W&F 2015/1

Wem gehört das Land?

Landgrabbing aus afrikanischer Perspektive

von Anne Hennings und Annette Schramm

Die akademische Debatte um das globale Phänomen Landgrabbing erreicht in Europa und Nordamerika gerade ihren Höhepunkt. Bei uns bislang weitgehend unbeachtet bleibt die Diskussion um die Problematik im Globalen Süden. Insbesondere in Subsahara-Afrika, wo die sozialen, kulturellen und ökologischen Konsequenzen der Landnahme zunehmend sichtbar werden, findet ein reger Austausch zwischen AkademikerInnen und AktivistInnen statt. Zwar weist die innerafrikanische Debatte Parallelen zu der im Globalen Norden auf, unterscheidet sich aber in zwei Aspekten deutlich: der generellen Legitimität von Auslandsinvestitionen und der Rolle nationaler Regierungen. Durch diese Ausweitung des Themas wird deutlich, dass es bei Landgrabbing nicht nur um Landrechte geht, sondern auch um eine effektive Teilhabe am Prozess.

Seit 2007 ist weltweit geradezu ein Landrausch nach fruchtbaren Böden, Rohstoffen und Mineralien zu beobachten. Über die Hälfte der seit 2000 weltweit getätigten großflächigen Landinvestitionen fanden in afrikanischen Ländern statt (Land Matrix 2015). Häufig von den Regierungen willkommen geheißen und großzügig mit Steuerfreiheit und sonstigen ökonomischen Anreizen unterstützt, finden Investoren hier optimale Bedingungen. Neben günstigen Arbeitskräften und niedrigen Umweltstandards bzw. mangelnder Umweltkontrolle kommt den Investoren zugute, dass ihnen viele Regierungen große, offiziell ungenutzte Flächen für die kommerzielle Agrarwirtschaft oder die Ausbeute von Rohstoffen, wie Kupfer, Gold oder Uran, bieten.

Von Landgrabbing spricht man, wenn Landakquisen ohne den Konsens der betroffenen Gemeinden stattfinden, keine Kompensation gezahlt wird, Gutachten zu sozialen und ökologischen Folgen fehlen und/oder Menschenrechte verletzt werden. Von Landgrabbing sind sowohl Staaten in Ost- und Westafrika wie Länder im südlichen Afrika betroffen. Die ökologischen Konsequenzen sind oft massiv, und insbesondere Kleinbauern und Pastoralisten sind mit einer ganzen Reihe negativer Folgen konfrontiert. Die sozioökonomischen Auswirkungen sind vielfältig und äußern sich u.a. in Vertreibung, Enteignung und einem daraus resultierenden steigenden Urbanisierungsdruck auf die ohnehin am Rande ihrer Kapazität stehenden Haupt- und Regionalstädte. So findet ein Wandel gesellschaftlicher Strukturen statt, in dessen Folge auch zentrale soziale Sicherheitsmechanismen an Bedeutung verlieren. Darüber hinaus sehen sich inbesondere indigene Gruppen sowie (ethnische) Minderheiten mit dem Verlust ihrer Lebensgrundlage und ihrer kulturellen Identität konfrontiert.

Während die Regierungen neue Möglichkeiten zur Förderung von Entwicklung und wirtschaftlichem Wachstum suchen, steigt in der Bevölkerung der Widerstand gegen Bergbau, kommerzielle Landwirtschaft und Staudamm- oder Forstprojekte im Rahmen des globalen Emmissionshandels. Auf der einen Seite kommt es dabei zunehmend zu Auseinandersetzungen zwischen (staatlichen) Sicherheitskräften und der lokalen Bevölkerung, die sich teilweise auch entlang ethnischer Konfliktlinien entladen (Global Witness 2014, S.13f.). Auf der anderen Seite wächst das zivilgesellschaftliche Engagement. Transnationale Bewegungen sind traditionell in Südostasien und Lateinamerika stärker verankert, in afrikanischen Ländern nehmen lokale und nationale Proteste gegen Landgrabbing aber ebenfalls signifikant zu. Zugleich steigt in Afrika das wissenschaftliche und intellektuelle Interesse an der Debatte. Bislang wird der Landgrabbing-Diskurs jedoch von europäischen und nordamerikanischen Forschungseinrichtungen, Think-Tanks und Nichtregierungsorganisationen dominiert. Daher möchten wir in unserem Beitrag Impressionen von der ersten Afrikanischen Landgrabbing-Konferenz (Africa Conference on Land Grabs) beschreiben.

