W&F 2012/2

Welche Art der Piraterie?

von Anke Schwarzer

In Hamburg stehen zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik mutmaßliche Piraten vor Gericht. Die Angeklagten aus Somalia sollen am 5. April 2010 auf Hoher See das deutsche Containerschiff »Taipan« überfallen haben. Der Prozess wirft zahlreiche rechtspolitische Fragen auf und mutet angesichts der ungleichen globalen Macht- und Eigentumsverhältnisse wohlfeil an.

Der Prozess vor dem Hamburger Landgericht gegen zehn Angeklagte aus Somalia bringt eine entfernte Welt und ein großes Thema in einen deutschen Gerichtssaal. Er polarisiert das Publikum, denn hier geht es um weit mehr als um den konkreten Tatvorwurf. Der Prozess gegen zehn Menschen, die aus einer der ärmsten Regionen der Erde kommen, in einer der reichsten Städte der Erde, ist auch aufgeladen mit Fragen rund um die Themen Gerechtigkeit, europäische Dominanz, Menschenrechte, globale Macht- und Wirtschaftsverhältnisse sowie Sicherheit der Schifffahrtswege und körperliche Unversehrtheit auf den Meeren.

Was war geschehen? Im April 2010 hatte eine Kommandoeinheit der niederländischen Streitkräfte mehrere Seeleute der »MV Taipan« befreit, die am Horn von Afrika gekapert worden war. Die 15 Seeleute aus Deutschland, der Ukraine und Sri Lanka hatten sich in einem Schutzraum verschanzt und einen Notruf abgegeben. Seit Herbst 2010 stehen die zehn mutmaßlichen Piraten wegen des Vorwurfs des erpresserischen Menschenraubs und Angriffs auf den Seeverkehr vor dem Hamburger Landgericht. Ihnen drohen bis zu 15 Jahre Haft. Die Staatsanwaltschaft fordert zwischen vier und elfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe.

Die Angeklagten, darunter auch Jugendliche und ein nach eigenen Angaben und Dokumenten zur Tatzeit strafunmündiger 13-Jähriger, sitzen bereits fast zwei Jahre in Untersuchungshaft. Das Urteil soll im Mai gesprochen werden.

Fischraub und der Tsunami

Im sich lange hinziehenden Prozess haben die meisten Angeklagten eine Tatbeteiligung gestanden und sich beim Kapitän der »Taipan« entschuldigt; andere machten von ihrem Schweigerecht Gebrauch. Viele haben ihre Lebensverhältnisse in Somalia geschildert. Sie waren als Fischer tätig, berichteten von den großen Fangflotten, die das Meer leer räumen, und vom Tsunami, der 2004 viele Boote, Generatoren und Kühlcontainer zerstört hat. Fast alle gaben an, aus finanzieller Not oder aus Angst um ihr eigenes Leben oder das ihrer Familie gehandelt zu haben. Einer der Angeklagten belastete vor kurzem die anderen schwer, informierte das Gericht über den Ablauf des Überfalls und bezichtigte diejenigen Mitangeklagten der Lüge, die ausgesagt hatten, sie seien zur Piraterie gezwungen worden. Soweit bekannt, sind alle Angeklagten völlig mittellos oder gar verschuldet. Viele haben keine Schule besucht, können weder lesen noch schreiben. Einige waren bei ihrer Festnahme unterernährt.

Strafverfolgung zur Abschreckung

Der Gerichtsprozess ist in zweierlei Hinsicht zu kritisieren: Zum einen lässt sich fragen, inwieweit er nach ethisch-politischen und rechtsstaatlichen Aspekten legitim ist. Und zum anderen – da er nun geführt wird – muss die Art und Weise, wie er vonstattengeht, unter die Lupe genommen werden.

Recht und Rechtsetzung folgen meist dem Interesse derjenigen, die über die Mittel verfügen, die als Recht gesetzten Standpunkte gegenüber den schwächeren Interessen und Rechtsauffassungen durchzusetzen: So gibt es weder somalische Kriegsschiffe im Einsatz gegen die Fischtrawler aus Frankreich, Spanien, Pakistan, Japan, Taiwan, Korea oder anderen Ländern1 noch gegen die europäischen Giftmüllverklapper vor Somalias Küste.2 Und die dort kreuzenden Marinen Russlands, Chinas, der USA, des Iran und der EU interessieren sich lediglich für die Bekämpfung der einen Form der Seeräuberei – der Schiffspiraterie.

