W&F 2016/4

Weltstaat als globale Demokratie

Perspektiven für kritische Ansätze

von Dirk Hannemann

Ein Weltstaat ist möglich und wünschenswert. Das zeigen progressive Ansätze, die Demokratie im globalen Maßstab denken. Aus der kritischen Auseinandersetzung wird deutlich, was Alexis de Toqueville 1830 auf seinen Reisen durch die USA feststellte: „Eine völlig neue Welt bedarf einer neuen politischen Wissenschaft.“ Für Amerika lautete die Herausforderung, aus Millionen Menschen eine Nation zu formen, obwohl der Staat sich über einen Kontinent erstreckte, große ökonomische Unterschiede aufwies und sich auf Rassentrennung gründete. In der Gegenwart stellt sich exakt dieselbe Frage auf globaler Ebene. Allerdings muss die Nation dafür nicht erfunden, sondern überwunden werden.

Es gab schon immer den Wunsch, die Weltordnung anders zu denken denn als System von Nationalstaaten, die ökonomisch konkurrieren und blutige Kriege führen. Ein früher Versuch stammt aus der Feder des Abbé de Saint-Pierre. Als Frankreich, England und andere kriegführende Staaten den Frieden von Utrecht verhandelten, machte er ihnen 1713 den Vorschlag, sie sollten vereinbaren, ihre Heere abzurüsten und sich in Zukunft nicht mehr in die inneren Angelegenheiten des anderen Landes einzumischen. Er riet ihnen, als Christen einen Friedensbund in Europa zu gründen und ein Schiedsgericht zu installieren, das alle Streitigkeiten friedlich löst. Gottfried Wilhelm Leibniz, Ratgeber des Fürstenhauses von Hannover, schrieb ihm dazu in einem Brief: Es sei gut, diese Gedanken ins Publikum zu bringen, andererseits aussichtslos, die Fürsten der Zeit für ein solches Projekt zu gewinnen. „Nur ein Minister, der im Sterben liegt,“ schrieb Leibniz, „kann das wagen, und auch dieser nur dann, wenn er keine Familie hinterlässt.“ (Patzig 1996, S. 15)

Karl Marx und Friedrich Engels adressierten im »Kommunistischen Manifest« von 1848 ein anderes revolutionäres Subjekt: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ Die Arbeiter sollten ihre Sache selbst in die Hand nehmen und sich in einer Internationalen organisieren, um den Völkergefängnissen der Nationalstaaten eine eigene Assoziation entgegenzusetzen. Ein erster Versuch 1864 scheiterte, weil Anarchisten und Kommunisten sich nicht auf eine Strategie einigen konnten. Der zweite Versuch starb in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges.

Weltrepublik – Immanuel Kant

Immanuel Kants Schrift »Zum ewigen Frieden« von 1795 hat ihren festen Platz in der Debatte behauptet. Kant dachte über eine »Weltrepublik« nach, in der sich freie Staaten zu einer »Republik der Republiken« zusammenschließen. Eine „Universalmonarchie“, die die einzelnen Republiken auflöse, müsse ein „seelenloser Despotismus“ sein und sei nie zur Debatte gestanden (Patzig 1996, S. 21). Aber auch dem föderalen Staatenbund gibt Kant letztlich wenig Chancen auf Verwirklichung. „Ein Lob dem nüchternen Kant, der den monolithischen Illusionen nicht auf den Leim gegangen ist“, zollen Wolf-Dieter Narr und Alexander Schubert Beifall (Narr und Schubert 1994, S. 242). Nach einer Diskussion von Weltstaatstheorien, die sie als Illusion und Wunschdenken abtun (ebd., S. 235-247), schließen sie sich der Kantschen Idee eines Weltföderalismus an, dessen lokale Ebene gestärkt werden müsse (ebd., S. 257). Ob die beiden wussten, dass Kants Anthropologie auf einer Hierarchie der Rassen aufbaut? Der Königsberger eignet sich kaum als Referenz für einen demokratischen Ansatz zur Weltordnung. Die amerikanischen Ureinwohner bezeichnet Kant als „zu schwach für schwere Arbeit“ und „unfähig zu aller Cultur; die Afrikaner hingegen als einer Kultur von Sklaven, nicht aber freier Völker fähig, und beide als unfähig, aus eigener Kraft eine ordentliche bürgerliche Gesellschaft zu errichten. Asiaten (Chinesen und Hindustani) werden als zivilisiert, aber wenig dynamisch und antriebslos dargestellt. Weißen hingegen wird nachgesagt, sie besäßen alle Antriebskräfte, Talente und Prädispositionen für Kultur und Zivilisationen, die für einen Fortschritt hin zur Vollkommenheit nötig seien.“ (McCarthy 2015, S. 90)

