Westeuropas Augen im All
Deutsch-französische Pläne zur Militarisierung des Weltraums1
von Dieter Engels • Jürgen Scheffran
Fünf Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges und über ein Jahr nach der offiziellen Beendigung des SDI-Programms schickt sich Westeuropa unter der Führung Frankreichs und Deutschlands an, der seitdem gebremsten Aufrüstung im Weltraum neue Impulse zu geben. 1995 startet Frankreich seinen ersten optischen Aufklärungs-Satelliten Helios-1 und sucht für den Nachfolge-Satelliten Helios-2 die Beteiligung Deutschlands. Die Bundesregierung möchte dafür finanzielle Unterstützung für den Bau des Radar-Satelliten Osiris. Beide Satelliten-Systeme sollen im Rahmen der Westeuropäischen Union (WEU) betrieben werden.
Nur einen Tag nach der Bundestagswahl am 16. Oktober meldete die »Defense News«, daß Deutschland Milliarden für Weltraumrüstung auszugeben beabsichtige.2 Gemeint sind die deutsch-französischen Verhandlungen für eine deutsche Beteiligung an Helios-2 und die damit verbundene Planung einer raumgestützten Aufklärungskapazität im Rahmen der WEU. Eine Entscheidung war für den deutsch-französischen Gipfel am 29./30. November 1994 angekündigt, wurde jedoch aufgrund ungeklärter Finanzierungsfragen noch einmal verschoben. Diese Bemühungen der Bundesregierung sind in der Öffentlichkeit und im parlamentarischen Raum kaum wahrgenommen3 und nur vereinzelt kritisiert worden. Das Bewußtsein für die militärische und außenpolitische Bedeutung sowie für die finanziellen Dimensionen ist nur in einigen Insider-Kreisen vorhanden. Trotzdem oder gerade deswegen will die WEU schon im Mai 1995 bei ihrer nächsten Ministerrats-Tagung den Aufbau des Satelliten-Systems endgültig beschließen. Bis dahin muß die Bundesregierung entschieden haben, und es ist zu befürchten, daß der Einstieg in die Weltraumrüstung ohne öffentliche Diskussion vollzogen werden soll.
Zivil-militärische Ambivalenz von Fernerkundungssatelliten
Die ersten zivilen Erdbeobachtungs-Satelliten (LANDSAT) wurden 1972 von den USA eingeführt, 12 Jahre nach dem ersten Start von militärischen Aufklärungs-Satelliten. Trotz des nicht gerade überwältigenden Erfolges des LANDSAT-Programms entwickelte Frankreich ein eigenes Erdbeobachtungs-Satellitensystem SPOT (Systeme Pour l'Observation de la Terre), dessen erster Satellit Anfang 1986 gestartet wurde. SPOT-Bilder haben bei Schwarz-Weiß-Aufnahmen ein Auflösungsvermögen von 10 Metern und bei Farbaufnahmen von 20 Metern. Ein wichtiger Kunde der Betreiberfirma SPOT-Image ist das Militär. So tätigte beispielsweise das Pentagon vor dem Golf-Krieg einen Großeinkauf, um das Kartenmaterial der Region zu überarbeiten. Andererseits verkaufte SPOT-Image der Allgemeinheit auf Anweisung der französischen Regierung plötzlich keine Photos aus der Krisenregion mehr, so daß unabhängige Einrichtungen sich kein Bild von der Lage am Golf machen konnten.
Im Bereich der Erderkundung mittels Radar hat Europa eine Spitzenstellung mit dem »Earth Resource Satellite« (ERS-1) erreicht, der unter der Leitung der Europäischen Weltraumbehörde ESA (European Space Agency) entwickelt worden ist. Der 2,5 Tonnen schwere und 1,65 Mrd. DM teure Mikrowellenradar-Satellit umkreist seit 1991 die Erde in 800 km Höhe und tastet dabei mit einer 10m großen Antenne mit synthetischer Apertur (SAR: Synthetic Aperture Radar) einen 100 km breiten Steifen unter ihm ab. Aufgrund seiner Manövrierfähigkeit kann er bei Bedarf alle drei Tage dasselbe Gebiet überfliegen. Im Unterschied zur konventionellen Radartechnik, die nur eine Auflösung von 5 km erreicht, wird durch die SAR-Technik die Auflösung auf 20x20 Meter verbessert. Eine zweite Version ERS-2 wird für einen Start im Jahre 1995 vorbereitet.
