen müßte. Zugunsten der »Effizienzsteigerung« der Kriegführung wird dies Forschen nicht gefördert und unterstützt. Es bleiben wenige, die unter schwersten Reproduktionsbedingungen ihre Arbeit tun, die wiederum nur als »Orchideenwissenschaft« betrachtet wird: die Friedensforschung. Jetzt, wenn es zu spät ist, werden alle diese FriedensforscherInnen von den Medien und Gremien befragt: „Welche Lösungen hätte es denn gegeben?“ Jetzt, wenn es zu spät ist, kommen diese FriedensforscherInnen in den Medien zu Wort und Beiträge, die sie z.T. vor Jahren geschrieben und wo sie genau diese Kriegsszenarien in der Golf-Region aufgezeigt haben, werden nun in aller Länge publiziert. Wie lange noch? Ist erstmal der negative Friedenszustand wiederhergestellt, so wird man nicht über Konfliktprävention nachdenken, sondern über die Effektivierung der Kriegführung forschen, um die strategischen und logistischen Fehler der Golfkriegführung zu vermeiden. Insofern hat der Soziologe Karl Otto Hondrich recht, wenn er den Krieg als »Lehrmeister« bezeichnet.

4. Die Logik des Freund-Feind-Dualismus:

Selbst- und Fremd- sowie Freund- und Feindbilder gibt es im innergesellschaftlichen wie im internationalen Bereich. Auch hier nicht nur eine Versimplifizierung der sozialen Welt aufgrund mangelnder eigener Erfahrungen über das »Andere«, sondern eine Freund-Feind-Attribuierung, die das eine »das Ich« über das andere »das Nicht-Ich« bzw. das Bekannte über das Nichtbekannte stellt. Neben der Erklärungs- und Integrationsfunktion haben Feindbilder auch Herrschaftsstabilisierungs-, Verhaltenssteuerungs- und Verdrängungsfunktion. Feindbilder begleiten jeden Krieg in ihrer extremsten Form: nicht nur die kriegführenden Personen schreiben sich direkte Feindattribuierungen, wie »Satan im Weißen Haus« oder »Hitler bzw. Jack the Ripper« zu, sondern auch ganze Gruppen werden zugeordnet: der Islam an sich bzw. die christliche Welt, gegen die der »heilige« Krieg ausgerufen wird.

Die Einstellung gegenüber der Religion Islam, die unserem Denken fremd und demzufolge auch weitgehend unbekannt ist, verändert sich auch hier mit den politischen und ökonomischen Konflikten im Nahen Osten. Der Roman „Nicht ohne meine Tochter“ von Betty Mahmoody ist nicht ohne Grund seit Monaten auf den Bestsellerlisten: ein Bild wird bestätigt, das man sich aufgrund der Unkenntnis dieser anderen Kulturen zurechtgerückt hat. Und Bücher, in welchen sich viele selbst bzw. mit ihren Weltbildern wiederfinden, werden bekanntlich gerne gekauft und gelesen. Feindbilder verursachen den Konflikt nicht, aber sie verschärfen ihn und tragen zu einer Polarisierung der konfligierenden Parteien auf breiter Basis bei – d.h. die Akzeptanz in den jeweiligen Bevölkerungen für das Handeln ihrer Regierenden. D. h. es ist nicht genug, die „Entmachtung der Feindbildproduzenten“ wie Horst-Eberhard Richter zu fordern, sondern es muß auch über die Feindbildrezipienten nachgedacht werden, denn Angebote ohne Nachfrage nützen nichts.

5. Die Logik der Ausgrenzung:

Zu einem Konflikt gehören zwei beteiligte Seiten, die gleichermaßen zu dessen Beilegung bzw. Eskalation beitragen. Das bedingt Parteilichkeit, wobei aber nicht nach der Relativität von »normal« und »unnormal« gefragt wird – also es wird nicht das »Unnormale«, sprich der Völkerrechtsbruch Husseins als »normale« Reaktion auf eine »unnormale« Welt, sprich bellistische internationale Strukturen, hinterfragt. Im Gegenteil: Hussein wird als verrückt und krank bezeichnet und nicht als symptomatisch für eine tief verankerte, weiterhin Krieg verursachende internationale Struktur gesehen. Auch hier ein Dualismus: das eine, das andere. Die Komplexität der Beziehungen wird negiert. Ein fataler Trugschluß, denn eine Konfliktprävention – noch bevor es zuspät ist und ein Ultimatum läuft – verlangt nach einem multikausalen Denken: einem Denken in der Vielfalt.