Und wie bewerten die Spezialisten von den Internationalen Beziehungen die Idee eines Weltstaates?

Das absolute Tabu – die Lehre von den Internationalen Beziehungen

In den 1.200 Seiten seines aktuellen Werkes »Die Ordnung der Welt« stellt der Politikwissenschaftler Ulrich Menzel ohne Diskussion fest, einen Weltstaat könne es nicht geben, so laute „[d]as erste Axiom der Lehre von den internationalen Beziehungen“ (Menzel 2015, S. 29). Diese Disziplin betrachte es quasi als Natur­gesetz, dass es „keine übergeordnete In­stanz, keinen Weltstaat gibt, der mit einem internationalen Gewaltmonopol ausgestattet ist“ (ebd., S. 17). Alle menschliche Geschichte sei von Großmachtpolitik geprägt. Wenn die derzeitige Phase der US-amerikanischen Hegemonie ende, was laut Menzel im Jahr 2035 der Fall sein wird, würde eine neue Großmacht kommen, die der Welt ihren Stempel aufdrücke. Vielleicht China? Oder doch noch einmal die USA als aktueller Titel­verteidiger? Eine globale Demokratie jedenfalls sei ausgeschlossen.

Ganz in diesem Sinne fasst der Tübinger Friedens- und Konfliktforscher Volker Rittberger den Stand der Debatte zusammen: „Es gibt wenige Auffassungen in der Lehre von der Internationalen Politik, über die soviel Übereinstimmung besteht, wie die, dass die Idee eines Weltstaates ebenso unerfüllbar wie unpraktikabel ist.“ (Rittberger 2000, S. 204) Als Kunst des Möglichen bliebe ein »heterarchisches« (gleichberechtigtes) Weltregieren. Nationen blieben die zentralen Akteure, so Rittberger, kooperierten aber und bildeten supranationale Organisationen, wie die Europäische Union.

Mathias Albert, Professor in Bielefeld, stellt kurz und trocken fest: „Es gibt keinen Weltstaat und es wird auch in Zukunft keinen solchen geben.“ (Albert 2007, S. 9). Bemerkenswert ist, dass Albert mit diesem Satz einen Tagungsband einleitet, in dem acht Wissenschaftler ihre Forschung zum Weltstaat vorstellen. Aber er fasst die Befunde korrekt zusammen, wenn er schreibt: „Die Beiträge des vorliegenden Bandes finden nicht, was sie nicht finden wollen: einen Weltstaat als einen auf die globale Ebene projizierten Einheitsstaat in Analogie zum Nationalstaat“ (ebd., S. 21) – was sie auch nicht finden sollten, wie mir (Redner auf der Tagung) scheint. Wenn auf einem Tagungsband »Weltstaat« draufsteht, muss also keineswegs »Weltstaat« drin sein.

Wenn der Staat nicht global wird, dann werden es vielleicht die politischen Prozesse?