Die Erfahrungen Frankreichs mit dem Bau optischer Satelliten (Hauptauftragnehmer: Matra Marconi Space) und Deutschlands mit Radar-Satelliten (Hauptauftragnehmer: Dornier) sollen nach dem Willen der Regierungen in militärischen Satellitensystemen Anwendung finden. Diesen Schritt hat Frankreich mit dem Bau des 1995 zum Start vorgesehenen Helios-1 Satelliten bereits vor zehn Jahren gemacht. Gleichzeitig mit der Planung der zweiten Generation von SPOT-Satelliten (ab SPOT-4) wurde auch eine militärische Version in Betracht gezogen. Frankreich wollte damit, wie seinerzeit bei allen Raumfahrt-Projekten, Autonomie gewinnen, um bei Aufklärung und Zielplanung für die »Force de frappe« unabhängig von den USA zu werden.
Militärische Satellitenaufklärung in Westeuropa
1984 bot Frankreich der Bundesrepublik eine Kooperation an, die 1985 wegen der hohen Kosten abgelehnt wurde. Der Satellit wurde mit 4 Mrd. DM veranschlagt, wovon die deutsche Seite 40<0> <>% übernehmen sollte. Im Mai 1988 forderte der damalige forschungspolitische Sprecher der CDU/CSU (und heutige »Zukunftsminister«) Jürgen Rüttgers eine neue Entscheidung über einen deutschen Einstieg in das Helios-Projekt und diente der Öffentlichkeit das Satellitensystem auch für Aufgaben des Umweltschutzes, der Raumplanung und der Entwicklungshilfe an. Schließlich führte Frankreich dieses Projekt mit Italien (14% Beteiligung) und Spanien (5<0> <>%) durch. Die Programmkosten wurden 1992 mit 2,1 Mrd. DM angegeben. Die technischen Fähigkeiten des Helios-Satelliten werden mit denen von SPOT-4 vergleichbar sein. Letzterer erhält neben den beiden optischen Bändern noch einen zusätzlichen Sensor für den mittleren Infrarot-Bereich. Dadurch wird vor allem die Nachtsicht-Fähigkeit verbessert.
Wenige Monate nach dem Golfkrieg 1991 wurden von Matra Marconi Space Vorstellungen zu Helios-Nachfolgenerationen publik gemacht, die eine geringere Wetterabhängigkeit haben sollten. Für die zweite Generation wurden verbesserte optische und zusätzliche infrarote Sensoren gefordert, während eine dritte Generation nach der Jahrtausendwende zusätzlich mit Radar-Geräten ausgestattet sein sollte.
Neben dem Helios-Satelliten befinden sich in Frankreich noch weitere militärische Raumfahrtprogramme in Bau oder Planung. Unter dem Namen Cerise ist ein experimenteller elektronischer Aufklärungs-Satellit gebaut worden, der 1995 zusammen mit Helios-1 in den Weltraum geschossen wird und als Zenon Anfang des nächsten Jahrzehnts einsatzbereit sein soll. Schließlich ist ein abbildender Radar-Satellit, genannt Osiris, in Planung, der im Jahr 2000 in den Dienst gestellt werden könnte und Helios als Allwetter-Satellit ergänzen soll.
Diese französischen Projekte bilden die Grundlage für die Planungen der WEU für ein eigenes Aufklärungs-Satelliten-System. Im Falle einer Internationalisierung des Systems auf westeuropäischer Ebene verspricht sich Deutschland die Federführung bei der Entwicklung des Osiris-Radar-Satelliten, da Dornier mit dieser Technologie in Europa mittlerweile die meiste Erfahrung hat.
In diesem Jahr hat Frankreich mit der Entwicklung des SPOT-5-Satelliten begonnen, der ein Auflösungsvermögen von 5m erreichen soll. Damit verbunden steht die Entscheidung für einen neuen Helios-Satelliten an, an dem sich Spanien aus Kostengründen nicht mehr beteiligen will. Der neue Satellit Helios-2 soll mit der Technologie von SPOT-5 und mit einer geringeren Umlaufbahn ein Auflösungsvermögen von 1-2m erreichen. Anscheinend ist die Bundesregierung jetzt gewillt, sich an Helios zu beteiligen, falls eine Übereinkunft zu Osiris getroffen werden kann. Die Kosten für Helios-2 und Osiris werden mit je 3 Mrd. DM angegeben.