Die Konferenz brachte im Oktober 2014 WissenschaftlerInnen und AktivistInnen aus dem gesamten afrikanischen Kontinent im Midrand Conference Center von Johannesburg zusammen, um Landgrabbing im Spannungsfeld zwischen Entwicklung und Selbstbestimmung zu diskutieren. Wie also steht es aus afrikanischer Perspektive um die Legitimität der derzeitigen Entwicklungen? Welche Rolle spielt »Ownership« bei der Vergabe von Land und Ressourcen an internationale Investoren bzw. an die nationale Elite? Ownership wurde bisher vor allem mit Landrechten in Verbindung gebracht, die Frage geht jedoch weit über juristische Aspekte hinaus: Ownership umfasst auch die Teilhabe am Prozess der Politikgestaltung – sei es durch Partizipation oder durch Widerstand.

Wie legitim sind ausländische Investitionen in Land?

Vor diesem Hintergrund zeichneten sich auf der Konferenz zwei relevante Diskursstränge ab, um die Legitimität und um das Maß der Teilhabe.

Die Frage nach der Legitimität ausländischer Direktinvestitionen in Land und Ressourcen wurde äußerst kontrovers diskutiert. Die meisten sprachen ausländischen Investition die Legitimität nicht grundsätzlich ab, kritisierten aber scharf die Art und Weise, wie diese erfolgen, sprich: das Phänomen Landgrabbing. Andere erhoffen sich von ausländischen Investitionen und Großprojekten in afrikanischen Ländern Wirtschaftswachstum und Entwicklung. Letztere umfasst nicht nur die Infrastrukturentwicklung (in den ländlichen Gebieten), sondern auch einen umfassenden Technologie- und Wissenstransfer, von dem u.a. die Landwirtschafts- und Bergbausektoren langfristig profitieren würden. Die aktuellen Erscheinungsformen von Landakquisen weisen allerdings auf gegenteilige Entwicklungen hin.

Der zentrale Kritikpunkt an der aktuellen Situation ist die mangelnde Teilhabemöglichkeit an Entscheidungs- und Mitgestaltungsprozessen im Hinblick auf die Konditionen der Landvergabe und die Einbindung der betroffenen Bevölkerung. Dieser Kritikpunkt wird von Befürwortern und Gegnern großflächiger Land- und Ressourceninvestitionen gleichermaßen geteilt; die Gegner gehen noch einen Schritt weiter und lehnen jegliche Form der Landverpachtung an internationale Unternehmen ab, da es sich um eine neokoloniale Praxis handle. Sie sehen in der historischen Landnahme durch die Kolonialmächte eine Parallele zur aktuellen Situation, in der sich Unternehmen die niedrigen Land- und Arbeitskosten in vielen afrikanischen Ländern zur wirtschaftlichen Ausbeutung zu Nutze machen. Diese Position scheint jedoch unter afrikanischen AkademikerInnen umstritten und wird nur selten als Argument genutzt, um auf die (global-) politischen Konsequenzen von Landgrabbing aufmerksam zu machen. Im Großen und Ganzen scheinen ausländische Direktinvestitionen in Landflächen und natürliche Rohstoffe unter Berücksichtigung des lokalen Konsenses sowie des Teilhabegedankens durchaus erwünscht zu sein.

Wer ist verantwortlich?

