Wenn die Lösung das Problem ist
Die Versicherheitlichung des Umweltdiskurses muss überwunden werden
von Josef Mühlbauer
Der Beitrag problematisiert die epistemische Gewalt im versicherheitlichten Diskurs der Klimakrise. Gesellschaftliche Produktions- und Konsumverhältnisse werden in diesem überwiegend ausgeklammert. Dem wird in diesem Beitrag der Ansatz von Degrowth bzw. Postwachstum gegenübergestellt in der Hoffnung, dass die darin mit angesprochenen epistemischen Ebenen eine wirkliche Lösung überhaupt denk- und sprechbar werden lassen.
Die Verknüpfung von Klimakrise und Sicherheit ist in den vergangenen Jahren zu einem zentralen Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Analysen geworden (vgl. Von Lucke, Diez und Wellmann 2016; Jäger 2015; Brzoska und Oels 2012; Brzoska 2017; Mach et al. 2019). Eine mögliche und vielfach reproduzierte Lesart des »Klimawandel-Sicherheits-Nexus« (Grauvogel und Diez 2014) sieht im Klimawandel ein direktes (z.B. Verteilungskonflikte) oder indirektes (z.B. Flucht und Vertreibung) Gewaltpotential. Die Klimakrise wird somit zu einem Sicherheitsproblem »geframed« (vgl. ebd.). Ob steigende Weltbevölkerung, knapper werdende Ressourcen oder die notgedrungene Flucht, die prognostizierten Unsicherheitsszenarien sind mannigfaltig.
Diese Perspektiven sehen eine Gefährdung staatlicher Ordnung durch soziale Unruhen, Umverteilungskonflikte aufgrund knapper werdender Ressourcen oder zunehmenden Druck auf die Sozialsysteme westlicher Staaten durch Migrationsströme. Bei allen Debatten über die »objektive« Wissenschaftlichkeit dieser Berichte und Prognosen muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass solche Krisenphänomene soziale Konstrukte und menschengemacht sind, also auf verschiedene Weise gestaltet und gelöst werden können.
Die versicherheitlichte Strategie, die sich hauptsächlich auf die gesellschaftlichen Auswirkungen der Klimakrise (Symptome) fokussiert und diese als abzuwendende Bedrohung betrachtet, blendet in ihren Gestaltungsideen die Ursachen aus. Die Ursachen liegen in der gesellschaftlichen Produktions- und Konsumweise. Gerade die auf expansivem Wachstum kapitalistischer Produktionsverhältnisse beruhende imperiale Lebensweise (Mühlbauer und Gabriel 2022) hat diese Klimakrise, wenn nicht monokausal verursacht, so doch massiv vertieft und beschleunigt. Der Globale Norden und vor allem die großen Industrienationen sind hauptverantwortlich für Umweltverschmutzung und CO2-Emissionen. Der Globale Süden ist hingegen stärker von den Folgen der Klimakrise betroffen.
Während dies eingestanden wird, wird doch die ursprüngliche Beziehung zu den Konsum- und Produktionsbedingungen im Globalen Norden sowie zur Struktur des globalen Kapitalismus ausgeblendet. Insofern also die Gewalt dieser Verhältnisse »nicht gewusst« wird, ist ein versicherheitlichter Klimadiskurs ein Beitrag zu Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnissen, der bereits im Wissen selbst angelegt und zugleich für deren Analysen unsichtbar geworden ist (Brunner 2020, S. 13). Bei dieser Form der epistemischen Gewalt wird Gewalt zumeist »anderswo, anderswer und anderswas verortet« (vgl. Brunner 2020). Daher stelle ich die Frage, inwieweit diese sozial konstruierte Lösungsperspektive bereits ein Teil des Problems selbst ist und welche Alternative(n) es hierzu bereits gibt.
Wenn die Lösung das Problem ist
Wissen über Klima und Natur stehen nicht in einem herrschaftsfreien Raum. Natur – aus der epistemischen Brille der kolonialen Moderne – dient den Bedürfnissen einer ganz spezifischen wirtschaftlichen und politischen Gesellschaftsformation (vgl. Brunner 2020, S. 101ff.; ähnliche Kritik in diesem Heft: Krohn, S. 14ff.). Diese wirtschaftliche Organisation der (Re-)Produktivkräfte wird von der Logik der Profitmaximierung und Kapitalakkumulation geprägt. Wirtschaftswachstum wird als Motor für Stabilität, hohen Lebensstandard, Armutsbekämpfung und sogar als Friedenserhaltung deklariert (Nicoson 2021, S. 1149). Natur wird in diesem Sinne utilitaristisch als Ware verstanden und somit in Wert gesetzt. Ein Frieden, der die gesellschaftlichen Naturverhältnisse als essentiell zu verändern bedingt, ist so nicht zu machen.