Nach den Vorstellungen der WEU könnte eine endgültige Konfiguration des Gesamt-Systems aus 6 Satelliten bestehen, 2 optischen (Helios) und 2 Radar-Satelliten (Osiris), sowie 2 geostationären Relais-Satelliten (DRS: Data-Relay-Satellites), die für die schnelle Bildübertragung von Satelliten zur Bodenstation benötigt werden. Die Kosten werden auf 12,4 Mrd. ECU (ca. 21 Mrd. DM) geschätzt. Da selbst die WEU davon ausgeht, daß ein solcher Betrag kurzfristig nicht aufgebracht werden kann, wird als Einstieg ein abgespecktes System aus drei Satelliten vorgeschlagen, welches je nach Ausrüstung 5 bis 6 Mrd. DM kosten würde und 2004 einsatzbereit wäre. Die engültige Konfiguration könnte dann schrittweise bis zum Jahre 2010 erreicht werden. Diese Preise enthalten dabei weder die Start-, noch die Betriebskosten und auch nicht die Mittel für das Bildauswertungs-Zentrum.
Die Realisierung der WEU-Planungen wird nur der Auftakt für eine ganze Reihe von militärischen Satelliten-Projekten sein, die unweigerlich nach einer erfolgreichen Implementierung der Aufklärungs-Satelliten auf die Tagesordnung kommen werden. Dies ist unschwer an den in Frankreich heute schon laufenden Planungen für militärische Satelliten-Systeme abzulesen. Gleichzeitig geben die Entwicklungen des Raumfahrtbereichs in Frankreich Berechtigung zu der Aussage, daß dort eine weitgehende (offiziell gewollte und auch zugegebene) Verflechtung von militärischem und zivilem Bereich stattgefunden hat, die Deutschland noch bevorsteht. Dieser Verflechtungsprozeß ist Ende 1993 auch organisatorisch vollzogen worden, indem die französische Regierung der Raumfahrtbehörde Centre National d'Etudes Spatiales (CNES) die Verantwortung für die militärischen Raumfahrtprogramme übergeben hat. Das Budget der CNES für 1994 beträgt ca. 3,2 Mrd. DM (11 Mrd. FF), wovon 2,1 Mrd DM in den zivilen Bereich gehen. Die Ausgaben im militärischen Bereich schnellen raketenhaft hoch von 200 Mio. DM 1987 auf 1,1 Mrd. DM 1994 (Steigerungsrate von 64<0> <>% pro Jahr) und sollen 1,8 Mrd. DM Ende der neunziger Jahre erreichen.
Die CNES war 1961 als zivile Agentur gegründet worden, um Frankreichs Unabhängigkeit von den Großmächten im Raumfahrtbereich abzusichern. Sie hat auch innerhalb der ESA weitgehend den Ton angegeben. Der neue Verantwortungsbereich reflektiert einen Wandel in der französischen Raumfahrtpolitik weg von den Prestige-Objekten der bemannten Raumfahrt (vgl. Hermes) hin zu kommerziell erfolgversprechenderen Projekten, sprich Satelliten-Systemen. Zur Zeit liegen die Prioritäten noch auf der Entwicklung der Rakete Ariane-V.
Neben Aufklärungs-Satelliten werden in Frankreich auch Pläne für fortgeschrittene Kommunikations- und Frühwarn-Satelliten diskutiert. 1991 wurde in Toulouse über die Schaffung eines multinationalen militärischen Satelliten-Kommunikations-Systems beraten, welches Anfang des nächsten Jahrtausends zum Einsatz kommen soll. Das System soll die britischen Skynet-Satelliten und das französische Kommunikations-Netzwerk Syracuse ersetzen, welches Kanäle der zivilen Kommunikations-Satelliten Telecom 1/2 benutzt. Frankreich will Syracuse soweit verbessern, daß Helios-Aufnahmen direkt in zukünftige Operationsgebiete übertragen werden können.
Überlegungen der WEU zum Aufbau eines europäischen Raketenabwehr-Systems werden den Bedarf nach militärischen Satelliten ebenfalls steigern. Die Zeitschrift »Aviation Week & Space Technology« meldete am 3. Mai 1993, daß ein Konsortium von französischen, deutschen und italienischen Firmen bei der WEU den Antrag stellen will, einen experimentellen Frühwarn-Satelliten zu bauen, als ersten Baustein für ein solches Abwehr-System.