Neben der Frage nach dem generellen Umgang mit Auslandsinvestitionen stellt sich auch die nach den relevanten Akteuren für eine zukünftige Regelung bzw. für die Verhinderung von Landgrabbing. Der Fokus der akademischen Debatte sowie der Aktivitäten der transnationalen zivilgesellschaftlichen Netzwerke, wie z.B. der International Land Coalition, liegt auf der internationalen Ebene. Vom Komitee für Ernährungssicherheit der Vereinten Nationen (Committee on World Food Security) wurden 2012 Leitlinien für verantwortungsvolle Landpolitik (Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests) verabschiedet. Dort wird den betroffenen Bevölkerungsgruppen Mitspracherecht bei der Entscheidung über Landverpachtung zugesprochen, die Einhaltung von Menschenrechten eingefordert und zur Berücksichtigung sozialer sowie ökologischer Folgen von Landinvestitionen aufgerufen. Allerdings sehen die Leitlinien weder ein generelles Gebot der Zustimmung durch lokale Gruppen noch eine Obergrenze für die Fläche und Dauer von Verträgen vor, auch sind die Leitlinien nicht bindend. Dennoch gelten sie als wichtiger Schritt in Richtung einer Verregelung transnationaler Pachtverträge und als Orientierungshilfe für Zielländer bzw. Investoren (Bernstorff 2012).

In den betroffenen Staaten scheinen die Leitlinien jedoch keine Rolle zu spielen, zumindest nicht bei der ersten Afrikanischen Landgrabbing-Konferenz: Die Leitlinien seien zwar in der Regel bekannt, wirkten sich jedoch kaum auf das Verhalten von Unternehmen und Regierungen aus, war dort zu hören. Das wirkliche Problem liege außerdem bei den nationalen Regierungen, die das eigene Land gewissermaßen »ausverkauften«. Landgrabbing wird also auf unzureichende Demokratisierung, Korruption und schlechte Regierungsführung zurückgeführt. Proteste gegen das Phänomen finden häufig im Rahmen des Kampfes für mehr Demokratie und Transparenz statt. Eine zentrale Forderung ist dabei, dass afrikanische Staaten für sich selbst effektive gesetzliche Regelungen schaffen, um Landnahmen zu verhindern oder so zu gestalten, dass die Bevölkerung nachhaltig profitiert.

In vielen afrikanischen Staaten wird die Debatte über Landgrabbing überdies vor dem Hintergrund ungeklärter Landbesitz- und -nutzungsrechte geführt. Der Umgang mit parallel existierenden Systemen – gesetzliche Eigentumsrechte einerseits, traditionell verankerte Nutzungsrechte andererseits – sowie die Aufarbeitung unrechtmäßiger Landnahmen während der Kolonial- und neueren Geschichte ist häufig ein hart umkämpftes und bei weitem nicht abgeschlossenes Thema. Immer wieder werden daher Moratorien auf großflächige Landverpachtungen gefordert, bis die Frage, wem das Land eigentlich gehört und wie man mit ausländischen Investitionen im Agrarbereich umgehen möchte, in den jeweiligen Gesellschaften geklärt ist. In diesem Kontext erscheint die »Landfrage« wesentlich vielschichtiger als die bloße Klärung von Besitzverhältnissen, denn darüber hinaus geht es um den Umgang mit der kolonialen Vergangenheit, um die Stellung von traditionellen Rechten in der Gesellschaft und nicht zuletzt um die Aushandlung einer »afrikanischen Identität«.

Einerseits wird also eine Verregelung auf internationaler Ebene gefordert, andererseits liegt der Fokus auf den betroffenen Gesellschaften selbst. Der Nationalstaat bleibt jedoch ein wichtiger Akteur: Im einen Fall wird auf die Wirkung internationaler Regelungen gesetzt, die auf nationaler Ebene umzusetzen sind; im anderen Fall sollen die Regierungen »von unten« zum Handeln motiviert werden. Letzteres entspricht dem Gedanken von Ownership in der Prozessgestaltung: Die betroffenen Gesellschaften sollen für sich selbst Regeln erarbeiten und entscheiden, wie sie mit Auslandsinvestitionen in Land umgehen möchten.