Mit Rückgriff auf Vandana Shivas feministische und postkoloniale Kapitalismuskritik sieht Brunner (2022, S. 102) die sich darin ausdrückende Kolonialisierung der Natur als eine Verselbstständigung der Krise. Und zwar einer Krise im doppelten Sinne. Einerseits sehen wir eine »materielle Krise«, weil die Natur auf einem endlichen Planeten begrenzt ist, die Logik der Profitmaximierung jedoch in ihrer Grundprämisse ein unendliches Wirtschaftswachstum voraussetzt. Mit den Worten der Friedensforscherin Christie Nicoson (2021, S. 1147): „Machtstrukturen, speziell diejenigen hinter ökologisch schädlichem Wirtschaftswachstum, haben auch den Klimawandel mit vorangetrieben“.
Andererseits kann eine »epistemische Krise« konstatiert werden, weil die Ausblendung der Kernursachen der Klimakrise im Wissen und in der Wissensproduktion selbst angelegt sind (Brunner 2020, S. 103f.). Der problem- und wachstumsorientierte Ansatz sieht im Wirtschaftswachstum Frieden, Demokratie und Prosperität. Dieser Ansatz übersieht jedoch die systemische Krise, die er selbst verursacht, denn „kapitalistische Systeme, die auf der Ausbeutung von Frauen, Kolonien und der Natur sowie der Arbeitskraft von Menschen beruhen, stellen Profite gegen das Wohlergehen von Mensch und Umwelt und verbergen oft Produktionskosten und soziale Verantwortung“ (Nicoson 2021, S. 1149).
Mit dem Konzept der epistemischen Gewalt verwundert es also kaum, dass die IPCC Berichte des Weltklimarats, das Kyoto-Protokoll, das Pariser Klimaabkommen sowie die Publikationen des deutschen Umweltbundesamtes die umweltschädlichen Einflüsse des Militärs und die negativen Folgen der (Re-)Produktionsbedingungen der Gesellschaft samt deren Wachstums- und Akkumulationsdrang weitgehend ausklammern und vielmehr auf die »Sicherung« der natürlichen Ressourcen und kritischen Infrastrukturen, insbesondere die »Energiesicherheit« wert legen. Dies sind die zentralen Aspekte des versicherheitlichten Diskurses rund um die Klimakrise (Jäger 2015).
Wenn die üblichen Lösungsansätze zur Abfederung negativer Folgen schon in sich Teil des Problems sind, kann diese Logik dann mittels „intersektionaler Verteilung von Macht, Ressourcen und Privilegien sowie Degrowth überwunden werden“ (Nicoson 2021, S. 1152)?
Emanzipatorischer Frieden in Degrowth?
Oliver Richmond deutet in einem Aufsatz über emanzipatorischen Frieden deutlich darauf hin: „Das Konzept des emanzipatorischen Friedens geht von einem Fortschritt aus, der über den negativen Frieden eines diplomatischen Friedensabkommens hinausgeht […][und] Fragen der globalen Gerechtigkeit und der Nachhaltigkeit aufwerfen [hilft]. Die Identifizierung von Machtstrukturen eröffnet somit den emanzipatorischen Prozess der Rekonfiguration von Machtverhältnissen. Dies erfordert eine international-intersektionale Perspektive auf subalterne politische Ansprüche, um eine Friedenspraxis zu etablieren, die auf den Ausgleich eines breiten Spektrums von Ungleichheiten – Rasse, Klasse, Geschlecht – auf lokaler bis globaler, gar transversaler Ebene ausgerichtet ist.“ (Richmond 2022, S. 137f.)
Sein Konzept beinhaltet auch eine „intergenerationelle Perspektive auf soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ (ebd., S. 138). Diese Utopie entfaltet eine politische Vision, nach der, mit dem Zugriff auf lokales Wissen innerhalb eines kosmopolitischen Rahmens, auf der Mikroebene solidarische Netzwerke, neue Formen der sozialen Mobilität und neue Wissensformen vermittelt und geschaffen werden können (ebd., S. 140). Richmond macht in seinem breiten Konzept von Frieden u.a. die Logik der Gemeingüter (»Commons«) stark, weil diese über Raum und Zeit hinweg eine inklusive, nachhaltige, gerechte und jenseits der Kapitalakkumulationslogik verortete Gesellschaftsformation möglich machen könnten (ebd.). Es werden die sozialen Umverteilungsfragen und die Frage der wirtschaftlichen Organisation der (Re-)Produktivkräfte mit der Frage der ökologischen Nachhaltigkeit zusammengedacht und intersektional problematisiert, das heißt in ihrer je spezifischen Verkoppelung und deren gewaltförmigen Ausmaßen analysiert und transformativ umgestaltet. Richmond verbindet also Fragen der klimagerechten Zukunft mit den Fragen des emanzipatorischen Friedens.