In Somalia könne man kaum überleben, sagte die Anwältin Gabriele Heinecke zu Beginn des Prozesses. Möglicherweise gebe es einen „völkerrechtlichen Notstand“: „Was mache ich, wenn mir niemand hilft und gleichzeitig die Fischkonserven an mir vorbeifahren?“ Die Anklage der Staatsanwaltschaft sei nüchtern gehalten, so die Anwältin, aber sie erfasse nicht den Vorgang. „Was maßen wir uns an? Das ist nicht in einem deutschen Gerichtssaal zu verhandeln“, sagt Heinecke. „Wo ist der Sinn dieses Prozesses und wen will man eigentlich beeindrucken?“

Eine Antwort findet sich auf der Webseite des Auswärtigen Amtes: Die Strafverfolgung mutmaßlicher Piraten sei ein „wichtiger, abschreckender Bestandteil des Vorgehens gegen Piraterie“, so das Auswärtige Amt mit Blick auf »Atalanta«, der ersten gemeinsamen Marinemission in der Geschichte der Europäischen Union (EU).3

Kurzer Prozess?

Verteidigungsminister Thomas de Maizière ließ es sich nicht nehmen, den Umgang der deutschen Justiz mit Piraterie in der Presse zu kritisieren und auch das laufende Verfahren zu kommentieren: „Es wäre ja schon mal schön, wenn das Gericht in Hamburg nicht 14 Monate braucht bis zum Plädoyer des Staatsanwalts.“ 4

Inwieweit eine Abschreckung oder gar Prävention durch das Militär und die Justiz überhaupt möglich ist, lässt sich bezweifeln. Heinecke etwa sagte, es könne angesichts der Existenz bedrohenden Situation in Somalia kein Zweifel daran bestehen, dass „dieses Strafverfahren – und seien die Strafen noch so drakonisch – nicht geeignet ist, Piraterie zu bekämpfen“.

Letzten Endes bleibt es die individuelle Entscheidung eines jeden Menschen, wie er oder sie in großer Not handelt und sich dafür verantwortet. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Piraten Seeleute – meist aus armen Ländern wie Sri Lanka, Georgien und Bangladesh – mit Waffen angreifen, wochen- und monatelang festhalten, manche sogar verletzten und töten. Die Sorge der Seeleute um die eigene körperliche Unversehrtheit ist groß. Noch gewichtiger scheint allerdings die Sorge der Reeder um ihren Profit zu sein.

Nichtsdestotrotz lassen die imperialen Machtverhältnisse die strafrechtliche Verfolgung der Männer aus Somalia wohlfeil erscheinen. Sie sitzen auf der Anklagebank in einer der reichsten Städte der Welt wegen Piraterie, die für sie eine Strategie des Überlebens gewesen sei oder zu der sie mit Gewalt gezwungen worden seien. Derweil werden die Verantwortlichen für Raubfischerei und Verklappung von Giftmüll vor Somalias Küste nicht einmal angeklagt. Nach der UN-Seerechtskonvention sind alle drei Aktivitäten verboten – verfolgt wird aber nur die Schiffspiraterie.

Resozialisierung – nur in welche Gesellschaft hinein?

Neben dieser grundlegenden Schieflage, was die strafrechtliche und auch militärische Ahndung von Straftaten auf See anbelangt, führten mehrere Pflichtverteidiger auch weitere strukturelle Verfahrenshindernisse und rechtspolitische Probleme an: Ralf Ritter wies darauf hin, dass die Legitimität einer Strafe auf einem Gegenseitigkeitsverhältnis beruhe: „Bestraft werden darf, wer die Rechtsordnung verletzt, auf deren Schutz er selber Anspruch gehabt hat.“ Dieses Gegenseitigkeitsverhältnis fehle aber bei den somalischen Angeklagten. „Nichts hat sie mit Deutschland und seinem Recht verbunden. Sie hatten keinen Anspruch auf Schutz durch unser Recht, unsere Gerichte, keinen Anspruch auf Daseinssicherung“, so Ritter weiter.

