W&F 1999/2

Willkommen in der Bewegung

von Mani Stenner

Die Gruppen und Organisationen der Friedensbewegung hatten sich vor dem Krieg auf eine kontinuierliche Lobbyarbeit gegenüber Rot-Grün eingerichtet, um den Koalitionsvertrag („Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik“) mit Leben zu erfüllen. »Friedensfachkräfte« als Bestandteil vieler Maßnahmen zivilen Eingreifens bei Krisen und Konflikten sollten ausgebildet, die Friedensforschung zur Früherkennung künftiger Krisenherde gestärkt und Politik wie Gesellschaft für ein konstruktives vorbeugendes Konfliktmanagement fit gemacht werden.

Es galt, die Wehrstrukturkommission in ihrer Arbeit kritisch zu begleiten (oder gar mit zu besetzen), Rüstungsexporte einzudämmen, Stimmung gegen die Fortführung der Beschaffungspläne aus der Kohl-Ära zu machen und die Regierungsparteien an ihre frühere Skepsis gegen die Umstrukturierung der Bundeswehr für »out-of-area«-Einsätze zu erinnern. Weg mit dem Kommando Spezialkräfte – her mit dem Zivilen Friedensdienst, weg mit der Wehrpflicht – her mit Friedensuniversitäten. Das sollte doch wohl in einer Legislaturperiode zu schaffen sein, oder?

Druck wollten wir Außenminister Fischer machen, um die politische Lösung der Kurdenfrage noch während der deutschen EU-Präsidentschaft auf die europäische Tagesordnung zu setzen. Hoffnung setzten wir in die massive Unterstützung der NGO-Projekte für Wiederaufbau und die Förderung ziviler, demokratischer Strukturen in den Republiken des ehemaligen Jugoslawien.

Jetzt ist die sich langsam wieder formierende Anti-Kriegs-Bewegung zunächst zurückgeworfen auf Protest statt Gestaltung, sie muss sich auf die Aufarbeitung der massiven politischen Kollateralschäden des Krieges vorbereiten. Die Zäsur durch den Krieg – Johannes Rau sprach von einer möglichen »Zeitenwende« – gibt der darauf schlecht vorbereiteten Bewegung auch die Rolle der fast alleinigen Opposition in dieser Frage. Und das wird länger so bleiben.

Rot-Grün wird seine friedenspolitische Unschuld nicht wiedergewinnen. Man hat sich auf Krieg als Mittel der Politik festgelegt, richtet sich darin ein und überhöht seine Haltung moralisch-ideologisch. Deutschlands „opportunistischte Partei“ (die taz über die Grünen) nennt das Doppelstrategie. Der NATO-Vertrag der die Selbstmandatierung für Kriegseinsätze als ständigen Ausnahmefall vorsieht ist unterschrieben, die nächsten Eskalationen in der Balkanregion durch den Kosovo-Krieg sind wahrscheinlicher geworden und weitere Konflikte an den Grenzen Russlands sind absehbar.

Die Skepsis gegen diesen Krieg reicht weit in die Gesellschaft hinein. Zu offensichtlich hat die NATO ihre propagierten Ziele des Schutzes von Menschen und der Beendigung von Vertreibung ins Gegenteil verkehrt. Die ideologische Aufrüstung, die Verteufelung Milosevics („Stalin und Hitler in einer Person“) und des gesamten serbischen Volkes kann vom Scheitern des militärischen Weges – und seinen katastrophalen Folgen für die Menschen des Kosovo, den Opfern und der massiven Zerstörung der zivilen Infrastruktur in Jugoslawien – nicht mehr ablenken. Die platte Diffamierung der innenpolitischen Kritiker („Fünfte Kolonne Belgrads“) kann die Erbarmungslosigkeit einer Politik nicht verdecken, die »humanitär« bombt, sich aber die in den Lagern in Albanien, Mazedonien und Montenegro unter erbärmlichen Umständen lebenden Flüchtlinge schlicht vom Hals halten will.

Selten wurden die Argumente der Friedensbewegung so massiv und schnell bestätigt wie diesmal. Dennoch drückt sich die Skepsis in der Gesellschaft nicht in starkem Protest auf der Straße aus, keine weißen Tücher hängen aus den Fenstern, nach wochenlangen Bombardements ist der Krieg nicht einmal mehr Hauptthema in Gesprächen, in der Berichterstattung der Zeitungen ist er auf die hinteren Seiten gerückt.

War zu Beginn des Krieges bei vielen die Ratlosigkeit – bezüglich der Alternativen zu dem von den ehemaligen Weggefährten in den Regierungsparteien gerechtfertigten Angriffskrieg – lähmend, waren die Argumente der aktiven Friedensgruppen zu wenig bekannt, so müssen die KriegsgegnerInnen jetzt auch gegen Resignation und die Gewöhnung an den Krieg argumentieren.

In Zeiten einer »Großen Koalition« kann aber auch die Einsicht wachsen, dass die Gesellschaft die Diskussion um Krieg und Frieden nicht der Regierung und den ParlamentarierInnen überlassen darf. Aufgeben gilt nicht – das gilt auch für die KriegsgegnerInnen in der SPD und gerade auch für die in Bielefeld unterlegenen Grünen.

Willkommen in der Bewegung!

Mani Stenner ist Sprecher des Netzwerks Friedenskooperative, Bonn

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 1999/2 Wieder im Krieg, Seite