Weltregieren ohne Weltregierung – Global Governance

Michael Zürn vom Wissenschaftszen­trum Berlin beobachtet in seinem Projekt eines »komplexen Weltregierens« die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure. Seit etwa zwei Jahrzehnten sei eine zunehmende „Politisierung der Weltpolitik“ durch Bürgerinnen und Bürger festzustellen, etwa in Form von Protesten am Rande von Gipfelkonferenzen. Darum könne heute „Weltpolitik endgültig nicht mehr als zwischenstaatliche Politik“ verstanden werden (Zürn 2013, S. 11). Organisationen wie Greenpeace und Amnesty International erfüllten eine wichtige Funktion als Aufpasser bei internationalen Organisationen und würden über Politisierung zur Demokratisierung der Weltpolitik beitragen (ebd., S. 26). Gegenüber einer voll ausgebildeten globalen Staatlichkeit bleibt Zürn skeptisch. Diese scheitere an „kognitiven und soziokulturellen Voraussetzungen der Demokratie, die auf internationaler Ebene und selbst auf europäischer Ebene nicht gegeben seien (ebd., S. 26). Seine neueste empirische Forschung erkennt einen vorsichtigen Trend hin zum „minimalen Weltstaat“ mit Ansätzen eines Gewaltmonopols, aber nicht zur „kosmopolitischen Demokratie“ eines David Held – dafür fehle die Bereitschaft zur transnationalen Solidarität (Zürn 2016, S. 113).

Jürgen Neyer, Professor in Frankfurt (Oder), analysiert in »Globale Demokratie« (Neyer 2013) zahlreiche Weltordnungsmodelle. Besonders macht seine Darstellung nicht nur, in welcher Ausführlichkeit kosmopolitische und weltstaatliche Theorien dargestellt, sondern auch, wie objektiv sie beurteilt werden (ebd., S. 327). Der Idealtyp „Demokratischer Weltstaat“ wird von Neyer hinsichtlich etlicher Kriterien als „unproblematisch“ beurteilt: erstens bei der Kongruenz zwischen Herrschern und Beherrschten („Idealfall“, ebd. S. 228), zweitens bei der Möglichkeit, in angemessener Zeit zu Entscheidungen zu kommen, trotz vieler Beteiligter, und drittens bei der Fähigkeit, die Entscheidungen auch durchzusetzen, was mit einem globalen Gewaltmonopol natürlich gut gelingt. Das vierte Kriterium fällt besonders positiv aus: Die Bevölkerung eines demokratischen Weltstaates könne sich „umfassend“ beteiligen. Lediglich das fünfte Kriterium, die Kontrollmöglichkeiten eines Gobalstaates, stuft Neyer als „bechränkt“ ein (ebd., S. 228-234). Zur sachlichen Einschätzung Neyers hat vermutlich beigetragen, dass er seit Jahren zum Integrationsprozess in der Europäischen Union arbeitet, der vielen als Blaupause für die Entwicklung zu einem Weltstaat gilt (vgl. ebd., S. 223-228).

Neyer betrachtet eine Fülle von Weltstaatstheorien. Alexander Wendt (2003) steht bei ihm für einen funktionalen Ansatz. Dem Konstruktivisten Wendt gilt der Weltstaat als unausweichlich, weil er kollektive Sicherheit am besten garantiere (ebd., S. 219f.). Das Modell von David Held (2007) ist die wichtigste Referenz für Neyer. Helds kosmopolitischer Ansatz ist demokratietheoretisch fundiert und wartet mit konkreten Vorschlägen für die Institutionen auf der globalen Ebene auf (Neyer 2013, S. 138-142, 219). Held möchte im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das Vetorecht für Großmächte abschaffen und die Organisation mit einer eigenen Armee ausstatten. Langfristig kann er sich ein Weltparlament vorstellen, das diesen Namen auch verdient. Zeitgemäß normative Ansätze für einen Weltstaat sieht Neyer in den Kantianern Otfried Höffe (2002) und Matthias Lutz-Bachmann (2002).

Zu welchen Ergebnissen kommen kriti­sche Ansätze, die sich an Rechts- und Gerechtigkeitsideen orientieren, ohne das Gerüst der Internationalen Beziehungen?

Weltstaat von oben – Sibylle Tönnies

Im Jahr 2002, kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center, erschien in Deutschland ein frisches und kraftvolles Buch, das in einer klaren Sprache den Weltstaat fordert: Sibylle Tönnies’ »Cosmopolis Now – Auf dem Weg zum Weltstaat« (2002). Wie das berühmte Werk »Empire« von Antonio Negri und Michael Hardt (2000) und »Global State« von Martin Shaw (2000), geht Tönnies ebenfalls davon aus, dass es im Ansatz bereits den Weltstaat gibt, nämlich in Form der US-amerikanischen Hegemonie. Diese müsse man anerkennen und versuchen, sie zu gestalten.