Landgrabbing verhindern, sozialen Frieden bewahren

Aktuelle Bestrebungen zivilgesellschaftlicher Akteure, Landgrabbing zurückzudrängen, finden im Spannungsfeld der beschriebenen Debatten statt. Die historische Landnahme während der Kolonialzeit dient immer wieder als Referenzpunkt für die aktuelle Diskussion, wobei daraus nicht automatisch die Ablehnung von Auslandsinvestitionen folgt. Vielmehr wird betont, dass »afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme« benötigt würden und Fehler der Vergangenheit vermieden werden sollten. Auf der Konferenz im Oktober wurde die Afrikanische Koalition gegen Landnahme (African Coalition Against Land Grabs) gegründet und die »Midrand Declaration« verabschiedet. In dieser wird betont, es müsse ein gemeinsamer afrikanischer Weg eingeschlagen werde, um eine »afrikanische« Lösung für das Phänomen zu finden, und zwar auf der Basis des Leitfadens zur Landpolitik der Afrikanischen Union. Adressaten der Forderungen sind in erster Linie nationale Regierungen, aber auch das Panafrikanische Parlament der Afrikanischen Union.

Es geht also um Ownership in mehrfacher Hinsicht: Zum einen ist es zentral, Fragen von Landbesitz und -verpachtung zu klären. Zum anderen muss die Teilhabe betroffener Gruppen an den Verhandlungen und an der Ausgestaltung von Auslandsinvestitionen sichergestellt werden. Diese Forderungen werden auch in den westlichen zivilgesellschaftlichen und akademischen Debatten immer wieder erhoben, die afrikanische Perspektive öffnet den Blick aber für eine weitere Dimension von Ownership: Betroffene Gesellschaften müssen für sich selbst einen Weg finden, mit Landgrabbing umzugehen und Widerstand zu leisten. Hier geht es nicht darum, die wichtige Arbeit von Anti-Landgrabbing-Initiativen auf internationaler Ebene zu unterminieren. Es ist aber zentral, dass sich – wie bereits in vielen Fällen geschehen – auf nationaler und lokaler Ebene Protest gegen Landnahme formiert, der nur durch Ownership im Sinne einer lokalen Gestaltungsmacht effektiv werden kann.

Das Thema drängt

Sollte das Problem Landgrabbing nicht gezielt angegangen werden, könnte das dramatische Folgen haben. Soziale Probleme in den betroffenen Gebieten – von weiter wachsender ökonomischer Ungleichheit über steigenden Urbanisierungsdruck bis hin zu zunehmenden Konflikten in und zwischen lokalen Gruppen – stellen die Gesellschaften vor neue Herausforderungen. Schon jetzt führen Proteste gegen Landgrabbing vereinzelt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit staatlichen Sicherheitskräften. Auf der Landgrabbing-Konferenz in Johannesburg wurde eindringlich davor gewarnt, dass diese Proteste in Zukunft in gewaltsame Konflikte zwischen Bevölkerung und Regierungen umschlagen könnten, denn eine Verknappung der wichtigen Ressource Land erhöhte insgesamt das Konfliktpotential. Effektiver Protest gegen das Phänomen sowie eine veränderte Landpolitik auf nationaler wie internationaler Ebene wird deshalb als unerlässlich angesehen, um den sozialen Frieden in den betroffenen Ländern Afrikas nicht weiter zu gefährden.

Literatur

Land Matrix – The Online Public Database on Land Deals; landmatrix.org/en/get-the-detail.

Global Witness (2014): Deadly Environment – The Dramatic Rise of Killings of Environmental and Land Defenders 1.1.2002-31.12.2013. London.

Jochen von Bernstorff (2012): »Land Grabbing« und Menschenrechte: die FAO Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure. Duisburg: Institut für Entwicklung und Frieden, INEF Forschungsreihe Menschenrechte, Unternehmensverantwortung und Nachhaltige Entwicklung.

The Midrand Declaration, Made During the First Africa Land Grabs Conference, 28.-29. Oktober 2014; africalandgrabs.co.za.

Anne Hennings ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und promoviert zu Auswirkungen von und Widerstand gegen Land- und Ressourceninvestitionen in Nachkriegskontexten. Annette Schramm ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politikwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen und promoviert zu den Auswirkungen von Landgrabbing in Nachkriegsgesellschaften.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2015/1 Afrika, Seite 28–30