Ein Antrag seines Kollegen Tim Burkert verweist zudem auf die Unzumutbarkeit des Prozesses für seinen Angeklagten angesichts der existenziellen Not in Somalia. „Es gehört zur Menschenwürde, dass nicht nur die materielle Existenz, sondern auch die moralische und emotionale Existenz bei jeder staatlichen Handlung berücksichtigt wird.“ Die Angeklagten müssten aus der Haft hilflos mit ansehen, wie ihre Angehörigen in Somalia mit dem Tode ringen. Nur weil Solidaritätsgruppen Geld für Telefonate spendeten, könnten sie immerhin versuchen, Verwandte zu erreichen.5

Eine existenzielle Notlage kenne das deutsche Strafrecht aufgrund der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht. Burkert betont jedoch, dass es Verfahren gegeben habe, in denen die Verurteilungen auf übergesetzliche Rechtsprinzipien gestützt worden seien, etwa im Mauerschützenprozess oder in Verfahren gegen NS-Täter, die sich auf nationalsozialistisches Recht bezogen haben. Es finde sich aber keine Rechtssprechung zum umgekehrten Fall, „nämlich der Frage, wann gesetzliches Unrecht aus übergesetzlichen Gesichtpunkten heraus nicht gesühnt werden darf“, so Burkert. Sein Antrag wurde allerdings abgelehnt. Diese Aspekte könnten allenfalls beim Strafmaß berücksichtigt werden, so das Gericht.

Die Anwälte brachten noch verschiedene weitere Verfahrenshindernisse vor. Bereits am ersten Verhandlungstag fragte Claus-Philipp Napp in einer gemeinsamen Erklärung der 20 Pflichtverteidiger, ob es angesichts der wichtigsten Strafziele der deutschen Justiz überhaupt angebracht sei, dass sich die Hamburger Justiz mit Vorgängen im Indischen Ozean befasse. „Eine Resozialisierung der Angeklagten in der Bundesrepublik dürfte nicht gewünscht sein; eine Resozialisierung der Angeklagten für ihr Heimatland ist nicht möglich“, so Napp.

Der Anwalt Oliver Wallasch forderte die Kammer auf, das Verfahren einzustellen, weil die Angeklagten nicht innerhalb von 48 Stunden einem Ermittlungsrichter vorgeführt worden seien, nachdem sie von niederländischen Marinesoldaten der »Tromp« festgenommen worden waren – das verstoße nicht nur gegen nationales niederländisches und deutsches Recht, sondern auch gegen das Völkerrecht. Es gelte der Grundsatz der Unverzüglichkeit. Außerdem müsse der Gefangene sofort einen Rechtsbeistand hinzuziehen können, Vertraute müssten informiert werden. Auch der Grund der Festnahme müsse unverzüglich genannt werden. Würden diese Grundsätze wie im Falle seines Mandanten nicht eingehalten, dann handele es sich um Freiheitsberaubung im Amt, so Wallasch.

Wallasch ging nicht nur auf die Strafprozessordnung und das Grundgesetz ein, sondern zog auch völkerrechtliche Abkommen heran, etwa das Seerechtsübereinkommen und die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zur Bekämpfung der Piraterie. Hier seien stets zwischenstaatliche Belange berührt, die Souveränitätsrechte seien zu beachten. Eine Einschränkung von individuellen Grundrechten, wie sie die Angeklagten erlitten hätten, sei aber nicht vorgesehen, so der Anwalt. Auch der EU-Ratsbeschluss zur Operation »Atalanta« schweige zu den Individualrechten, auch hier seien insbesondere zwischenstaatliche Belange betroffen. „Eine Ermächtigungsgrundlage für Festnahmen ergibt sich auch hier nicht“, sagte Wallasch.

»Wie ein Stück Fleisch«

Trotz dieser angeführten Grundproblematiken hält das Gericht am Verfahren fest. Aber auch in der Art und Weise, wie der Prozess geführt wird, zeigt sich, dass sich an verschiedenen Punkten imperiale Verhältnisse in einer Benachteiligung und Herabwürdigung der somalischen Angeklagten durchpausen. Insbesondere den Jugendlichen, die aus Somalia nach Hamburg verfrachtet wurden, gereicht ihre Herkunft immer wieder zum Nachteil. Laut der Jugendgerichtshilfe ist eine Straffälligkeit der Angeklagten in Hamburg, unter weniger lebensbedrohenden Umständen als in Somalia, sehr unwahrscheinlich. Dennoch hat es das Gericht mehrmals abgelehnt, sie aus der unverhältnismäßig langen Untersuchungshaft zu entlassen, mit der pauschalen Begründung, sie hätten hier keine Familie und könnten mit Hilfe der somalischen Diaspora in Europa untertauchen. Ein Vorwurf, der einem deutschen Jugendlichen, der sich ja nach dieser Lesart des Gerichts im eigenen Land unter zahlreichen potentiellen »Fluchthelfern« befände, nicht gemacht werden würde.