Bereits begonnen hat die WEU mit dem Aufbau des bodengestützten Teils des Aufklärungssystems. Die Außen- und Verteidigungsminister der WEU-Ministerrats-Tagung beschlossen am 27. Juni 1991, „ein Zentrum zur Auswertung von Satellitendaten einzurichten, dessen unmittelbare Aufgabe in der Ausbildung europäischer Experten auf dem Gebiet der Photoauswertung satellitengestützter Daten, in der Sammlung und Verarbeitung zugänglicher Daten und in der Bereitstellung dieser Daten für die Mitgliedstaaten, insbesondere im Rahmen der Verifikation von Rüstungskontrollübereinkünften, der Krisenbeobachtung und der Umweltüberwachung bestünde“. Außerdem wurde die schon erwähnte, von Dornier durchgeführte Studie in Auftrag gegeben „Möglichkeiten für eine mittel- und langfristige Zusammenarbeit bei einem europäischen Satellitenbeobachtungssystem zu erarbeiten“.4
Das Satellitenzentrum wurde 1992 auf der Torrejon Luftwaffen-Basis in der Nähe von Madrid eingerichtet, und soll nach einer dreijährigen Probezeit für die 38,25 Mio. ECU (ca. 70 Mio. DM) zur Verfügung gestellt wurde, in eine ständige Einrichtung überführt werden. Zur Zeit werten ca. 50 Mitarbeiter unter Leitung eines Wissenschaftlers, der dem britischen Verteidigungsministerium angehört, Bilder aus kommerziellen Quellen aus, sollen aber ab 1995 Bilder von dem Helios-Satelliten zur Verfügung gestellt bekommen. Nachdem die relevanten Vorstudien abgeschlossen scheinen, hat am 9.5.94 der WEU-Ministerrat einer Arbeitsgruppe den Auftrag gegeben, für die Frühjahrstagung im Mai 1995 eine Entscheidung für den Aufbau des eigentlichen Satelliten-Systems vorzubereiten.
Begründungen für Aufklärungs-Satelliten
Die WEU hat auf ihrer Pariser Ministerrats-Tagung am 10.12.1990 die Ziele ihrer Weltraumaktivitäten offiziell mit Verifikation von Rüstungskontrollverträgen, Krisenmanagement und Umweltüberwachung angegeben. In der Zwischenzeit scheinen Krisenmanagement sowie die allgemeine Spionage zur Lagebeurteilung in den Vordergrund gerückt zu sein. Angeblich ist das eigentliche Motiv der Bundesregierung, deutsche »Peacekeeping-Einheiten« mit Kommunikations- und Aufklärungs-Satelliten zu unterstützen, nun da das Bundesverfassungs-Gericht den Einsatz außerhalb des NATO-Gebietes für zulässig erklärt hat. Auch wenn eine offizielle Begründung der Bundesregierung noch aussteht, ist diese Aufgabe wahrscheinlich die entscheidende.
Ein erhebliches Interesse an Satelliten-Aufklärung hat der Bundesnachrichtendienst (BND) angemeldet, der bisher auf Spionage (Human Intelligence) und Abhör-Techniken (Signal Intelligence) angewiesen war. Zunehmend wird nach Ende des Kalten Krieges der Blick auf »neue Bedrohungen« aus anderen Teilen der Welt gelenkt, die im Zuge einer »Politik der präventiven Friedenssicherung« frühzeitig aufgeklärt werden müßten. Einsatzbereiche für Satelliten-Bilder werden bei der Verifikation, der Überwachung von Nichtweiterverbreitung von ABC-Waffen, der Aufklärung potentieller Bedrohung Deutschlands von außen, der Krisen- und Naturkatastrophen-Frühwarnung und der allgemeinen Aufklärung (Ernte-Vorhersagen, Infrastruktur etc.) gesehen.
Verifikation
Die Verifikation von Rüstungskontroll-Verträgen ist heutzutage auf Bilder von Aufklärungs-Satelliten kaum noch angewiesen. Wie neuere Untersuchungen gezeigt haben, genügt zur Entdeckung und Grobidentifizierung von militärischem Großgerät und militärischer Anlagen bereits eine Genauigkeit von 10-20 m, wie sie von modernen kommerziellen Fernerkundungssatelliten wie SPOT möglich ist. Zur Erkennung von Fahrzeugen und Flugkörpern wird eine Auflösung im Meterbereich benötigt, was im zivilen Bereich in absehbarer Zeit erreicht wird. Eine weitere Verbesserung der Bildauflösung bringt im Verhältnis zu den wachsenden Kosten keine entsprechende Steigerung der Verifikationsfähigkeit mit sich. Im Unterschied zu den zeitkritischeren militärischen Anforderungen an die Verfügbarkeit von Daten reichen für die Verifikation meist regelmäßige Überflüge in Abständen von Monaten, und die Bildaufbereitung muß nicht in Echtzeit erfolgen. Zudem ist die Satellitenbeobachtung zum Nachweis bestimmter militärisch relevanter Aktivitäten eher ungeeignet.