Ähnlich argumentiert auch Christie Nicoson, die hierfür das Konzept von »Degrowth« aufgreift.1 Zwischen dem emanzipatorischen Frieden und Degrowth, unterstreicht Nicoson (2021, S. 1152), entstünden Synergien. Gemäß einer so gedachten Vision fänden die Aspekte des politischen Regierens und des Wirtschaftens auf lokaler Ebene statt. Dezentrale Entscheidungsfindungsprozesse und mehr direkte demokratische Partizipationsmöglichkeiten adressierten auf lokaler Ebene die wirtschaftlichen, umweltpolitischen und demokratischen Bedürfnisse. Durch vermehrte demokratische Mitwirkung und durch eine egalitärere Verteilung von Gütern und Dienstleistungen – so der Gedanke – werde die strukturelle Gewalt minimiert und ein »gutes Lebens für alle« im Einklang mit der ökologischen Nachhaltigkeit ermöglicht. Im Zentrum stehen nicht nur Negation und Kritik, also nicht nur die Reduktion von umweltverschmutzender Produktion und ressourcenintensivem Konsum, sondern ähnlich dem Ansatz des emanzipatorischen bzw. des positiven Friedens zahlreiche Werte, Strategien, Praktiken und Forderungen. Hier könnte man eine lange Liste von gemeinwohlorientierten Wohnprojekten, Ernährungsräten, demokratischer und selbstverwalteter Energieversorgung, regionalen Wirtschaftskreisläufen, Commons, Sharing, Agrarkooperativen, Tauschringen, ökologischen Fiskalpolitiken und vieler mehr erwähnen (Mühlbauer 2020). Drei Bereiche unterstreicht hierbei Nicoson (2021, S. 1153): (1) Umverteilung: weg von der strukturellen Gewalt; (2) »Care« umpriorisieren: Aufbrechen schädlicher Machtstrukturen; (3) Globale Gerechtigkeit: Dekolonisierung des Friedens.
(1) Der erste Bereich begreift die klaffende Schere zwischen Arm und Reich als eine Form der strukturellen Gewalt. Im Sinne eines weiten Friedensbegriffes ist die Beseitigung struktureller Gewalt eine friedenspolitische Notwendigkeit. Durch egalitäre Umverteilung von Gütern, wirtschaftlichen Privilegien und Zugängen werden Bedürfnisse auf lokaler Ebene abgedeckt.
(2) Der zweite Bereich fokussiert sich auf die Thematisierung von unbezahlter oder schlecht bezahlter Sorgearbeit (»Care«). Die strukturelle und epistemische Gewalt, die in wachstumsorientierten »Versicherheitlichungs«-Paradigmen sichtbar wird, ist in der Unsichtbarmachung der unbezahlten, meist von Frauen erledigten Arbeit zu finden. Laut einer Oxfam Studie (2020) sind dies jährlich rund 12 Mrd. Stunden. Durch eine Repriorisierung der Care-Arbeit würden laut Nicoson (2021, S. 1154) ausbeuterische Herrschaftsverhältnisse unterbrochen und egalitäre (Geschlechter-)Verhältnisse forciert. Erst durch eine so veränderte Herrschaftsstruktur könnten die den Klimawandel bedingenden Ausbeutungsverhältnisse überwunden werden und jenseits der Symptombekämpfung gearbeitet werden.
(3) Der dritte Bereich lenkt die Aufmerksamkeit auf die Diskrepanz, dass die größten Emittenten klimaschädlicher Gase auch als die Hüter*innen und Besitzer*innen »friedlicher Verhältnisse« gälten (demokratischer Frieden usw.). Eine dekoloniale Perspektive unterstreicht dagegen die ungleiche Betroffenheit von der Klimakrise, aber auch die ungleiche Beteiligung an deren Verursachung. Globale Lieferketten, die Extraktion von umweltschädlichen Ressourcen unter niedrigen Umweltstandards und die Ausbeutung von Mensch und Natur durch transnational agierende Konzerne, die überwiegend aus dem Globalen Norden stammen, stehen hier im Zentrum der Kritik. Denn aus ihnen resultieren nicht nur soziale, politische und wirtschaftliche Ungleichheiten sondern auch maßgeblich die Umweltverschmutzung und die Verschärfung des Treibhauseffektes. Eine friedenspolitische Politik der globalen Gerechtigkeit setzt sich somit für die Verkürzung globaler Lieferketten und für den Um- bzw. Abbau von extraktiven und umweltschädlichen Industrien ein. Auch die stärkere Einbindung von marginalisierten Stimmen im globalen Aushandlungsprozess, insbesondere in Bezug auf die lokalen Produktionsbedingungen, ist hier maßgeblich.