6. Die Logik des allumfassenden Konsenses:

Man spricht »vom Irak«, der Kuwait besetzt und von den USA, die militärisch reagieren. Nein, es ist Hussein – ein Diktator, der über ein Land mit einer Bevölkerung herrscht, die sich zu 45% aus Kindern unter 15 Jahren zusammensetzt! –, der Kuwait besetzt hat und es ist Bush, in dessen Hand alle Entscheidungen nun liegen, nachdem er durch eine knappe Mehrheit seiner Regierung die Befugnis dazu erhalten hat. Präsident Bush begründet den Angriff in seiner Rede an die Nation mit „die Welt konnte nicht länger warten“. Wer ist »die Welt«, die auf diesen Krieg gewartet hat? Waren das nicht die Militärplaner? Einige Politiker? Einige Soldaten, die lieber bald kämpfen wollten, um nach kurzer Zeit – in der einen oder anderen Form – nach Hause zu können? Oder diejenigen, die in den Nachrichten am Abend erfuhren, daß ein Krieg zu 99% bevorstand und eben deshalb aufblieben, um mit Spannung das weitere Geschehen zu verfolgen? Gehört zu dieser Welt auch die Zivilbevölkerung im Irak? Gehören dazu all die Männer, Frauen und Kinder, die mit Angst einen Krieg befürchtet hatten? Oder anders gefragt: Wer ist die »Weltkoalition«, die Zeit hatte, über politische Lösungen nachzudenken? Was würde wohl eine Welturabstimmung zeigen, die von der Frauenaktion Scheherazade gefordert wird? Würde es dann immer noch heißen, die Welt hält diesen Krieg für unabänderlich? Der allumfassende Konsens ist genau wie die anderen genannten Logiken eine Negation der Vielfalt zugunsten der geteilten Einheit.

7. Die Logik der Rationalität:

Der Dualismus heißt rational und irrational, dazwischen gibt es nichts, wobei das Irrationale als das außerhalb des »Normalen« Stehende verstanden wird, das nur in Ausnahmefällen als »abweichendes Verhalten« vorkomme. Nun werden allerdings Entscheidungen von zwei Männern getroffen, von Bush und Hussein, die genau den gleichen Emotionen und Kurzschlußhandlungen unterliegen, wie andere Menschen auch. Im normalen politischen Alltag werden Entscheidungen abgewogen, diskutiert und abgestimmt, im »Eifer des Gefechts«, wenn es um Sekunden und um Leben und Tod für viele geht, dann nicht. Was ist das für eine »Ordnung«, die es einerseits Hussein erlaubt zu sagen „Ich kann drei, ja sechs Millionen Tote hinnehmen, das stehe ich durch“ und andererseits legitimiert, daß Computeranalysen die »Verluste« ausrechnen, worauf sich die Anzahl der bis zum 1. März bestellten Leichensäcke stützt?

8. Die Logik des Augenblicks:

D.h. die ausschließlichen Fragen nach den aktuellen Ursachen dieses Krieges und nicht nach seinen strukturellen Grundlagen. Es wird nicht danach gefragt, inwiefern die westliche Welt im Rahmen der bellistischen internationalen Struktur diesen Krieg in seinen Wurzeln angelegt hat. Seit langem ist bekannt, daß gerade in Entwicklungsländern, in Ländern der »Dritten« Welt das Bestreben vorhanden ist, aus dieser Zweiteilung »top-dogs« versus »under-dogs« auszubrechen – allerdings auch mit bellistischen Mitteln: nämlich durch Abschreckung. Wenn es auch nicht die Atombombe ist, aber dennoch die »Atombombe des kleinen Mannes« – die C-Waffe –, um einen atomaren Schlag abzuschrecken. Heute wird allerdings nur nach der Reaktion auf das Verhalten Husseins gefragt. Heute wird über die Bündnispflichten der Deutschen gefragt, die in diesem Krieg u.U. beitragen sollen, einen z.T. selbstverschuldeten Schaden zu begrenzen. Wie sieht denn der Beitrag der Deutschen zur Aufrechterhaltung einer bellistischen Weltstruktur im allgemeinen aus? Was haben sie dazu beigetragen, daß Hussein heute bis an die Zähne gerüstet ist und Isreal mit deutschem Giftgas bedrohen kann? Heute denkt man langsam darüber nach, wie man evtl. und u.U. Rüstungsexporte kontrollieren könnte. Die Logik des Augenblicks führt unweigerlich zu dem fatalen Trugschluß von der »Unvermeidbarkeit« des Krieges.