Satelliten sind ohnehin nie alleinige und oftmals nur zusätzliche Mittel der Verifikation. Aufnahmen von Flugzeugen, Vor-Ort-Inspektionen und weitergehende Maßnahmen (etwa die Messung von Umweltindikatoren) können einen substanziellen Beitrag zur Verifikation leisten. Offene Quellen, Informationsaustausch und mehr Transparenz hätten den Vorteil, daß regierungsunabhängige Organisationen Zugang zu dem Bildmaterial hätten und damit einer Manipulation oder einer propagandistischen Verwendung entgegenwirken könnten. Die neuen Satelliten werden dagegen das Informationsmonopol in den Händen von Militärs und Nachrichtendiensten stärken und ihnen mehr Möglichkeit zur Informationsselektion eröffnen, zu Lasten der Öffentlichkeit.
Verifikation ist eine vertrauensbildende Maßnahme, und im Prinzip haben alle Vertragspartner von Abrüstungsverträgen das Recht, daran teilzunehmen. Es erscheint deshalb fragwürdig, das derzeit herrschende Zwei-Klassen-System des Zugangs zu Bild-Informationen zu zementieren. Besser wäre es, wenn die westeuropäischen Staaten sich für ein internationales, allen Staaten zugängliches System einsetzen würden, nach dem Vorbild der von Frankreich 1978 vorgeschlagenen »International Satellite Monitoring Agency« (ISMA).
Krisenmanagement
Krisen- und Kriegsbeobachtung und die Unterstützung von Militäreinsätzen erfordern ein flexibles System mit mehreren Satelliten und verschiedenen Sensoren, deren Daten annähernd in Echtzeit übertragen werden. Vom Anforderungs- und Einsatzprofil her ergeben sich keine grundlegenden Unterschiede zur allgemeinen militärischen Satellitenaufklärung. Angestrebt wird eine möglichst häufige Überwachung eines bestimmten Gebietes bei jedem Wetter, um auf die Geschehnisse in einer Region rasch reagieren zu können. Das vorgeschlagene Satelliten-System ist daher weniger als passiv wirkendes Instrument der Informationsgewinnung zu verstehen, sondern als aktives Element zur Planung und Durchführung von militärischen Einsätzen.
Die Effektivität von Satelliten zur Früherkennung und Prävention ist fragwürdig, wie man am Beispiel Jugoslawiens zeigen kann. Mit Hilfe von Satelliten erfaßbare Hinweise auf eine gewaltsame Eskalation gab es erst unmittelbar vor Ausbruch der Kämpfe, d.h. als die Gewaltschwelle gerade überschritten wurde und politisch-diplomatische Maßnahmen zu spät kamen. Der teure Bau neuer militärischer Satelliten läßt sich derzeit weder mit der Früherkennung von Krisen noch mit ihrem Management allein hinreichend legitimieren – zumal auch hier in den kommenden Jahren deutlich verbesserte kommerzielle bzw. zivile Fernerkundungssatelliten zur Verfügung stehen werden. Wichtiger sind Bemühungen, die frühzeitige Wahrnehmung von vorhandenen Anzeichen einer krisenhaften Entwicklung zu verbessern.
Umweltüberwachung
Auch die Argumentation, Aufklärungs-Satelliten könnten zur Umweltüberwachung beitragen, erweist sich bei genauem Hinsehen als nicht überzeugend. Für die Umweltbeobachtung ist weniger die Detailaufnahme als vielmehr die regelmäßige Überprüfung größerer zusammenhängender Gebiete gefragt. Hochauflösende Fotos mit 1m Auflösung, die zur Kartierung, für Forstmanagement oder zur Entdeckung von lokaler Umweltkriminalität hilfreich sein können, werden von der nächsten Generation von Erdbeobachtungs-Satelliten geliefert werden, soweit sie nicht durch Luftaufnahmen und Vor-Ort-Inspektion am Boden ohnehin preiswerter gewonnen werden können. Bei einem militärischen Einsatzprofil ist es auch nicht gewährleistet, daß die Satelliten Umweltdaten aus den Regionen liefern, aus denen sie aktuell benötigt werden. Zusätzliche Umweltdaten sind auch deshalb unsinnig, weil die WEU für ihre Auswertung keine Arbeitsplätze schaffen will und bestehende Institute jetzt schon damit überfordert sind, die anfallende Informationsflut von den Erdbeobachtungs-Satelliten zu verarbeiten.
