Wi(e)der die Großmacht!
17. IMI-Kongress, 15.-16. November 2014, Tübingen
von Thomas Mickan
Über 200 Menschen besuchten den diesjährigen Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., der im November 2014 zum inzwischen 17. Mal in Tübingen stattfand. Der Kongress stand unter dem Motto »Deutschland: Wi(e)der die Großmacht!« – ganz im Zeichen der seit einiger Zeit immer offensiver formulierten deutschen Großmachtansprüche. Dabei wurde diskutiert, auf welchen Ebenen diese Großmachtpolitik zu beobachten ist und wie sich dagegen Widerstand organisiert.
Elitenkonsens
Am Samstag eröffnete IMI-Vorstand Jürgen Wagner den Kongress mit einem Vortrag, der sich »Deutschlands neuen Großmachtambitionen« widmete. Er führte aus, dass der seit Anfang des Jahres von deutschen Spitzenpolitikern formulierte Anspruch auf eine offensivere (militärische) Großmachtrolle von langer Hand vorbereitet worden sei. Insbesondere sei dies im Rahmen des vom Planungsstab des Auswärtigen Amtes finanzierten Projektes »Neue Macht – Neue Verantwortung« geschehen, dessen Abschlussbericht 2013 von der Stiftung Wissenschaft und Politik und dem German Marshall Fund of the United States veröffentlicht worden war: „Alle wesentlichen Gedanken der Gauck-Rede bis hin zu teils wortgleichen Formulierungen sind dem […] entnommen. Gauck wurde also lediglich zum Sprecher eines Elitenkonsenses auserkoren, der darauf basiert, dass eine aggressivere Militärpolitik die notwendige Bedingung für den angestrebten Aufstieg Deutschlands zu einer veritablen Großmacht darstellt“, so Wagners Kritik.
Zum Auftakt des zweiten Panels zu Aspekten der Sicherheitspolitik der Großen Koalition rekapitulierte Tobias Pflüger die Debatte der parlamentarischen Kontrolle militärischer Auslandseinsätze und konstatierte einen sukzessiven Abbau derselben. Unter der neuen Regierung habe eine aktive Aushebelung parlamentarischer Rechte zur Information und Beteiligung stattgefunden. Auch bei der Entscheidung über Waffenexporte an die »nicht-staatlichen« Peschmerga sei das Parlament außen vor geblieben. Thomas Mickan skizzierte das Maßnahmenpaket zur Attraktivitätssteigerung des Militärs sowie den dazugehörigen Lobbyentwurf des Bundeswehr-Verbandes. Er wies darauf hin, dass die Bundeswehr in dem Entwurf als weltweit agierender »Konzern« verstanden würde und sich Werbemaßnahmen für die Bundeswehr an die Marketingstrategien großer Unternehmen anlehnten. Die Maßnahmen sollten außerdem Vertrauen in die Bundeswehrführung, das aufgrund der Bundeswehrreform in der Bundeswehr verloren gegangen war, wieder herstellen und Fachkräfte binden. Reiner Rehak vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) analysierte die Tätigkeit der Geheimdienste bei der elektronischen/digitalen Bespitzelung und kam zum Schluss, dass der BND ähnliche Strategien verfolge wie der US-amerikanische Geheimdienst NSA und eng mit diesem zusammenarbeite. Er konstatierte ferner, dass es die modernen Medien, aber auch das Kommunikationsverhalten der Nutzer den Diensten leicht mache, Informationen abzugreifen.
Die Hardware der Großmacht
Am Nachmittag ging es um die Standorte und die Rüstungsprojekte der »Armee im Einsatz«. Christoph Marischka stellte das Stationierungskonzept der Bundeswehr von 2011 vor. Darin werde festgehalten, dass mögliche Kriegsbeteiligungen hoher Intensität sowie mehrere Interventionen gleichzeitig von der Regierung als Voraussetzung gesehen werde, um Außenpolitik zu betreiben. Standortschließungen ergäben sich aus Einsparungen durch die Wehrpflicht, der Zentralisierung von Verwaltungsaufgaben und einzelnen militärischen Aufgaben sowie der umfassenden Privatisierung, insbesondere bei Logistik und Instandhaltung. Arno Neuber beschrieb daraufhin die wichtigsten gegenwärtigen Rüstungsprojekte. Eine klare Einsatzausrichtung zeige sich beim Transporthubschrauber NH90, dem Kampfhubschrauber Tiger, dem Schützenpanzer Puma und dem Militärtransporter A400M. Verteidigungsministerin von der Leyen inszeniere sich gegenwärtig zwar als Kämpferin gegen die Rüstungsmisswirtschaft, die Abhängigkeit der Armee von der Rüstung sei jedoch nicht zu überwinden. Matthias Monroy problematisierte v.a. die Nutzung unbewaffneter Aufklärungsdrohnen mittlerer Größe. Nachdem diese längst militärisch eingesetzt würden, interessierten sich zunehmend auch Polizei- und Grenzschutzbehörden für ihre Verwendung. Als Zwischenlösung für eine Bundeswehranschaffung werde gegenwärtig das Nachfolgemodell der Drohne Heron 1 diskutiert, die (unbewaffnet) bereits in Afghanistan im Einsatz sei, allerdings von der Herstellerfirma geleast und durch private Angestellte gestartet und gelandet werde. Mittelfristig strebten Deutschland und die Europäische Union jedoch die Entwicklung einer eigenen Drohne dieser Klasse an. Monroy verwies auch darauf, dass der EuroHawk keineswegs vom Tisch sei.