9. Die Logik des Staat-und-Volk-Dualismus:

Der Staat »handelt«, der Staat »beschützt« und »verteidigt« seine Bürger, der Staat vertritt das Volk in der Staatengemeinschaft. Auch hier eine Form des Patronats mit all seinen Konsequenzen. Ganz deutlich ist dieser Dualismus heute zu sehen: es wird uns von Verlusten an militärischem Gerät und von »Verlusten« von einigen (!) Soldaten berichtet, wir hören nichts über die Zivilbevölkerung, die in diesem Krieg vernichtet wird und die unter diesem Krieg leidet. Wir hören nur die Stimmen der Politiker, die die »Einäugigkeit« der Friedensbewegung kritisieren, die dieser einen Antiamerikanismus und fatale Blauäugigkeit vorwirft. Kein Wort darüber, daß sich hier das Volk zu Wort meldet, das diesen Krieg ablehnt, daß Menschen aus Angst und nicht nur aus politischen Gründen auf die Straße gehen. Über die leidende Zivilbevölkerung in den direkt betroffenen Ländern und die Opposition in der Bevölkerung in den zwar am Krieg beteiligten, aber geographisch abgelegenen Ländern wird nichts gesagt: in Frankreich werden gar Demonstrationen des Friedenswillens verboten! Hier zeigt sich deutlich der Dualismus zwischen »Herr« und »Knecht«: „Wenn Vater spricht, haben Kinder zu schweigen!“ Nicht nur das, die zensierte Berichterstattung ist auch eine Ausübung struktureller Gewalt – die Verweigerung, die Wahrheit denjenigen gegenüber zu nennen, die es betrifft. Die Zensur wird nicht nur aus logistischen und militärstrategischen Gründen durchgeführt, sondern insbesondere auch deshalb, weil es gilt, was Premier Lloyd George bereits im Ersten Weltkrieg gesagt hat: „Wenn die Leute wirklich Bescheid wüßten, dann wäre morgen alles vorbei“.

10. Die Logik des »Hart-und-Weich«-Dualismus, des »Weibischen« und »Männlichen«

„Früher war die Deutung von Kriegen unter anderem als Gegenbewegungen zu sogenannter »Verweichlichung« und »Dekadenz« bekannt“, so die Friedensforscherin Astrid Albrecht-Heide. Nicht nur damals, auch heute findet man in Analysen zur Innenpolitik der USA Rubriken, wie über ökonomische Instabilitäten und »Feminisierung« als Kulturentwicklung. Was heißt das? Wird hier eine Bestrebung genannt, die der patriarchalen Ordnung von »stark« und »schwach« entgegenwirkt? Die Dichotomie zwischen »weibisch« und »männlich« mit all ihrer negativen und positiven Attribuierung des einen und des anderen zeigt sich im Krieg in seiner extremsten und fatalsten Form: der Krieg als »Männlichkeitswahn«, der Ergebnis bellistischer Strukturen, der patriarchal organisierten Friedlosigkeit ist. Männer, die im Krieg »Wichtigeres« zu tun haben, „befassen sich nicht mit Leichenzählen“, so der US-Oberbefehlshaber General Schwarzkopf. Oder der Kommentar von George Bush zum Verlauf des Krieges: „So weit, so gut“. Oder die Feststellung eines amerikanischen Arztes vor Ort: „Die Idee des Kampfes gibt ihnen Kraft. Den Geruch der Munition und des Sprits mögen sie.“ Nach dem Motto, »Freud läßt grüßen«, verkündet ein 21jähriger US-Obergefreiter: „Wir werden wahrscheinlich Mann gegen Mann auftreten und die Iraker mit unseren Bajonetten abstechen.“ In diesem »Männlichkeitswahn«, in diesen bellistisch-sexistischen Strukturen sind Frauen auch befangen, auch sie sind Produkt unserer Gesellschaft: auch hier eine gewisse Faszination, die eine Krankenschwester auf dem Stützpunkt mit den Worten „Wenn sie fliegen, habe ich Angst, daß sie nicht wiederkommen. Aber ich bin froh, daß etwas passiert. Deshalb ist doch jeder hierhergekommen.“ Auch die Akzeptanz des männlichen Patronats wird deutlich, wenn gar das Raketenabwehrsystem, das auch noch sinnigerweise den Namen »Patriot« trägt, einen Zettel vor Ort angeheftet bekommt: „We love you“. Ganz klar, es ist die Frage zu stellen nach den Frauen als Opfer und Mittäterinnen!