Proliferation von Massenvernichtungswaffen
Der Verbreitung (Proliferation) von Massenvernichtungswaffen mit militärischen Mitteln (Counter-Proliferation, Raketenabwehr) begegnen zu wollen, ist wenig erfolgversprechend. Abgesehen von überzogenen Bedrohungswahrnehmungen dürfte die zugrundeliegende Konfrontationslogik diesen Prozeß eher beschleunigen.
Ob Aufklärungssatelliten einen wesentlichen Beitrag leisten können, um die Entwicklung und Produktion von Massenvernichtungswaffen in versteckten bzw. als zivil deklarierten Anlagen zu entdecken, darf bezweifelt werden. Typisches Beispiel für das Versagen der Satellitenaufklärung ist die Herstellung der israelischen Atombombe in unterirdischen Anlagen oder das irakische Atomwaffenprogramm, die beide den weit schärferen Weltraumaugen der Supermächte entgangen sind. Mit Hilfe von Aufklärungssatelliten läßt sich lediglich eine Liste vermuteter proliferationsrelevanter Anlagen gewinnen, die damit zu Zielen potentieller militärischer Angriffe werden. So konnte die israelische Luftwaffe ihren Angriff auf den irakischen Nuklearreaktor Osirak im Jahr 1981 aufgrund amerikanischer Satellitenaufnahmen fliegen. Die USA haben im Golfkrieg praktisch alles angegriffen, was ihnen verdächtig schien. Dabei konnten sie zwar eine enorme Zerstörung anrichten, aber das irakische Potential an Massenvernichtungswaffen nicht vernichten. Obwohl die USA die besten Aufklärungssatelliten der Welt und den größten Geheimdienst der Welt besitzen, waren sie nicht in der Lage, die mobilen irakischen Scud-Raketen zu orten. Dies verweist auf die Grenzen der Satellitenaufklärung auch im militärischen Bereich.
Wenn Westeuropa, allen voran Frankreich mit seinen Kern- und Raketenwaffen, den Schritt zur Weltraummilitarisierung vollzieht, werden wahrscheinlich weitere Staaten folgen. Wie schon bei anderen Waffenkategorien, bei denen technologische Entwicklungen des Westens oder Ostens von Entwicklungsländern nachgeahmt wurden, oft mit auswärtiger Hilfe, finden auch Aufklärungssatelliten neue Interessenten. Insgesamt haben bereits eine ganze Reihe von Ländern das technische Potential, eigene Aufklärungs-Satelliten zu bauen. Genannt seien hier Brasilien, China, Japan, Indien, Israel und Südafrika. Militärische Luftaufklärung gehört zu den Techniken, die fast alle Armeen auf der Welt beherrschen, so daß sie sich die Erfahrungen für die Auswertung von Satelliten-Bildern rasch aneignen können. Schon jetzt wird über die möglichen Folgen einer zukünftigen Proliferation von Satellitentechnologie in Staaten der Dritten Welt und über mögliche Gegenmaßnahmen nachgedacht. Gepaart mit Offensivwaffen, etwa Kurz- und Mittelstreckenraketen, würden Aufklärungssatelliten als Bedrohung empfunden werden und das Bedürfnis zum Bau von Anti-Satelliten-Waffen wecken. Die Konsequenz könnte die Fortsetzung der globalen Rüstungsdynamik in den Weltraum sein.
Bewertung der Begründungen
Die in der Diskussion befindlichen Anwendungsgebiete der WEU-Aufklärungs-Satelliten, insbesondere die Verifikation, sind zum Teil mit kommerziellen Bildern dieser und zukünftiger Generationen von Erdbeobachtungs-Satelliten zu bedienen. Ansonsten sind Satellitenbilder nur eingeschränkt verwendbar.
Bewertet man die technischen Spezifikationen der Satelliten sowie das militärische und politische Umfeld, muß man zu dem Schluß kommen, daß sie schwerpunktmäßig für das Krisenmanagement eingesetzt werden sollen, wobei man Krisenmanagement hier in sehr eingeschränktem Sinne mit »Planung und Durchführung von militärischen Einsätzen« übersetzen muß. Offensichtlich wird auch im Nord-Süd-Konflikt an das Denken des Kalten Krieges angeknüpft und nach neuen sicherheitspolitischen Begründungsmustern für Raumfahrt gesucht. Als Kronzeuge dient vielfach der Golfkrieg, der jedoch eher die Grenzen der Hochtechnologie-Kriegsführung demonstriert hat als ihren Erfolg.