Medien im Krieg
Am Samstagabend analysierte IMI-Vorstand Claudia Haydt mediale Ideologieproduktion. Sie ging dabei auf mediale Sprach- und Argumentationsmuster ein, die einerseits militärisches Eingreifen als einzig mögliche Option rahmen und anderseits KriegsgegnerInnen und alternative Lesarten diskreditieren. Haydt stellte die Ergebnisse von Uwe Krügers Buch »Meinungsmacht« vor, in dem er journalistische Elitenetzwerke und ihre Verbindungen zur so genannten »Strategischen Gemeinschaft« untersucht, und diskutierte diese. Sie schloss sich Krügers Forderungen für eine andere journalistische Ethik an, die eine enge Verbindung von Berichterstattungsfeld (oder –objekt) und Journalisten untersage.
Von Afghanistan nach Afrika
Am Sonntagmorgen beschäftigte sich Lühr Henken, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, mit Lehren, die Regierung und Militär aus dem Afghanistankrieg gezogen haben. Er zeigte auf, dass die Hinterlassenschaft des Krieges und die unzähligen Opfer in der Debatte keinerlei Rolle spielten. Dies habe zur Folge, dass lediglich darüber diskutiert werde, wie ein solcher Krieg künftig »besser« geführt werden könne. Eine feste Entschlossenheit sei zu erkennen, durch weitere Aufrüstungsmaßnahmen auf eine Effektivierung hinzuarbeiten. Im Anschluss sprach Christin Bernhold über die »neue« deutsche Afrika-Politik. Aufgrund bedeutender Rohstoffvorkommen und hervorragender Investitionsmöglichkeiten werde Afrika bereits seit einiger Zeit seitens Industrie und Politik nicht mehr ausschließlich als Krisen-, sondern auch als »Chancenkontinent« begriffen. Deshalb werde verstärkt die militärische Flankierung gefordert, um etwaige Profite und Rohstoffvorkommen abzusichern. Die Bundesregierung setze aber eher auf »Outsourcing« von Gewaltanwendung als auf groß angelegte Militäreinsätze. Wenn möglich werde der Aufbau lokaler pro-westlicher Kräfte bevorzugt, so Bernhold.
Ukraine als Testfall
Danach analysierte Jürgen Wagner die »Ukraine als Testfall für Deutschlands neue Großmachtambitionen«. Der Konflikt habe sich an der Ablehnung des damaligen Präsidenten Janukowitsch entzündet, ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zu unterzeichnen. Vor dem Hintergrund wachsender westlich-russischer Konflikte stelle der Abschluss eines solchen Abkommens faktisch den Beitritt zu einem der beiden Blöcke dar. Mit einem Assoziierungsabkommen werde ein Nachbarland fest in den EU-Binnenmarkt, in die EU-Militärstrukturen und damit auch in das EU-Einflussgebiet integriert. Die EU und die USA hätten nach Janukowitschs Weigerung, das Abkommen zu unterzeichnen, massiv die Proteste unterstützt, die schließlich zum gewaltsamen Sturz des gewählten Präsidenten führten. Zwar habe Russland hierauf ebenfalls mit harten machtpolitischen Bandagen reagiert, die Ursache des Konfliktes sei aber in der westlichen Expansionspolitik zu suchen, so Wagner.
Mobilisierung
Auf dem Abschlusspodium berichteten Aktivisten von den Protesten gegen den Celler Trialog, die Königsbronner Gespräche und die NATO-Sicherheitskonferenz. Diese Veranstaltungen stünden stellvertretend für „Standorte der Ideologieproduktion“, an denen sich der Elitenkonsens bildet und nach außen getragen werde, aber sich durch breite Bündnisse auch Widerstand formiert und manifestiert. In diesem Kontext wurde auch auf den G7-Gipfel im Juni 2015 in Bayern verwiesen, zu dem breite Proteste – auch gegen Deutschlands neue Großmachtambitionen – zu erwarten seien.
Thomas Mickan