In einer Begründung war gar die Rede davon, dass es dem Jugendlichen im Vergleich zu seinem Leben in Freiheit in Somalia nicht wesentlich schlechter gehe. In Somalia habe er nicht immer zwei Mahlzeiten am Tag einnehmen können, während er in der Jugenduntersuchungshaftanstalt durchgehend verpflegt und ärztlich betreut werde. Auch hier wirkt sich die bloße Herkunft zum Nachteil aus, zumal es bei diesem Antrag lediglich darum ging, die im Vergleich zu anderen Jugendlichen lange Untersuchungshaft zu beenden, eine Jugendwohnung zu beziehen und weiter an dem Prozess teilzunehmen – und eben nicht darum, nach Somalia zu reisen.

Ein weiteres Beispiel ist die Begründung der Staatsanwältin, warum die Jugendlichen nach Jugendrecht besonders lange Freiheitsstrafen, zwischen vier und fünfeinhalb Jahren, erhalten sollen: Bei ihnen seien noch „Entwicklungskräfte“ wirksam und eine „Nachreife“ möglich, es gebe aber ein „erhebliches Erziehungsdefizit“ der jungen Männer wegen des Mangels an Bildung und ihrer schweren Kindheit in Somalia. Um „erzieherische Wirkung“ entfalten zu können, müsse die Strafe daher erheblich sein, so die Staatsanwältin.

Wie geht man mit der Tatsache um, dass mögliche Entlastungszeugen aus Somalia und Indien keinen Pass haben, keine Adresse im deutschen Sinne mit Straßenname und Hausnummer – und dann laut Gericht „unauffindbar“ seien? Wie ist dann zu bewerten, dass den Zeugen der niederländischen Marine bei der Vernehmung gestattet wurde, einen juristischen Berater neben sich sitzen zu haben? Was macht man, wenn sich die Deutsche Botschaft in Nairobi nach Angaben des Gerichts nicht in der Lage sieht, eine Vernehmung von Zeugen per Video in den Gerichtssaal nach Hamburg zu übertragen? Und wie kann ein Gericht pauschal Dokumente aus Somalia nicht anerkennen? Letzteres führte etwa dazu, dass die Jugendlichen zweifelhaften Altersschätzungen unterzogen wurden.6 Dabei seien sie „wie ein Stück Fleisch“ behandelt worden, so der Verteidiger Thomas Jung.

Welche Wissensbestände, welche Beweise werden anerkannt und welche nicht? Ist eine Adresse mit Straße und Hausnummer mehr wert und glaubwürdiger als eine anschauliche Orts- und Wegbeschreibung? Es geht darum, inwieweit eine Wahrheitsfindung über verschiedene Kontinente, Sprachen, Rechtskulturen und Staatsformen hinweg und angesichts von zerrütteten gewaltförmigen Verhältnissen in Somalia überhaupt möglich ist – und inwieweit sie vom Gericht gewissenhaft betrieben wird. Die Kammer hat bislang fast alle Anträge der Verteidigung, darunter auf Einstellung des Verfahrens, auf Haftverschonung oder -entlassung für die Jugendlichen und zur Ladung von Zeugen, abgelehnt.

So mancher Verteidiger sieht den Prozess zur Posse verkommen, mehrere Befangenheitsanträge blieben aber erfolglos. „Unsere Anträge werden alle mit vielen Worten abgebügelt. Es entsteht der Eindruck, dass kein Bemühen des Gerichts vorhanden ist und dass es bei belastenden Dingen einen größeren Eifer an den Tag legt als bei entlastenden“, so der Rechtsanwalt Rainer Pohlen im Dezember letzten Jahres. Auch für Wallasch stellte sich zu diesem Zeitpunkt die Frage, ob die Kammer „ergebnisoffen“ vorgehe. Der Verteidiger Ritter sieht die Verteidigung behindert, „da die Justiz sich aufgrund der fehlenden staatlichen Strukturen in Somalia nicht in der Lage sieht, dort Zeugen zu laden, die Entlastendes über die Angeklagten aussagen könnten.“