Die militärischen Aufklärungssatelliten stehen für eine konfrontative Konzeption von Sicherheitspolitik und befinden sich damit im Gegensatz zu kooperativen Ansätzen von Abrüstung und Konfliktprävention. Es läßt sich der Eindruck nicht vermeiden, daß der Aufklärungssatellit der neu erwachten Großmacht Deutschland helfen soll, ihrem selbstdefinierten Auftrag als militärische Ordnungsmacht in einer von Risiko und Unsicherheit bestimmten Welt gerecht zu werden. Zur Realisierung globalpolitischer Ansprüche wird ins Kalkül gezogen, daß nun auch der Weltraum der militärischen Nutzung erschlossen wird, was bislang vorwiegend den Supermächten im Kalten Krieg vorbehalten war. Zusammen mit Frankreich sollen zehn Jahre alte Träume einer militärischen Weltraummacht Westeuropa realisiert werden.
Den neuen Sicherheitsherausforderungen, insbesondere dem Problem der Proliferation, muß viel wirksamer durch eine Doppelstrategie begegnet werden, die globale Abrüstung und präventive Rüstungskontrolle verbindet mit vereinten Anstrengungen zur umweltgerechten Entwicklung der unterentwickelten Länder und Regionen. Für den Weltraumbereich heißt dies, eine internationale Kooperation in sinnvollen Bereichen der Raumfahrt zu verknüpfen mit der zivilen Kontrolle von Raketen und Raumflugkörpern. Wenn überhaupt, dann sollten Aufklärungs-Satelliten nach dem Vorbild des »Open Skies«-Vertrages international betrieben werden.
Folgen für die zivile Weltraumforschung
Der Einstieg Deuschlands in die Entwicklung von Aufklärungs-Satelliten wäre eine tiefgreifende Zäsur in der bisherigen offiziellen Politik der Bundesrepublik, Raumfahrtprogramme auf den zivilen Bereich zu beschränken. Die dafür jährlich bereitgestellten 1,6 Mrd. DM (1995) verteilen sich zu 69<0> <>% (1,1 Mrd. DM) auf Projekte der ESA und zu 31<0> <>% auf nationale Projekte. Die ESA ist durch ihr Statut zur friedlichen Nutzung des Weltraums verpflichtet, und bei nationalen Projekten hatte die Bundesrepublik Deutschland eine militärische Nutzung bislang aus prinzipiellen Erwägungen ebenfalls ausgeschlossen. Seit Anfang der achtziger Jahre, im Gefolge des SDI-Programms und der Weltraummilitarisierung unter US-Präsident Reagan, wurde in verschiedenen Berichten, insbesondere der WEU und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), jedoch die Absicht ausgesprochen, zivile Weltraumprogramme für militärische Zwecke zu verwenden (Dual-use).
Der Preis, der für die Herstellung und Nutzung militärischer Aufklärungssatelliten gezahlt werden wird, ist nicht nur finanziell sehr hoch. Die Konsequenz ist die Aufgabe des bisher fast ausschließlich zivil ausgerichteten Raumfahrt-Programms der Bundesrepublik Deutschland und auf mittlere Sicht die Dominanz der militärischen Weltraumnutzung. Im einzelnen lassen sich die folgenden Konsequenzen vorhersehen:
- Rechnet man konservativ mit Kosten von 30 Mrd. DM für das vorgeschlagene Gesamt-System mit 6 Satelliten5, entfallen auf Deutschland bis zum Jahr 2010 bei einer Beteiligung von 40<0> <>% jährliche Kosten von 800 Mio. DM, das sind ca. 50<0> <>% des heutigen Gesamt-Raumfahrtbudgets. Den enormen Kosten steht (außer den Arbeitsplätzen bei der Dornier Deutsche Aerospace) kein erkennbarer Nutzen gegenüber.
- Berücksichtigt man, daß die Aufklärungs-Satelliten nicht die einzigen militärischen Satelliten der WEU bleiben, werden die militärischen Raumfahrtausgaben die zivilen innerhalb der nächsten 15 Jahre übersteigen.
