W&F 2017/2

Wolf im Schafspelz

Welche Hilfe ist im Asylkontext hilfreich?

von Nadine Knab

„Wenn jeder dem anderen helfen wollte, wäre allen geholfen.“ Dieses Zitat der Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach trifft keineswegs immer zu, besonders dann nicht, wenn die Hilfestellung zwischen unterschiedlichen Gruppen erfolgt, denn dann können bestimmte Formen von Hilfe zur Aufrechterhaltung von Machthierarchien führen. Der Artikel betrachtet die Rolle von Hierarchen bei der Interaktion zwischen Hilfegebenden und Hilfenehmenden im Asylkontext aus sozialpsychologischer Sicht.

Man erinnert sich noch leicht an die Bilder, die im Sommer 2015 veröffentlicht wurden: Menschen aus Deutschland heißen Geflüchtete mit Schokolade, Teddys und Blumen »Willkommen«; unzählige Menschen spenden Kleidung und helfen bei der Essensausgabe. Es scheint, diese Menschen sind motiviert, den Geflüchteten schnell zu helfen. Oder helfen sich diese Menschen letztlich nur selbst?

Hilfe und Hierarchie

Helfen wird von der Gesellschaft als positiv und sozial erwünscht angesehen. Wie kann es dann dazu kommen, dass Personen bestimmte Hilfsangebote ablehnen? Personen, die im Flucht- und Asylkontext arbeiten, werden häufig damit konfrontiert, dass ihre Tipps und Ratschläge von den Geflüchteten nicht angenommen werden. Es herrscht dann oft Unverständnis. Manchmal wird die Vermutung geäußert, die Geflüchteten seien einfach undankbar. Worin könnte dieses Verhalten begründet sein – in der Persönlichkeit der (aller) Ablehner*innen? Oder gibt es situationelle Umstände, die dazu beitragen?

Hilfsinteraktionen ist inhärent, dass die Gebenden Ressourcen zur Verfügung haben, die den Empfangenden zugute kommen können. Das heißt, zwischen einzelnen Personen besteht ein Machtungleichgewicht. Dieses Machtungleichgewicht kann z.B. in Form von physischer Überlegenheit (wenn eine erwachsene Person einem Kind hilft, etwas zu tragen), finanziellen Möglichkeiten (wenn Personen die Möglichkeiten haben, anderen Personen Geld zu spenden oder zu leihen) und im Flucht- bzw. Asylkontext auftreten, z.B. durch die eingeschränkten Sprachkenntnisse einer Person.

Hilfsinteraktionen kommen aber nicht nur zwischen einzelnen Personen, sondern auch zwischen Gruppen vor. Je nach Art der Interaktion kann dabei die Gruppenzugehörigkeit der Interagierenden sehr präsent sein. Sozialpsycholog*innen untersuchen seit ein paar Jahren Ursachen für und Reaktionen auf Hilfsangebote im Intergruppenkontext, insbesondere in Situationen, in denen eine privilegierte Gruppe Hilfe anbietet.

Unterschiedliche Formen von Hilfe

Neben dem Machtungleichgewicht, das in Hilfssituationen vorhanden ist, spielt zudem eine Rolle, ob Hilfe den Weg zur sozialen Gerechtigkeit ebnet, d.h. welche Art der Hilfe angeboten wird. Wie bereits angedeutet können bestimmte Formen von Hilfsverhalten dazu führen, bestehende Machtverhältnisse beizubehalten (Nadler 2002), und damit paradoxerweise langfristig zur Verschlechterung der Lage einzelner Personen oder Gruppen führen, denen Hilfe angeboten wird.

Es werden dabei zwei Arten von Hilfsangeboten unterschieden: abhängigkeitsorientierte Hilfe und autonomieorientierte Hilfe (vgl. Jackson und Esses 2000). Bei Ersterem wird die Lösung für ein Problem bereitgestellt, sodass die Abhängigkeit bei erneutem Auftreten des Problems wieder zutage tritt. Autonomieorientierte Hilfe hingegen versucht eher, die Werkzeuge an die Hand zu geben, um zukünftig selbst Probleme lösen zu können. Möchte man daher nur, dass die Geflüchteten mit genügend Kleidung und Nahrung versorgt sind, nicht aber auch mit Zugang zum Arbeitsmarkt, Sprachkursen, der Möglichkeit zur Teilhabe an kulturellen und politischen Ereignissen oder Entscheidungen, könnte es naheliegen, dass das Verhalten von einer Art Paternalismus geprägt ist. Unter Paternalismus versteht man eine nach außen positive Einstellung gegenüber Gruppen mit geringerem Status, die durch Dominanz und damit eine diskriminierende Haltung geprägt ist (vgl. Jackman 1994), was sich durch das Anbieten abhängigkeitsorientierter Hilfe zeigen kann. Ein Beispiel könnte im Asylkontext sein, wenn Geflüchteten statt Bargeld Gutscheine oder Sachleistungen zugesprochen werden, wie es im Sommer 2015 von einigen Politiker*innen gefordert wurde. Durch Gutscheine und Sachleistungen wird den Betroffenen jedoch das eigenständige Bestimmen über die Verwendung der finanziellen Mittel abgesprochen.