Prozessuale und grundlegende Legitimitätslücken

Immer stärker steht in Frage, ob der Prozess der komplexen Gemengelage gerecht werden kann. Dahingehende Befürchtungen von Kritikern und einigen Verteidigern zu Beginn des Prozesses bestätigen sich immer mehr. Auch wächst die Sorge, der Prozess solle in der Stadt der Reeder und angesichts des teuren Bundeswehreinsatzes an der Küste Somalias sowie der Diskussion, ob weitere derartige Prozesse in Deutschland geführt werden sollen, ein Exempel statuieren. Nach dem bisherigen Verlauf hat dieser Prozess sicherlich auch den Effekt, die rechtlich umstrittenen Militäreinsätze jenseits der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland in fernen Weltregionen, etwa um Schiffsrouten für Deutschlands große Handelsflotte zu sichern, weiter zu legitimieren und zu normalisieren.

Sollte es weitere Prozesse gegen mutmaßliche Piraten in Deutschland geben, dürfte so mancher nach den gemachten Erfahrungen schneller ablaufen und damit auch de Maizières Wunsch nach kurzen Prozessen entgegen kommen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Hamburg sind seit 2009 über 120 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Piraten eröffnet worden. Ob es zur Anklage kommt, sei aber noch offen, so der Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. Die prozessualen wie auch die grundlegende Probleme, so Verteidiger Ritter, stellten aber nicht nur die Legitimität des laufenden »Piratenverfahrens« in Frage, sondern auch die aller zukünftigen.

Anmerkungen

1) Die High Seas Task Force (HSTF) schätzt den Wert der Fänge aus illegaler, unregulierter und undokumentierter (IUU) Fischerei auf jährlich weltweit 4-9 Milliarden US-Dollar, wobei ein erheblicher Teil auf Somalia entfalle. Laut der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO handelt es sich jährlich um Fische in einem Wert von etwa 94 Millionen US-Dollar, gefangen von 700 Schiffen aus aller Welt. Eine 2009 veröffentlichte Studie der singapurischen »Rajaratnam School of International Studies« besagt, dass vor der Küste Somalias jedes Jahr Fisch für 90 bis 300 Millionen Dollar illegal gefangen wird. Die wenigen somalische Stellen, die in internationalen Gremien gegen die IUU-Fischerei vorgingen, stießen allerorten auf taube Ohren. Vgl. Schofield, Clive (2008): Plundered Waters. Somalia’s Maritime Resource Insecurity. In: Timothy Doyle & Melissa Risely (Hrsg.) (2008): Crucible for survival: environmental security and justice in the Indian Ocean region. Piscataway/New Jersey: Rutgers University Press.

2) Vgl. Greenpeace (2010): The toxic ships. The Italian hub, the Mediterranean area and Africa.

3) An dem Krieg gegen Piraten vor Somalias Küste beteiligt sich Deutschland seit 2008 mit mehreren hundert Soldaten, Scharfschützen der Marineschutzkräfte, dem Versorgungsschiff »Rhön«, Fregatten sowie Hubschraubern und Überwachungsflugzeugen.

4) De Maizière besorgt über Entwicklung in Iran. Spiegel Online, 30.1.2012.

5) Blog »Reclaim the Sea«; reclaim-the-seas.blogspot.com.

6) Medizinische Untersuchungen zur Altersfeststellung sind unter Ärzten und Wissenschaftlern mehr als umstritten – auch, ob eine »wissenschaftliche Altersfeststellung« mit technischen oder klinischen Methoden aufgrund erheblicher Standardabweichungen und für Jugendliche aus allen Weltregionen überhaupt ausreichend exakt möglich ist. Der 110. Deutsche Ärztetag 2007 in Münster hatte sogar jegliche Beteiligung von Ärzten an der Feststellung des Alters mit aller Entschiedenheit abgelehnt, da es sich dabei weder um eine Maßnahme zur Verhinderung noch um die Therapie einer Erkrankung handele. In einem Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom Juni 2007 heißt es: „Bei Ungewissheit über den Tag der Geburt gebietet es aber das gesetzliche Prinzip eines umfassenden Schutzes Minderjähriger, von dem späteren Zeitpunkt auszugehen.“

Anke Schwarzer ist Diplom-Soziologin und arbeitet als Journalistin. Sie besucht und beobachtet regelmäßig den Prozess gegen die zehn Angeklagten aus Somalia, der seit November 2010 vor dem Landgericht Hamburg geführt wird.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2012/2 Hohe See, Seite 26–29