Der Rechtswissenschaftlerin an der Universität Bremen und an der Bucerius Law School in Hamburg geht es darum, die universalen Menschenrechte weltweit zu verwirklichen. Dafür sucht Tönnies eine Macht, die diese weltweit durchsetzen kann, und findet sie in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Menschenrechte können die Welt nur regieren, wenn eine Ordnung zur Verfügung steht, die genauso universal ist wie sie selbst. Sie brauchen eine Weltordnung, sie brauchen eine Weltpolizei, die sie schützt.“ (Tönnies 2002, S. 149)

Das Problem ist laut Tönnies, dass die USA diese Rolle des Weltpolizisten gar nicht einnehmen möchten. Sie möchten sich auch selbst keinem System internationaler Regeln unterwerfen. Typisch sei, dass die USA in Den Haag Kriegsverbrecher vor das Gericht stellen, aber sich selbst der Strafverfolgung durch diese Körperschaft entziehen (ebd., S. 66f). Im Jahre 2002 urteilt Tönnies: „Die Amerikaner haben noch nicht die Reife, eine Pax Americana zu schaffen. Sie genießen es, die einzige Supermacht zu sein, wollen aber weiterhin mit formal gleichberechtigten Rivalen ihre Kräfte messen und sich als Sieger erweisen. Die Vereinigten Staaten maßen sich keineswegs die Pax Americana an. Sie müssen im Gegenteil mit der Erwartung konfrontiert werden, dass sie sie etablieren sollen.“ (ebd., S. 41)

Tönnies ist dabei wichtig, bei ihrem Projekt von „Weltstaat“ zu sprechen. Natürlich wäre es mit ihrer Position geschickter, sagt sie, von einer „fälligen Verrechtlichung der Weltorganisationen“ zu sprechen, von der „Stärkung supranationaler Organisationen“ oder von der „Erforderlichkeit verbindlicher Regeln für die Voraussetzungen humanitärer Interventionen“. Dies seien aber verharmlosende Formulierungen. „In dem Moment, in dem eine Welt-Rechtsordnung auch durchgesetzt werden kann, in dem Moment also, wo eine Weltexekutive besteht, gibt es auch einen Weltstaat. In diesem Moment ist nämlich die Gewalt monopolisiert.“ (­Tönnies 2002, S. 11)

So groß dürfte der Schritt gar nicht sein in das US-amerikanische Imperium, zumindest für die Jugend der Welt – sie trägt doch ohnehin schon seine Kleidung, schaut seine Filme und spricht seine Sprache (ebd., S. 57). Was dem entgegensteht, ist eine der großen Schwächen der jungen Generation, sagt die Dame aus dem Jahrgang 1944, nämlich ihr mangelndes Machtbewusstsein (ebd., S. 79f.). Außerdem verachte sie die Staatsidee, was sich auch in einem naiven Glauben an die Macht von Nicht-Regierungsorganisationen zeige (ebd., S. 80). In diesem intellektuellen Klima müsse die Idee eines Weltstaats Ängste auslösen und seine Idee totalitär erscheinen (ebd., S. 84f.).

Sibylle Tönnies kann allerdings nicht gut erklären, wieso ein Hegemon zum »wohlwollenden Diktator« wird, wenn die USA die Weltarmee der Vereinten Nationen stellen, wie Tönnies vorschlägt (ebd., S. 32), Wie Tönnies dagegen mit Klassikern der Politischen Philosophie umgeht, ist brillant. Sie kann mit den »Federalist Papers« der USA von 1878/88, mit Thomas Hobbes und nicht zuletzt mit der Soziologie ihres berühmten Großvaters Ferdinand Tönnies (»Gemeinschaft und Gesellschaft«, 1887) zeigen, dass ein Weltstaat gut zu begründen ist, und schlägt seinen Kritikern einige der wichtigsten Waffen aus der Hand. Lesenswert!