- Deutschland müßte konsequenterweise dem Beispiel Frankreichs folgen und die militärische Raumfahrt institutionell verankern, etwa indem sie die Deutsche Agentur für Raumfahrt-Angelegenheiten (DARA) mit der Durchführung militärischer Projekte beauftragt.
- Der in den Statuten der ESA festgelegte Auftrag, Raumfahrt nur zu friedlichen Zwecken zu betreiben, wird vollständig ad absurdum geführt, wenn jede technologische Entwicklung direkt für den Einsatz im militärischen Bereich verplant wird, wie im gegenwärtigen Beispiel die Relais-Satelliten DRS.
- Der Beginn neuer Weltraumforschungs-Programme durch die ESA dürfte erheblich erschwert werden. So erwartet die ESA für ihr jüngst beschlossenes Gesamt-Programm Horizon 2000 Plus, daß die Teilnehmerländer ab dem Jahr 2000 ihre Beiträge um 4-5<0> <>% jährlich erhöhen. Dies fiele in einen Zeitraum, für den auch die WEU die größten Ausgaben erwartet. Da die Finanz-Vorstellungen der ESA jetzt schon umstritten sind, dürfte Horizon 2000 Plus bei zusätzlichen Ausgaben im militärischen Bereich kaum durchsetzbar sein.
- Wirtschafts- und industriepolitisch dürfte diese Entwicklung negative Auswirkungen haben. Europa hat in den vergangenen Jahrzehnten überzeugend bewiesen, daß technologischer Fortschritt auch und gerade ohne Rüstungsforschung möglich ist. Die Anwendung im militärischen Bereich wird keine Innovation hervorbringen, stattdessen jedoch wichtige finanzielle Ressourcen binden. Anstelle eines »Spin-offs« in den zivilen Bereich wird über die Dual-use-Strategie umgekehrt versucht, den zivilen Sektor für militärische Zwecke zu verplanen.
- Die Anwendung der zivil entwickelten Raumfahrt-Technologien im militärischen Bereich ist ein Affront gegen eine Großzahl von Beschäftigten bei der ESA, an nationalen Forschungs-Instituten, ja selbst in der Industrie, die im guten Glauben, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen, jetzt erkennen müssen, daß die Früchte ihrer Arbeit mißbraucht werden.
- Die militärische Nutzung des Weltraums beschleunigt den Legitimationsverfall der Weltraumforschung und könnte so zu ihrem Totengräber werden. Da bereits bei den bemannten Raumfahrt-Projekten Milliardensummen ausgegeben und gefordert werden, die nicht zu rechtfertigen sind, hat das Image der Weltraumforschung in der Öffentlichkeit erheblich gelitten. Wenn jetzt der Weltraum zur neuen Arena der Aufrüstung würde, dürfte die Akzeptanz weiter schwinden.
Literatur
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J. Weyer (Hrg.), Technische Visionen – politische Kompromisse. Geschichte und Perspektiven der deutschen Raumfahrt, Berlin: edition sigma, 1993.
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The development of a European space-based observation system, Part 1+2, WEU-Dokumente 1304/1393 30.4.1992/8.11.1993.
Anmerkungen
1) Eine ausführlichere Studie zu dieser Thematik mit ausführlichen Quellenangaben ist bei der Naturwissenschaftler-Initiative »Verantwortung für den Frieden« erhältlich. Die Presseerklärung anläßlich des deutsch-französischen Gipfels am 29./30. November 1994 ist auf den »Blauen Seiten« dieses Hefts abgedruckt. Zurück
2) Germany Intends to Spend Billions on Military Space, Defense News, 17.-23.10.94. Zurück
3) Obgleich die WEU schon 1993 eine Entscheidung für 1995 angekündigt hat, erschienen Berichte in der deutschen Presse erst im Oktober 1994, vgl. Süddeutsche Zeitung, 25.10.94, Stern, 10.11.94. Außer in Regierungskreisen scheinen die Planungen lediglich im Verteidigungs-Ausschuß des Bundestages diskutiert worden zu sein. Zurück
4) »Europa-Archiv«, 2/92, S. D45. Zurück
5) Der Kostenvoranschlag der WEU beträgt mehr als 20 Mrd. DM, dazu müssen die Start- und Betriebskosten sowie die übliche Teuerungsrate gezählt werden. Zurück
Dieter Engels ist Astronom und arbeitet an der Hamburger Sternwarte. Jürgen Scheffran ist Physiker, Wissenschaftlicher Assistent bei IANUS an der TH Darmstadt und Mitglied im Coordinating Committee des International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP).