Weltweit im Einsatz
von Jürgen Nieth
Weltweit im Einsatz
Verteidigungsminister Struck will die Bundeswehr so umstrukturieren, dass sie bis zu 35.000 Soldatinnen und Soldaten jederzeit an jedem Ort einsetzen kann. Gegenwärtig sind fast 8.000 Bundeswehrangehörige außerhalb des NATO-Gebietes stationiert: 3.581 bei der NATO-Truppe Kfor im Kosovo, 1.375 bei der NATO-Truppe in Bosnien-Herzegowina, 45 im Rahmen der EU-Operation »Concordia« und 11 im NATO-Hauptquartier in Mazedonien, 1.867 in Afghanistan, 200 im Rahmen der UN-Operation Isaf in Usbekistan, 11 als UN-Beobachter in Georgien, 303 im »Anti-Terror-Einsatz« in Dschibuti, Kenia, Kuwait und am Horn von Afrika, 404 zur Sicherung des Schiffsverkehrs im Mittelmeer.
Die geplante starke Ausdehnung der Bundeswehr-Auslandseinsätze erfordert eine neue Bundeswehrstruktur, für die der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhahn, bis zum Jahresende Vorschläge vorlegen soll. In diesen Zusammenhang setzte Verteidigungsminister Struck als Zielgröße für die Bundeswehr 250.000 bis 280.000 fest, gleichzeitig wandte er sich gegen eine Abschaffung der Wehrpflicht. (Spiegel, 1.12.03)
Wehrpflichtige im Auslandseinsatz?
Der Vorschlag von Verteidigungsminister Struck, dass Auslandseinsätze auch schon während des neunmonatigen Grundwehrdienstes auf freiwilliger Basis möglich sein sollen, ist innerhalb der Koalition auf heftige Kritik gestoßen. Die Grünen-Vorsitzende, Angelika Beer, bezeichnete es als unverantwortlich, „Jugendliche, die nicht ausreichend ausgebildet sind“, im Ausland einzusetzen. (FR 18.11.03) Der Arbeitskreis Darmstädter Signal – ein Zusammenschluss aktiver und ehemaliger Offiziere der Bundeswehr – hält Auslandeinsätze von Wehrpflichtigen für verfassungswidrig. „Es ist unverantwortlich, junge, in ca. 6 Monaten Grund- und Spezialausbildung nur lückenhaft ausgebildete Wehrpflichtige im Ausland einzusetzen … Mit dem leben junger, unzureichend ausgebildeter Männer (darf) nicht gespielt werden.“ (Pressedienst ak-ds, 26.11.03)
Kabul, Kundus, ganz Afghanistan?
Der Einsatz der Bundeswehr in der nordafghanischen Region Kundus ist nach „Angaben der Bundesregierung ein »Pilotprojekt«. Wenn es erfolgreich sei, könnten weitere Gebiete nach diesem Modell befriedet werden.“ (FR, 16.10.03) Nach einer gemeinsamen Vorlage des Außen-, Verteidigungs-, Innen- und Entwicklungsministeriums sollen durch das gesamte deutsche Engagement die afghanischen Staatsorgane „in die Lage versetzt werden, ihre Autorität in der Fläche durchzusetzen.“
Die Bundeswehr soll deshalb über den regionalen Einsatz in Kabul und Kundus hinaus im Rahmen der NATO-geführten »Schutztruppe« auch 2004 bei der Absicherung der Wahlen helfen. Es wird offen gelassen, ob die gegenwärtig geplante Aufstockung des Bundeswehrkontingents in Afghanistan um 450 auf 2.250 Soldaten dafür reicht oder ob dafür weitere Bundeswehreinheiten notwendig sind.
Robertson fordert deutsche Berufsarmee.
NATO-Generalsekretär, George Robertson, hat Deutschland zum Aufbau einer Berufsarmee aufgefordert. In der Bild am Sonntag (26.10.03) führte er u.a. aus: „Die meisten NATO-Mitglieder sehen … in einer Berufsarmee die einzige Möglichkeit, den neuen Bedrohungen angemessen zu begegnen… Streitkräfte, die sich nicht in kurzer Zeit über große Entfernungen verlegen lassen, sind nicht mehr viel Wert … Heute verfügen die europäischen Mitglieder (der NATO) zusammen über 1,4 Millionen Soldaten, eine weitere Million steht in Reserve. Aber nur 55.000 Soldaten taugen für Auslandseinsätze. Solche Armeen existieren nur auf dem Papier.“
Streubomben bei der Bundeswehr
Die Bundeswehr will auf ihre hoch umstrittenen Streubomben nicht verzichten. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigte Informationen der SWR-Sendung »Report Mainz« vom 17. November, nach denen die Bundeswehr im Besitz Tausender dieser heimtückischen Waffen ist. Die Luftwaffe habe seit 2001 bereits 8.000 Streubomben vernichtet, der Restbestand liege jetzt wesentlich darunter.
Militärkreise bezeichnen laut FR (18.11.03) einen Verzicht auf die Streubomben zwar als „wünschenswert, doch wegen geltender NATO-Bündnisverpflichtungen nicht möglich.“ Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hatte in der Reportsendung das Verteidigungsministerium aufgefordert, die Bomben aus dem Bestand der Bundeswehr zu nehmen und Entwicklungshilfe-Ministerin Heidemarie Wieszorek-Zeul verlangte ein weltweites Verbot. Für den verteidigungspolitischen Sprecher der Grünen, Winni Nachtwei, stellen Streubomben wegen eines hohen Prozentsatzes nicht explodierender Sprengkörper vor allem für die Zivilbevölkerung über lange Zeiträume eine tödliche Gefahr dar.
»Mut zur Meldung«
Verteidigungsminister Struck hat den Chef des Kommandos Spezialstreitkräfte der Bundeswehr, Brigadegeneral Günzel, wegen antisemitischer Äußerungen entlassen. Ein Schritt, der allseits begrüßt wurde und doch die Frage offen ließ, wieso erst jetzt, schließlich war Güntzel bereits mehrfach aufgefallen.
Der Arbeitskreis »Darmstädter Signal« stellt dazu fest: „Brigadegeneral Günzel ist kein Einzelfall … BG Günzel hat doch wohl seit über 30 Jahren als Offizier im Kreise der ihn umgebenden Kameraden seine undemokratischen Gedanken geäußert. Teile des Offizierkorps … waren und sind Günzels Positionen nicht so fern – und es fehlt den demokratisch gesinnten Offizieren offensichtlich der »Mut zur Meldung«.
BG Günzel ist auch deshalb kein Einzelfall, weil er nur das aktuelle Glied einer Kette von undemokratischen Entgleisungen von hohen Offizieren seit Bestehen der Bundeswehr ist …
Das Offizierkorps (muss) endlich den »Mut zur ungeschminkten Diskussion« über die unbegrenzte Verfügbarkeit der Bundeswehr für Kampfeinsätze vor und hinter allen Gebirgsketten unserer Erde zeigen – denn das ist die entscheidende Frage für das »Berufsbild des Soldaten« und unser aller Zukunft!“