Weltstaat von unten – Charles Monbiot

Charles Monbiot, Jahrgang 1963, wendet sich an die Millionen Globalisierungskritiker. Mit seinem Buch »United People – Manifest für eine neue Weltordnung« (2003) möchte er dem weltweiten „Netzwerk von Aufständischen“ eine Perspektive zu eröffnen, wie man über den Protest hinausgehen kann: Es „sollte unser Ziel nicht sein, die Globalisierung zu verhindern, sondern sie uns zunutze zu machen und sie zum Werkzeug zur Durchsetzung der ersten globalen Revolution in der Menschheitsgeschichte umzufunktionieren“ (Monbiot 2003, S. 32).

Ein Weltparlament ist das wichtigste Projekt des britischen Journalisten (»Guardian« u.a.). Die Bewegung solle eine weltweite Wahl nach dem Prinzip »ein Mensch, eine Stimme« selbstständig organisieren (ebd., S. 99). Aus der Wahl würden 600 Abgeordnete als wahre Vertreterinnen und Vertreter der Weltbevölkerung hervorgehen, für je zehn Millionen Menschen eine Vertretung. Dieses Weltparlament wäre dann eine wahrhaft demokratische Gegenmacht zu den internationalen Organisationen, die doch nur die reichen Nationen vertreten – eine moralische Instanz mit mächtiger Stimme. Die Idee eines Weltparlaments ist laut Monbiot wohl vor allem für den Westen eine große Herausforderung. Den plagt nämlich – so wörtlich – „die Angst vor der gelben Gefahr“ (ebd., S. 118-121). Die USA und Europa würden in einem Weltparlament überstimmt von 1,4 Milliarden Chinesen und einer Milliarden Indern, neben 800 Millionen Stimmberechtigten aus Afrika. „Als würden Truthähne für Weihnachten stimmen“, kommentierte dies ein führender US-Vertreter der Internationalen Beziehungen.

Zwei Lektionen müssen die heutigen Globalisierungskritiker laut Monbiot lernen. Erstens sollten die Aktivistinnen und Aktivisten vom Protestieren zum Gestalten übergehen – siehe oben – und zweitens ihre »small is beautiful«-Philosophie überdenken. Die angemessene Alternative sei, die globale Ebene als Demokratie zu gestalten. „Die Vorstellung, wir könnten Macht einfach zum Verschwinden bringen und sie durch eine so genannte »Anti-Macht« ersetzen, ist bei Anarchisten reicher Länder recht beliebt. Die meisten Aktivisten in den armen Ländern aber, in denen die Auswirkungen der Macht deutlich fühlbar sind, erkennen sie als das, was sie ist: purer Unsinn. Nur weil wir die Muskeln nicht spielen lassen, heißt das noch nicht, dass die anderen auch darauf verzichten werden.“ (ebd., S. 22f.)

Die klaren Worte für eine globale Identität, die er bereits als gegeben ansieht, und seine strikt ablehnende Haltung zur Nation machen das Werk besonders wertvoll, insbesondere, weil es in einer deutlichen Warnung vor einem Rassismus der gebildeten Stände mündet. Weniger überzeugend klingt Monbiots Entwurf neuer Welthandelsorganisationen. Was läuft auf institutioneller Ebene bei den existierenden drei Organisationen falsch? Das wird nicht ausreichend klar. Insgesamt aber ein kluger Ratgeber für Occupy & Co.

Folgerungen für Theorie und Praxis

Drei Folgerungen ergeben sich für kritische Ansätze und politische Kampagnen, die weltweite Demokratie verwirklichen möchten.

Erstens gilt es, globale Staatlichkeit authentisch zu denken, wobei antidemokratische Glaubenssätze nach und nach verabschiedet werden müssen, vor allem in der Disziplin der Internationalen Beziehungen. Das gleiche gilt für den Rassismus und die Idee einer Nation, die einer rationalen Forschungsagenda im Wege stehen.

Zweitens, moderne Ansätze dürfen nicht im Protest gegen die Globalisierung verharren, sondern sie sollten versuchen, sie nach ihren Interessen zu gestalten. Dafür könnten sie eine entschlossene Machtperspektive einnehmen zugunsten einer sozialen und ökologischen Demokratie, die einen Rahmen für eine gerechte Weltwirtschaft bietet.