Wie also zur Lösung kommen?
Der Diskurs um »Degrowth« glänzt in der Friedensforschung bislang noch durch weitgehende Abwesenheit (zur Kritik siehe u.a. Fromm 2021). Der Diskurs um Degrowth bleibt auch noch überwiegend eurozentrisch (problematisiert er im Wesentlichen die Problematik im Globalen Norden), fokussiert sich noch immer überwiegend auf kleine Nischenprojekte und blendet oftmals die Wachstumsbestrebungen des Globalen Südens aus. Dennoch öffnet diese Perspektive neue Wege, den Friedensbegriff breiter, ökologischer, lokaler und vor allem intersektionaler zu denken.
Um strukturelle und epistemische Gewalt besser zu verstehen kann dieser Ansatz auf jeden Fall hilfreich sein. Eine realpolitische Implementierung fehlt noch weitgehend. So verbleibt die weitreichende Kritik bislang überwiegend theoretisch-konzeptionell. Es existieren auch keine Voraussetzungen, um diese Utopien empirisch auf ihre Effektivität testen zu können.
Ein epistemisch veränderter Zugang, der also das Denken-Können von Ursachenanalyse und Bearbeitung der Klimakrise als Systemkritik und Kritik der kolonialen Moderne zulässt, kann aber mitunter helfen, aus den Fallstricken eines »versicherheitlichten«, sprich auf die Beseitigung der oberflächlichen Bedrohungslagen (primär für den gut begüterten Globalen Norden) ausgerichteten, »Klimawandel-Sicherheits-Nexus« auszuscheren – und einen Frieden mit dem Planeten zu ermöglichen, in dem die Lösung Teil der Lösung ist.
Anmerkung
1) Mit »Degrowth« ist eine sozial- und wirtschaftspolitische Bewegung aber auch (primär soziologische) Denkschule gemeint, die im deutschsprachigen Raum auch als »Postwachstumsbewegung« bekannt geworden ist. Wie bei allen heterogenen Denkschulen lassen sich auch hier einige zentrale Themen identifizieren, politische Visionen werden aber auch konkurrierend entworfen.
Literatur:
Brunner, C. (2020): Epistemische Gewalt. Wissen und Herrschaft in der kolonialen Moderne. Bielefeld: Transcript Verlag.
Brzoska, M. (2017): Rohstoffe, Konflikte und Governance. In: W&F 3/2017, S. 6-9.
Brzoska, M.; Oels A. (2012): Massenmigration und Klimakriege? Klimawandel als Sicherheitsbedrohung. In: W&F 3/2012, S. 19-22.
Buhaug, H.; Uexkull von, N. (2022): Can we predict climate change impacts on future peace and security? In: Peace Research Institute Oslo (PRIO) Blog, 5.1.2022.
Fromm, S. (2021): Degrowth als Vision einer gewaltfreien und sozial-ökologischen Zukunft. FriedensForum 4/2021, online.
Grauvogel, J.; Diez, T. (2014): Framing und Versicherheitlichung. Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung 3(2), S. 203-232.
Jäger, T. (Hrsg.) (2015): Handbuch Sicherheitsgefahren. Wiesbaden: Springer VS.
Mach, K. et al. (2019): Climate as a risk factor for armed conflict. Nature 571, S. 193–197.
Mühlbauer, J. (2020): Wohlstand ohne Wachstum – Wege aus der Klimakrise hin zur Postwachstumsgesellschaft. Umbruch.at, ohne Datum.
Mühlbauer, J.; Gabriel, L. (2022): Zur imperialen Lebensweise. Wien: Mandelbaum Verlag.
Nicoson, C. (2021): Towards climate resilient peace: an intersectional and degrowth appoach. Sustainability Science 2021(16), S. 1147-1158.
Oxfam (2020): Studie zu sozialer Ungleichheit. 12 Milliarden Stunden Arbeit – ohne bezahlt zu werden. Blogpost, 20.1.2020.
Richmond, O. (2022): What is an emancipatory peace? Journal of International Political Theory 18(2), S. 124-147.
SIPRI (2022): World military expenditure passes $2 trillion for first time. Pressemitteilung, 25.4.2022.
Von Lucke, F.; Diez, T.; Wellmann, Z. (2016): Klimakämpfe: Eine komparative Studie der Versicherheitlichung von Klimawandel. Zeitschrift für internationale Beziehungen 23(2), S. 112-143.
Josef Mühlbauer studierte in Wien Politikwissenschaft und Philosophie und veröffentlichte zuletzt das Buch »Zur imperialen Lebensweise« (Mandelbaum Verlag). Er engagiert sich für das Varna Institute für Peace Research (VIPR).