Wie können Wissenschaftler zu einer Kultur des Friedens beitragen?
Eine Replik
von Joseph de Rivera
In W&F 4/2008 hat David Adams einige grundlegende Fragen zum UNO-Konzept und dem Programm einer Kultur des Friedens aufgeworfen – darunter auch Fragen methodologischer Art mit Bezug auf die einschlägigen Arbeiten des Psychologen Joseph De Rivera. In der vorliegenden Replik versucht De Rivera, augenscheinliche Missverständnisse zu klären und bleibende Meinungsverschiedenheiten zu präzisieren.
David Adams’ kritischer »Brief an meine akademischen Freunde« wirft eine wichtige Frage auf: Wie können wir sicherstellen, dass unsere wissenschaftliche Arbeit für eine Kultur des Friedens von den Voreingenommenheiten und perspektivischen Festlegungen einer Kultur des Krieges frei wird, die auch die akademische Welt beherrschen? Adams gibt zu bedenken, dass die Beantwortung dieser Frage Dialog und Diskussion erfordert und damit Ideen statt Personen in Frage stellen sollte. In diesem Geist möchte ich antworten: Wie also können Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zum Aufbau einer Kultur des Friedens beitragen?
Dissens bei grundsätzlichem Konsens
Zunächst ist anzumerken, dass David Adams und ich uns einer Arbeit verschrieben haben, die eine Kultur des Friedens befördern soll wie sie der Beschlussfassung der UN vorschwebt. Ich stimme ihm auch in vielen Einzelpunkten zu: Der akademische Betrieb ist dem Einfluss einer Kultur des Krieges unterworfen und es fällt schwer, sich von diesem Einfluss zu befreien; es ist wichtig, den Einsatz von Militär zur innerstaatlichen Kontrolle zu untersuchen; Indikatoren (einer Kultur des Friedens) sollten zu Selbstbewertung und Selbstverbesserung statt zu missgünstigem Vergleichen verwandt werden; und es ist wichtig, die Indikatoren sorgfältig zu bedenken, die man verwenden möchte.
Ich habe allerdings den Eindruck, dass Adams die positive Rolle missversteht, die wissenschaftliche Forschung spielen kann – sofern sie sich reflexiv und kritisch mit dem Konzept einer Kultur des Friedens auseinandersetzt. Ferner glaube ich, dass man empirische Daten verwenden kann, um das Konzept weiter zu entwickeln. Wenn wir die Kultur des Friedens einfach nur als »hypothetische Alternative« betrachten, dient diese Idee nur der intellektuellen Anregung und kann nicht empirisch kritisiert werden. Ich denke, sie eröffnet ein Arbeitsfeld und wir sollten empirische Daten heranziehen.
Spezifische Meinungsdifferenzen
Ich möchte darlegen, wie wir in dreierlei Hinsicht nicht übereinstimmen. Dabei habe ich die Hoffnung, dass unsere zukünftige Arbeit sich wechselseitig ergänzt statt uns vom Aufbau einer Kultur des Friedens abzuhalten.
Erstens sind wir uns nicht einig, wie man am produktivsten von einer Kultur des Friedens sprechen soll. Zwar bin ich überzeugt, dass es analytisch und didaktisch sinnvoll sein kann, eine Kultur des Friedens einer Kultur des Krieges entgegenzusetzen. Meines Erachtens kann es aber auch irreführend sein und Abwehr provozieren, wenn man sagt, unsere Leitkultur sei eine Kultur des Krieges. Irreführend, weil Kulturen nicht monolithisch sind und ebenso viele friedensförmige wie kriegsförmige Elemente enthalten. Wie Elise Boulding (2000) zeigt, ist unsere Kultur des Krieges durchmischt mit einer Kultur des Friedens, und es gibt bedeutsame Friedenskomponenten in allen Kulturen. Abwehr kann entstehen, weil man – wenn wir sagen, wir lebten in einer Kultur des Krieges – dazu neigt, ethnozentrisch zu reagieren und die eigene Kultur zu verteidigen. Diese Defensivität trägt bei zur Fortdauer wesentlicher Züge einer Kultur des Krieges. Kein Zweifel, dass viele Völker sich für friedliebender halten als sie wirklich sind, und dass i.B. die meisten mächtigen Nationen vorgeben, viel friedlicher zu sein als sie sind, und ihre Kriegstreiberei verschleiern. Und überall bestehen Probleme globaler Vorherrschaft. Ich glaube allerdings, dass auf diese Tatsachen aufmerksam gemacht werden kann, ohne dass man darauf besteht, unsere Kultur sei im Kern eine Kultur des Krieges. Wir sollten nicht vergessen, dass Lebenserwartung, Bildung und Menschenrechtslage sich in einer Weise verbessern wie es nicht möglich wäre, wenn wir nur in einer Kultur des Krieges lebten.