Drittens sollten die lokale, regionale und globale Ebene nicht als Gegensatz angesehen und gegeneinander ausgespielt, sondern je nach Problemlage aufeinander abgestimmt werden. Nur weil die globale Ebene von der Normalwissenschaft so vernachlässigt wird, muss sie in der aktuellen Diskussion nicht mehr Raum einnehmen, als von der Sache her nötig wäre.

Der Weltstaat sei nicht möglich und nicht wünschenswert, deswegen müsse in Abwesenheit eines Weltstaates über zweitbeste Lösungen nachgedacht werden – diese Redensart sollte möglichst bald aus der Literatur verschwinden und eine fundierte Diskussion über Möglichkeiten globaler Demokratie an ihre Stelle treten.

Literatur

Albert, M. (2007): Weltstaat und Weltstaatlichkeit – Neubestimmung des Politischen in der Weltgesellschaft. In: Albert, M.; Stichweh, R. (Hrsg.): Weltstaat und Weltstaatlichkeit – Beobachtungen globaler Strukturbildung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Held, D. (2007): Soziale Demokratie im globalen Zeitalter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Höffe, O. (2001): Globalität statt Globalismus – Über eine subsidiäre und föderale Weltrepublik. In: Lutz-Bachmann, M.; Bohmann, J. (Hrsg.): Weltstaat oder Staatenwelt? Für und wider die Idee einer Weltrepublik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Lutz-Bachmann, M. (2001): Weltweiter Frieden durch eine Weltrepublik? Probleme internationaler Friedenssicherung. In: Lutz-Bachmann, M.; Bohmann, J. (Hrsg.): Weltstaat oder Staatenwelt? Für und wider die Idee einer Weltrepublik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

McCarthy, T. (2015): Rassismus, Imperialismus und die Idee menschlicher Entwicklung. Berlin: Suhrkamp.

Menzel, U. (2015): Die Ordnung der Welt. Berlin: Suhrkamp.

Monbiot, G. (2003): United People. Manifest für eine neue Weltordnung. München: Riemann.

Narr, W.-D.; Schubert, A. (1994): Weltökonomie -Misere der Politik. Frankfurt: Suhrkamp.

Negri, A.; Hardt, M. (2003): Empire – Die neue Weltordnung. Frankfurt a.M: Campus.

Neyer, J. (2013): Globale Demokratie – Eine zeitgemäße Einführung in die Internationalen Beziehungen. Baden-Baden: Nomos.

Patzig, G. (1996): Kants Schrift »Zum ewigen Frieden«. In: Merkel R.; Wittmann R. (Hrsg.): »Zum ewigen Frieden« – Grundlagen, Aktualitäten und Aussichten einer Idee von Immanuel Kant. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Rittberger, V. (2000): Globalisierung und der Wandel der Staatenwelt – Welt regieren ohne Weltstaat. In: Menzel, U. (Hrsg.): Vom Ewigen Frieden und vom Wohlstand der Nationen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 188-219.

Shaw, M. (2000): Theory of the Global State – Globality as an Unfinished Revolution. Cambridge: Cambridge University Press.

Tönnies, S. (2002): Cosmopolis Now – Auf dem Weg zum Weltstaat. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt.

Wendt, A. (2003): Why A World State is Inevitable. European Journal of International Relations, Vol. 9, No. 4 (December), S. 491-542.

Zürn, M. (2013): Politisierung als Konzept der Internationalen Beziehungen. In: Zürn, M.; Ecker-Ehrhardt, M. (Hrsg.): Die Politisierung der Weltpolitik. Berlin: Suhrkamp, S. 7-35.

Zürn, M. (2016): Four Models of a Global Order with Cosmopolitan Intent – An Empirical Assessment. Journal of Political Philosophy, Vol. 24, Nr. 1, S. 88-119.

Dirk Hannemann, Jahrgang 1968, wohnhaft in Berlin, Diplom-Politologe (Universität Frankfurt am Main), Lehraufträge an der Freien Universität Berlin. Heute als selbstständiger Kommunikationstrainer tätig.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2016/4 Weltordnungskonzepte, Seite 34–37