Die Form der Hilfe bestimmt daher oftmals, ob diese Hilfe angenommen wird oder nicht. Dieser Mechanismus kann mit Hilfe der Sozialen Identitätstheorie (Tajfel und Turner 1986) erklärt werden. Demnach sind wir bestrebt, eine positive Sicht auf uns und unsere Gruppe zu haben. Um zu einem Urteil zu gelangen, vergleichen wir uns dabei mit anderen Gruppen auf bestimmten Vergleichsdimensionen (z.B. Fähigkeiten, finanzielle Möglichkeiten, Status in der Gesellschaft). Personen einer Gruppe mit geringerem Status sind demnach mit zwei konkurrierenden Gedanken konfrontiert: zum einen mit der Motivation, ihre eigene Gruppe als positiv wahrzunehmen, zum anderen mit der Tatsache, dass die Bewertung ihrer Gruppe bei einem Vergleich mit der statushöheren Gruppe eher negativ ausfällt. Dabei kann allein schon die Hilfssituation an sich den Hilfesuchenden das Stigma von Abhängigkeit und Minderwertigkeit vermitteln (z.B. Nadler und Fisher 1986).

Personen, die dieses Machtungleichgewicht zwischen den Gruppen anerkennen, werden Hilfsangebote unabhängig von ihrer Art annehmen. Wenn der geringere Status internalisiert wurde, kann dies sogar soweit gehen, dass die statushöhere Gruppe positiver als die eigene bewertet wird (Sachdev und Bourhis 1987; Jost und Hunyady 2005). Wenn Personen dieses Machtungleichgewicht aber als nicht legitim ansehen, kann eine Möglichkeit darin bestehen, Hilfsangebote abzulehnen, um sich gegen dieses Machtungleichgewicht zu stellen. Somit kann die Ablehnung von Hilfe auch eine Art der Selbstermächtigung und eine Möglichkeit der Wiedererlangung einer positiven Gruppenbewertung darstellen.

Abhängigkeitsorientierte Hilfe: des Vorurteils kleine Schwester

Helfen ist daher nicht immer nur ein Zeichen von gutem Willen. Doch wann ist das Angebot abhängigkeits- oder autonomieorientierter Hilfe wahrscheinlicher?

Das Angebot abhängigkeitsorientierter Hilfe und offen geäußerte Vorurteile haben eine (von vielen verschiedenen) gemeinsame kausale Variable: die Wahrnehmung von Bedrohung. So konnten zum Beispiel Nadler et al. (2009) in zwei Studien zeigen, dass paradoxerweise der Gruppe mehr Hilfe angeboten wird, die als Bedrohung für die eigene Gruppe eingestuft wird. Diese Hilfe war allerdings nicht sensibel gegenüber dem Problem und damit der tatsächlichen Bedürftigkeit des/der Hilfesuchenden. Die Autor*innen erklären dies damit, dass die Gruppe, die sich bedroht fühlte, mit dem Hilfsangebot eine positive Wahrnehmung der eigenen Gruppe beibehält und gleichzeitig die Selbstermächtigung der anderen Gruppe verhindert.

Ähnliche Ergebnisse gibt es von Jackson und Esses (2000). Die Forscher*innen konnten nachweisen, dass Personen weniger bereit sind, Geflüchteten zur Selbstermächtigung oder autonomieorientierten Lebensweise zu verhelfen, wenn sie sich z.B. ökonomisch bedroht fühlen. In dieser Studie wurde den Teilnehmenden gesagt, dass es Immigrant*innen mit Erfolg geschafft hätten, Fuß auf dem kanadischen Arbeitsmarkt zu fassen. Die Teilnehmenden nahmen daher die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen auf dem kanadischen Markt für Personen, die bereits in Kanada wohnen, als geringer wahr als Teilnehmende der Studie, die die Information über die erfolgreiche Arbeitsmarktintegration nicht erhalten hatten.

An einer weiteren Studie (Nadler et al., 2009) nahmen Schüler*innen einer prestigeträchtigen High School aus Israel teil. Ihnen wurde gesagt, dass sie und Schüler*innen einer anderen Schule Analogie-Aufgaben lösen sollten. Einem Teil der Schüler*innen wurde gesagt, dass die andere, weniger prestigeträchtige Schule in den letzten fünf Jahren in ihren Leistungen stets konstant geblieben war; einem anderen Teil wurde gesagt, dass die anderen Schüler*innen sich in den letzten fünf Jahren stetig verbessert hatten. Danach wurden die Analogie-Aufgaben gestellt. Den Schüler*innen der prestige-trächtigen Schule wurde dann gesagt, dass ein Schüler/eine Schülerin in der anderen Schule Schwierigkeiten bei der Lösung einiger Aufgaben habe. Sie hatten die Möglichkeit, dem anderen Schüler/der anderen Schülerin abhängigkeitsorientierte Hilfe (die gesamte Lösung einfach mitteilen), autonomieorientierte Hilfe (einen Hinweis zur Lösung geben) oder gar keine Hilfe anzubieten. Wenn zuvor die getrennte Gruppenzugehörigkeit bewusst gemacht worden war, boten die Teilnehmenden mehr abhängigkeitsorientiere Hilfe an.

Neben dem Befund, dass ein Gefühl der Bedrohung zum Angebot abhängigkeitsorientierter Hilfe führt, gibt es auch Indizien, dass nicht einmal eine Bedrohung empfunden werden muss, sondern der wahrgenommene Status des Hilfesuchenden schon bestimmt, welche Art von Hilfe angeboten wird. Wird dem/der Hilfesuchenden ein geringer Status zugesprochen, dann werden aufgrund von Attributionsprozessen (z.B. Weiner 2006) geringere Fähigkeiten als Ursache für das Hilfsgesuch vorausgesetzt und abhängigkeitsorientierte Hilfe angeboten (Nadler und Chernyak-Hai 2014). Das Hilfsgesuch von Personen aus einer statushohen Gruppe hingegen wird eher auf situationelle, veränderbare und externe Ursachen zurückgeführt, sodass diesen autonomieorientierte Hilfe angeboten wird.

Personen im ehrenamtlichen Kontext sollten sich daher regelmäßig die Frage stellen, welche Hilfe den Geflüchteten tatsächlich langfristig helfen kann, sich als selbstständiges, zugehöriges Individuum in den neuen Gegebenheiten zurechtzufinden.

Um Machthierarchien aufrechtzuerhalten, sind also nicht immer offen geäußerte Vorurteile notwendig – sozial erwünschtes Verhalten in Form von (abhängigkeitsorientierter) Hilfe zu zeigen, kann zum selben Ergebnis führen. Wenn Geflüchtete nur als Opfer gesehen werden, ohne eigene (politische) Gestaltungsmöglichkeiten, fungiert Hilfe als Methode zur Aufrechterhaltung des Machtungleichgewichts. Im Bereich der Entwicklungshilfe wird diese Form von positiv erscheinender Machtausübung schon seit langer Zeit diskutiert (z.B. Bauer 1993) – vor der eigenen Haustüre, bei der ähnliche Interaktionsmuster auftreten, noch zu wenig.

Literatur

Bauer, P. (1993): Development Aid – End It or Mend It. International Center for Economic Growth, Occasional Papers Nr. 43. Oakland, California: Ics Press.

Jackman, M. (1994): The Velvet Glove – Paternalism and Conflict in Gender, Class, and Race Relations. Berkeley: University of California Press.

Jackson, L.M. and Esses, V.M. (2000): Effects of Perceived Economic Competition on People’s Willingness to Help Empower Immigrants. Group Processes & Intergroup Relations, 3(4), S. 419-435.

Jost, J.T. and Hunyady, O. (2005): Antecedents and Consequences of System-Justifying Ideologies. Current Directions in Psychological Science, 14(5), S. 260-265.

Nadler, A. (2002): Inter-Group Helping Relations as Power Relations – Maintaining or Challenging Social Dominance Between Groups Through Helping. Journal of Social Issues, 58, S. 487-502.

Nadler, A. and Chernyak-Hai, L. (2014): Helping Them Stay Where They Are – Status Effects on Dependency/Autonomy-Oriented Helping. Journal of Personality and Social Psychology, 1, S. 58-72.

Nadler, A. and Fisher, J.D. (1986): The Role of Threat to Self-Esteem and Perceived Control in Recipient Reactions to Help – Theory Development and Empirical Validation. In L. Berkowitz (ed.): Advances in Experimental Social Psychology (Vol. 19). New York: Academic Press, S. 81-122.

Nadler, A.; Harpaz-Gorodeisky, G.; Ben-David, Y. (2009): Defensive Helping – Threat to Group Identity, Ingroup Identification, Status Stability, and Common Ingroup Identity as Determinants of Intergroup Helping. Journal of Personality and Social Psychology, 5, S. 823-834.

Sachdev, I. and Bourhis, R.Y. (1985): Social Categorization and Power Differentials in Group Relations. European Journal of Social Psychology, 15(4), S. 415-434.

Tajfel, H. and Turner, J.C. (1986): The Social Identity Theory of Intergroup Behavior. Psychology of Intergroup Relations, 5, S. 7-24.

Weiner, B. (2006): Social Motivation, Justice, and the Moral Emotions? An Attributional Approach. Mahwah, NJ: Lawrence Erlbaum Associates.

Nadine Knab, Mitglied der W&F-Redaktion, ist Doktorandin im Themenbereich Friedenspsychologie an der Universität Koblenz-Landau im Fachbereich Psychologie. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen bei den Themen Interventionen bei Intergruppenkonflikten, soziale Gerechtigkeit und verschiedene Formen kollektiven Handelns.

erschienen in: Wissenschaft & Frieden 2017/2 Flucht und Konflikt, Seite 24–26