Wir sind uns, zweitens, nicht einig im Hinblick auf das Konzept der menschlichen Natur. Gewiss, es geht um ein Konstrukt, aber keineswegs um ein völlig willkürliches. Wie mir scheint spricht einiges dafür, dass Menschen in Gruppenstrukturen eher kooperativ sind als aggressiv. Sie werden allerdings augenscheinlich durch Fremdheit verstört und neigen dazu, die Eigengruppe zu begünstigen. Wenn wir Beziehungen zwischen Gruppen in Betracht ziehen, besteht kein Zweifel, dass Krieg eine Institution darstellt, zwar kein Erfordernis der menschlichen Natur ist, aber gleichwohl eine nahe liegende Möglichkeit. Obwohl wir Menschen nicht »von Natur aus« kriegerisch sind, sind wir doch offensichtlich auch nicht »von Natur aus« friedlich. Wir können nicht unsere gesamte Gewaltsamkeit einer vorgefundenen Kultur des Krieges zuschreiben, wenn wir diese selbst hervorbringen. Unsere Kulturen werden – wie das persönliche Verhalten – von den gegebenen Umständen mit geprägt, und es gibt Umstände, in denen Menschen, vor allem Gruppen, gewaltsam werden. Unsere Natur beinhaltet, dass wir nur in Beziehung zu anderen existieren und unsere Sorge für andere immer wieder in Einklang bringen müssen mit unserer Angst um uns selbst. Wir können keine Kultur des Friedens bauen, wenn wir unsere menschlichen Schwächen nicht ebenso berücksichtigen wie unsere Stärken. Ein Problem bei dem UN-Konzept besteht darin, dass es die Notwendigkeit der Gewaltkontrolle nicht berücksichtigt und auch nicht, wie ein vernünftiges Maß an Sicherheit am besten zu erreichen ist.
Drittens sind wir unterschiedlicher Meinung hinsichtlich der Rolle des Nationalstaates. Adams betrachtet Staaten als Ausfluss einer Kultur des Krieges. Gewiss kann man Staaten, wie Weber nachweist, durch den Versuch konstituiert sehen, die Gewalt zu monopolisieren. So liegt es nahe, von ihnen mit Adams keine Kultur des Friedens zu erwarten und es daher für irreführend zu halten, staatenbezogene Indikatoren zu verwenden, um das Ausmaß ihrer Friedlichkeit zu bestimmen. Ich gehe jedoch davon aus, dass Staaten in einem Versuch der Gewaltkontrolle gegründet wurden, einige diesen Versuch erfolgreicher angestrengt haben als andere und es der Mühe wert ist, ihren Erfolg zu bestimmen. Sicher, das bestehende Staatensystem entstand, als der Westfälische Frieden der Gewalt des Dreißigjährigen Krieges ein Ende setzte. Vermutlich können wir auch die Art, wie wir uns organisieren, verbessern. Aber ich nehme an, dass ein Staatensystem einem tribalen System überlegen ist. Jedenfalls bleiben wir, bis wir eine bessere globale Ordnung erreichen, in Nationalstaaten organisiert, und die empirischen Daten legen nun einmal nahe, dass manche Nationen eine friedlichere Kultur entwickelt haben als andere. Wenn wir von Nationalstaaten als Analyseeinheit ausgehen, scheint es wichtig, verschiedene Dimensionen von Frieden zu unterscheiden (vgl. De Rivera, 2004). Objektive Messungen dieser Dimensionen haben Implikationen für staatliche Politik. So können z.B. US-Bürger diesen Befunden zufolge einigermaßen stolz darauf sein, in welchem Umfang sie bestimmte Aspekte einer liberalen Demokratie erreicht haben; sie müssen aber auch realisieren, dass sie unter beträchtlicher gewaltförmiger Ungleichheit leiden und unakzeptabel viel Staatsgewalt mit tragen.
Ausblick
Mir ist nicht klar, warum Adams glaubt, Gewalt nach außen hänge fest zusammen mit Gewalt im Innern. Marc Ross’ (1993) Befunde von 90 vorindustriellen Gesellschaften lassen nur einen mäßigen Zusammenhang erkennen sowie, dass das Ausmaß, in dem Kinder vernachlässigt werden, den besten Prädiktor für das allgemeine Gewaltniveau darstellt. Das besagt, dass die Art der Aufzucht der Kinder ein wichtiger Aspekt des Konzepts Kultur des Friedens sein sollte. Auch belegen aktuelle staatenbezogene Daten – obwohl zwischen diversen Indikatoren staatlicher Gewalt (wie Rüstungsausgaben, militärische Bewaffnung, Bedrohung anderer Länder und Quote der Personen in Haft) hohe Zusammenhänge bestehen –, dass diese staatliche Gewalt in keinem Zusammenhang steht mit der Mordrate oder der gesellschaftlichen Ungleichheit. Desgleichen stehen diese Maße in keinem Zusammenhang mit Indikatoren von demokratischer Verfasstheit, Meinungsfreiheit oder Entwicklung. Wenn wir das Konzept einer Kultur des Friedens ernst nehmen wollen, müssen wir nach meiner Meinung empirische Untersuchungen anstellen und die Befunde zu dem Konzept in Beziehung setzen. Bisher vorliegende Befunde besagen: Es geht um verschiedene Dimensionen von Kultur, Konflikte können auf unterschiedlichen Ebenen gelöst werden und es gibt Gesichtspunkte (wie die Wertschätzung für Kinder), die auf jeden Fall in das Konzept aufgenommen werden sollten. Ich sehe nicht, wie uns solche Befunde von der Grundidee abbringen könnten, wohl aber sehe ich, dass sie unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, was zu tun ist, um ein Mehr an Kultur des Friedens zu erreichen.
Trotz unserer Meinungsunterschiede glaube ich, dass Adams und ich dasselbe Ideal teilen, und ich hoffe, dass wir Wege der Zusammenarbeit finden, um ihm näher zu kommen.
Literatur
Boulding, E. (2000): Cultures of Peace: The hidden side of human history. Syracuse, NY: Syracuse University Press.
De Rivera, J.H. (2004): Assessing the basis of peace in contemporary societies. Journal of Peace Research, 41, 531-548.
Ross, M.H. (1993): The culture of conflict. New Haven, CT: Yale University Press.
Prof. Dr. Joseph de Rivera ist Direktor des Peace Studies Program am Department of Psychology der Clark University, Worcester/MA; er zeichnet als Herausgeber des 2008 bei Springer, New York, erschienenen Handbook on Building Cultures of Peace.
Übersetzung: Albert Fuchs