Fazit

Wenn wir darüber nachdenken, wie es weitergeht, so muß folgendes mitbedacht werden: Erstens, innerhalb der gegebenen bellistischen Strukturen ist ein Krieg jederzeit möglich, ja die logische Konsequenz, der sodann aufgrund der gegebenen patriarchalen Struktur als »unvermeidlich« über uns wie ein Gewitter hereinbricht! D.h. langfristig muß sich grundsätzlich etwas ändern, wenn der wirkliche Wille da ist, die Welt nicht durch den »sozialen Gau« (den Krieg) und den Umweltgau zu zerstören. Unter gegebenen Bedingungen, insbesondere durch die Verwüstung und Zerstörung der Umwelt durch diesen Krieg am Golf, wird die Schere zwischen arm und reich noch größer, womit der Grundstein für weitere Kriege gelegt wird, die in immer kürzeren Abständen entstehen werden und die aufgrund der stets »effizienteren« Kriegführungsmöglichkeiten Steigerungen an Massenvernichtung und irreversibler Umweltzerstörung mit sich bringen werden. Die Notwendigkeit einer Änderung gilt nicht nur für die internationale Struktur, das gilt auch für den Dualismus unseres Denkens. Dualistisches Denken ist in seiner letzten Konsequenz die Negation von Vielfalt, von Leben – es ist die Logik der Destruktion, des Nicht-Lebens, von Krieg. Es ist mit den hegemonialen Interessen, regionalen, historisch gewachsenen Konflikten oder ökonomischen Interessen verbunden, mit dem Öl eng verknüpft und damit eine der elementaren Ursachen, die zu diesem Krieg am Golf geführt haben. Zweitens, der Krieg als »Mittel der Politik« muß ausgeschlossen und Prämissen müssen geschaffen werden, die auf einer anderen Logik als der des Dualismus basieren, die wiederum eine multikausale Konfliktregelung denken läßt: die Einheit in der Vielfalt! Und offensichtlich ist die UNO die falsche Organisation für Konfliktbeilegung alternativer Art! Dritttens, kurzfristig – d.h. im Sinne einer Schadensbegrenzung – muß sofort jeder Waffengang beendet werden, um über Lösungen zu verhandeln, die beide Seiten zumindest zur Herbeiführung eines negativen Friedenszustandes veranlassen, um anschließend eine Struktur im Nahen Osten zu erreichen, die nicht den Keim für den nächsten lokalen und/oder internationalen Krieg in sich birgt. Das jedoch verlangt viel: keine Abschreckung, keine Ungleichheit der beteiligten Parteien, keine militärischen Drohgebärden, die Überwindung des Euro- und Ethnozentrismus – kurz: die Überwindung des Dualismus. Thomas Mann hat recht, wenn er sagt: „Krieg ist nichts als Drückebergerei vor den Aufgaben des Friedens.“ Wie wahr, dieser ist für alle Beteiligten finanziell kostspieliger, langwieriger und anstrengender!

Vorliegender Beitrag basiert auf einem Vortrag, den U. Wasmuht auf dem AFK-Kolloquium 1991 gehalten hat.

Dr. Ulrike C. Wasmuht ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politische Wissenschaften der FU Berlin.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1991/1 Nach dem Golfkrieg, Seite